Oct 21, 2020
Sabine Müller-Mall über Algorithmen und Politik
Algorithmen waren vor nicht allzu langer Zeit vor allem Programmierern ein Begriff, mittlerweile sind sie jedoch in aller Munde und dabei nicht immer positiv besetzt: Während Algorithmen für einige die objektive und neutrale Alternative zu subjektiv-menschlichen Entscheidungen sind, sehen andere große Gefahren: Zensieren die Algorithmen von Google und Facebook? Diskriminiert etwa der Scoring-Algorithmus der SCHUFA?
Sabine Müller-Mall, Rechtsphilosophin und Professorin für Rechts- und Verfassungstheorie mit interdisziplinären Bezügen an der TU Dresden, liefert mit dem Essay „Freiheit und Kalkül. Die Politik der Algorithmen“ einen neuen Beitrag zur immer wieder entfachenden Debatte über Algorithmen, ihre Vor- und Nachteile und damit verbundene Hoffnungen und Ängste. Müller-Mall geht es dabei nicht darum zu bestimmen, ob Algorithmen zu wenig oder zu viel Macht haben, gut oder böse sind. Stattdessen lenkt sie den Blick auf die gesellschaftliche und politische Dimension ihrer Verwendung.
Algorithmen, führt Müller-Mall aus, seien mitunter durchaus hilfreich, denn sie entlasten, indem sie uns schwierige Entscheidungsfindungsprozesse abnehmen. So strukturieren Algorithmen schon jetzt unser Zusammenleben und beeinflussen unsere Zukunft. An sich sei das nicht problematisch, sofern Bürger und Bürgerinnen selbst bestimmen können, wie sie mit Algorithmen umgehen. Dies scheitere jedoch noch zu häufig an mangelnder Transparenz. Noch sei selten erkennbar, wo ein Algorithmus in einen Prozess eingreift und welche Auswirkungen dieser Eingriff hat. Gleichzeitig werden von einem Algorithmus getroffene Entscheidungen kaum diskutiert, denn sie erwecken den Anschein einer neutralen Berechnung und scheinen damit zwangläufig richtig zu sein. So werden Themen, über die eine Debatte eigentlich wichtig wäre, entpolitisiert.
Auch die Politik selbst fordere und fördere die Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, diskutiere dabei aber kaum die politische Dimension solcher Entwicklungen. Sabine Müller-Mall fordert daher vor allem, dass wir uns bewusst machen: eine Entscheidung abzugeben, ist selbst eine politische Entscheidung ist, denn es beutet immer auch, Autonomie abzugeben. Außerdem müsse man sich klar machen, dass Algorithmen eben keine objektiven Rechenergebnisse liefern, sondern hochgradig normativ arbeiten. Algorithmen seien nicht gut oder böse, sie seien hilfreich, aber sie laden auch dazu ein, politische Freiheit und Mündigkeit nicht zu gebrauchen. Das müsse allen bewusst sein, um einen demokratischen Umgang mit ihnen zu finden. Am Ende, so die Rechtsphilosophin, müsse der Mensch entscheiden, wie seine Zukunft aussehen soll.
Der Essay „Freiheit und Kalkül. Die Politik der Algorithmen“ ist als Teil der Reihe [Was bedeutet das alles?] bei Reclam erschienen.
Dieser Text erschien in der Ausgabe 16 des Universitätsjournals aus dem Jahr 2020.
Weitere Informationen:
Prof. Sabine Müller-Mall
Professur für Rechts- und Verfassungstheorie mit interdisziplinären Bezügen
Tel.+49 351 463-43243