01.03.2017
Tagungsbericht zum 3. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung
Bereits zum drittem Mal präsentierten junge Wissenschaftler*innen ihre genderwissenschaftlich orientierten Abschlussarbeiten (Bachelor-, Master- und Staatsexamensarbeiten) auf dem Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung. Im Mittelpunkt standen Beiträge aus den Literaturwissenschaften, der Soziologie und Pädagogik. Lutz Hagen, Dekan der Philosophischen Fakultät, eröffnete die Veranstaltung mit einem Grußwort. Darin bekräftigte er die Wichtigkeit von geschlechtsbezogenen Themen in der Forschung gerade in Zeiten erstarkender Gegenstimmen rechter Gruppierungen. Elisabeth Tiller begrüßte die Anwesenden im Namen der GenderConceptGroup. Sie problematisierte die derzeitige Verwendung von Social Media, die dazu beitrage, neue Nationalismen und rechtes Gedankengut salonfähig zu machen. Die Gender-Forschung brauche sich angesichts dieser Situation, so Tiller, jedenfalls keine Sorgen um ihre Zukunft zu machen. Die GenderConceptGroup der TU Dresden trage in verschiedenen Formaten, wie Ringvorlesungen, Konferenzen, Veröffentlichungen und Nachwuchskolloquien zur Geschlechter-Forschung bei.
Im ersten Beitrag des Nachwuchskolloquiums stellte MIHAEL ŠVITEK (Dresden) seine als beste Masterarbeit der Fakultät Sprach-, Literatur-, Kulturwissenschaften ausgezeichnete Untersuchung mit dem Titel "Sprache und Geschlecht? Dekonstruktive Lesarten (in) der linguistischen Genderforschung" vor. Untersuchungsgegenstand waren Aufsätze der sprach- und genderwissenschaftlichen Professor*innen Helga Kotthoff, Susanne Günther sowie Lann Hornscheidt. Šviteks These war, dass trotz dekonstruktiver Ansätze in der Genderlinguistik, Geschlecht auch dort in sprachlichen Äußerungen in der Regel biologisierend als vorsprachliche Kategorie gesetzt werde. Es sei an der Zeit, diese Setzung mittels dekonstruktiver Methoden zu überwinden und nicht durch Fortführung der Kategorie Geschlecht in einer wissenschaftlichen Sackgasse zu verharren.
BETTY BAUMANN (Dresden) folgte mit der Vorstellung ihrer Bachelorarbeit "Genderperformanz in Louise Astons 'Revolution und Contrerevolution'". Sie stellte die These auf, dass der Roman als Verschriftlichung von Butlers Performativität des Geschlechtes gedeutet werden kann. Thema des Romans ist die Rolle der Frauen in der Revolution 1848. Baumann zeigte, dass die Fragen, ob die Revolution siegen wird, und ob sie auch eine Revolution der Geschlechter sein wird, zentrale Fragen des Überlebens für die Romanheldin Alice von Rosen sind. Solange noch Erfolgsaussichten bestehen, kann sie sich jenseits der klassischen Geschlechterrollen bewegen und intelligibles Subjekt sein. Bestehen solche Erfolgsaussichten nicht mehr, droht die persönliche Auflösung.
Queere Verschriftlichung war das Thema bei DIANA V. PICH LIPINSKI (Dresden). Ihre Masterarbeit mit dem Thema "Queere Gegenwartsliteratur im Kanonisierungsprozess? Wertungskriterien ausgewählter Zeitungsrezensionen." untersuchte die Sichtbarkeit queerer zeitgenössischer Literatur anhand von vier Leitmedien. Ihre Ergebnisse zeigten, dass nur 2 Prozent der erfassten Rezensionen queere Literatur behandelten. Hier wurden vor allem schwule/lesbische sexuelle Orientierungen und somit nur ein kleiner Ausschnitt queerer Themen und Identitäten thematisiert. Im Ergebnis war festzustellen, dass der Anteil (positiv) rezensierter oder auf Bestsellerlisten geführter queerer Bücher äußerst gering ausfiel und von einer Etablierung queerer Literatur im literarischen Kanon noch nicht die Rede sein kann.
CHRISTINE BORSCH (Dresden) stellte ihre Masterarbeit zu "Female Masculinity als eine Form der Männlichkeitskonstruktion in Charlotte Bronte's Jane Eyre" vor. Der Roman entstand in Zeiten des viktorianischen Weiblichkeitsideals des 'Angel in the House', ging aber über diese zeitgemäßen Geschlechtervorstellungen weit hinaus. Wie Borsch unter Bezugnahme auf Raewyn Connell (hegemoniale Männlichkeit) und Jack Halberstam (female masculinity) zeigte, schafft es die Romanfigur Jane, eine erfolgreiche 'weibliche Männlichkeit' herzustellen, die allerdings in späteren Lebensphasen bröckelt. Die Aufrechterhaltung von Männlichkeit geht auch bei Jane mit Misogynie einher. Im Roman zeigen sich bereits die Performativität von Geschlecht, Zusammenhänge von Männlichkeit mit Macht, die Koexistenz mehrerer Maskulinitäten sowie deren soziale Konstruktion als andauernder Prozess - Aspekte, die erst viel später Bestandteil der Geschlechterforschung wurden.
Im Anschluss berichtete REBEKKA SMUDA über ihre qualitative ethnografische Studie zu Haarpraktiken und ihre Bedeutung für die soziale Konstruktion von Weiblichkeit. In ihrer Masterarbeit "Uma questao do cabelo“ Haarpraktiken von und ihre Bedeutungen für Brasilianerinnen mit krausem Haar." untersuchte sie mittels teilnehmender Beobachtung und Einzel-Interviews die Fragen nach mit krausem Haar verbundenen Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit sowie deren gesellschaftlichem Aussagegehalt. Ihre Ergebnisse zeigten auf, dass die gesellschaftliche Abwertung krauser Haare in Brasilien mit sowohl verbergenden individuellen Haarpraktiken (z.B. Glätten) als auch widerstandsförmigen und vielfach solidarisch gelebten Praktiken der positiven Aneignung einhergehen. Smuda brachte diese Individualpraktiken mit gesamtgesellschaftlich wirksamen Rassismen – als koloniale Kontinuität – und Sexismen in Zusammenhang.
LISA KUNDLER (Rostock) folgte mit einer Zusammenfassung ihrer Bachelorarbeit "Moderne Sklaverei in Deutschland am Beispiel der Haushalts- und Pflegebranche“. Dabei wies sie zunächst auf Überschneidungen und Abgrenzungen der Begriffe der ‚Modernen Sklaverei‘ und des ‚Menschenhandels‘ hin. Sie führte mit Verweis auf die Zahlen von Hilfsorganisationen (z.B. Ban Ying e.V.) vor Augen, dass es in Deutschland in den Branchen Sexgewerbe, Gastronomie, Bau, Reinigung, Pflege, Haushalt usw. mindestens 14.500 Sklav*innen gibt. Die Arbeitsbedingungen sind gekennzeichnet durch absolute Verfügungsgewalt über die betroffenen Menschen. Von solchen Verhältnissen sind häufig Migrant*innen betroffen, wobei sprachliche Schwierigkeiten, Unwissenheit über behördliche Verfahren in Deuschland, Angst vor Abschiebung o.ä. ausgenutzt werden. Erhöhte Arbeitszeit und schlechte Bedingungen werden von den ‚Arbeitgeber*innen‘ durch Einschüchterung, Überwachung und Angst durchgesetzt, häufig in Verbindung mit Täuschung. Kundler stellte die Ausweglosigkeit der Betroffenen eindrucksvoll anhand einzelner Fälle dar.
Bei MARTINA A. KISLER (Dresden) ging es ebenfalls um Care-Arbeit, nun aber fokussiert auf geschlechtsbezogene Unterschiede in der elterlichen Sorge. Ihre Diplomarbeit mit dem Titel "Eine Untersuchung in einer Dresdner Kindertagesstätte über die Beteiligung junger Väter von Kindern unter drei Jahren an der elterlichen Sorge." interessierte sich für die „Neuen Väter“ nach Thomas Meuser und die Wirksamkeit der familienpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre. Kisler operationalisierte ihre Fragestellung nach Umfang und Qualität der väterlichen Sorge durch die quantitativ-standardisierte Erfassung der alltäglichen Bring/Abhol-Situation und qualitativer Bewertung der Interaktionen zwischen Eltern/Kind und Eltern/Erzieher*innen. Im Ergebnis fiel die Diskrepanz zwischen der nach Männern und Frauen getrennt erfassten Häufigkeit einzelner Bring- und Abhol-Akte von 12 Prozent auf. Die Kinder wurden demnach öfter von Frauen zur Kita gebracht oder abgeholt. Die Interaktionen sowohl zwischen Eltern und Kindern also auch zwischen Eltern und Erzieher*innen wiesen zum Teil Reproduktionen geschlechterstereotyper Verhaltensweisen auf.
Maria Häusl sprach das Schlusswort und verwies auf die bisher erschienenen Sammelbände der GenderConceptGroup. Aktuelle Veranstaltungen und Publikationen der GCG sind auf der Website einsehbar: https://tu-dresden.de/gsw/forschung/projekte/genderconceptgroup
Autor*innen: Nora Molinari, Institut für Soziologie, TU Dresden, und Rosa Klee, Dresden;