Nov 30, 2017
Wer also kontrolliert die Kontrolleure?
Blick zurück auf die Zeit am Ende des Jahres 2014, Anfang 2015. Im Spiegel Online (14. Januar 2015) steigen Gesa Mayr und Veronika Wulf in ihren Artikel zum Thema »Verhindertes Flüchtlingsheim in Dresdner Hotel« mit folgender Formulierung ein: »Direkt an der Elbe in Dresden liegt der Stadtteil Laubegast, Villa reiht sich an Villa, Vorgarten an Vorgarten. Es ist ein Viertel für Menschen, denen es gut geht. Ein Viertel für jene, die sich Idylle leisten können.« Beim Lesen dieses Beitrages entsteht der Eindruck: So diffamiert man pauschal Menschen – offenbar mit dem Ziel, Laubegaster Einwohner hinzustellen als Privilegierte, die weder finanzielle Sorgen haben noch den sozialen Spannungen einer Großstadt ausgesetzt sind und die dennoch – so die sich assoziativ einstellende Schlussfolgerung – Flüchtlingen nicht helfen wollen.
Die Spiegel-Damen formulieren geschickt und sicher absichtlich – aber an der Realität vorbei. Denn in Laubegast reiht sich nicht Villa an Villa, nicht Vorgarten an Vorgarten. Es gibt in Laubegast nur wenige Villen, aber dafür einige Einheitsbauten aus der Zeit des Realsozialismus, es gibt, entlang des Elbufers, kleine Häuser, die an frühere Fischer- und Treidler-Ärmlichkeit erinnern und die immer wieder bei Hochwasser »absaufen«, es gibt – vor allem entlang der donnernden Straßenbahnlinie – Stadtmietshäuser, deren Keller ebenfalls hochwassergefährdet sind, und es gibt sowohl sehr beengte Siedlungshäuschen aus der Zwischenkriegszeit als auch ein hässliches Nachwende-Neubaugebiet. – Was soll also die süffisante Bemerkung vom Viertel für jene, die »sich Idylle leisten können«?
Des Weiteren machten damals in den Medien Angaben zu Schmierereien am Hotel Prinz Eugen die Runde – so beispielsweise »asylkritische Schmierereien am Hotel« (MDR), »mindestens (Hervorhebung: M. B.) eine Schmiererei am Hotel hat er dokumentiert« (Spiegel Online), in der FAZ war die Rede von »von Schmierereien übersät« … Die Wahrheit jedoch ist: Es gab genau eine Schmiererei am Hotel – an jenem Tag, nachdem die Umwidmung des Hotels zum Heim bekanntgegeben worden war. Und diese Schmiererei ist binnen eines Tages übertüncht worden.
Natürlich ist schon eine einzige Schmiererei dieser Art, egal wo, eine zu viel. Aber müssen Journalisten rassistische Äußerungen und Asylbewerberskepsis in Dresden unbedingt »publizistisch vergrößern«, nur weil deren realen Ausmaße ihnen nicht groß genug sind, um ihr eigenes, offenbar vorgefertigtes Argumentationsräderwerk in Gang setzen zu können? Und müssen Einwohner eines Stadtteils tendenziös als in gewisser Weise privilegiert vorverurteilt werden, nur um deren Meinungen und Verhalten als besonders unmoralisch darstellen zu können? Dass sich damals fast niemand in den Medien ernsthaft mit den konkreten Inhalten der Petition der Initiative »Mein Laubegast» beschäftigt hat, kennzeichnet die Situation der deutschen Medienlandschaft.
Als »dritte Macht« im Lande, so formulieren die Veranstalter des kommenden Lingner-Podiums, seien die Institutionen der Informations- und Meinungsbildung – also die sogenannten Medien – für das Funktionieren der Demokratie elementar wichtig. »Ihre Einflussmöglichkeiten auf Denken und Handeln der Menschen impliziert aber immer auch die Gefahr von Manipulation. Wer also kontrolliert die Kontrolleure? Welchen Anteil haben die Medien an der Krise der politischen Kultur und welche Rolle spielen dabei die verschiedenen sozialen Medien?«
Zur Rolle von social media hat erst kürzlich eine Arbeitsgruppe um Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Münchner Hochschule für Politik, eine Studie erarbeitet. Und die hat am Beispiel der Trump-Wahl gezeigt (zusammengefasst bei Tagesschau online, 4. November 2017), dass Facebook allein durch die massenhafte Wiederholung emotionaler Botschaften das politische Denken zuungunsten Hillary Clintons beeinflusste und damit die Bedeutung des diskursiven Exkurses für die Meinungsbildung zurückgedrängt hat – zugunsten einfacher, emotionaler, ständig wiederholter Kurzbotschaften. In Bezug auf die AfD fand Hegelich heraus: »Wenn immer mehr über die AfD berichtet wird, dann sinkt sozusagen die Hemmschwelle, sie auch dann zu wählen, wenn negativ über sie berichtet wird.« Diese Tendenz wird – medienbedingt – von Facebook weitaus schneller angetrieben als von herkömmlichen Medien. Begünstigen also soziale Medien das Zurückdrängen der Rolle des diskursiven Denkens für politische Dispute und Entscheidungen?
Zum Lingner-Podium treten drei Persönlichkeiten auf, die jeweils verschiedene Aspekte fachmännisch beleuchten werden: Prof. Lutz Hagen von der TU Dresden (Inhaber der Professur für Politische und Wirtschaftskommunikation ) als Kommunikationswissenschaftler, der freie Journalist Michael Bartsch, dessen Schwerpunkt auf Kultur- und Wissenschaftspolitik liegt (auch gelegentlich UJ-Autor), sowie der Medienanalyst und Blogger Peter Stawowy, der sich in der deutschen und vor allem sächsischen Medienlandschaft auskennt und seit Jahren mit Flurfunk Dresden einen Weblog zu diesem Thema betreibt. Vor einigen Jahren war Stawowy auch Lehrbeauftragter am TUD-Institut für Kommunikationswissenschaft.
Weitere Informationen: http://www.lingnerschloss.de/veranstaltungen/alle/list.events/-
Autor: Mathias Bäumel
Dresdner Universitätsjournals, 28. Jahrgang, Ausgabe 19|2017, Seite 5