Jun 07, 2023
Nachruf auf Prof. Dr. Uwe Israel
Uwe Israel (25. April 1963 – 3. Juni 2023)
Der im saarländischen Neunkirchen geborene Uwe Israel studierte an der Universität Göttingen zunächst Rechtswissenschaften, bevor er sich auf Geschichte, Germanistik und Philosophie verlegte. 1991 schloss er das Studium mit dem ersten Staatsexamen ab. An der Humboldt-Universität zu Berlin, wohin er seinem Doktorvater Hartmut Boockmann aus Göttingen gefolgt war, wurde Israel 1995 mit einer Arbeit zum Straßburger Prediger Johann Geiler von Kaysersberg promoviert. Der 1997 publizierten Arbeit bescheinigte eine Rezensentin nicht nur klaren Blick und Urteilsvermögen, sondern auch eine gute Lesbarkeit und Lebendigkeit. Wieder in Göttingen arbeitete er ab 1996 als wissenschaftlicher Assistent des hochgeschätzten Boockmann, dessen früher Tod im Juni 1998 ihm Zeit seines Lebens naheging und ihm wie dem gesamten Schülerkreis einige Umorientierungen abverlangte. 2003 habilitierte er sich in Göttingen mit einer zwei Jahre später unter dem Titel „Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalterlichen Italien“ erschienenen Arbeit. Systematisch verfolgte er hier ein damals wie heute sehr aktuelles Thema und zeigte einmal mehr, welch hohes Maß an räumlicher Mobilität die angeblich „vormodernen“ Gesellschaften auszeichneten. Zudem erweiterte er mit dem Bezug auf Italien bzw. die deutsch-italienischen Beziehungen nicht nur seinen wissenschaftlichen Horizont, sondern er erschloss sich zugleich eine neue Lebenswelt, als er – nach einigen Vertretungen und Gastdozenturen – auf den Spuren seiner mittelalterlichen Migranten selbst mit seiner Familie in den Süden zog, um als Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig zu wirken. Hier verlebte er nach eigener Angabe eine der glücklichsten Phasen seines Lebens.
Zum Wintersemester 2010/11 folgte Uwe Israel einem Ruf auf den Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Technischen Universität Dresden, wo er schnell und zupackend neue Forschungsprojekte in Angriff nahm. Im DFG-Projekt „Der mittelalterliche Zweikampf als Agonale Praktik zwischen Recht, Ritual und Leibesübung“ (2011 bis 2015) entstanden vielbeachtete kulturhistorische Studien zu Ritual und Gewalt im Mittelalter. Epochenübergreifenden Charakter hatte das Graduiertenkolleg „Geschichte der Sächsischen Landtage“ (2013-2018), das er zusammen mit Josef Matzerath leitete. Sieben Dissertations- und ein Habilitationsvorhaben legten neben mehreren anderen Veröffentlichungen den Grundstein dafür, dass die beiden Projektleiter 2019 eine monographische Geschichte der sächsischen Landtage vorlegen konnten. Dass Uwe Israel bei aller fachlichen Fokussierung ein interdisziplinärer Teamarbeiter war, stellte er schließlich auch als Teilprojektleiter im Dresdner Sonderforschungsbereich 1285: „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ unter Beweis, wo er – auf seine Expertise für deutsch-italienische Beziehungen ebenso wie für den spätmittelalterlichen Humanismus zurückgreifend – ein Projekt über „Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus“ leitete.
Unter seiner Forschungsorientierung litt sein Engagement in der Lehre keineswegs, im Gegenteil. Seine Studierenden kannten ihn ebenso wie seine Doktoranden als zugewandten Betreuer, der fachliche Versiertheit mit einem gesunden Pragmatismus und den Blick für das Mögliche verband. In seinen Vorlesungen und Seminaren bot er ein breites Spektrum an Themen, in seinem Kolloquium waren immer wieder interessante und hochkarätige Gäste zu hören. Auch in der akademischen Selbstverwaltung engagierte er sich ganz selbstverständlich, wobei ihm seine Ader für rechtliche Fragen zupasskam: Ob als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Geschichte, als Studiendekan der Philosophischen Fakultät (2012-2014) oder als Vorsitzender und Mitglied zahlreicher Kommissionen, stets war er ein geschätzter und zuverlässiger Partner. Das galt nicht zuletzt für sein Wirken im Vorstand des Italienzentrums der TUD.
Trotz Pandemie brachte der Beginn des neuen Jahrzehnts für Uwe Israel neue Erfolge und Anerkennungen sowie neue interessante Herausforderungen. In Anerkennung seiner Leistungen gerade im italienischen Kontext wurde er als auswärtiges Mitglied in die Akademie der Wissenschaften Venedig (Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti) berufen. In der Nachfolge des SFB-Teilprojekts konzipierte er ein DFG-Einzelprojekt über „Invektive Asymmetrisierung“, das er zum Erfolg führen konnte und das erst vor wenigen Monaten seine Arbeit aufgenommen hat. Nicht zuletzt wurde Uwe Israel Ende 2021 von den Kolleginnen und Kollegen mit überwältigender Stimmenzahl in den Fakultätsrat und zugleich zum designierten Dekan gewählt. In dieser Vertrauensposition sollte er die Philosophische Fakultät in den nächsten drei Jahren leiten. Es kam anders, denn kurz vor der Wahl machte sich plötzlich und unerwartet eine tückische Krankheit bemerkbar, die eine Übernahme dieses Amtes ebenso wie überhaupt eine kontinuierliche Arbeit unmöglich machte.
Lange Monate haben wir mit ihm und seiner Familie gebangt und gehofft, dass er der Krankheit noch lange würde trotzen oder wenigstens mit ihr eine gewisse Lebensqualität würde aufrechterhalten können. Wir sind sehr traurig, dass sich diese Hoffnung nun nicht erfüllt hat. Mit Uwe Israel verlieren wir einen fachlich hochversierten Mediävisten, dessen Expertise und unbestechlicher Blick unsere Aktivitäten bereichert und unsere Universität geschmückt haben; einen Geisteswissenschaftler zudem mit einem weiten interdisziplinären, interepochalen und internationalen Horizont. Wir vermissen aber insbesondere den Menschen Uwe Israel, der – wenn auch nicht kumpelhaft-vertraulich, so doch freundlich-zugewandt – die menschlichen Umgangsformen an seiner Alma Mater ein Stück weit geprägt hat. Wir werden uns seiner stets in Hochachtung erinnern.