02.05.2022
Update: (Post)colonial shaming: Practices and materiality of degradation
(Post)colonial shaming: Practices and materiality of degradation
Emotionsbasierte Praktiken wie shaming, Demütigungen und Diskriminierungen standen im Zentrum der Etablierung und Verfestigung kolonialer Machtgefüge. Positionierungen, Gruppenzugehörigkeiten und asymmetrisierende Kodierungen wurden innerhalb kolonialer Kontexte dabei nicht allein durch menschliche Akteur:innen hergestellt: Auch Dinge waren während des europäischen Kolonialismus des späten 19. und des 20. Jahrhunderts integrale Bestandteile herabsetzender Praktiken. Deren Materialität etwa als Gebrauchsgegenstände mit alltags- oder ritualbezogenen Nutzungen wurde innerhalb solcher Praktiken einer veränderten Ingebrauchnahme zugeführt, mit neuer Bedeutung beladen oder divers affiziert: Waffen und gehandelte (Kolonial)Waren wurden bspw. zu Vehikeln emotionsgeladener politischer Strategien. Alltagsdinge, rituelle Gegenstände und Kunstobjekte, aber auch Architekturen und Infrastrukturen eines Ortes/Raumes manifestierten grundsätzlich tradierte oder neu konfigurierte Machthierarchien. Bilder und Texte waren über ihre inhaltlich-ästhetischen Dimensionen hinaus mittels ihrer materiellen Aspekte – beispielsweise in Gestalt fotografischer Postkarten – ebenso Teil herabsetzender Praktiken. Solche Objekte mit Kolonialbezug können noch heute, etwa durch die Verwendung in Bildungs- und Erinnerungskontexten, Beschämung perpetuieren und immer wieder neu aufrufen, wie z.B. die aktuelle Restitutionsdebatte zu den Beninbronzen verdeutlicht.
Die Delokalisierung von Alltagsgegenständen, die aus ihrem kulturellen Gebrauchskontext herausgenommen und in Kolonialausstellungen in Europa inszeniert wurden, versah diese Exponate mit einer zeichenhaften Valenz. Sie erlaubte es dem europäischen Publikum, die eigene kulturelle Überlegenheit zu konstruieren. Abbildung von Menschen und Dingen aus den Kolonialgebieten ordneten in europäischen Bild- und Textmedien den Kolonisierten koloniale Rollen zu. Damit wurden auch den Dingen Bedeutungen eingeschrieben, die bei der Herstellung und Verfestigung kolonialer Herrschaft mitwirkten. So hatte die Fotografie in kolonialen Kontexten maßgeblichen Anteil an der Produktion einer westlichen Vorstellung des „Primitiven“ bzw. des kolonialen „Exotischen“. Transferprozesse und Bedeutungswandel charakterisieren schließlich das postkoloniale Fortleben von kolonial geprägten Dingen, Menschen, Macht und Wissen. Historisch und/oder kulturell wechselnde Kodierung eliminieren sich nicht gegenseitig, sondern überlagern sich und prägen das post/koloniale ‚Leben der Dinge’ weiter. Daraus ergeben sich vielfältige Probleme im Zusammenhang mit kolonialen Objekten und Referenzen. Aus heutiger Perspektive ist dabei bspw. zu diskutieren, ob und wie ein nicht herabwürdigender Umgang mit Objekten und Praktiken möglich scheint, denen Herabwürdigung durch koloniale Ingebrauchnahme bereits tief eingewoben ist.
Diese englischsprachige Tagung des SFB 1285 "Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung" der TU Dresden zielt darauf ab, besser zu verstehen, wie Herabsetzung, Demütigung und Bloßstellung als Bestandteile materieller kolonialer Praktiken die koloniale Politik des shaming mit geformt und als Komponenten kultureller Erinnerung aller beteiligten kulturellen Gruppen bis in die postkoloniale Gegenwart verstetigt haben:
- Analytisch untersucht die Tagung emotionale Praktiken der Herabwürdigung und die involvierten Materialitäten mit dem Konzept der „Invektivität“. Damit werden unterschiedliche Phänomene der Schmähung, Beschämung und Herabsetzung zusammengefasst, die als eine epochen- und kulturübergreifende Form der Kommunikation verstanden werden. Uns interessieren historische Dynamiken kolonialer Neukodierungen ebenso wie Delokalisierungen kolonialer „Fundstücke“ samt veränderter Sinnzuschreibungen, oder aber Wiederaneignungen etwa von „Raubkunst“ bis in die postkoloniale Gegenwart hinein. Durch interdisziplinäre Zugänge soll der in dieser Form bisher nicht thematisierte Zusammenhang zwischen materiellen Dingen aus kolonialen Kontexten und deren Funktion als bis heute wirkende Medien der Invektivität in den Fokus gerückt werden.
- Die Fragestellung wird aus kulturwissenschaftlich–historischer sowie museologischer Perspektive diskutiert. Dabei liegt der Fokus zum einen auf den Möglichkeiten und Grenzen einer kritischen Analyse kolonialer Praktiken mit Blick auf einen ethisch angemessenen, nicht fortgesetzt herabwürdigenden Umgang mit kolonialen „Aneignungen“ materieller oder materialisierter Objekte. Zum anderen fragen wir nach den Möglichkeiten der Realisierung des Ansatzes eines „geteilten Erbes“ (sharedheritage) und dessen praktischen Konsequenzen. Dies knüpft an aktuelle Debatten um Diskriminierung und Erinnerungskultur an, die fragen, wie Gesellschaften einen angemessenen Umgang mit gewaltbegleiteten invektiven Praktiken vergangener Zeiten pflegen können, der nicht durch Ignoranz, Verdrängen und Fortsetzung kolonialen otherings geprägt ist.
Ein Link zur Anmeldung wird in den kommenden Tagen folgen.
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