Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Blick auf den Leipziger Wochenmarkt am Töpferplatz.
Aufnahme: Adolf Deininger, um 1900. (Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Fotothek)
Das Fach Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der TU Dresden
Wirtschafts- und Sozialgeschichte interessiert sich primär für ökonomische und soziale Entwicklungen, für die ökonomische und soziale Verfasstheit von Gesellschaften, für dahinter stehende ökonomische und soziale Vorstellungen, Ideen und Theorien und die konkreten ökonomischen und sozialen Praktiken der Menschen – sie erscheint in diesem Sinne als eine deutlich abgrenzbare Teildisziplin der Geschichtswissenschaften. Sie ist eine sogennante systematische Disziplin, deren Erkenntnisgegenstand an keine Epoche speziell gebunden ist. Auch wenn der Begriff Wirtschafts- und Sozialgeschichte suggeriert, dass es sich um ein Spezialgebiet handelt, das wirtschaftliche und soziale Entwicklungen gleichermaßen sowie aufeinander bezogen untersucht, ist dies in der Praxis selten der Fall. An den gegenwärtig in Deutschland existierenden Professuren dominieren zumeist wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungsgegenstände, als deren häufigste gemeinsame Schnittstellen die Geschichte der Industrialisierung, die Unternehmensgeschichte und/oder die Globalisierungsgeschichte erscheinen.
Als grundlegende Fragestellung der Wirtschaftsgeschichte lässt sich die nach dem materiellen Überleben der Menschheit oder den materiellen Grundlagen von Gesellschaft im historischen Wandel konstatieren. Arbeitsfelder sind die Geschichte der Unternehmen und Unternehmer/innen, von Krisen und Konjunkturen, die Geschichte einzelner Wirtschaftszweige und -branchen sowie ihrer Institutionen, so von Handel, Banken, Handwerk, Industrie und Landwirtschaft, die Geschichte wirtschaftlicher Systeme, ökonomischer Ideen, Theorien, des ökonomischen Denkens überhaupt, von Wirtschaftspolitik, Staatsfinanzen, Steuerlast ... Mitunter wird auch die Geschichte der Technik hinzugezählt. An der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der TU Dresden wird eine Auffassung von Wirtschaftsgeschichte präferiert, die sich für die jeweils spezifischen normativen Vorstellungen richtigen und guten Wirtschaftens, die damit verbundenen Institutionen und die konkreten Praktiken der Akteur/innen bei der Sicherstellung von materieller Produktion, Distribution und Konsumtion interessiert.
Sozialgeschichte entstand in Abgrenzung zur traditionellen allgemeinen Geschichtswissenschaft, die Geschichte primär als Geschichte großer Männer, bedeutender Mächte und ihrer Beziehungen bzw. als Geschichte von Ideen versteht. So gilt ihr Interesse der Geschichte der Vielen, dem jeweiligen Funktionieren von Gesellschaften oder Gemeinschaften in der Geschichte. Sozialgeschichte zeichnet sich durch große innere Vielfalt aus. Ihre Arbeitsfelder sind die Geschichte von sozialen Ständen, Klassen und Schichten, von Betrieben und Vereinen, von sozialen Beziehungen aller Art, die Geschichte der Arbeit und von Arbeitsverhältnissen im Wandel, die Geschichte von Mobilität und Migration, von Sexualität, Familie, Alltag, Freizeit, schließlich die Geschichte sozialer Ungleichheit unterschiedlichen Typs – der zwischen und innerhalb von Klassen und Schichten, zwischen und innerhalb von Geschlechtern, Generationen, Ethnien, von Menschen unterschiedlicher religiöser oder konfessioneller Zugehörigkeit. Sozialgeschichte wird mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen betrieben, so in der stärkeren Kombination mit der Wirtschaftsgeschichte, eher als politische Sozialgeschichte oder stärker in Verbindung mit Kultur- oder Geschlechtergeschichte. An der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der TU Dresden existiert Sozialgeschichte vor allem als Geschichte sozialer Ungleichheit sowie als Geschichte sozialer Ideen und Bewegungen.
Mit Blick auf beide Fächer ist es das Anliegen, die Dresdner Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte so zu profilieren, dass sie explizit wirtschafts- und sozialgeschichtliche Fragestellungen mit solchen der Frauen- und Geschlechtergeschichte verbindet. In der dezidierten Fruchtbarmachung der Kategorie Geschlecht soll sich die Dresdner Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte von den beiden anderen innerhalb Sachsens in Leipzig und Chemnitz unterscheiden; sie soll mit diesem Spezifikum darüber hinaus in der deutschen Geschichtswissenschaft erkennbar werden. Ihr Bemühen ist es, das Gewicht ökonomischer Faktoren, sozialer Bezüge und kultureller Prägungen – und hier insbesondere der Geschlechtszugehörigkeit – in jeweils spezifischen historischen Konstellationen zu erforschen. Methodologisch zielt dieser Ansatz auf eine Verbindung von Strukturgeschichte, Historischer Anthropologie und Geschlechtergeschichte ab. In der Lehre ist eine zugleich forschungsorientierte und praxisnahe Ausbildung das Ziel. In diesem Sinne erfolgen verschiedenartige Kooperationen mit Partner/innen an der TU Dresden, aber auch in Archiven und Museen im Rahmen von DRESDEN-concept sowie darüber hinaus.
Susanne Schötz