Im Angang war der Garten
Eden, das Paradies und ein Bild des Kosmos: Gartenvorstellungen in der Bibel
Prof. Dr. Maria Häusl
Gerade während eines heißen Sommers löst die Vorstellung eines Gartens schöne Assoziationen aus von schattenspendenden Bäumen, blühenden Blumen, angenehmen Düften und sprudelnden Wasserquellen. Bei Garten in der Bibel denken viele wohl an das Paradies am Anfang des Buches Genesis. In Gen 2 und 3 ist aber im hebräischen Originaltext gar nicht vom Paradies die Rede, sondern vom Garten Eden. Erst die griechische Übersetzung verwendet das Wort paradeios für das hebräisch Wort gan, „Garten“ und macht so den Garten Eden zum „Paradies“.
Unter dem Paradies verstehen Christentum, Judentum und Islam aber nicht nur den Wohnort des ersten Menschenpaares, sondern vor allem einen endzeitlich-zukünftigen, himmlischen bzw. jenseitigen Ort, in den die Frommen und Gerechten (nach ihrem Tod) eingehen werden.
Der Garten Eden in Gen 2 und 3 beruht hingegen auf den Vorstellungen vom Garten in den Kulturen des Vorderen Orients und Ägyptens. Ein wasserreicher Baumgarten ist das Abbild des Kosmos und der Lebensraum der Menschen (und der Gottheiten). Während der Garten die dem Menschen zugewandte Natur darstellt, beginnt außerhalb des Gartens die Wüste oder theologisch ausgedrückt das lebensgefährliche und lebensvernichtende Chaos. Wenn der Garten als Kosmos gilt, dann ist es nicht weit bis zur Vorstellung des göttlichen Schöpfers als Gärtner. Das Anlegen eines Gartens wird zum Bild für die Erschaffung der Welt und die Arbeit des Gärtners beschriebt die fortwährende Fürsorge für diese Schöpfung.
In den prophetischen Texten des Alten Testamentes dient der Garten dazu, den Eroberungserfahrungen Israels ein Bild der Hoffnung auf die Restitution des Volkes im eigenen Land entgegenzusetzen. Besonders eindrücklich ist die Beschreibung des neuen Himmels und der neuen Erde in Jes 65,17–25. Hier gibt es keine Unterdrückung und keine Fremdherrschaft mehr. Die Menschen wohnen in den Häusern, die sie selbst gebaut haben, ernten die Früchte, die sie selbst gesät haben und werden so alt wie die Bäume.
Im Hohelied erscheint der Garten als Ort der ungestörten und beglückenden Begegnung der Liebenden. Mit seinen Wasserquellen, wunderbaren Düften und herrlichen Früchten wird er zur Metapher für die Liebenden selbst. Auch wenn dieser Garten nicht als Garten Eden bezeichnet ist, so entwirft das Hohelied doch eine Gegenposition zu Situation nach dem Sündenfall in Gen 3. Denn der Zugang zum Garten (Eden) ist nicht auf immer verschlossen, der erfüllenden Liebe steht der Garten offen.
Damit ist das zumindest im Christentum zentrale Merkmal des Gartens Eden in Gen 2 und 3 genannt. Der Garten Eden wurde aufgrund des Sündenfalls verschlossen, die ersten Menschen wurden daraus vertrieben. Der Paradiesgarten wird zu einem den Menschen unzugänglichen Ort. Erst das Heilhandeln Christi öffnet das Paradies wieder. Im Johannesevangelium beginnt und endet die Passionsgeschichte ganz bewusst in einem Garten (Joh 18,1.26; 19,41). In den Garten „jenseits des Baches Kidron“ geht Jesus zusammen mit seinen Jünger:innen, der für die Gemeinschaft um Jesus nicht verschlossen ist. Und in einem Garten neben der Hinrichtungsstätte wird Jesus nach seinem Tod begraben. Dort kommt es am ersten Tag der Woche zur Begegnung Maria von Magdalas mit dem Auferstandenen. Sie hält ihn bezeichnenderweise für den Gärtner. Und im übertragenen Sinne ist er dies auch. Wenn er sie anhaucht, erinnert dies an das Schöpfungshandeln Gottes im Garten Eden, der dem Menschen den Lebensatem einhaucht.
Die symbolischen und theologischen Bedeutungsgehalte des Gartens und des Paradieses sind also nicht deckungsgleich, sie stehen vielmehr in einem spannungsreichen Wechselverhältnis. Die Idee des Paradieses hat in der konkreten Gartenkunst wie auch in der Darstellung von Gärten in der Kunst und Literatur eine breite Wirkung entfaltet. In säkularen Kontexten findet sich die Vorstellung des verschlossenen oder auch des jenseitigen Paradieses inzwischen nur noch selten, während die Idee des Gartens als idealer Kosmos oder als lebensfreundlich gestalteten Natur fortgeführt werden. Bewegungen wie das Guerilla oder Urban Gardening, die unerlaubterweise Flächen in Städten begrünen, um das städtische Grau aufzuwerten oder sie für einen Obst- und Gemüseanbau urbar zu machen, sind vom Verlangen nach einer guten Gestaltung des eigenen Lebensraumes motiviert. Auch der Wunsch nach und die Verantwortung für eine nachhaltige Bewahrung der Schöpfung spielen eine Rolle.
Denn Gärten sind reale Orte, die zugleich über sich hinausweisen. Wie schon die Gärten des Alten Orients sind auch heutige Gärten Räume, aus denen das Lebensfeindliche – modern würde man wohl sagen – das Lebensmindernde verbannt ist. Sie sind Orte der Selbstbestimmung, des schöpferisch Tätig-Werdens, der Nähe zur Mitwelt und der spirituellen Erfahrung.
(Der Beitrag erschien am 29./30. Juli 2023 in der Katholischen Sonntagszeitung.)