Forschung
Laufende Projekte
Konturen einer fundamentalpolitischen Theologie der Liebe
Das Projekt geht aus von der in der politischen Theorie spätestens seit Böckenfördes Analyse der Aporien des Liberalismus und ihrer Wiederaufnahme durch Jürgen Habermas als Grundproblem liberaler Staatsformen bewussten Frage nach den vorstaatlichen Voraussetzungen freiheitlicher Gesellschaften. Der liberale Verfassungsstaat, der die Bürger mit subjektiven Freiheitsrechten ausstattet, kann aus seiner eigenen Verfassung heraus nicht garantieren, dass die Bürger von ihrer rechtlich garantierten Freiheit einen gemeinwohlorientierten statt nur von Eigeninteressen geleiteten Gebrauch machen. Diese verweist Frage auch auf die politische Bedeutung der Religionen als einer vorstaatlichen Quelle des Zusammenlebens. Worin genau die gesellschaftspolitische Funktion der Religion bestehen kann und soll ist allerdings sowohl in der politischen Theorie als auch in der Theologie hochumstritten.
Ziel des Projekts ist es, eine fundamentalpolitische Theologie der Liebe zu konturieren, die die klassischen Frontstellungen der Debatten – Liberalismus vs. Kommunitarismus, transzendental-geltungstheoretische vs. praktisch-emanzipative politische Theologien, Herrschaftslegitimation vs. Herrschaftskritik) unterläuft und verschiedene Anliegen innovativ integriert. Politisch-theoretisch bedacht teilt sie die kommunitaristische Kritik am Liberalismus, dieser könne seine eigenen Voraussetzungen nicht aus eigenen Mitteln garantieren und sieht dies als Ansatzpunkt, um die gesellschaftspolitische Bedeutung von Religion zu reflektieren. Zugleich teilt sie die grundsätzliche Kritik liberaler Denker an der kommunitaristischen Vorstellung, die Lösung des Problems läge in geteilten substanziellen Werten und Tugenden – und die Funktion der Religion entsprechend darin, einen Beitrag zur vorstaatlichen Sittlichkeit in Form von christlich begründeten Überzeugungen und Werten zu leisten. Denn ein solchermaßen substanzielles Verständnis von Sittlichkeit läuft Gefahr exkludierend, repressiv und ahistorisch zu sein und kann die universalistische Dimension der Gerechtigkeit nicht einholen, ohne Kontingenzen zu naturalisieren. Greift eine kommunitaristische politische Theologie zu weit, indem sie substanzielle Werte vorgibt, so greift eine rein liberale politische Theologie, die sich darauf beschränkt, das Prinzip der Freiheit aus eigenen Quellen in seiner Geltung zu rechtfertigen, zu kurz. Denn es hat kein Ohr für die realen Verstrickungen und Kräfte, die der Verwirklichung des idealen Prinzips der Freiheit zuwiderlaufen. Aus dieser Konfliktlage leitet sich das Desiderat einer Politischen Theologie ab, die nicht primär auf programmatischer Ebene nach dem inhaltlichen Beitrag christlicher Theologie und Religion zu gesellschaftlicher Wertorientierung fragt und auch nicht rein geltungstheoretisch-kriteriell ansetzt, sondern, dem vorgelagert, nach ihrem Beitrag zur praktischen Bildung der Fundamente politischen Urteilens und Handelns fragt.
Die Rolle christlichen Glaubens wird dabei – in Anlehnung an Jan Assman und Bruno Latour – vor allem in seiner transformativen Dimension für menschliche Relationalitätgesehen: in der performativen Befreiung zur Liebe. Die fundamentalpolitische Bedeutung dieser Transformation kann mit Hilfe radikaler Demokratietheorie (Martha Nussbaum, Cornell West, Jürgen Manemann) beschrieben werden, insofern Liebe als der radikale Grund des Politischen verstanden wird.
Verheißungsvolle Materialität? Chancen und Grenzen neuer Materialismen zwischen Posthumanismus, Biopolitik und Mystik
(gemeinsam mit Marcus Döller)
Die ökologische Krise hat eine verschärfte Hinterfragung des westlich-modernen Selbstverständnisses ausgelöst. Sowohl in Theologie als auch (Sozial)Philosophie ist vielerorts die Rede von einer materialistischen Wende. Diese Wende versteht sich sowohl normativ als auch explikativ. In normativer Hinsicht geht es um eine ökologisch motivierte Anthropozentrismuskritik, in explikativer um zunehmende Hybridisierungstendenzen zwischen Mensch und Natur/Materie, die ebenfalls eine Abkehr von einem anthropozentrischen Selbstverständnis zu fordern scheinen.
Das Projekt fragt nach Chancen und Grenzen der neu-materialistischen Wende: Was wird hier genau unter Materie verstanden? Was kann der Materiebegriff in normativer Hinsicht leisten? Wie verzichtbar ist die Natur-Kultur Differenz in ethisch-politischer Hinsicht?
Dafür soll der Materiebegriff aus unterschiedlichen Perspektiven angenähert werden: Posthumanistisch (Mensch und/als Materie) (Paradigma der Materie als Ablösung des modernen Paradigmas der Freiheit?), biopolitisch (die Macht der Materie - Materien der Macht) (kritischer Blick auf Macht-Materie-Verhältnisse), normativ (die Freiheit der Materie - Materien der Freiheit) (Frage nach Ethik des Materialismus), theologisch/mystisch (die Transzendenz der Materie) (Materie als Ort/Medium der Transgression)
Pneumatischer Materialismus. Grundlegung einer materialistischen Theorie des Heiligen Geistes
(DFG, Eigene Stelle, HU-Berlin, derzeit beurlaubt)
Es gehört zu den Errungenschaften der Moderne, Religion mit der Forderung der Freiheit zu konfrontieren. Die Frage ist von gesellschaftlich-politischer wie systematisch-theologischer Relevanz, denn nur wenn eine Religion Wert und Geltung menschlicher Freiheit aus ihren eigenen normativen Grundlagen heraus begründen kann, kann sie eine freiheitliche Gesellschaftsordnung einerseits mittragen und andererseits in ihren Verkürzungen kritisieren.
Das vorliegende Projekt hat das Ziel, eine solche Begründungsreflexion im Rahmen christlicher Gottesvorstellung zu entwickeln.
Die systematische Herausforderung liegt dabei darin, sowohl die für das moderne Freiheitsbewusstsein zentrale Unbedingtheit menschlicher Freiheit zu achten als auch die mit dem christlichen Gottesgedanken verbundene Wirksamkeit Gottes im Inneren menschlicher Freiheit, wie sie vor allem in der Pneumatologie thematisiert wird, zu denken. Zugleich weitet die Pneumatologie das freiheitstheoretisch-anthropologische Problem auf seine ontologischen und (trinitäts)theologischen Implikationen aus, indem sie fordert, Gott ontologisch als der Welt gegenüber transzendent und ihr zugleich immanent und Gott in sich zugleich als Person und als Relation zu denken.
Diesen Herausforderungen will das Projekt begegnen, indem es das stark durch die Entgegensetzung von Differenz- und Einheitsmodellen des Gott-Mensch-, Gott-Welt- und Gott-Gott-Verhältnisses geprägte Theoriesetting der derzeitigen theologischen Debatte um eine innovative vermittelnde (geisttheoretische oder dialektische) Position ergänzt und sie für die freiheitstheoretischen, ontologischen und theologischen Aufgaben der Pneumatologie fruchtbar macht. Eine solche Position kann durch zwei aktuelle materialistische und politisch-theologische Freiheitstheorien eingenommen werden: den negativitätstheoretischen Materialismus Christoph Menkes und den messianischen Materialismus Eric L. Santners. Sie entwickeln im Ausgang (einer materialistischen Lektüre) des Geistbegriffs Hegels und psychoanalytischen und biopolitischen Theorien der Subjektivierung ein innovatives Freiheitskonzept, das Freiheit nicht primär in Autonomie, also der Fähigkeit des Subjekts zur Selbstbestimmung, sondern in der Überschüssigkeit seiner Lebendigkeit gegenüber biologischer Natur auf der einen und sozial formierter Geistigkeit auf der anderen Seite begründet. Diese materialistische Bestimmung des Grundes von Freiheit verbinden sie mit einer prozessual-dialektischen Figur der Befreiung, die sie in theologischen Motiven beschreiben: Es ist das Ereignis der Offenbarung bzw. des Exodus, das das Subjekt zu seiner Überschüssigkeit befreit, indem es ihm seine retroaktive Selbstsetzung ermöglicht. Die befreite Freiheit realisiert sich im Setzen eines neuen sozialen Seins. Damit liefern sie einen Begriff von Freiheit, der ihre Unbedingtheit durch den Akt der Selbstsetzung ebenso denkbar macht wie ihre Ermöglichtheit durch ein ihr innerliches Wirken, das dennoch nicht ihr autonomes ist.
Ziel des Projektes ist es, die Freiheitstheorie Menkes und Santners als Basis zur Grundlegung einer materialistischen Pneumatologie zu erschließen, indem sie erstens auf das Feld der (Sozial)Ontologie zu einer politischen Ontologie der Negativität und auf das Feld der Gotteslehre zu einer negativistischen Gotteslehre ausgeweitet wird, wobei die ontologische Erweiterung konzeptionell an politisch-theologische und die trinitätstheologische an negativistische Lesarten des absoluten Geistes Hegels anknüpft. Auf dieser Grundlage sollen zweitens Grundlinien einer materialistischen Pneumatologie erarbeitet und für die freiheitstheoretische, die ontologische und die (trinitäts)theologische Herausforderung der Pneumatologie fruchtbar gemacht werden. Die Grundüberlegung ist, dass die dreifache Materialität von Freiheit – die überschüssige Lebendigkeit als Grund ursprünglicher Freiheit, das Ereignis zweiter Befreiung durch die Erfahrung einer Anrede und die Materialisierung der Befreiung in der weltverändernden Tat – pneumatologisch als freisetzendes Wirken des göttlichen Geistes verstanden werden können, so dass Gott nicht als Negation menschlicher Freiheit, sondern als der sie allererst und immer wieder freisetzende Grund bestimmbar wird.