Kulturelles Erbe
Der UNESCO-Lehrstuhl befasst sich sowohl mit der Forschung zur Umsetzung des von den UNESCO-Mitgliedstaaten abgeschlossenen Völkervertragsrechts als auch mit den von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedeten Empfehlungen, Erklärungen und Resolutionen. Dazu zählen insbesondere
- die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt von 1954 mit dem Ersten Protokoll von 1954 und dem Zweiten Protokoll von 1999;
- das Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut der UNESCO von 1970;
- das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 (Welterbekonvention);
- das Übereinkommen über den Schutz des Unterwasser-Kulturerbes von 2001;
- das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes von 2003;
- und das Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005.
Was ist kulturelles Erbe?
Der Begriff des (Welt-) „Erbes" (engl. cultural heritage; frz. patrimoine culturel) ist in einem weiteren Sinn zu verstehen als die übliche Kategorisierung in objektbezogene „Kulturgüter" (engl. cultural property; frz. biens culturels). Das (Welt-)Erbe umfasst die von Generation zu Generation weiterzugebenden materiellen wie immateriellen Zeugnisse der Menschheit, seien sie an Land oder am Meeresboden befindlich. Sein Schutz ist nötig sowohl in Kriegs- wie in Friedenszeiten (ausführlich dazu Sabine von Schorlemer, Weltkulturerbe, in: Wichard Woyke, Johannes Varwick (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 2015, S. 518-526).
Vor diesem Hintergrund muss auch Kulturgutschutz zunehmend erweitert und verstärkt personenbezogen – statt wie traditionell objektbezogen – wahrgenommen werden. „Im kulturellen Erbe sind nicht nur die kollektiven Erinnerungen der Menschheit und die Ausdrucksformen unserer Vorfahren gebündelt, das kulturelle Erbe repräsentiert positiv zugleich die Würde, die Einzigartigkeit und Identität der heute lebenden Menschen, Völker, Gruppen und Gemeinschaften." (Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung, Nomos 2016, S. 312).
Gefahren für das kulturelle Erbe
Der UNESCO-Lehrstuhl für Internationale Beziehungen widmet sich insbesondere den Gefahren für das kulturelle Erbe und den damit verbundenen Herausforderungen für das universelle Völkerrecht und das System der Vereinten Nationen.
Bereits früh wurde kritisiert, dass, trotz des sich vielerorts verschlechternden Zustands des Kulturerbes durch Umwelteinflüsse (Luftschadstoffe, Bodenerosion etc.), der Kulturgüterschutz bei einem System konventioneller Kurativmaßnahmen, im Sinne einer „Nachsorge“, verharre und überwiegend als reaktiv zu charakterisieren sei (Sabine von Schorlemer, Der internationale Schutz von Kulturgütern gegen Umwelteinflüsse. Vom kurativen zum präventiven Kulturgüterschutz, in: Frank Fechner, Thomas Oppermann, Lyndel V. Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht (Berlin 1996), S. 225). Demgegenüber steckt der präventive Kulturgüterschutz im Sinne einer „Ökologisierung“ noch in den Kinderschuhen.
Bedrohungen durch den Klimawandel
Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen bereits heute schon Natur- und Kulturerbestätten. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt widmete sich der UNESCO-Lehrstuhl für Internationale Beziehungen den konkreten Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe und die kulturelle Vielfalt sowie den Herausforderungen, die der Klimawandel an unsere heutige gesellschaftliche und rechtliche Ordnung stellt. Dabei wurde die Annahme zugrunde gelegt, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe und die kulturelle Vielfalt die Suche nach einem nachhaltigen globalen Frieden erschweren. Die Ergebnisse der in diesem Rahmen veranstalteten internationalen wissenschaftlichen Tagung wurden in einem Sammelband veröffentlicht: Sabine von Schorlemer, Sylvia Maus (Hrsg.), Climate Change as a Threat to Peace. Impact on Cultural Heritage and Cultural Diversity; Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen, Bd. 19, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2014, 209 S.
Der UNESCO-Lehrstuhl für Internationale Beziehungen befasst sich intensiv mit der Rolle von Kultur im Zusammenhang mit der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) (Projekte).
Absichtliche Zerstörung
Aktuell sind in verschiedenen Kriegs- und Krisenregionen massive und systematische Zerstörungen von Kulturgut und kulturellem Erbe, vorwiegend durch nicht-staatliche Gewaltakteure, zu beobachten. Diese absichtlichen Zerstörungen sind nicht nur Einzelfälle; sie betreffen global gesehen mehrere Länder, in denen extremistische Kräfte Einfluss gewinnen, nicht nur in Irak und Syrien, sondern auch in Afrika (z.B. Nigeria, Ägypten, Mali, Jemen, Libyen, Tunesien) oder Asien (z. B. Pakistan, Afghanistan, Indonesien und Indien).
„Gravierend sind derzeit insbesondere die dramatischen Verluste von Welterbe im Kontext der Kämpfe von extremistischen Gruppen im Umfeld von al-Qaida und dem sog. Islamischen Staat. Eine Vielzahl archäologische Fundstätten in Syrien und Irak, die vielfach noch unerforscht und damit (noch) nicht als Welterbe deklariert wurden, sind in den letzten Monaten unwiederbringlich zerstört bzw. vorsätzlich mit Baggern und Bulldozern buchstäblich ‚pulverisiert‘ worden. Erfahrungen zeigen, dass von den massiven und systematischen Zerstörungen durch IS und mit Al-Qaida verwandter Gruppen selbst renommierte und als Touristenattraktionen wirtschaftlich bedeutsame Welterbestätten nicht verschont bleiben." (Sabine von Schorlemer, Weltkulturerbe, in: Wichard Woyke, Johannes Varwick (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 2015, S. 523).
Das aktuelle Ausmaß deutet auf einen Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen hin: „Die Zerstörung von Kulturerbe wird von den Konfliktparteien nicht länger als ‚militärisch notwendig‘ oder als vermeintlich unvermeidlicher ‚Kollateralschaden‘ gerechtfertigt, sondern ist Gegenstand gezielter und planmäßiger Angriffe, insbesondere von nicht-staatlichen extremistischen Kräften" (Sabine von Schorlemer, Weltkulturerbe, in: Wichard Woyke, Johannes Varwick (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 2015, S. 523).
Die Schutzkonzepte und -maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft müssen daher den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Ein Bewusstseinswandel ist bereits eingeleitet: So wurde die absichtliche Zerstörung des Kulturerbes Afghanistans durch die Taliban von den UNESCO-Mitgliedstaaten als Verbrechen gegen das gemeinsame Erbe der Menschheit – als ein „crime against the common heritage of humanity“ – gegeißelt (UNESCO Resolution on the Protection of the Cultural Heritage of Afghanistan, 22. November 2001). 2003 verabschiedete die Generalkonferenz der UNESCO die Erklärung gegen absichtliche Zerstörung von Kulturgut (UNESCO Declaration concerning the Intentional Destruction of Cultural Heritage). Mit der „Unite4-Heritage“-Kampagne fordert die UNESCO vor allem junge Menschen auf, aktiv gegen Extremismus und Radikalisierung vorzugehen, indem die Plätze, Stätten, Objekte, Orte kultureller Bedeutung und kulturelle Traditionen ins Bewusstsein gehoben und gefeiert werden.
Diese und weitere Entwicklungen wie zum Beispiel die strafrechtliche Auseinandersetzung mit vorsätzlicher Zerstörung von Kulturgut werden vom UNESCO-Lehrstuhl für Internationale Beziehungen kontinuierlich wissenschaftlich begleitet und aufgearbeitet (Projekte). Im September 2016 wurde erstmals ein Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wegen Verbrechen an Kulturgütern gefällt (ICC, The Prosecutor v. Ahmad Al Faqi Al Mahdi, Urteil vom 27. September 2016 (ICC-01/12-01/15)).
Ausgewählte Veröffentlichungen zum Kulturellen Erbe
Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung. Die Auslöschung von Kulturerbe in Krisenländern als Herausforderung für die Vereinten Nationen, The United Nations and Global Change, Band 11. Nomos Verlag, Baden-Baden 2016, 1025 S.
Sabine von Schorlemer, Weltkulturerbe, in: Wichard Woyke, Johannes Varwick (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik,13. Aufl., Verlag Barbara Budrich, Opladen 2015, S. 518-526
Sabine von Schorlemer, Sylvia Maus (Hrsg.), Climate Change as a Threat to Peace. Impact on Cultural Heritage and Cultural Diversity; Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen, Bd. 19, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2014, 209 S.
Sabine von Schorlemer: 40 Jahre UNESCO-Welterbekonvention: Die Stärkung des Schutzes unseres Planeten und seiner Ressourcen, in: Beiträge des UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen, Beiträge des UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen 2013/1, 2013, S. 1-13
Sabine von Schorlemer, Compliance with the UNESCO World Heritage Convention: Reflections on the Elbe Valley and the Dresden Waldschlösschen Bridge, German Yearbook of International Law (GYIL), Bd. 51, 2008, S. 321-390
Sabine von Schorlemer, UNESCO Dispute Settlement, in: Abdulqawi A. Yusuf (Hrsg.), Standard-Setting in UNESCO, Vol. 1, Normative Action in Education, Science and Culture (UNESCO Publishing), Martinus Nijhoff Publishers, Boston, Leiden 2007, S. 73-103
Sabine von Schorlemer, Der internationale Schutz von Kulturgütern gegen Umwelteinflüsse. Vom kurativen zum präventiven Kulturgüterschutz, in: Frank Fechner, Thomas Oppermann, Lyndel V. Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes, Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, Duncker&Humblot, Berlin 1996, S. 225-256
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