Nexus Frieden und Kulturelles Erbe/Kulturelle Vielfalt
"Since wars begin in the minds of men, it is in the minds of men that defences of peace must be constructed." (Absatz 1 der Präambel der UNESCO-Satzung)
Ein zentrales Thema des UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen ist die Erforschung des Nexus von kulturellem Erbe/kultureller Vielfalt und Frieden. Leitend ist die Annahme, dass die Respektierung des kulturellen Erbes und der kulturellen Vielfalt ein zentrales Thema der internationalen Beziehungen ist, da ihr gerade in längerfristiger Perspektive wichtige friedenssichernde Funktionen zukommt.
Kulturgutschutz als sicherheitspolitisches Querschnittsthema
In der Vergangenheit war eine gravierende Vernachlässigung der kulturellen Dimension im Kontext der Konfliktvorbeugung, der Konfliktlösung und der Konfliktnachsorge zu beobachten. Jüngste Entwicklungen der Staatenpraxis zeigen jedoch, dass die flächendeckende Vernichtung von Kunst- und Kulturschätzen durch vorwiegend extremistische Gruppierungen zunehmend zu einem sicherheitspolitischen Thema wird. Sabine von Schorlemer vertritt die These, dass der Erhalt von Kunst- und Kulturschätzen in Verbindung mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Finanzierung des bewaffneten Kampfes und gezielten terroristischen Anschlägen als ein Querschnittsthema im UN-System zu behandeln ist. Es betrifft nicht nur das humanitäre Völkerrecht, den Menschenrechtsschutz und das Völkerstrafrecht, sondern auch die globale Sicherheitspolitik. Die Rolle insbesondere des UN-Sicherheitsrats steht dabei im Zentrum des Interesses. (ausführlich dazu Sabine von Schorlemer, Der Schutz von Kulturerbestätten als Aufgabe der UN-Sicherheitspolitik, Zeitschrift Vereinte Nationen 1/2016)
Anwendbarkeit völkerrechtlicher Regeln auf nicht-staatliche Akteure
Die gegenwärtigen Konfliktstrukturen stellen das Völkerrecht und damit auch den völkerrechtlichen Kulturgutschutz vor besondere Herausforderungen. Die Mehrzahl der aktuellen Konflikte wird inzwischen überwiegend von nicht-staatlichen Gewaltakteuren dominiert, was archaische Handlungsweisen wie hemmungslose Gewalt oder gezielte Akte der Kulturgutzerstörung neu zutage treten lässt:
„Auch wenn es zutrifft, dass Kulturgutzerstörungen so alt wie die Menschheit sind, so sehen wir uns doch sowohl quantitativ, was die Zahl der vernichteten oder beschädigten Objekte angeht, als auch qualitativ in Bezug auf Motivation, Rechtfertigung und Begründungszusammenhang der Zerstörung im Kontext eines neuen Kulturvandalismus vor Herausforderungen von bisher ungekanntem Ausmaß gestellt. Diese Herausforderungen betreffen nicht lediglich den völkerrechtlichen Kulturgutschutz als solchen, sondern letztlich in diesem Teilbereich auch die Geltungskraft des Völkerrechts per se. (...)
Die Zerstörung von Kulturerbe wird von den Konfliktparteien nicht länger als „militärisch notwendig“ oder als vermeintlich unvermeidlicher „Kollateralschaden“ gerechtfertigt, sondern ist Gegenstand planmäßiger, zum Teil mutwilliger Angriffe, insbesondere von nicht-staatlichen extremistischen Kräften. Was inzwischen die wohl größte Bedrohung für das Kulturerbe der Welt darstellt, ist die Weigerung nicht-staatlicher Konfliktparteien, das humanitäre Völkerrecht zu beachten." (Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung, Nomos 2016, S. 502-503)
Neue Ansätze der Terrorismusbekämpfung
Neben den Bemühungen des VN-Sicherheitsrats, Finanzierungsstrukturen von Terrororganisationen systematisch auszutrocknen, plädiert Sabine von Schorlemer für eine umfassendere Art der Terrorismusbekämpfung:
„Was sich derzeit in Jemen, Syrien, Libyen und Irak ereignet, kann sich an anderen Orten wiederholen, gelingt es der internationalen Gemeinschaft nicht – über repressive Maßnahmen hinausgehend – die Wurzeln des internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Terrorismus ist nicht lediglich ein Sicherheitsproblem, sondern ist, wie sich auch anhand des Beispiels der gezielten Auslöschung von Weltkulturerbe durch fundamentalistische Gruppen manifestiert, als ein breit angelegter ,Kulturkampf' gegen universelle Werte zu begreifen. Hier ist Aufklärung und Toleranz, aber auch eine Stärkung gemäßigter Kräfte des Islam erforderlich. Ein größerer Respekt gegenüber den Millionen von Menschen dieser Glaubensrichtung, die sich für einen friedlichen Islam und eine Wertschätzung seiner großen kulturellen Bedeutung einsetzen, ist unabdingbar. Ihre Stimme muss besser hörbar und unterstützt werden; daher sollte auch der Dialog zwischen und mit den Religionsgemeinschaften innerhalb der Vereinten Nationen neu belebt werden." (Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung, Nomos 2016, S. 576)
Nexus Klimawandel - Kulturgüterschutz - Frieden
Der innovative thematische Nexus von Klimawandel – Kulturgüterschutz – Frieden wird in Lehre und Forschung kontinuierlich ausgebaut. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe und die kulturelle Vielfalt die Suche nach einem nachhaltigen globalen Frieden erschweren.
Auch zahlreiche UNESCO-Weltkultur- und Naturerbestätten mitsamt deren Anwohnern drohen durch klimabedingte Veränderungen Schaden zu erleiden (z. B. Desertifikation, Überflutung, Stürme)
„(...) climate change is increasingly posing a threat to the protection of World Heritage. It affects cultural heritage (for example through temperature changes, soil erosion, flooding and storms) as well as natural heritage (e. g., through the melting of glaciers and habitat changes), posing a threat to biodiversity. Furthermore, climate change is likely to affect cultural diversity and socio-cultural interactions by forcing communities to change their work habits and ways of life, to compete for resources or to migrate elsewhere.“ (m.w.N. Sabine von Schorlemer & Sylvia Maus, Reflections on Climate Change, Heritage and Peace, in: Sabine von Schorlemer & Sylvia Maus (Hrsg.), Climate Change as a Threat to Peace: Impacts on Cultural Heritage and Cultural Diversity. Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen 19. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2014, S. 13).
Ausgewählte Veröffentlichungen zum Nexus Frieden
Sabine von Schorlemer, Kulturgutzerstörung.Die Auslöschung von Kulturerbe in Krisenländern als Herausforderung für die Vereinten Nationen. The United Nations and Global Change, Bd. 11. Baden-Baden:Nomos, 2016
Sabine von Schorlemer, Der Schutz von Kulturerbestätten als Aufgabe der UN-Sicherheitspolitik, Zeitschrift Vereinte Nationen 1/2016, S. 3-8
Sabine von Schorlemer; Sylvia Maus (Hrsg.): Climate Change as a Threat to Peace: Impacts on Cultural Heritage and Cultural Diversity. Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen 19. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2014
Die vollstände Publikationsliste finden Sie hier.