Forschungsprogramm
Inhaltsverzeichnis
Kurzbeschreibung
Phänomene der Schmähung und Herabwürdigung, der Beschämung und Bloßstellung lassen sich epochen- und kulturübergreifend als Fundamentaloperationen gesellschaftlicher Kommunikation verstehen. Als Störungs-, Stabilisierungs- und Dynamisierungsmomente sozialer Ordnungen haben sie das Potential, Gemeinschaften zu bilden und Gesellschaften zu prägen; dabei wirken sie zugleich destruktiv wie produktiv.
Der Forschungsverbund fasst solche Phänomene unter dem Terminus "Invektivität". Dieser beschreibt begrifflich jene Aspekte von Kommunikation (ob verbal oder nonverbal, ob mündlich, schriftlich, gestisch oder bildlich), die dazu geeignet sind, herabzusetzen, zu verletzen oder auszugrenzen.
Erscheinungsformen und Funktionen des Invektiven – verstanden als sich realisierender Modus von Invektivität – unterliegen dabei keinem starren Muster, sondern treten in medialer, politischer, sozialer und ästhetischer Hinsicht in komplexen, historisch variablen Konstellationen auf. Sie können deshalb angemessen nur als performatives Geschehen, als relationales Geflecht von Zuschreibungen, Resonanzen und Anschlusskommunikationen sowie im Kontext ihrer sozialen, diskursiven und medialen Ermöglichungsbedingungen verstanden werden. Alle Ebenen des Sozialen werden von den produktiven Momenten destruktiver Kommunikation insofern mitbestimmt, als sie davon entweder hervorgebracht oder aufgelöst, jedenfalls aber verdichtet oder unter Spannung gesetzt werden.
Mit dem Konzept der Invektivität unternimmt es der Forschungsverbund, eine neue Perspektive kulturwissenschaftlicher Forschung zu entwickeln, um Voraussetzungen und Effekte herabsetzend-destruktiver Kommunikation kontextübergreifend beschreibbar zu machen und damit die zentrale Rolle, die die mit polemogenem Potential operierende Kommunikation für Gesellschaften einnimmt, erstmals umfassend in den Fokus der Forschung zu stellen. Er zielt kurz- und mittelfristig auf eine komparative Analytik von Konstellationen und Dynamiken des Invektiven, mittel- und langfristig auf eine Theorie von Invektivität.
Die empirische Grundlage für eine Analyse der komplexen Konstellationen von Invektivität wird ein breites Spektrum von Untersuchungen bereitstellen, die von der Antike bis zur Gegenwart reichen. Sie dienen dazu, die unterschiedlichen Ausprägungen und Abstufungen von Invektivität – von der flüchtigen Gruppenkonstitution über (De-)Formationen sozialer Ordnungen bis hin zu epochalen Brüchen – zu erfassen. Auf dieser Basis werden gesellschaftliche Funktionen und kulturelle Formen von Invektivität sicht-, beschreib- und vergleichbar gemacht.
Die Kategorie der Invektivität wird so als wirkmächtiger Modus von Interaktions- und Kommunikationsprozessen profiliert, um das Soziale in seiner Konflikthaftigkeit und Polemogenität angemessen zu konzeptualisieren. Damit sucht der Forschungsverbund systematisch nach den Momenten der Beleidigung und Herabsetzung als eigensinnigen Medien des Konflikts und der Dynamisierung von Kultur.
Der Sonderforschungsbereich 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und hat seine Tätigkeit am 1. Juli 2017 an der TU Dresden aufgenommen.
Glossar zentraler Begriffe
Das folgende Glossar verzeichnet einige zentrale Arbeitsbegriffe des SFB. Seine Einträge verstehen sich nicht als abschließende Definitionen, sondern als ein Zwischenstand unserer gemeinsamen Arbeit. Alle hier ausgeführten Begriffe weisen einen direkten Bezug zum titelgebenden Konzept der Invektivität auf. Sie konstituieren somit ein zusammenhängendes Begriffsfeld, das für unser Ziel, eine Theorie der Invektivität zu entwickeln, zentrale Bausteine liefern wird. Im Vordergrund stehen dabei die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit sowie die Prägnanz in unterschiedlichen historischen Kontexten und transkulturellen Zusammenhängen.
Der SFB geht davon aus, dass die invektive Valenz nicht in einer Äußerung an sich enthalten ist. Vielmehr entscheidet sich in der Regel erst in unmittelbar oder mittelbar anschließenden Kommunikationsakten, ob bzw. inwieweit eine Äußerung als invektiv bewertet wird. Anschlusskommunikation ist deshalb ein zentraler Begriff im heuristischen Konzept der Invektivität. Er umfasst sämtliche kopräsente und medial vermittelte Äußerungen, die sich auf einen vorgängigen Anlass beziehen, diesen rekursiv als Invektivgeschehen aufnehmen, verstärken, stören, umdeuten, umlenken, negieren oder sogar zuallererst erzeugen. Der Effekt einer Invektive korrespondiert also nicht zwingend mit der Intention des Invektierenden. Eine beleidigend gemeinte Adressierung verfehlt ihr Ziel, wenn sie nicht beleidigt, umgekehrt kann auch eine gut gemeinte Äußerung verletzen.
Anschlusskommunikation beginnt bereits da, wo eine unmittelbare Reaktion oder affektive Resonanz das kommunikative Geschehen als ein invektives auszeichnet. Diese Reaktion kann auf sehr unterschiedliche Weisen erfolgen und etwa mündliche, schriftliche oder bildbasierte Äußerungen oder körperliche Handlungen einschließlich Gestik und Mimik umfassen. Anschlusskommunikationen können sowohl instantan als auch nachträglich stattfinden, sie können sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und sich an andere Orte verlagern und dann auch in Form von (Para-)Texten, Bildern, Filmen etc. erfolgen. Die damit verbundenen Erfahrungen und Verletzungen verändern sich über die Zeit, sie können sich manifestieren oder (teilweise) bewältigt werden, individuell bleiben oder kollektiv werden, mythologisiert oder naturalisiert werden.
Außerdem sind potenziell invektive Kommunikationsakte sozial, räumlich und zeitlich mit anderen Kommunikationen verkettet. Sie können durch vorgängige Kommunikationen (eine Interaktionsgeschichte im Privaten, einen Diskurs im Öffentlichen) encodiert sein, sind im weiteren Verlauf jedoch kontingent. Jede Äußerung provoziert daher nicht nur Anschlusskommunikationen, sondern kann auch selbst als Antwort auf vorgängige Äußerungen oder in Bezug auf diese interpretiert werden. Der damit verbundene Sinnüberschuss steigert ihre Kontingenz und invektive Valenz.
Arenen sind institutionell stabilisierte Kommunikationsräume, die auf unterschiedliche Weise das ‚Problem‘ der Unvermeidlichkeit von Invektivität bearbeiten. Der Begriff der Arena mit seiner Metaphorik des Kampfes und der Auseinandersetzung ist bewusst gewählt, um auf die Konflikthaftigkeit und Polemogenität der im SFB untersuchten raumzeitlichen Arrangements Bezug zu nehmen. Das Arenenkonzept erlaubt, unterschiedliche Grade an Formalität bzw. Informalität in den Settings von Invektivkommunikation zu diagnostizieren und dabei nachzuvollziehen, inwiefern gerade hochgradig formalisierte und verregelte Räume attraktiv für tabubrechende Symbolhandlungen werden können.
Arenen – etwa ein Fußballstadion, ein Gerichtssaal oder eine Internet-Plattform – weisen je spezifische invektive Sprech- und Handlungslizenzen (-> Lizenz), Rollen, Konventionen sowie Erwartungshorizonte und Aufmerksamkeitsmuster auf. Gleichzeitig sind sie durch bestimmte räumlich-architektonische Gegebenheiten und organisationale oder technische (Infra-)Strukturen geprägt, die einen wesentlichen Einfluss auf die möglichen bzw. sozial erwartbaren Beteiligungsformen, den Teilnehmer:innenstatus wie auch auf die Reglementierbarkeit von Invektiven haben.
So zeichnen sich Populararenen wie die Spielstätten und Volksversammlungen der römischen Republik durch eine Inversion sozialer Ordnung aus. Hier ist es allein dem Volk gestattet, die Führungsschicht invektiv zu adressieren, welche umgekehrt diese Lizenz nicht besitzt und stattdessen zur Invektivenresilienz aufgefordert ist. Didaktische Arenen, wie jene des interkulturellen Lernens, zielen hingegen auf die Stabilisierung sozialer Ordnungen, indem die Distribution und Legitimation von Wissen und sozialen Positionen organisiert und Invektivenresilienz bzw. -vermeidung eingeübt werden. Agonale Spielarenen , wie Boxkampf- oder Fußballstadien sind gesellschaftliche Sonderräume, in denen der gesellschaftliche Umgang mit Invektivität unter den Vorzeichen des Spiels ausprobiert und eingeübt wird. Ein Bewusstsein für die Differenz zwischen spiel- und alltagsweltlichen Regelsystemen ist hierfür konstitutiv. Gleichzeitig ist durch die Rolle des Fans bzw. des Publikums die Grenze zwischen Spiel- und gewöhnlicher Wirklichkeit permeabel und begünstigt Wechselwirkungen.
Der SFB untersucht Arenen als Orte gesteigerter antagonistischer oder agonistischer Aushandlung von sozialen und kulturellen Ordnungen, in denen sich interagierende Dynamiken der Eskalation bzw. Einhegung gesellschaftlicher Konfliktlagen verdichtet beobachten lassen.
Unter dem Begriff der Formensprachen fassen wir die Realisierungs- und Aktualisierungsweisen von Invektivität zusammen, die historisch und kulturell variieren. Invektivität entfaltet sich nicht allein in spontanen Kommunikationsakten, sondern vielmehr auch in stabilen Arrangements, wie sie bspw. Gattungen sowie Sprachhandlungsmuster und Bildformeln bereitstellen. Selbst auf den ersten Blick regellos erscheinende invektive Praktiken basieren auf formalen oder medialen Konventionen und kulturellen Habitualisierungen von Herabwürdigung, Spott und Beschämung. Die Frage nach der Formensprache von Invektivität kann im Spannungsfeld dreier miteinander interferierender Bezüge operationalisiert werden: Gattungen, Medien sowie narrative Muster und Erzählweisen.
Rhetorische Gattungen ebenso wie ästhetische, z. B. literarische, filmische, dramatische und Bildgattungen, können als Formenarchiv von Invektivität fungieren, weil sie in ihren Mustern spezifische Modalitäten der Herabsetzung oder Schmähung stabilisiert und formalisiert haben (-> Invective mode). Damit prägen sie die (jeweils als Affirmation oder Bruch der Konvention denkbaren) Spielformen invektiver Praxis, ihren semantischen Gehalt und ihre affektive Aufladung nachhaltig. Das Formenarchiv als Repertoire und Ressource von Invektivität wird bisweilen unmittelbar zitiert, mitunter informiert es Invektivgeschehen aber auch nur mittelbar und weitgehend unreflektiert.
Invektivität als der konzeptuelle Leitbegriff des SFB bezeichnet jene Aspekte von Interaktions- und Kommunikationsprozessen, die das Potenzial zur Herabsetzung, Beleidigung und Ausgrenzung haben. Das Konzept rückt jede Spielart herabsetzender Kommunikation unter das Dach eines übergreifenden und bewusst artifiziellen Begriffs. Dieser soll die gängigen Termini und Gattungsbezeichnungen (Schmähung, Polemik, Satire u. v. a. m.) keineswegs ersetzen; vielmehr sollen bislang verstreut betrachtete Phänomene – von der herabsetzenden Unhöflichkeit über Schmähungen, Lästerungen und Beleidigungen bis hin zur Hassrede und zu verbaler bzw. symbolischer Gewalt – in einen gemeinsamen analytischen Horizont gestellt werden. Als deren gemeinsame ‚invektive‘ Qualität soll verstanden werden, dass hier stets Bewertungen von Personen und Gruppen vorgenommen werden, die geeignet sind, ihre soziale Position negativ zu verändern, sie zu diskriminieren und gegebenenfalls auszuschließen.
Auf der Ebene der beobachtbaren Phänomene realisiert sich Invektivität durch invektive Akte bzw. durch eine bestimmte invektive Modalität solcher Akte (-> Invective mode). Es kann dann auch von einzelnen Invektiven als empirisch situierbaren Phänomenen gesprochen werden. ‚Das Invektive‘ bezeichnet die gemeinsame Eigenschaft dieser verschiedenen Erscheinungen.
Grundlegend für unser Verständnis von Invektivität ist, dass invektive Artikulationen das Soziale in seiner Konflikthaftigkeit performativ und affektiv hervorbringen. Als Störungs-, Stabilisierungs- und Dynamisierungsmomente prägen sie gesellschaftliche Ordnungen und besitzen das Potenzial, Gemeinschaften zu bilden, zu verändern oder zu zerstören. Mit invektiven Interaktionsprozessen sind also immer auch identitäts- und machtpolitische Funktionen verbunden. Dabei können invektive Akte (gleichzeitig) in ganz unterschiedliche Richtungen wirken, sie haben eine normüberschreitende wie normalisierende, eine destruktive wie produktive, eine exkludierende wie inkludierende Seite. Ebenso vielfältig sind die Erscheinungsformen von Invektivität, die sowohl manifest als auch latent, etwa als Erwartungshorizont oder sozialstrukturell sedimentiert bzw. institutionell normalisiert auftreten kann.
Invektives Geschehen zeichnet sich durch eine gemeinsame Modalität sozialer Interaktion und Kommunikation aus, die im SFB als invective mode konzeptualisiert wird. Damit sind spezifische Sprech-, Schreib- und Bildhandlungsweisen gemeint, denen ein invektives Potenzial eigen ist. Der invective mode ist einerseits höchst wandlungsfähig, indem er Epochen-, Gattungs- und Mediengrenzen überschreiten kann und immer wieder neue lokale Formate, gesellschaftsspezifische Semantiken und Funktionen annimmt. Andererseits handelt es sich um eine kommunikative Modalität, die auf tradierte Archive invektiver Techniken, auf etablierte Repertoires von Sprech-, Handlungs- und Darstellungsweisen zurückgreift und sich zu generischen, rituellen oder stereotypischen Formeln verfestigen kann (-> Formensprachen). Kennzeichnend für den invective mode ist bspw. der Gebrauch von Schimpf- und Fluchphrasen, pejorativen Ausdrücken, Verabsolutierungen, Hyperbeln, Superlativen, Vorwurfsintonationen sowie das Aufgreifen bestimmter gestischer und (bewegt-)bildlicher Formeln. Verstanden als offenes Repertoire narrativer, dramaturgischer und (bild-)sprachlicher Mittel, die Herabsetzung darstellen bzw. performieren können, bildet der invective mode eine zentrale Analysekategorie für die Realisierungsformen von Invektivität.
Die invektive Triade ist eine idealtypische Modellvorstellung, nach der sich Invektivität im Kraftfeld einer dreistelligen, beweglichen Konstellation von Invektierenden, Invektierten und einer bezeugenden und/oder legitimierenden Instanz (z. B. Publikum oder Gewissen) realisiert. Damit rücken die jeweiligen Umstände, innerhalb derer sich eine invektive Äußerung ereignet, in den Mittelpunkt. Immer sind Invektiven eingebunden in ein dichtes Geflecht von Inszenierungen und Wahrnehmungen der Akteur:innen. Insofern akzentuiert die invektive Triade die Bedeutung der jeweiligen ->Anschlusskommunikation. Das Modell der invektiven Triade soll nicht reduktionistisch die Vorstellung einer Homogenität und Linearität des invektiven Geschehens evozieren, sondern im Gegenteil als Ausgangspunkt für die konkreten Analysen seiner Komplexität, seiner Dynamiken und seiner Praxisformen dienen.
In den jeweils spezifischen Untersuchungskontexten gestalten sich die Positionen der Akteur:innen wesentlich vielfältiger und verändern sich dynamisch. Aus passiven Zuhörer:innen können etwa aktive Mitschmäher:innen werden oder aber selbst Invektierte. Für invektive Triaden sind demnach Rollen- bzw. Positions- und Richtungsänderungen sowie diskursstrategische Umkodierungen charakteristisch. Zudem können alle Positionen der Triade je nach Abstraktionsgrad der analytischen Beobachtung selbst wieder differenziert werden, insbesondere im Hinblick auf die politischen Imprägnierungen und (impliziten) Adressierungen invektiver Äußerungsformen. Invektierende agieren zum Beispiel im Namen des ‚gesamten Volkes‘, Personengruppen fühlen sich als Teil einer Religionsgemeinschaft invektiert oder Dritte intervenieren stellvertretend für invektierte Minderheiten und Randgruppen. Der Begriff des Publikums schließlich steht lediglich als prominenter Beispielfall für den dritten Pol der Triade und kann unterschiedliche Realisierungsformen annehmen, je nachdem, ob das Publikum als passive Zuschauer oder Zeugen – wahlweise als (internalisierte) Norm- bzw. Urteilsinstanz – in Erscheinung tritt oder aber als Akteur:innen, die sich mit dem Invektierer oder dem Invektierten solidarisieren bzw. die selbst invektieren.
Das Konzept der invektiven Triade stellt so auf eine spezifische Konstellation (-> Konstellation) scharf, deren dynamisches Beziehungsgefüge damit ebenso rekonstruiert werden kann wie die darin wirksamen relationalen Selbst- und Fremdpositionierungen. Das triadische Modell eröffnet überdies einen Zugang zu den Machtverhältnissen, die im positionierenden und exponierenden Invektivgeschehen zum Ausdruck kommen.
Invektiven treten stets in komplexen medialen, politischen und sozialen Konstellationen auf, die sowohl in historischer als auch in kultureller Hinsicht variieren. Um die jeweiligen historischen Ermöglichungszusammenhänge und soziokulturellen Rahmungen von Invektivität sowie die vielschichtigen personellen, raumzeitlichen und diskursiven Situierungen von Invektiven zu rekonstruieren, verwendet der Forschungsverbund den Begriff der Konstellation. Der Terminus verweist auf die Relationalität und die wechselseitigen Resonanzen unterschiedlicher Faktoren im Invektivgeschehen, aber auch auf deren Bedingtheit durch externe Parameter.
Die Konstellationsanalytik bildet den operativen Kern der gemeinsamen Arbeit im SFB. Sie zielt darauf ab, die gesellschaftlichen Funktionen und kulturellen Formen von Invektivität sowie die rahmenden Ordnungs- und Normvorstellungen sicht-, beschreib- und vergleichbar zu machen. Ausgangspunkt ist die Unterteilung der für die Untersuchung von Invektivität relevanten Konstellationen auf folgenden Ebenen: (a) jener der Akteur:innenkonstellation (-> Invektive Triade), raumzeitlichen Situierung – gegebenenfalls in Arenen (-> Arena), der rollenspezifischen Lizenzen (-> Lizenz) und/oder etablierten Strukturen einer normalisierten Praxis (Medien, Behörden usw.); (b) der Ebene der Formensprachen (-> Formensprachen), Modi (-> Invective mode) und medialen Rahmungen; und schließlich (c) der Ebene der Funktionsbestimmungen von Invektivität.
Invektive Konstellationen (-> Konstellation) gehen stets mit der Verteilung bestimmter Sprech- und Handlungslizenzen einher. Mit dem Begriff der Lizenz soll das Geflecht von Befugnissen, Privilegien, Legitimationsressourcen sowie -übertretungen, institutionellen Plausibilisierungen, Erwartungshaltungen und Tabuisierungen in den Blick genommen werden. Während die Invektiven bestimmter Akteur:innen etwa durch herrschende Institutionen oder soziale Normen legitimiert, ja geradezu erwartet werden, erhalten andere ihre eigentliche Brisanz erst dadurch, dass sie ohne eine solche Lizensierung getätigt werden. Die Frage nach den Lizenzen eröffnet auch eine Perspektive auf diejenigen, die sich außerhalb des Invektivspektrums befinden, und gibt damit Aufschluss über die gesellschaftlichen Normgefüge.
Die analytische Kategorie der Lizenz rückt also die Rollen- und Positionsverteilungen von Akteur:innen innerhalb invektiver Konstellationen in bestimmten historisch-kulturellen Situationen in den Vordergrund, wobei diese zugleich als instabil – da in dynamischen Aushandlungsprozessen begriffen – aufgefasst werden. Lizenzen können ihrerseits durch den strategischen Einsatz von invektivitätsaffinen Gattungen, Formen, Erzählmustern und rhetorischen Verfahren (wie bspw. durch den Einsatz von Humor) potenziert werden (-> Formensprachen).
Metainvektive Reflexivität tritt als grundlegender Aspekt von Invektivkommunikation hervor und bildet eine analytische Zentralkategorie des SFB. Als metainvektiv werden jene Kommunikationsprozesse bezeichnet, die den invektiven Gehalt von Äußerungen explizieren, diese innerhalb eines normativen Interpretationsrahmens einordnen sowie (erfahrungsbezogen oder fiktional; antizipativ oder rekonstruktiv) auf ihre Effekte hin reflektieren. Metainvektive Reflexionen verhandeln damit regelmäßig die Grenzen von Invektivität. Nicht selten sind dabei Medienwechsel im Spiel (z. B. von der Anwesenheitskommunikation in die Sozialen Medien oder in verschiedene Kunstformen wie Karikaturen, Romane oder Filme). Ob eine Kritik legitimerweise als Kritik gilt, ob ein Witz als Witz angesehen wird oder ob sie stattdessen als Beleidigung oder gar als eine Form von Gewalt gerahmt werden, hängt mit einer Vielzahl an Parametern zusammen: mit der diskursiven Aufladung bestimmter Begriffe und Phrasen, den Äußerungsrechten der Beteiligten (-> Lizenz), mit dem situativen bzw. medialen Kontext des Invektivgeschehens (-> Konstellation), den Ermöglichungsbedingungen und dem Verlauf der ->Anschlusskommunikation oder der jeweiligen politischen Bedeutung. Metainvektive Reflexivität fokussiert einen oder mehrere dieser Parameter (auch in ihrem Zusammenspiel), sichtet Effekte von Invektivgeschehen und hinterfragt deren gesellschaftliche Relevanz. Durch die Linse metainvektiver Reflexivität werden die moralischen Ordnungen, die als Legitimationsressourcen eingebracht und von den Beteiligten auf ihre Gültigkeit und Geltungsberechtigung geprüft werden, reflexiv verfügbar. Zugleich werden sie damit auch für die Forschenden beobacht- und analysierbar.
Metainvektive Äußerungen haben aber auch selbst invektives Potenzial: Die strategische Behauptung etwa, beleidigt worden zu sein, drängt das Gegenüber in die Rolle des Täters. Die mit dem Begriff der metainvektiven Reflexivität theoretisierten Phänomene stehen also nicht außerhalb des Phänomenbereichs der Invektivität, sondern gehören diesem selbst an.
Soziale Positionierung ist ein grundlegender Aspekt von Invektivität. Das Konzept hebt die Produktivität invektiver Akte in Hinblick auf die Beeinflussung sozialer Ordnungsmuster und -vorstellungen hervor und macht sie empirisch beobachtbar und vergleichbar. Es legt den Fokus darauf, dass invektiven Akten soziale Ordnungsmuster und -vorstellungen vorausgehen, diese aber zugleich auch durch sie verändert werden können. Jemanden herabzusetzen, setzt eine hierarchische Ordnung sozialer Positionen voraus, in der es ein negativ bewertetes Unten gibt, dem der oder die Herabgesetzte zugeordnet wird – Invektivität kann insofern bestehende Hierarchien verfestigen. Diese im Positionierungsakt herangezogene Ordnung kann sich jedoch von der jeweils gesellschaftlich geltenden Ordnung unterscheiden und ihr sogar entgegengesetzt sein – Invektivität kann dann dazu dienen, Kritik am Bestehenden oder an den Herrschenden Geltung zu verleihen. Soziale Positionierung impliziert, dass Positionen im Hierarchiegefüge symbolisch kodiert (d. h. mit Kleidung, Körpermerkmalen, Zugehörigkeiten u. v. m. verbunden) werden. Dabei werden Körper, Identitäten, soziale Positionen und deren Bezugsrahmen sowie Machtbeziehungen miteinander verschaltet. Dies geht in der Regel geht mit einem Affektgeschehen einher und findet vor einem Publikum statt.
2017 erschien in der Kulturwissenschaftlichen Zeitschrift: