Profil der Professur
Am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft werden slavische Literaturen und Kulturen in ihrer ganzen geographischen und chronologischen Breite gelehrt und erforscht. Der besondere Fokus liegt auf der russischen, polnischen, tschechischen und ukrainischen Kultur sowie auf den Kulturen der osteuropäischen Minderheiten.
Den ersten Schwerpunkt in Forschung und Lehre bildet der Bereich der alternativen und dissenten Kunst und Literatur seit der späten Sowjetzeit bis in die Gegenwart. Im Projekt „Alternative ästhetische Kulturen in Osteuropa seit 2000“ gilt es, die gegenüber der oppressiven Politik oder dem von der Politik beeinflussten Mainstream kritischen Tendenzen und Artefakte unter die Lupe zu nehmen. Die spätkommunistische Periode (1960-80er Jahre) – die Periode des „klassischen“ Dissenses – wird dabei im Rahmen der durchgeführten und geplanten Projekte mit der jüngsten Vergangenheit mit ihren teilweise autoritären und populistischen Tendenzen verglichen. Genauso wie allgemeine Tendenzen sowie zwischen „West“ und „Ost“ vergleichbare Entwicklungen sind auch regionale Besonderheiten und partielle Diachronien der osteuropäischen Gegenkulturen ‒ etwa in den Metropolen Moskau, Sankt-Petersburg, Warschau und Kiev ‒ relevant. Der kulturelle Dissens interessiert uns insbesondere in Bezug auf folgende interdisziplinär relevante Aspekte: politische Macht und Öffentlichkeit, Kommunikationsstrukturen der alternativen Kulturbewegungen, Digitalisierung der Gegenkulturen 2000-2017, urbaner Dissens und Stadtplanung. Die Entgrenzung der ästhetischen Tätigkeit hin zur Erforschung der sozialen, ökonomischen, technologischen und ökologischen Umgebung im Zuge der „neurealistischen“ Wende bildet einen wichtigen Themenkomplex innerhalb der beteiligten Projekte.
Ein zweiter Schwerpunkt liegt im Bereich der Grenzphänomene und Transferprozesse in Literatur, Kultur und Wissenschaft. Probleme der Trans- und Interkulturalität in der Slavia, Übersetzungskulturen zwischen Ost und West, minoritäre Kulturen zwischen Tradition und Moderne sowie kulturelle Raum- und Topographieforschung stehen hier im Mittelpunkt. Im Projekt „Ethnische Narrative seit der späten Sowjetzeit“ werden periphere Kulturen der ehemaligen Sowjetunion, die historisch nicht (nur) im slavisch-orthodoxen, sondern im islamischen, jüdischen oder polytheistischen Kontext angesiedelt sind, fokussiert. Besondere Aufmerksamkeit kommt den osteuropäisch-jüdischen Kulturen und Literaturen zu, aber auch der Region Sibirien als Gebiet, das sich seit Beginn der Sowjetzeit im Feld zwischen Tradition und Moderne bewegt. Probleme der Modernisierung und Hybridisierung solcher „kleinen“ Kulturen wie der der Chanten, Nenzen und Vogulen sowie die Wechselwirkung zwischen dem Imperialen und Regionalen im Kontext der Sowjetisierung bilden das Kernstück der Betrachtung. Zum genannten Schwerpunkt gehört schließlich die Erforschung der „Reise“ bedeutender Kultur- und Literaturtheorien von Westen nach Osten und umgekehrt.