Beispiele aus der digitalen Lehre
Herzlich Willkommen auf den Seiten der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der TU Dresden!
An dieser Stelle finden Sie verschiedene Beispiele für die Digitale Lehre an der Fakultät, die Ihnen einen Einblick in die unterschiedliche Umsetzung verschiedener Formate geben:
Inhaltsverzeichnis
- Beispiel einer Vorlesungssitzung: Vorlesung "Einführung in die angewandte Linguistik" von Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker – 2. Sitzung "Sprachliches Handeln und Performativität"
- Beispiel einer Seminarsitzung: Seminar "Framesemantik" von Marlene Rummel – 6. Sitzung "Frames und Metaphern" vom 12.05.2020
- Beispiel einer Seminarsitzung mit einer Gastwissenschaftlerin: Seminar "Metamorphosen. Mythos und Moderne" von Dr. Solvejg Nitzke mit Gastwissenschaftlerin Barbara Bollig (RUB)
Beispiel einer Vorlesungssitzung: Vorlesung "Einführung in die angewandte Linguistik" von Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker – 2. Sitzung "Sprachliches Handeln und Performativität"
Simon Meier-Vieracker, Professor für Angewandte Linguistik am Institut für Germanistik der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der TU Dresden, arbeitet in seinen Lehrveranstaltungen mit voraufgezeichneten, öffentlich auf YouTube verfügbaren Videos. Hier können Sie die 2. Sitzung der "Einführung in die Angewandte Linguistik" nachverfolgen. Wenn Sie sich das Video auf YouTube selbst ansehen, finden Sie in der Videobeschreibung ein Inhaltsverzeichnis mit Zeitstempeln – dies ermöglicht den Studierenden einen einfachen Zugriff auf ausgewählte Inhalte, bspw. um diese noch einmal zu wiederholen. Wie auch in einer gewöhnlichen Vorlesung steht die Interaktion mit den Studierenden hier nicht im Vordergrund sondern die Wissensvermittlung, damit die zu Beginn formulierten Lernziele erreicht werden können.
Beispiel einer Seminarsitzung: Seminar "Framesemantik" von Marlene Rummel – 6. Sitzung "Frames und Metaphern" vom 12.05.2020
Hier können Sie protokollarisch den Ablauf einer Online-Sitzung des Seminars "Framesemantik" von Marlene Rummel, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte, nachvollziehen. Einige interaktive Funktionen wie das Quiz und das gemeinsam zu bearbeitende Ergebnisformular können Ihnen leider aus Datenschutz- bzw. Zeitgründen nicht zur Verfügung gestellt werden.
Was Sie im Folgenden lesen ist das Protokoll einer Sitzung, die als Videochat mit BigBlueButton durchgeführt wird. Die Inputvideos werden während dieser Sitzung angeschaut. Außerhalb der eigentlichen Seminarsitzung arbeiten die Studierenden in Gruppen an einem Wiki und erarbeiten für die jeweils folgende Sitzung ein Quiz, das zur Aktivierung des Wissens aus der vorhergehenden Sitzung dienen soll. Während der Sitzung erfolgt dann die Diskussion, deren Ergebnisse Sie hier schriftlich festgehalten finden. Das Protokollieren der Seminarsitzung dient auch dazu, Studierenden, die nicht live am Seminar teilnehmen können – weil sie arbeiten oder ihre Kinder betreuen müssen – die Teilhabe am Seminar zu ermöglichen.
Sitzungsform: Videokonferenz per BigBlueButton, Input-Videos, Aufgaben auf GoogleDocs, Folien auf OPAL [E-Learning-Plattform der TU Dresden].
1. Organisatorisches, Fragen
Wikigruppen: Bitte bei bibliographischen Angaben die selbständigen Titel kursiv setzen, damit die Bibliographie einheitlich ist (selbständig: das, was auf dem Buch steht – bei Monographien der Titel, bei Sammelbandaufsätzen/Zeitschriftenartikeln der Titel des Sammelbands bzw. der Zeitschrift)
Aufgaben der Wikigruppen müssen übrigens nicht unbedingt Quizform haben, Hauptsache ist, dass die Aufgabe ca. 10 Minuten in Anspruch nimmt und das Vorwissen der vergangenen Sitzung noch einmal aktiviert!
Frage aus dem Cryptpad: Schemata sind modalitätsunspezifisch – modalitätsunspezifisch bedeutet, dass Schemata alle möglichen Repräsentationsformate haben können, nicht nur das sprachliche. Sie können auch in Form von Bildern, Gerüchen, Gefühlen usw. bestehen, während Frames immer eine Verknüpfung zu sprachlichen Zeichen haben
2. Vorwissen: Quiz der Wiki-Gruppe
Kurze Besprechung der Tabelle aus der letzten Sitzung: [Online-Formular]
Zentrale Message: Jede Disziplin definiert Frames unterschiedlich bzw. legt den Fokus auf andere Bereiche. Sprache ist zwar bei allen ein Teilbereich, aber nur in der Linguistik steht sie im Zentrum. Im Gegensatz zur Linguistik betrachten die Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Psychologie Frames in erster Linie als Einflussfaktoren auf Einstellungen, Entscheidungen usw., die Soziologie legt den Fokus eher auf Handlungen bzw. Abläufe.
[Es folgt das von der Wiki-Gruppe erstellte Online-Quiz]
3. Frames und Metaphern
- Metaphern: Übertragung eines Dings/Bereichs auf ein anderes, sodass die Äußerung mehr als nur die wörtliche Bedeutung hat
- Quellbereich/Quelldomäne (im Beispiel Geisterspiel die Domäne 'spirituelle Welt')
- Zielbereich/Zieldomäne (im Beispiel Geisterspiel die Domäne 'Fußball')
- Konzeptuelle Metaphern: Ganze 'Metaphernsysteme', bei denen eine Vielzahl einzelner metaphorischer Ausdrücke aus einer einzigen Übertragung gewonnen wird (z.B. 'Wut ist eine heiße Flüssigkeit in einem Behälter' – ich koche innerlich, ich explodiere gleich, ich muss die Wut herauslassen, …)
- Embodied cognition (auch embodiment): Was wir fühlen, wahrnehmen und erleben können, das können wir besser verstehen und verarbeiten, denn all unsere sprachlichen Erfahrungen sind auch körperliche Erfahrungen
- abstrakte Konzepte verstehen wir besser, wenn wir sie mit körperlichen Erfahrungen in Verbindung setzen
- daher oft (aber nicht immer) Übertragung aus einem körperlich erfahrbaren Bereich auf einen abstrakteren Bereich
- Primäre vs. komplexe Metaphern
- Primäre Metaphern: entstammen einem einzelnen Erfahrungsbereich, umfassen nur eine einzige Übertragung (z.B. 'wissen ist sehen' – jetzt wird mir das klar!)
- Komplexe Metaphern: nicht klar einem Erfahrungsbereich zuzuordnen, umfassen mehrere Übertragungen (z.B. Übertragung menschlicher Eigenschaften auf tierische, die dann wiederum auf Menschen übertragen werden – du bist ja ein Fuchs!) o Grenze zwischen beiden ist nicht immer ganz klar bestimmbar
- Zusammenhang Frames und Metaphern
- Bedeutung ist in Frames organisiert, Metaphern sind Frame-Übertragungen
- Großteil unserer täglichen Kommunikation läuft über Metaphern
- Frames und Framings im öffentlichen Diskurs sind in der Regel Metaphern – um ‘mitreden’ zu können, sollten wir beides gut verstehen
- Metaphern sagen viel über unsere Einstellungen, Kultur, Erfahrungen aus – sind interessante Gegenstände zur Frameanalyse
4. Arbeitsauftrag
Sammeln Sie Ihre mitgebrachten Metaphern in diesem Dokument: [Online-Formular]
Wer nicht dabei sein konnte, darf gern die Tabelle weiterführen!
Hinweis zur letzten Spalte (primäre/komplexe Metapher): die Unterscheidung ist nicht ganz klar, deswegen ist es schwierig, hier von 'richtig' oder 'falsch' zu sprechen. Klassischerweise sind primäre Metaphern aber solche, die direkt aus einem Wahrnehmungsbereich kommen, z.B. sehen, hören, fühlen, riechen. Sobald man die Quelldomäne auf mehreren Wahrnehmungskanälen wahrnehmen kann, ist die Metapher eigentlich schon komplex (z.B. die 'spirituelle Welt' kann man – jedenfalls in der Vorstellung – hören, fühlen, sehen).
5. Metaphorical Blending
- Grundlage: Mental spaces: "Mental spaces […] are partial structures that proliferate when we think and talk, allowing a fine-grained partitioning of our discourse and knowledge structures" (Fauconnier 1997: 11)
- Mental spaces ≈ ad-hoc gebildete Konstellationen von Frames Dynamische, konzeptuelle Strukturen, die sich in jeder kommunikativen Situation aus Frames und Kontextfaktoren zusammensetzen
- Metaphern sind Verschmelzungen mehrerer mental spaces (bzw. Frames) zu einem neuen space → dies geschieht durch Blending
- Blending (Fauconnier/Turner 2003): Aspekte zweier Mental Spaces werden in einem Blended Space (Blend) kombiniert – hier können emergente Elemente hinzukommen, die in keinem der beiden Ursprungsspaces vorhanden waren
- Blending passiert bei Metaphern, aber auch bei Komposita, Fabelwesen, teilweise bei grammatischen Strukturen, … immer dann, wenn mehrere konzeptuelle Strukturen (spaces, frames) miteinander kombiniert werden
- Darstellungsform:
- Zusammenhang Frames und Blending:
- Wir kombinieren ständig mehrere Frames – ob in Metaphern, in der Fantasiewelt, in grammatischen Strukturen, Witzen, …
- Blending beschreibt den kognitiven Vorgang, der dahintersteht
- Die Darstellungsform ermöglicht uns auf einen Blick eine systematische Analyse dieser Prozesse
- Darstellung ist strukturell gut mit unseren bisherigen Frame-Darstellungen vereinbar
- Aber Achtung: Die Darstellungen sind wie bei Frames sehr subjektiv und lassen sich nur schwer empirisch überprüfen oder gar vorhersagen – ob unser Gehirn wirklich so arbeitet, wissen wir nicht. Sie sind also keine Methode, um etwas herauszufinden, sondern um eine Analyse sichtbar zu machen.
6. Arbeitsauftrag
Welche Frame-Elemente (Slots, Filler) werden in Ihrem Beispiel in den Blend übernommen? Gibt es auch emergente Elemente, die in keinem der Ursprungs-Spaces vorkamen?
Versuchen Sie eine skizzenhafte Darstellung des Blending-Prozesses in Ihrem Beispiel – das kann ruhig stichwortartig geschehen.
Erstellen Sie eine Darstellung des neuen Frames, der durch die Metapher entsteht!
Auch hier gibt es kein 'richtig' oder 'falsch' im eigentlichen Sinn, sondern es ist ein individueller, sehr subjektiver Analyseprozess.
Ergebnisse dürfen Sie, wenn Sie möchten, sehr gern als Screenshot oder Foto unter die anderen Bilder in der Metapherntabelle kopieren: [Online-Formular]
7. Auftrag für die nächste Sitzung
1. Fragebogen beantworten (Sie dürfen ihn auch gern an Bekannte weiterleiten – je mehr Daten, desto besser!): https://forms.gle/DCXkpgJRW4yzKKc86
2. Danach lesen (bitte wirklich erst danach, denn sonst könnten Sie beim Ausfüllen des Fragebogens befangen sein): Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie sich eine Nation ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Magdeburg: Herbert von Halem. → S. 17-41 zum Download auf OPAL
Und wie gehabt: Wiki im Blick behalten, Wünsche im Cryptpad sammeln!
Literatur zur Sitzung
Czulo, Oliver (2017): Aspects of a primacy of frame model for translation. In: Ders., Silvia Hansen-Schirra & Sascha Hofmann (Hg.): Empirical modelling of translation and interpreting (Translation and Multilingual Natural Language Processing 7). Berlin: Language Science Press, S. 465-490.
Fauconnier, Gilles (1997): Mappings in thought and language. Cambridge, U.K. & New York, NY: Cambridge University Press.
Fauconnier, Gilles & Mark Turner (2003): The way we think: conceptual blending and the mind’s hidden complexities. 1. paperback ed. New York, NY: Basic Books.
Krieger, Annette (2005): „Ein Haus mit offenen Fenstern und Türen“. Metaphern im Einwanderungsdiskurs von 1998 bis 2001. In: Martin Wengeler (Hg.): Sprachgeschichte als Zeitgeschichte 181. Hildesheim, Zürich & New York: Olms, S. 410-36.
Lakoff, George (1987): Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago & London: University of Chicago Press.
Schmitt, Rudolf, Julia Schröder & Larissa Pfaller (2018): Systematische Metaphernanalyse. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer.
Spieß, Constanze (2017): Metaphern. In: Kersten Sven Roth, Martin Wengeler & Alexander Ziem (Hg.): Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft (HSW 19). Berlin & Boston: de Gruyter, S. 94-115.
Beispiel einer Seminarsitzung mit einer Gastwissenschaftlerin: Seminar "Metamorphosen. Mythos und Moderne" von Dr. Solvejg Nitzke mit Gastwissenschaftlerin Barbara Bollig (RUB)
Dr. Solvejg Nitzke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Neuere deutsche Literatur und Medienwissenschaft am Institut für Germanistik, hat im Zuge ihres Seminars "Metamorphosen" Barbara Bollig, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Ruhr-Universität Bochum, eingeladen.
Barbara Bollig stellt in einem Input-Video ihr Dissertationsprojekt vor, in dem sie modernen Adaptionen der Medea-Figur untersucht. Im Anschluss an das Input-Video wurde die nach Vorträgen übliche Diskussion durch eine Videokonferenz mit Barbara Bollig selbst und den Studierenden ermöglicht. Das Protokoll dieser Diskussion finden Sie unterhalb des Videos.
Protokoll der anschließenden Diskussion im Videochat:
Frage: Welchen Stellenwert hat der Euripidestext für Sie? Warum ausgerechnet er als Ausgangstext?
Antwort:
- Scheint ein Konsens in den Geisteswissenschaften zu sein (ein seltenes Phänomen), dass das Euripides-Drama der früheste überlieferte Text und damit als Ausgangstext gut geeignet ist, leicht nachzuvollziehende Grundlage. Euripides kanonisch bekannt, d.h. leicht zugänglich
- Einreihung in eine durchaus produktive Tradition -> euripideischer Text vereint viele Bausteine des Mythos (Mytheme), die auch in späteren literarischen Formen, die den Mythos thematisieren, wieder aufgegriffen werden
- Arbeit am Mythos = Auseinandersetzung mit diesem "Aufgreifen" von Mythemen in modernere/jüngerer Literatur (z.B. "Wie wird das Mythem aufgeladen?" -> bspw. feministisch)
Frage: Was zeichnet den Euripides-Text aus? Was zeichnet die Medea-Figur dort aus, woran sich Christa Wolf dann auch abarbeitet?
Antwort:
- klassische griechische Tragödie (aristotelischer Dramenaufbau), patriarchale Struktur (Typus Mann, der Medea unterdrückt), geprägt von politischer Dimension (Jason-Medea; Kreon-Jason-Glauke = Vermischung der beiden Lager = Stellvertreterdiskurs zur Staatspolitik), Medea tötet Kreon im antiken Mythos = Anschlag auf den Staat als Ganzes.
- Medea: Geflüchtete, hat nur in Jason einen Ankerpunkt, gehört zu marginalisierter Gruppe in Korinth, Kreon hat Angst vor ihr (Medeas Ruf bzgl. Brudermord, Goldenes Vlies eilt ihr voraus, aber auch Rolle der [nichtgriechischen] Frau generell)
Definition: Was sind Mytheme?
Antwort: unveränderlicher Bestandteil eines Mythos aus strukturalistischer Perspektive, vgl. Claude-Levi Strauss
Frage: Was sind die Mytheme in Euripides' Drama?
Antwort:
- Figureninventar (dramatis personae: Medea, Glauke, Jason), Anlage der Medeafigur (Kolcherin, kommt eher unfreiwillig nach Korinth, mächtige Frau -> in Antike: Priesterin, Zauberin), Vorgeschichte (Argonautensage), Kinder von Medea und Jason und Umgang mit ihnen, politische Polemik (Kreon und Glauke)
- Arbeit am Mythos: nicht nur suchen, welche Mytheme in späteren Bearbeitungen des Mythos vorkommen, sondern auch, wie sie gewichtet sind
Frage: "Christa Wolf sei nah am Euripides-Text" - Woher kommt die Annahme
Antwort:
- nicht auf die Motivationen/Beweggründe für Handlungen bezogen, sondern auf Figureninventar und Setting (d.h. grundlegende Strukturen sind die gleichen), Distanz "Medea als Kolcherin" vs. "die Korinther" sehr prominent in antikem Drama und bei Christa Wolf
- gibt natürlich auch viele Unterschiede (Euripides: Tragödie // Christa Wolf: Roman)
- auch die Aussage aus der Frage = Arbeit am Mythos
Frage: Wie würden Sie die verschiedenen Medeen charakterisieren, wo finden sich Unterschiede?
Antwort:
Metamorphosen:
- Medeas Handeln in Kolchis sehr detailliert dargestellt (Goldenes Vlies, Verjüngung Aeson, Brudermord usw.)
- Handlungsort: Kolchis
- Gefühlswelt von Medea sehr ausführlich (v.a. Liebe stark)
- generelles Merkmal v. Ovids Metamorphosen, Fokus auf Figuren und weniger auf Handlung
- Kindsmord nur äußerst knapp angesprochen
- Medea viel stärker als Zauberin charakterisiert, ihre Lehrerin aber gar nicht angesprochen
- man begegnet Medea in "Jetzt-Zeit" (Präsens)
Medea Stimmen:
- Handlung der Metamorphosen in der Vergangenheit
- Handlungsort: Korinth
- Gedankenwelt von Medea (aber auch der anderen Figuren) sehr zentral
- Medea eher kühl gehalten; weist auf Gefahr hin, die Versuch mit sich bringt, Handlungen aus Vergangenheit zu deuten, die man nur bruchstückhaft hat
- Medea an spätem Punkt in ihrer Ehe - auch die Zeit führt ja zu "Entzauberung"
Frage: Wie kann man Ovids Medea-Darstellung interpretieren? Worauf konzentriert sich Ovid?
Antwort:
- Verknüpfung der Hauptwerke von Ovid (Fasti -> Mythos, Ars Amatoria -> Liebesdichtung, Heroinnenbriefe -> gibt auch Medea-Jason Briefcouple)
- 1. Handlung Medeas: Entscheidung, Jason zu helfen (weniger konkrete Entscheidung "für Jason", sie wird so von der Liebe zu Jason ergriffen, dass sie nicht anders kann, als ihm zu helfen -> "Tollheit")
- sie handelt iSv sie tut etwas JA, sie handelt iSv bewusste Entscheidung NEIN
Frage: Bei Euripides ist Medea die Protagonistin des Stücks, die Namensgeberin, aber ist sie auch mit Handlungsmacht ausgestattet?
Antwort:
- sehr begrenzte Handlungsmacht (kann in Korinth nichts erreichen oder umlenken, aber Handlungsmacht in der Kernfamilie Jason-Medea-Kinder)
- Tabubruch: Handlungsmacht auf Tabubruch "Mord an der Königstochter" ausgeweitet -> Verlassen des eigentlichen Kreises ihrer Handlungsmacht führt zur Katastrophe
- mitunter aber keine tatsächliche Handlungsmacht, äußere Umstände zwingen sie eher zu Reaktionen (müsste man im Detail nochmal beleuchten)
- bzgl. Handlungsmacht: durch Polyphonie in "Medeas Stimmen" bekommt man guten Einblick aus versch. Perspektiven, wer wie und in welchem Umfang mit Handlungsmacht ausgestattet ist
Frage: Was bewegt Medea, mit Jason mitzugehen?
Antwort:
- Vergleich mit Senecas Medea -> Medea unter Liebeszauber von Jason, damit er Hilfe beim Goldenen Vlies bekommt
- Ovid: nennt viele Motive für das Weggehen, nicht nur Liebe zu Jason ("Klein ist, was ich aufgebe, groß, wonach ich trachte.: der Ruhm, die Achivermannschaft gerettet zu haben, die Kenntnis einer besseren Gegend, ,Städte, deren Ansehen auch hier etwas gilt, Landbau und kunstreiches. Handwerk - und er, den ich gegen alle Dinge, welche die weite Welt besitzt" vgl. Ovid Met V. 56-60)
Frage: Was bekommt Medea in "Medeas Stimmen" dafür, dass sie mit nach Korinth kommt?
Antwort:
- Medea war von Handlungen des Vaters erschüttert (hatte Bruder umgebracht), Jason als günstige Gelegenheit, um Kolchis zu entkommen
- eher Jason verrückt nach Medea
- Christa Wolf konstruiert Begründungen/Erklärungen für die Handlungen im Mythos (?)
Frage: Sind in "Medea Stimmen" auch alle Handlungsmotive nachvollziehbar?
Antwort:
- tendenziell "ja"
- Figuren sprechen: über Mythos, über autobiographische Erfahrungen, über Gerüchte, über Versatzstücke, die sie auch bewerten (= Arbeit am "eigenen" Mythos) -> 6 Sichtweisen
- Ovid: nur Medeas Sichtweise, viel Zeit/Text auch auf Schilderungen von Drachen, Stieren, Tränke brauen usw. verwendet -> Ovid geht es nicht vorrangig um Handlung ("Es interessiert ihn nicht, was in Korinth passiert ist")
Frage: Was interessiert Ovid an der Medea-Figur?
Antwort: alles, was sie mit ihren übernatürlichen Kräften erreichen kann, ihre Zauberkräfte
Frage: Wie kann man das "Unterkapitel" Medeas Flug über Griechenland lesen?
Antwort:
- Teaser für nachfolgende Metamorphosengeschichten -> Ovid kann durchaus Spannung aufbauen
- Teaser auch in dem Sinne, dass "rausgezoomt" wird und man räumlich in Griechenland sieht, welche Mythosgeschichte an welchem Ort spielt & wo die Metamorphosen spielen
- Kapitel als Überblick über Metamorphosenhandlungen (passiert immer mal wieder in den Metamorphosen) vgl. auch Listenstrophen im Nibelungenlied = Möglichkeit, Verbindungen zu anderen Teilen herzustellen --> zeigt ggf. auch, dass Ovid nicht wollte, dass Medea ZU selbständig wird, zu prominent
- Kapitel funktioniert wie die gemalten Karten bei Tolkien
- Signal "es vergeht Zeit"
- Aufzählung, kein motiviertes Handeln inkl. Reflexion (Bruch mit vorheriger Erzählung)
Frage: In Ovid usw. scheint Medea sehr stark den Text zu dominieren, man kann sehr starke Einhegungsbemühungen im Text erkennen (man muss fünf Figuren neben sie setzen!) - wie ist das bei Euripides?
Antwort:
- Medea kann man nicht bändigen -> findet man in vielen Versionen, endet als "dea ex machina", die sich der weltlichen Gerichtsbarkeit entzieht (nachdem sie auf der Welt eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat & die Welt grundlegend verändert hat)
- "Sie muss aus der Welt verschwinden, damit das Leben weitergehen kann" (Kinder geopfert, sie muss weg, damit staatliche Ordnung wiederhergestellt werden kann)
- Barbara Bollig: kennt 1 Version, in der nach der Enthebung aus der Welt & dem Kindermord nochmal angesetzt wird (Friedrich Maximilian Klinger - Medea auf dem Kaukasus = antirousseauistisch, Opfer und Sündenbock, Religionen, Verblendung von Menschen zentral)
- -> Kennt noch jemand welche?
- Zustimmung: Medea muss immer kontextualisiert & greifbar gemacht werden vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Normen und kultureller Praktiken
- Christa Wolf & Dea Loher "Manhattan Medea" thematisieren gesellschaftliche Zustände, mafiöse Strukturen einer Gesellschaft
Hausarbeitstipp: Intertextualität in "Medea Stimmen" untersuchen -> An welcher Stelle bezieht sich Christa Wolf warum auf welche Texte?
Buchtipps:
- Giwi Margwelaschwili - Die Medea von Kolchis in Kolchos --> schließt sehr gut an Christa Wolf an
- Dea Loher - Manhattan Medea
- Anke Stelling - Bodentiefe Fenster
- Verena Friederike Hasel - Lasse