Own Personal Care (OPC)
Untersuchung der physischen und psychischen Auswirkungen von Bewegungen im Sitzen bei Büroarbeit an der Professur für Arbeitswissenschaft, TU Dresden
Projektbeschreibung
Immer mehr Menschen verbringen ihre Freizeit und Arbeitszeit größtenteils in einer sitzenden Körperhaltung. Die fortschreitende Digitalisierung und der Trend hin zu mobiler Arbeit kann laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [BAuA] als Ursache ausgemacht werden (BAuA, 2020). So arbeiten einer Studie des Industrieverbandes Büro und Arbeitswelt [IBA] nach 59% aller Beschäftigten in Deutschland mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit an einem Büroarbeitsplatz und damit vorwiegend im Sitzen (IBA, 2020, S. 6). Die in den letzten zehn Jahren aufgetretenen Entwicklungen lassen auf einen anhaltenden Anstieg dieser Zahlen schließen. So hat die Anzahl der Schreibtischjobs im Zeitraum von 2006 bis 2016 um 16% zugenommen (Krüger, L. 2021). Statisches Sitzen über viele Stunden ist hierbei nach wie vor ein häufig anzutreffender Vorgang innerhalb der betrieblichen Praxis bei Bürotätigkeit. Daraus können Muskel-Skelett Erkrankungen und psychische Erkrankungen resultieren, die als Hauptverursacher für Arbeitsunfähigkeit ausgemacht werden können (Stand 2019). Bürobeschäftigte sitzen täglich viele Stunden und sind deshalb besonders stark gefährdet (Hadgraft et al. 2016). Zur Prävention wird oft mehr Bewegung von sitzenden Personen in Form von Gehen, Haltungs,-und Belastungswechseln gefordert. Sogenannte dynamische und 3D-Bürostühle verfügen je nach deren Mechanik über einen unterschiedlichen Drehpunkt und erzeugen damit eine andere Art der Bewegung beim Benutzer. Aus diesem Grund untersucht das Projekt Own Personal Care [OPC], welche Mechanik eine natürliche Bewegung der Hüfte nachbildet, wie viel Neigung der Sitzfläche förderlich ist und mit welcher Frequenz sich im Sitzen bewegt werden sollte. Dies dient dem übergeordneten Ziel zur Findung präventiver Maßnahmen.
- physische Beschwerden durch langes statisches Sitzen. Dazu zählen u.A.
- Schäden an der Wirbelsäule und an den Bandscheiben. Die Bandscheiben können durch fehlende Belastungswechsel unterversorgt werden. Dies kann Bandscheibenvorfälle begünstigen.
- Degerneration durch Unterforderung
- Folgeerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
- Auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetis-Typ-2 können aus übermäßigem Sitzen resultieren.
- Psychische Erkrankungen
- der Körper ist während sedentärer Tätigkeiten metabolisch unterfordert. Es kann in der Folge zu lokalen und systemischen Anpassungen des Stoffwechsels kommen
- Übermäßig starke Belastungen durch Zwangshaltungen führen zu Verspannungen
- Ausfälle von Personal
- Kosten durch AU-Tage
- Ethische Verantwortung
Diagnosetage nach Art der Erkrankung
Die Hälfte aller Diagnosetage kann auf durch übermäßiges Sitzen begünstigte Krankheitsbilder zurückgeführt werden (Suga 2019). Neben Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems zählen dazu auch Psychische- und Verhaltensstörungen, sowie Erkrankungen des Atmungssystems (Suga 2019). Die World Health Organisation (WHO) empfiehlt bereits eine gezielte Limitierung der täglichen Sitzzeit (WHO, 2020), die BAuA sieht für Muskel-Skelett Erkrankungen das größte Präventionspotential (BAuA 2021).
Ausfallkosten nach Art der Erkrankung
Das größte Präventionspotential besteht bei Muskel-Skelett-Erkrankungen (Suga 2019). Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von Erkrankungen dieser Kategorie verursachen jährlich einen Produktionsausfall von 19,5 Milliarden Euro und einen Ausfall an Bruttowertschöpfung von 33,2 Milliarden Euro in Deutschland allein.
Bisherige Erkenntnisse zu alternativen Büroarbeitsplätzen
- Dynamische Arbeitsstationen, wie Kombinationen aus Laufband und Tisch oder aus elliptischen Trainer und Tisch führen zu keiner signifikanten Änderung der Körperhaltung im Vergleich zu konventionellen Arbeitsplätzen (DGUV, IFA Report 4/2014, S.35)
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Führen der Gebrauch von dynamischen Arbeitsstationen nur zu einer geringen Erhöhung der muskulären Aktivität, so kommt es dennoch zu einem signifikanten Anstieg der physischen Aktivität, der Herzfrequenz und des Energieumsatzes. (DGUV, IFA Report 4/2014, S.35)
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Geringe Haltungswechsel, mit daraus resultierender geringer muskulärer Aktivität können daher dennoch als gesundheitsfördernd angesehen werden. (DGUV, IFA Report 4/2014, S.35)
Grundsätzlich wird bei den meisten Arbeitnehmern Interesse an der Benutzung dynamischer Büroarbeitsplätze geweckt. Das tatsäckliche Nutzungsverhalten hängt aber maßgeblich von den individuellen und subjektiv wahrgenommenen Arbeitsbedingungen ab.
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Überwiegend werden positive Auswirkungen auf den Arbeitsprozess geschildert
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Nutzende verbinden mit dem Arbeiten an dynamischen Arbeitsstationen positive Befindlichkeiten oder Stimmungslagen
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Nach häufiger Nutzung (mindesten drei mal pro Woche) stellt sich ein positiver Effekt auf das allgemeine Wohlbefinden ein.
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Während der Nutzung kann es zu positiven Entwicklungen von Selbstsicherheit, Stimmungslage, Anstrengungsbereitschaft und Erholtheit kommen. Der Erholung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da vorhergegangene Stresssituationen so kompensiert werden können (DGUV, IFA Report 3/2018, S. 44)
(DGUV, IFA Report 3/2018, S. 43)
Was fehlt zum aktuellen Zeitpunkt?
- Erkenntnisse darüber, welche dynamischen-/ 3D-Bürostühle tatsächlich aus physiologischer Sicht sinnvoll sind
- Erkenntnisse darüber, wie viel °-Neigung der Sitzfläche ein dynamischer-/ 3D-Bürostuhl zulassen sollte
- Erkenntnisse darüber, wie schnell und häufig sich im Sitzen bewegt werden sollte
- Erkenntnisse darüber, wie lange die Pausenzeit zur Regeneration der Muskeln und der Pulsfrequenz sein sollte, um Ermüdung vorzubeugen
- Konkrete Anleitungen für Führungskräfte und Bürobeschäftigte zur Häufigkeit und Art von Bewegungen für eine möglichst hohe Wirkung
- Definition einer Handlungsanleitung für Führungskräfte, um das Wohlbefinden der Belegschaft langfristig sicherzustellen
- Ermittlung von:
- technischen Gestaltungsansätzen
- Optimaler Frequenz/Anzahl von Bewegungsswechseln
- Auswirkungen auf physische und psychische Leistungsfähigkeit und Konzentration
Studien im Rahmen des Projekts Own Personal Care
- Techniküberprüfung physisch vorteilhafter Freiheitsgrade
- Welche Bürostuhlmechanik (unter Betrachtung einzelner Freiheitsgrade) unterstützt die Physiologie des Benutzers und fördert natürliche Bewegungen
- Welche Mechanik ist für den Büroeinsatz geeignet?
- Welche Mechanik regt die Probanden dazu an, Bewegungswechsel durchzuführen und wie viel Bewegungsfreiheit wird dabei genutzt?
- Auswirkungen des statischen Sitzens
- Vergleich des statischen Sitzens durch Messungen auf einem konventionellen Bürostuhl
- Messwerte mittels Elektromyographie (EMG), Motion Capturing, Sitzflächenneigungssensorik, Speichelcortisolmessung, sowie Werte aus Fragebögen zu Wohlbefinden, Konzentration und Leistungsfähigkeit bilden die Basis für künftige objektive Interpretationen
- Optimaler Neigungswinkel
- Auf besonderen Untersuchungsbürostühlen werden die Bewegungszyklen einzeln untersucht
- Freiheitsgrade und Neigungswinkel werden variiert
- Die Probanden bewerten zusätzlich das individuelle subjektive Empfinden auf einer Skala
- Optimalwert Anzahl Belastungswechsel, deren Frequenz und Erholungszeit
- Auf Basis der Erkenntnisse aus den vorhergehenden Messungen werden nun die Frequenzen zwischen den Belastungswechseln variiert
- Die Muskelaktivität wird gemessen und es erfolgt erneut eine Befragung der Probanden
- Der subjektive Optimalwert befindet sich an der Grenze bei möglichst hoher Muskelaktivität und einer größtmöglichen Akzeptanz. Ein physiologischer Grenzwert wird bei Beginn der Feststellung von muskulärer Ermüdung und/oder dem überschreiten der Dauerleistungsgrenze der Pulsfrequenz gebildet
- Überprüfung der Ergebnisse in einer weiteren Studie auf Basis der Messwerte aus den vorhergehenden Versuchen mittels Kontrollgruppe für Bürotätigkeit
Ergebnisse
Studie 1 im Rahmen einer Diplomarbeit, Sitzdiskomfort: Referenzwerte für eine optimale Sitzdruckverteilung auf Bürostühlen : Poster Diskomfort
Video Interview Own Personal Care Mark Bührer
Das Projekt wird von der Karl-Schlecht Stiftung gefördert
Quellen:
Åsvold BO, Midthjell K, Krokstad S, Rangul V, Bauman A. Prolonged sitting may increase diabetes risk in physically inactive individuals: an 11 year follow-up of the HUNT Study, Norway. Diabetologia. 2017 May;60(5):830-835. doi: 10.1007/s00125-016-4193-z. Epub 2017 Jan 4. PMID: 28054097.
Atkin A, Gorely T, Clemes S, Yates T, Edwardson C, Brage S, Salmon J, Marshall S, Biddle S (2012) Methods of Measurement in epidemiology: Sedentary Behaviour, International Journal of Epidemiology, Volume 41, Issue 5, October 2012, Pages 1460–1471, https://doi.org/10.1093/ije/dys118
Bates LC, Alansare A, Gibbs BB, Hanson ED, Stoner L. Effects of Acute Prolonged Sitting and Interrupting Prolonged Sitting on Heart Rate Variability and Heart Rate in Adults: A Meta-Analysis. Front Physiol. 2021 May 3;12:664628. doi: 10.3389/fphys.2021.664628. PMID: 34012409; PMCID: PMC8126673.
BAuA (2020). Bewegung fördern und langes Sitzen am Arbeitsplatz vermeiden. Workshop Gesundheitsgefährdung durch langes Sitzen am Arbeitsplatz dokumentiert. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Zugriff am: 13.07.2021. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/Aktuelles/Meldungen/2020/2020-07-31-Langes-Sitzen-am-Arbeitsplatz.html
BAuA-Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2021) Arbeitswelt im Wandel – Zahlen Daten Fakten. 1. Auflage, Mai 2021, ISBN 978-3-88261-737-5 (Print) doi:10.21934/baua:praxis20210304
DGUV, IFA Report 4/2014, S.35
DGUV, IFA Report 3/2018, S. 44
DGUV, IFA Report 3/2018, S. 43
Hadgraft N, Healy G, Owen N, Winkler E, Lynch B, Sethi P, Eakin E, Moodie M, LaMontagne A, Wiesner G, Willenberg L, Dunstan D (2016) Office workers' objectively assessed total and prolonged sitting time: Individual-level correlates and worksite variations. Preventive Medicine Reports Vol. 4
Hamilton M, Hamilton D, Zderic T (2007) Role of Low Energy Expenditure and Sitting in Obesity, Metabolic Syndrome, Type 2 Diabetes, and Cardiovascular Disease. DIABETES, Vol. 56
Industrieverband Büro und Arbeitswelt e.V. [IBA] (2020). IBA-Studie 2019/20. Wiesbaden S.6
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Krüger, L.: Wer länger sitzt, ist früher tot. In: Zeit Arbeit 2021
Pope M, Goh KL, Magnusson M (2002) Spine Ergonomics, Annual Review of Biomedical Engineering. Annu. Rev. Biomed. Eng. 2002. 4:49–68, doi: 10.1146/annurev.bioeng.4.092101.122107
Uffelen, J, Gellecum Y, Burton N, Peeters, G, Heesch, K, Brown, W (2013). Sitting-Time, Physical Activity, and Depressive Symptoms in Mid-Aged Women. American journal of preventive medicine. 45. 276-81. 10.1016/j.amepre.2013.04.009.
WHO, World Helath Organisation (2020) guidelines on physical activity and sedentary behaviour. Geneva: World Health Organization; 2020.Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.