01.06.2016
Zwischen Ökonomie und Herzlichkeit – ein bisweilen schmerzhafter Spagat
Wie viel Zuwendung braucht der Mensch? Damit beschäftigt sich das interdisziplinäre Symposium Zukunft:Medizin am 4. und 5. Juni 2016 in Dresden unter dem Motto „Gemeinsam für den Patienten“.
„Kopf einziehen, schleunigst die Arbeit erledigen, Papierkram ausfüllen und ab zum nächsten Patienten.“ So beschreibt Dr. Robin Youngson einen Teil, auch seines Alltages. Der neuseeländische Arzt engagiert sich seit vielen Jahren für eine mitfühlende und ganzheitliche Patientenversorgung. Und wenn er provokant fordert, es sollten „…die Regeln vergessen…“ und dafür die „…Herzen geöffnet werden.“, dann ist das ein guter Beleg dafür, wie groß heute die Herausforderung ist, sich nicht nur um eine perfekte medizinische Versorgung zu bemühen, sondern auch die Menschlichkeit in der Medizin wieder zu entdecken.
Am 4. und 5. Juni 2016 treffen sich Gesundheitsberufler aus ganz Deutschland an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden zum Symposium Zukunft:Medizin. „Patienten und Gesundheitspersonal wünschen sich mehr Zeit für Behandlungen und Zuwendung.“, sagt die Dresdner Ärztin Marie Downar. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Oxana Atmann hat sie das Symposium unter den Titel „Gemeinsam für den Patienten“ gestellt. Beide engagieren sich im Verein Medizin und Menschlichkeit e.V. Ihre Motivation, eine entsprechende Veranstaltung in Dresden zu organisieren, geht einher mit ganz persönlichen Erfahrungen im Job. So versuchen beide zum Nachdenken zu animieren: „Die medizinische Betreuung von Patienten stößt aktuell in unserem Gesundheitssystem oft an Grenzen. Zum einen führen ökonomische Zwänge und bürokratische Hürden bei den Akteuren nicht selten zu beruflicher Unzufriedenheit, zum anderen können so möglicherweise auch Ressourcen fehlverteilt werden. Diese Entwicklungen sind in allen Bereichen zu beobachten und können durchaus noch höhere Kosten verursachen. Um das Gesundheitswesen längerfristig effizienter zu gestalten, bedarf es Änderungen auf gesellschaftlicher, institutioneller aber auch personeller Ebene. So ist ein Schlüssel zu einer bedürfnisorientierten, effizienten Medizin die therapeutische Beziehung. Eine dem Menschen zugewandte und mitfühlende Haltung bewirkt eine bewusstere Öffnung aller Beteiligten. So wird erkannt, was gerade gebraucht wird, so dass vorhandene Ressourcen gezielt eingesetzt werden können. Was sich einfach anhört, setzt beim medizinischen Personal Wissen, Erfahrung und eine innere Haltung der Präsenz und Offenheit voraus. Wie können wir diese Fähigkeiten entwickeln? Was können wir aus den verschiedensten Perspektiven voneinander lernen?“
Das Symposium bietet für diese Fragen einen vielfältigen Raum. „Wir haben einen so schönen Beruf, diesen wirklich gut ausfüllen, für Patienten Ansprechpartner zu sein, gemeinsame Entscheidungen in Gesundheitsdingen treffen, aber auch mit ihnen zu lachen, das sind für mich Ressourcen im Alltag.“, sagt Frau Prof. Antje Bergmann. Die Leiterin des Bereichs Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden ist auch die Schirmherrin des zweitägigen Symposiums. Im Rahmen des innerärztlichen Wertediskurses unterstützt die Sächsische Landesärztekammer das Dresdner Symposium und zertifizierte die Veranstaltung mit 15 Fortbildungspunkten.
Kernstück des Symposiums ist ein Vortrag des neuseeländischen Arztes Dr. Robin Youngson, Autor von “Time To Care. Zeit für Zuwendung - Wie Sie Ihre Patienten und Ihren Job lieben”, das zum Symposium erstmals auch auf Deutsch in einer Übersetzung von Marie Downar erscheint. Weiterhin wird Dr. Youngson in einem Workshop mit Techniken des wertschätzenden Interviews sinnstiftende Erfolgsfaktoren im beruflichen Alltag herausarbeiten und für die Zukunft anwendbar machen.
In einem offenen Dialog der Medizinergenerationen wird zudem die Frage „Generation X, Y, Z - Was können wir voneinander lernen?“ thematisiert. Die Begegnung der verschiedenen Generationen unter Einbezug des Publikums garantiert interessante Einblicke in Gemeinsamkeiten, Unterschiede und daraus erwachsende Perspektiven.
In der Zukunftswerkstatt hält die Leipziger Initiative „Arzt mit Humor“ einen Workshop zum heilsamen Einsatz von Humor in der Medizin. Das Team von „Was hab‘ ich?“ aus Dresden zeigt in Anlehnung an ihren beliebten Universitätskurs Werkzeuge für eine verständliche Arzt-Patienten-Kommunikation auf. Die Dresdner Spiegelneuronen bereiten aktuelle Erkenntnisse der Positiven Psychologie zur Stärkung der beruflichen und privaten Zufriedenheit alltagsrelevant auf. Und Medizin und Menschlichkeit e.V. macht das heilsame Element in Begegnung und Kommunikation erfahrbar.
weitere Informationen:
http://www.medizinundmenschlichkeit.de/zm2016/ (Link zur Veranstaltung und Anmeldung)
Hintergrundinformationen:
Der gemeinnützige Verein „Medizin und Menschlichkeit e. V.“ wurde 2009 in München gegründet. Der Verein hat derzeit 70 aktive Mitglieder, welche deutschlandweit vernetzt sind. Das zentrale Anliegen des Vereins ist es, den Menschen in den Fokus der Gesundheitsberufe zu stellen.
Kontakt:
Medizin und Menschlichkeit e.V.
Dr. med. Oxana Atmann und Dr. med. Marie Downar
Quellen:
Youngson, R. (2016). Time to Care. Zeit für Zuwendung - Wie Sie Ihren Patienten und Ihren Job lieben. Mabuse Verlag. S. 17 ff., 29 f., 51 ff.,
Kühn, H. (2008). Soziale Verantwortung und Ökonomiesierung im Krankenhaus. In: Kolb. S; Bonde, I.; Gerhardt, M.; Kaiser, T. (Hg.): Medizin und Gewissen - Im Streit zwischen Markt und Solidarität. Mabuse Verlag. S. 285-328.
Maio, G. (2014). Geschäftsmodell Gesundheit. Wie der Markt die Heilkunst abschafft. Suhrkamp Taschenbuch. S. 18, 20 f, 26 ff., 41.