28.07.2023
Die wechselseitige Beziehung von Virusinfektionen und Stoffwechselkrankheiten
Viren waren während aller Evolutionsstufen auf der Erde anzutreffen und haben die Menschheitsgeschichte maßgeblich beeinflusst. Heutzutage ist die Zunahme der nicht übertragbaren Stoffwechselkrankheiten in den letzten vier Jahrzehnten ein Problem für die öffentliche Gesundheit. Eine Gruppe von Wissenschaftlern des Paul-Langerhans-Instituts Dresden (PLID) hat sich mit internationalen Experten auf diesem Gebiet zusammengetan, um die wissenschaftlichen Belege für das Vorhandensein einer engen wechselseitigen Abhängigkeit zwischen verschiedenen Virusinfektionen und Stoffwechselkrankheiten zu überprüfen. Der Review wurde in der renommierten Fachzeitschrift Lancet Diabetes Endocrinology veröffentlicht und erörtert, wie Viren zur Entwicklung oder zum Fortschreiten von Stoffwechselkrankheiten führen können und umgekehrt, wie Stoffwechselkrankheiten den Schweregrad einer Virusinfektion erhöhen können.
Viren sind infektiöse, sich nicht eigenständig reproduzierende biologische Agenzien, die es in vielen Varianten gibt und die in allen Evolutionsstufen des Lebens auf der Erde präsent waren. Nicht nur die SARS-CoV-2-Pandemie, sondern auch die Spanische Grippe oder die HIV-Epidemie hatten große Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesellschaft. Dabei sind das Auftreten und die Ausbreitung alter und neuer Virusinfektionen mit großen Veränderungen in den Beziehungen des Menschen zur natürlichen Umwelt verbunden. Und gerade im Moment erlebt die Menschheit eine neue Übergangsphase, die die Auswirkungen der ökologischen, technologischen, demografischen und verhaltensbezogenen Veränderungen in den menschlichen Gesellschaften widerspiegelt.
Seit Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler die Entwicklung nicht übertragbarer globaler Epidemien von Stoffwechselkrankheiten, die durch eine kontinuierlich steigende Prävalenz von Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes (T2D) oder nichtalkoholischen Fettlebererkrankungen gekennzeichnet sind. Und schon heute sind die Folgen dieser nicht übertragbaren Epidemien für die betroffenen Gesellschaften erheblich. So ist Diabetes beispielsweise die neunthäufigste Todesursache und ein wichtiger Risikofaktor für vier weitere der zehn häufigsten Todesursachen (Ischämische Herzkrankheit, Schlaganfall, Chronisch obstruktive Lungenerkrankung und Nierenerkrankungen).
"In unserem neuen Review gehen wir auf die wissenschaftlichen Belege ein, die das Vorhandensein einer wechselseitigen Beziehung zwischen verschiedenen Virusinfektionen und Stoffwechselkrankheiten belegen. Unser Ziel ist es nicht, eine umfassende Liste aller verfügbaren Daten zu erstellen, sondern den aktuellen Wissensstand über einige grundlegende Mechanismen, die diesen Zusammenhang erklären, darzustellen und die interessantesten neuen Konzepte zu diskutieren", sagt Prof. Nikolaos Perakakis, Forschungsgruppenleiter am PLID und korrespondierender Erstautor des Artikels. "Bei den Stoffwechselkrankheiten konzentrierten wir uns auf Diabetes, sowohl auf Typ-1- als auch auf Typ-2-Diabetes, sowie auf Fettlebererkrankungen. Wir haben diese Stoffwechselkrankheiten aufgrund ihrer hohen Prävalenz, ihrer beträchtlichen Belastung für das Gesundheitswesen und des Umfangs der wissenschaftlichen Daten, die sie mit Virusinfektionen in Verbindung bringen, ausgewählt."
Viren fördern Stoffwechselkrankheiten - oder doch nicht?
Aus diversen Studien ist bekannt, dass Viren Stoffwechselkrankheiten begünstigen, indem sie wichtige Zellfunktionen wie die Regulation des Zellüberlebens und spezifische Signalwege, die für Zelltod, Proliferation oder Dedifferenzierung in wichtigen endokrinen und metabolischen Organen relevant sind, beeinflussen. Darüber hinaus sind Viren in der Lage, den Glukosestoffwechsel von Zellen zu kontrollieren, indem sie Glukosetransporter modulieren, die Glukoseaufnahme verändern, Signalwege regulieren, die an der zellulären Energieerfassung beteiligt sind, und die Glykolyse in infizierten Zellen stimulieren.
Vor allem Enteroviren, aber auch das Mumps-Virus, das Parainfluenza-Virus oder das humane Herpes-Virus 6 werden aufgrund der Zerstörung der Betazellen mit der Entwicklung eines Diabetes in Verbindung gebracht. Der Zeitpunkt der Infektion liegt oft vor oder fällt mit dem Höhepunkt der Entwicklung von Inselautoantikörpern zusammen, der bei Insulinautoantikörpern im Alter von 2 Jahren und bei Glutaminsäuredecarboxylase-Autoantikörpern im Alter von 3-5 Jahren liegt. Allerdings entwickelt letztlich nur ein kleiner Teil von ihnen einen Typ-1-Diabetes, was darauf schließen lässt, dass andere Faktoren, wie der genetische Hintergrund oder der Zeitpunkt der Infektion, eine wichtige Rolle spielen.
Eine Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) wird dagegen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht, welches bei älteren Menschen mit einer Diabetes-Familienanamnese sogar noch größer ist. Die nachteiligen Auswirkungen von HCV auf die Glukosehomöostase werden in erster Linie auf eine erhöhte Insulinresistenz in der Leber zurückgeführt. HCV verringert die hepatische Glukoseaufnahme, indem es die Expression von Glukosetransportern herunterreguliert und zusätzlich die Insulinsignalübertragung durch Hemmung des PI3K/Akt-Signalwegs beeinträchtigt.
Stoffwechselkrankheiten beeinflussen den Schweregrad von Virusinfektionen
Menschen mit Fettleibigkeit, Insulinresistenz oder Diabetes weisen erhebliche Veränderungen sowohl bei den angeborenen als auch bei den adaptiven Funktionen des Immunsystems auf. Was das angeborene Immunsystem betrifft, konnten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eine beeinträchtigte Chemotaxis und Phagozytose von Neutrophilen beobachtet werden. Im Hinblick auf das adaptive Immunsystem nimmt bei Adipositas die Zahl der natürlichen Killer-T-Zellen im Fettgewebe ab, während sich B-Zellen im Fettgewebe ansammeln und mehr proinflammatorische Zytokine absondern. Longitudinale Multiomics-Analysen verschiedener Bioproben von Menschen mit Insulinresistenz zeigten eine verzögerte Immunantwort nach Virusinfektionen der Atemwege im Vergleich zu Menschen mit normaler Insulinempfindlichkeit. Außerdem scheint die Hyperglykämie ein wichtiger Vermittler der durch Diabetes verursachten Dysfunktion der Memory-CD8-T-Zellen bei viralen Infektionen zu sein. Alle diese Veränderungen können zu einer verzögerten und beeinträchtigten Immunreaktion nach einer Infektion beitragen, die zu einer schnelleren viralen Replikation und einer längeren Virusausscheidung führt.
"Es liegt auf der Hand, dass noch immer ein erheblicher Mangel an Informationen über die Mechanismen besteht, die die wechselseitige Beziehung zwischen Stoffwechselkrankheiten und viralen Infektionskrankheiten bestimmen", so Perakakis abschließend. "Daher wird es wichtig sein, eine neue Generation von Wissenschaftlern, Klinikern und Gesundheitspersonal auszubilden, die über fundierte Kenntnisse in den Bereichen Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten verfügen, um das Verständnis für die komplexen, fachübergreifenden wissenschaftlichen Fragen zeitnah zu verbessern. Dies wird zu wirksameren Präventions- und Therapieansätzen führen, die darauf abzielen, die Gesundheit insgesamt zu verbessern, und uns gleichzeitig auf künftige Pandemien vorbereiten.“
Dresden hat eine lange Tradition in der Erforschung bidirektionaler Beziehungen zwischen Stoffwechselerkrankungen, Entzündungen und Infektionen. Dies spiegelt sich in Untersuchungen mehrerer Forschungsgruppen des PLID wider, beispielsweise in der Arbeit der Arbeitsgruppe von Prof. Stefan Bornstein zu SARS-CoV2-Infektionen, der Gruppe von Prof. Michele Solimena zu Typ-1-Diabetes und Coxsackievirusinfektionen oder der Gruppe von Prof. Triantafyllos Chavakis zu trainierter Immunität bei Stoffwechselkrankheiten. Gemeinsam mit den Kollegen in Zürich, die an dieser Übersichtsarbeit beteiligt waren, wollen die Dresdner Wissenschaftler in künftigen Studien verschiedene Aspekte dieser wechselseitigen Beziehung weiter untersuchen. Auf diese Weise wird ein einzigartiger Kompetenzschwerpunkt in diesem wichtigen Forschungsbereich geschaffen.
Originalpublikation:
Perakakis N, Harb H, Hale BG, Varga Z, Steenblock C, Kanczkowski W, Alexaki VI, Ludwig B, Mirtschink P, Solimena M, Toepfner N, Zeissig S, Gado M, Abela IA, Beuschlein F, Spinas GA, Cavelti-Weder C, Gerber PA, Huber M, Trkola A, Puhan MA, Wong WW, Linkermann A, Mohan V, Lehnert H, Nawroth P, Chavakis T, Mingrone G, Wolfrum C, Zinkernagel AS, Bornstein SR. Mechanisms and clinical relevance of the bidirectional relationship of viral infections with metabolic diseases. Lancet Diabetes Endocrinol. 2023 Jul 28:S2213-8587(23)00154-7. doi: 10.1016/S2213-8587(23)00154-7.