Food Facts Der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden
In unserem Wissenschaftspodcast Food Facts spricht Lebensmittelchemiker Prof. Thomas Henle von der TU Dresden mit Moderator Peer Kittel und Studentin Jule über aktuelle wissenschaftliche Fragen zum Thema Lebensmittel und Ernährung. Von A wie Apfel bis Z wie Zusatzstoffe – wir klären die Fakten zur Chemie im Essen, räumen mit Mythen und Fake News auf und geben den ein oder anderen persönlichen Tipp.
Unsere Hörer:innen haben die Möglichkeit, Fragen zu den aktuellen Folgen oder eigene Themenwünsche per Email an einzureichen.
Die Folgen sind hier auf der Website sowie auf Spotify, Castbox Amazon Podcasts und Apple Podcasts zu hören.
Inhaltsverzeichnis
- Folge 6: Aspartam, Allulose, Agavensirup: Wie empfehlenswert sind Zuckeralternativen?
- Folge 5: Superfoods: Weniger super als gedacht?
- Folge 4: Honig, das flüssige Gold - aber was steckt wirklich drin?
- Folge 3: Mindesthaltbarkeitsdatum - Sollte es für einige Lebensmittel abgeschafft werden?
- Folge 2: Zusatzstoffe und E-Nummern – sind das wirklich alles Krankmacher?
- Folge 1: Lebensmittel-Kennzeichnung - Was muss alles auf Lebensmitteln drauf stehen und warum?
- Weitere Informationen
Folge 6: Aspartam, Allulose, Agavensirup: Wie empfehlenswert sind Zuckeralternativen?
Süß, süßer, am süßesten: Wir Menschen bevorzugen schon seit Urzeiten süße Nahrung. Süßes schmeckt, gibt uns Energie und macht uns glücklich. Doch eins steht fest: zu viel Zucker kann auch schaden. Wir diskutieren mit unserem Lebensmittelchemie-Experten Prof. Thomas Henle, was Zucker eigentlich ist, warum wir ohne Zucker nicht leben können, was die Politik gegen zu viel Zucker im Essen macht und wie sinnvoll (und gesund) dabei die süßen Alternativen als Zuckerersatz wirklich sind.
Intro Musik
Peer Kittel: Food Facts, der Lebensmittel Chemie Podcast der TU Dresden. Unsere heutige Folge wird süß, richtig süß, denn heute sprechen wir über Zucker und Zuckeralternativen.
Intro Musik
Peer Kittel: Zu viel, zu viel Fertigprodukte mit zu viel Fett, zu viel Salz und zu viel Zucker. Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ernährt sich unausgewogen. Um diese Entwicklung entgegenzuwirken, wurde im Jahr 2019 die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie der Bundesregierung kurz NRI beschlossen. Ziel ist es, die Gehalte an Zucker, Fetten und Salz in industriell hergestellten Lebensmitteln zu verringern. Wir wollen uns heute insbesondere dem Thema Zucker widmen. Um den Geschmack zu halten, geht mit dem Wort reduziert oftmals ein Ersetzt einher. Mit unserem Lebensmittelchemie Experten Prof. Thomas Henle von der TU Dresden diskutieren wir heute, welche Zuckeralternativen es gibt und ob diese wirklich alle sinnvoll und gesünder als herkömmlicher Zucker sind. Wir, das sind wie immer Studenten Jule Wäntg und ich, Peer Kittel, Dezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften. Insofern, wie gehabt, hallo Thomas, hallo Jule.
Thomas Henle: Hallo Peer, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo.
Peer Kittel: Zunächst, Thomas, wie immer, die Basics und damit auch ein bisschen zum Hintergrund. Was ist denn die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie eigentlich?
Thomas Henle: Also Hintergrund für diese NRI waren vor allem Berichte aus dem Gesundheitsmonitoring für Deutschland. So was macht beispielsweise das Robert-Koch-Institut oder die Bundesanstalt für Ernährung. Und all diese Studien zur Gesundheit und zur Ernährung, die gehen davon aus, dass es in Deutschland einen hohen Anteil an Menschen gibt, die schweres Übergewicht haben und das daraus dann gewisse Kosten, erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem resultieren. Unter anderem, weil Übergewicht häufig assoziiert ist mit Diabetes Typ 2, mit Bluthochdruck und anderen Sachen. Und als Hauptverantwortlicher dafür hat man jetzt eine unausgewogen Ernährung gemacht. Und zwar vor allen Dingen ein zu viel an Zucker, an gesättigten Fett und an Salz. Und deshalb hat die Bundesregierung besser gesagt federführend die damalige Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Klöckner sich das Ziel gesetzt, als Ernährungsverhalten in Deutschland zu ändern. Oder zumindest so zu steuern, dass man eben etwas weniger an Zucker, Fett und Salz ist. Und vor allen Dingen jetzt über industriell hergestellte Lebensmittel. Und das geht es nicht so einfach über Gesetz. Man kann der Industrie nicht vorschreiben ohne weiteres, was sie in ihre Lebensmittel reinmacht. Man hat versucht, durch Absprachen mit der Lebensindustrie Reduktionsziele zu definieren. Zunächst für verschiedene Produktgruppen, vor allen Dingen zum Beispiel Erfrischungsgetränke und für Kinderangebotene Lebensmittel. Und da sollte dann die Industrie jetzt in so einer freiwilligen Selbstverpflichtung, bis zu einem bestimmten Stichtag, die Gehalte an Zucker reduzieren. Und herausgekommen ist dann so eine Selbstverpflichtung der Industrie. Also da muss man sowieso eine Art Versprechen, die genannten Anteile an Zucker zu verringern. Das sollte dann bis 2025 dauern. Und durch ein regelmäßiges Monitoring, also eine Art Analyse der industriell hergestellten Lebensmittel, sollte geprüft werden, ob sich dann die Zusammensetzung wirklich ändert in den Lebensmitteln. Und ob also diese NRI einen Erfolg hat.
Jule Wäntig: Wir wollen uns hier heute vor allen Dingen auf den Zucker konzentrieren. Was ist Zucker denn eigentlich? Also außer süß und ziemlich lecker.
Thomas Henle: Also im allgemeinen Sprachgebrauch, wenn ich so sagen darf, Küchentechnisch, meint man mit dem Zucker mit den Haushaltszucker. Chemisch ist das die Saccharose, bei uns wird die Gewöhnlich aus der Zuckerrübe. In der Sprache der Chemie nutzt man diesen Begriff Zucker gerne auch mal ganz allgemein für Kohlenhydrate. Da spricht man dann von einfach, mehrfachen Zucker und so weiter. Wenn wir es jetzt korrekt sagen wollten, dann würde man die Bezeichnung Saccharide nutzen. Der Oberbegriff Kohlenhydrat umfasst dann die sogenannten Monosaccharide, die Disaccharide, Oligo- und Polysaccharide . Je nachdem, aus wie viele Bausteinen das betreffende Kohlenhydrat zusammengesetzt ist.
Jule Wäntig: Stimmt, Zucker steht ja in der Nährwerttabelle auch immer unter Kohlenhydraten. Also ‚Kohlenhydrate‘ und dann darunter ‚davon Zucker‘.
Thomas Henle: Ja ganz genau, das haben wir ja in einer unserer letzten Folgen thematisiert. Da ist jetzt eine lebensmittelrechtliche Definition. Das Lebensmittelrecht schreibt hier vor, was auf den Lebensmitteln draufstehen muss. Und wenn es in der Zutatenliste Zucker steht, also in der Zutatenliste, dann ist es immer Haushaltszucker. Für den Nährwert relevant ist dann die Nährwert-Kennzeichnung. Das sind dann diese Tabellen, die wir ja auch schon mal besprochen haben. Und da unterscheidet man dann zwischen dem Gesamtgehalt an Kohlenhydraten und dem Gehalt an Zucker davon sozusagen. Und es steht dann eben drauf beispielsweise Kohlenhydrate 50 Gramm pro 100 Gramm und davon Zucker 10 Gramm pro 100 Gramm. Zu den Kohlenhydraten, da meint man jetzt alles aus chemischer Sicht, also Polysaccharide wie Stärke, Maltodextrin, Mono und Disaccharide . Und davon Zucker heißt dann, das sind die Mono- und die Disaccharide. Also Fruchtzucker, Traubenzucker, die Sacharose, der Milchzucker, Laktose, der Malzzucker, Maltose. Und dabei ist es dann egal, ob diese Zucker zugesetzt wurden, zum Süßen oder um die Struktur des Lebensmittels zu beeinflussen oder ob die von Natur aus drin sind.
Peer Kittel: Jetzt gibt es also ganz viele Zucker. Was meint denn dann aber das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wenn es den Zuckeranteil reduzieren will? Thomas Henle: Also hier geht es tatsächlich primär um den, ich sage mir in Anführungszeichen eigentlichen Zucker, also primär die Verringerung der Energiedichte. Die Idee ist dabei jetzt letztlich, die Rezepturen industriell hergestellter Lebensmittel so, um zu formulieren, dass man den energiereichen Zucker verringert oder durch energieärmere Varianten ersetzt. Bei den Lebensmitteln, die jetzt einen sehr hohen Zucker gehalten haben, also zum Beispiel Erfrischungsgetränke oder gesüßte Milchprodukte, da kommt es ja hauptsächlich auf den Süßgeschmack an für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Und da ist es dann aus lebensmittelchemischer Sicht wichtig, den süßen Haushaltszucker zu reduzieren und eventuell andere möglichst kalorienarme Süßungsmittel einzusetzen.
Jule Wäntig: Ich habe gelesen, dass wir von klein auf sozusagen vorprogrammiert sind, Zucker zu mögen und diesen süßen Geschmack zu mögen, ist diese Vorliebe angeboren und wozu braucht der Mensch eigentlich Zucker?
Thomas Henle: Also diese Vorliebe ist in der Tat angeboren. Der Mensch braucht den Zucker in allererster Linie zur Energiegewinnung, hier vor allen Dingen die Glucose. Und diese Glucose wird dann im Körper, im sogenannten Energiestoffwechsel verbrannt, wie man so zusagen pflegt, und die dabei entstehen die Energien, die wird dann für den Metabolismus der Körperzellen genutzt, also für die Gehirntätigkeit beispielsweise, für die Muskeltätigkeit und so weiter. Statt der Glucose, also statt dem Traubenzucker, kann der Körper auch den Fruchtzucker, die Fructose und auch andere Monosaccharide verwerten. Und deshalb hat dann zum Beispiel, wie wir vielleicht ja heute auch noch diskutieren werden, die Fructose oder andere Monosaccharide eigentlich genau den gleichen Brennwert, die gleichen Kalorien wie die Glucose. So, und weil der Zucker für die Funktion des Körpers damit so überaus wichtig ist, hat sich im Laufe der Evaluation gewissermaßen so eine Art Biosensor in unserem Mund entwickelt, also ein Rezeptor, der den Süßgeschmack erkennt und an dem Gehirn signalisiert, ist das jetzt, das schmeckt süß und hat deshalb Kalorien. Und unsere Vorfahren, die konnten dann zum Beispiel unreife Früchte von Reifen unterscheiden, die haben dann nur die Süßen gegessen, weil die ihnen A besser schmecken und weil halt damit dann diese Reifenfrüchte viel Zucker und Energie enthielten. Und damit ist diese Prägung auf den Süßgeschmack quasi evolutionär kodiert. Man kann sagen, wer süß schmecken konnte, der war ein Vorteil, weil derjenige wusste, in welchem Essen Zucker und damit Energie ist. Es ist uns also in der Tat angeboren und nicht nur uns, sondern ganz, ganz vielen Tieren, weil ja der Metabolismus viele Tiere ebenfalls auf den Zucker gehalten oder besser auf die Glucose aufbaut. Interessant vielleicht in dem Zusammenhang ist, dass man relativ viel Zucker braucht, damit es süß schmeckt. Es hängt so ein bisschen vom Alter ab, aber das liegt tatsächlich in so Bereichen von so 4 bis 10 Gramm pro Liter. Das ist schon die ganze Menge. Das heißt, man braucht relativ viel Zucker, um den Geschmack süß zu erkennen und um das dann auch zu essen, und zwar deshalb, weil erst ab einer bestimmten Menge eine wirklich vernünftige Menge von Energie im Lebensmittel enthalten ist.
Peer Kittel: Ja, wenn der Süßgeschmack sozusagen so wichtig ist für uns, auch evolutionär und biologisch, dann heißt das ja im Umkehrschluss für die Suche nach Alternativen, für Zucker auch, dass die dann eben auch süß schmecken müssen, also irgendwie das herkömmliche Produkt schmecken müssen. Wie macht man das denn? Kann man die Süßkraft dann irgendwie messen, objektiv messen?
Thomas Henle: Ja, das ist in der Tat keine einfache Aufgabe, denn die objektive Messung von Geschmack und auch von Geruch ganz nebenbei ist eine der, ich sage mal, zentralen Herausforderungen, der sogenannten Sensorik, also des Teilgebiets der Lebensmittelchemie, die quasi das objektive Riechen und Schmecken lehrt und praktiziert. Das ist auch Teil unserer Ausbildung für die Studierenden. Und tatsächlich ist das Geschmacksempfinden von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es hängt vom Alter, von der Tageszeit, von der Tagesform ab. Es hängt davon ab, ob man Raucher Raucherin ist oder nicht. Man kann aber das schmecken und auch das Riechen in gewissen Umfang trainieren und auch standardisieren. So, und wir haben jetzt ums Süße reden. Dann gibt es da zwei wichtige Parameter, mit der Hilfe, die Süße objektivieren kann und zwar den sogenannten Erkennungsschwellenwert und die Süßkraft. Der Erkennungsschwellenwert ist der Wert, der was darüber aussagt, ab wann, das heißt, ab welcher Konzentration eine Substanz gelöst, in was der Süß schmeckt. Bei Saccharose ist es, wie man gerade gesagt haben, im Bereich von mehreren Gramm pro Litern, bei Süßstoffen wie Sacharin, Aspartam, ist mehr Milligramm pro Litern, also tausendmal weniger oder so. Wichtiger für die Anwendung in Lebensmitteln ist jetzt ein weiterer Parameter. Das ist die sogenannte Süßkraft. Und die geht jetzt darauf zurück, dass der Süßgeschmack nicht linear von der Konzentration abhängt, sondern dass man mit einer steigenden Menge an Zucker immer mehr braucht, um tatsächlich auch in der Erhöhung des Süßeindrucks zu erreichen. Und darum nimmt man die Saccharose als Referenz, zum Beispiel in die vierprozentige Lösung und vergleicht jetzt dann die Mit Lösungen anderer Süßungsmittel. Und dann macht man von diesen anderen Süßungsmitteln so lange unterschiedlich konzentrierte Lösungen, bis sie man sagt, isosüß schmecken. Also bis man quasi das Gefühl hat, dass die vierprozentige Zuckerlösung genauso süß schmeckt, wie die entsprechende Lösung des Süßungsmittels. Und das vergleicht man dann, vergleicht dann die Konzentrationen. Und wenn man jetzt, ich sage mal in der Zahl, von dem Süßungsmittel doppelt so viel braucht, um den gleichen Süßgeschmack zu erreichen, dann hat eben dieses Süßungsmittel nur die Hälfte an Süßkraft. Man spricht dann eben von einer Süßkraft von 50 im Bezug auf die Süßkraft von Zucker, die dann per Definition immer runter ist.
Peer Kittel: Jetzt ist der süße Geschmack natürlich das Erste, woran man denkt, wenn man von Zucker spricht. Aber Zucker hat ja auch andere Funktionen in Lebensmitteln. Ich denke da zum Beispiel an die Haltbarmachung. Das müsste man ja dann auch ersetzen, wenn man den Zuckergehalt reduzieren will, oder?
Thomas Henle: Ja, ist das völlig richtig. Zucker hat in vielen Lebensmitteln noch ganz, ganz viele andere Aufgaben, Zucker dient zum Beispiel zur Haltbarmachung, wie du schon sagst. Das ist zum Beispiel Marmelade oder Konfitüre durch die Herabsetzung der Wasseraktivität. Zucker wird benötigt zur Wasserbindung als Feuchthaltemittel, zum Beispiel in Müsli-Riegeln oder sowas. Es ist relevant für die Struktur von Lebensmitteln. Die Krume von Keksen zum Beispiel hängt ganz, ganz stark von der Zuckermenge ab. Für bestimmte Lebensmittel zum Beispiel Bonbons oder Süßigkeiten ist natürlich Zucker ebenfalls für die Struktur wichtig. Man nimmt den Zucker für die Reifungsprozesse, beispielsweise bei Salami Ruhwürsten. Man braucht ihn für Gärungsprozesse. Also es gibt ganz, ganz viele unterschiedliche Funktionen. Und genau die können eben durch ganz, ganz viele Alternativen für Zucker, für andere Süßungsmittel eben nichts ohne Weiteres ersetzt werden.
Jule Wäntig: Thomas, kannst du uns einmal einen kurzen Überblick geben, was denn so gängige Zuckeralternativen sind?
Thomas Henle: Also man kann das ganz grob vielleicht in vier Gruppen einteilen. Das ist jetzt keine exakte chemische Einordnung, sondern so eine Einteilung in vielleicht Praxisrelevanz. Da gibt es zunächst die eine Gruppe, die auch lebensmittelrechtlich geregelt ist. Das sind die sogenannten Süßstoffe, wie zum Beispiel Sacharin, Aspartan. Da gibt es derzeit zwölf, die in der EU zugelassen sind. Die zweite Gruppe sind die Zuckeraustauschstoffe. Auch die haben wir ja schon mal ganz kurz besprochen in unserer Zusatzstofffolge. Das sind aktuell acht Verbindungen, die dazu gelassen sind. Zuckeralkohole, wie zum Beispiel so ein Bit, Xylid oder Mannit. Das sind also alles Zusatzstoffe. Per Definition haben die also E-Nummern, die mussten zugelassen werden, die müssen sich regelmäßigen Überprüfungen stellen. Und da gibt es eine dritte Gruppe an Zuckeralternativen. Das ist eine ganz, ganz neue wissenschaftliche Entwicklung. Das sind jetzt bestimmte Monosaccharide, die in der Natur vorkommen, allerdings sehr, sehr selten sind bzw. in manchen Lebensbildungen in ganz niedrigen Mengen vorkommen. Aber, und das ist jetzt das Spannende, eine ähnliche Süßeigenschaft haben wie die Saccharose. Aber nicht vom Körper verwertet werden also keine nur ganz wenige Kalorien haben. Da gibt es zwei Zucker, die ganz prominent sind derzeit. Das eine ist die sogenannte Taggartose. Das andere ist die Allulose. Die kann man heute durch fermentative Prozesse herstellen. Und die sind auch derzeit in der Diskussion. Die Taggartose beispielsweise schon zugelassen. Die Allulose ist derzeit in Überprüfung. Dann gibt es noch eine vierte Gruppe, eine weitere, die eigentlich bei so einem Anführungszeichen neue oder sagen wir vielleicht besser neu modische Süßungsmittel. Das ist dann sowas wie Agavensirup oder Kokosblütenzucker. Manche zählen da auch den sogenannten Birkenzucker noch mit dazu, obwohl das aus chemisch Sicht eigentlich ganz was anderes ist. Und das wäre so dann die vierte Gruppe an möglichen Süßungsmitteln.
Peer Kittel: Kannst du jetzt vielleicht ja zunächst noch diese Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe ein wenig einordnen? Also inwieweit diese Stoffe als Alternative dann für den Haushaltszucker insbesondere eben im Hinblick auch auf diese Reduktionsstrategie geeignet sind?
Thomas Henle: Wir fangen mal mit den Süßstoffen und den Zuckeraustauschstoffen an. Vielleicht kurz zur Terminologie. Die Süßstoffe sind Verbindungen, die der Körper nicht verwertet. Die sehr sehr süß schmecken, aber dem Körper keine Energie liefern. Bei den Zuckeraustauschstoffen ist es ein bisschen anders. Die sind bei Weitem nicht so süß. Die sind meistens sogar etwas weniger süß als der Haushaltszucker. Haben also eine niedrigere Süßkraft. Die liefern aber Energie. Das heißt, auch die haben gewissermaßen dann Kalorien, auch manchmal ein bisschen weniger. Das Interessante vielleicht ist, dass die Insulin unabhängig verstoffwechselt werden, damit für bestimmte Lebensmittel ganz interessant sind. So der Vorteil der Süßstoff ist diese hohe Süßkraft, damit die Tatsache, dass sie keine Kalorien liefern, aber sie sind oft hitzeempfindlich. Das heißt, die kann man nicht ohne Weiteres zum Backen einsetzen. Und dadurch, dass man so niedrige Konzentrationen braucht, sind sie natürlich auch wenig geeignet, um die Struktur für das Lebensmittel zu geben. Für verschiedene Erfrischungsgetränke die kennt jeder, Cola- oder Pepsi-Light oder wie auch immer, da können die natürlich durchaus eine interessante Funktion zur Reduktion des Zuckers bzw. der Kalorien liefern. Ein gewisser Nachteil der Süßstoffe ist dann auch, dass sie manchmal einen bitteren Nachgeschmack haben oder Stevia zum Beispiel, was das sehr, sehr prominent ist. Süßstoffe ist gerade in den letzten Jahren, wurde das sehr intensiv auch genutzt. Die Substanz hat so ein bisschen einen Lakritz artigen Nachgeschmack, sondern all dieses schränkt natürlich dann die Einsatzmöglichkeit ein. Bei den Zuckeraustauschstoffen, die haben geringere Süßkraft, wie gesagt, maximal vielleicht so wie der Haushaltszucker, die können tatsächlich den Haushaltszucker im gewissen Umfang ersetzen, zum Beispiel in Zerealien, in Müslimischungen, in Müsli-Riegeln oder so. Die werden etwas schlechter aufgenommen vom Körper, als der normale Zucker haben. Deshalb die etwas weniger an Kalorien. Man braucht dann etwas mehr von diesen Stoffen häufig im Lebensmittel als vom Zucker. Und da kommt dann ein gewisser Nachteil zum Tragen, der den Einsatz im Lebensmittel wieder etwas relativiert. Denn bei sehr hohen Aufnahmemengen können diese Zuckeraustauschstoffe abführend wirken. Eben weil sie nicht aufgenommen werden und in den Dickdarm transportiert werden und dort dann unter Umständen eben entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Und entsprechend gibt es dann Vorgaben. Es gibt ADI-Werte, erlaubte Tagesaufnahmen für diese Zuckeraustauschstoffe, die man nicht überschreiten soll. Und das schränkt natürlich dann die Anwendungsbereiche ziemlich ein.
Jule Wäntig: Also die meisten dieser Stoffe, die kennt man ja schon lange. Aber es sind halt auch so Zusatzstoffe und damit nicht für jedermanns Geschmack und auch bei bestimmten Lebensmitteln einfach nicht einsetzbar. Die Vision wäre natürlich und auch ein Traum. Zucker, Alternative, genau wie Zucker, nur eben ohne Kalorien. Geht aus.
Thomas Henle: Ja, das ist in der Tat eine Alternative oder sagen wir besser eine Vision, wenn der tatsächlich gearbeitet wird. Es gibt aus lebensmittelchemischer Sicht in der Tat Monosaccharide, die genauso süß schmecken wie die Saccharose, aber vom Körper eben nicht in einem geringen Teil verwertet werden. Also deutlich wenig oder vielleicht sogar gar keine Kalorien haben. Und es sind die eben schon erregenden beiden Monosaccharide, Tagatose und Allulose. Das sind aus chemischer Sicht, wenn wir das so sagen, auf Ketosen, die ähneln also strukturell dem Fruchtzucker, sind mit dem also strukturell verwandt. Und die kennt man schon lange. Die kommen in manchen Lebensmitteln vor, in manchen Früchten beispielsweise. Die Tagatose entsteht in ganz kleinen Konzentrationen beim Erhitzen von Milch. Da die aber in so geringen Mengen vorkommen in der Natur, hat sich es bisher einfach nicht rentiert, die zu isolieren oder zu nutzen. Jetzt gibt es aber seit einiger Zeit Verfahren, mit denen man diese Monosaccharide fermentativ, das heißt unter Verwendung von Mikroorganismen herstellen kann, auch einigermaßen kostengünstig. Und damit werden die vielleicht interessant als Rezeptur bestand. Die Tagatose zum Beispiel, die stellt man her aus dem Milchzucker, die Allulose aus dem Fruchtzucker. Und insofern werden diese, ich sage mir, seltenen Monosaccharide als potenzieller Saccharose-Ersatz interessant. Jetzt kann aber nicht jeder Hersteller einfach diese Zucker nehmen und so einfach reintun in die Lebensmittel, auch wenn sie natürlich vorkommen. Die Mussten bzw. die Allulose muss es noch ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Die waren ja bislang nicht maßgeblich aber Bestandteil der Ernährung. Wir haben jetzt beabsichtig als Hersteller, sie in ähnlichen Mengen wie den Haus des Zuckers einzusetzen, dann muss es aus Gründen des Verbraucherschutzes entsprechende Risikobewertungen geben. Die Tagatose ist nun in der Tat als Süßungsmittel schon in Europa zugelassen. Man kann die auch kaufen bereits, als Mischung mit der Galaktose, als einem anderen Zucker, der aus dem Milchzucker entsteht. Und diese Mischung aus Tagathose und Galaktose, die sind nun nicht ganz kalorienfrei. Sie haben nur etwa geschätzte Hälfte der Kalorien von Haushaltszucker und sind zudem auch noch immer relativ teuer. Insofern haben sie die noch nicht so richtig durchgesetzt. Bei der Allulose, das wäre nun tatsächlich ein kalorienfreier Zuckerersatz, die gibt es schon zu kaufen und auch zugelassen in den Vereinigten Staaten beispielsweise, seit 2012. Da darf man die als Süßungsmittel für bestimmte Lebensmittel zusetzen. In Europa haben einige Firmen aktuell die Zulassung beantragt. Die werden gerade gewissermaßen, die Allulose wird gerade überprüft von der EFSA durch ein entsprechendes Tool im Rahmen eines entsprechenden Zulassungsverfahren. Und da könnte es also dann schon sein, dass diese Allulose ja vielleicht im nächsten Jahr oder so auch bei uns als Süßungsmittel genutzt werden kann.
Peer Kittel: Das klingt ja einigermaßen spannend. Also muss es ehrlich gestehen, von Allulose und Tagatose habe ich und vielleicht auch die eine oder andere Hörer:in bisher aber auch noch nie was gehört. Du sagst ja selber, wird dann vielleicht auch noch einige Zeit dauern, bis es sich durchsetzen kann. Vielleicht kann es sich auch gar nicht durchsetzen gegen Zucker. Jetzt gibt es aber viele Verbraucher:innen, die glauben, dass es gesunde Alternativen zum Haushaltszucker gibt. Da liest man zum Beispiel, die hattest du vorhin auch schon angesprochen, vom Agavensirup und Kokosblütenzucker. Und da dahinter, ist denn jetzt der Agavensirup wirklich gesünder als der Haushaltszucker?
Thomas Henle: Also der Agavendicksaft oder Agavensirup, der wird vor allem in Mexiko gewonnen, dort hat uns jetzt lange Zeit. So aus bestimmten Kakteen Arten, das ist vielleicht ganz interessant, wie der gewonnen wird. Man entfernt da das innere, den inneren Kern der Pflanze, den muss man ein bestimmtes Alter haben und dann produzieren die für einige Zeit so einen Saft, so einen süßen Saft, den kann man absaugen und dann eintrocknen. Und beim eintrocknen wird dann das Inulin, was da drinnen ist, das Inulin besteht aus Fructose, als Fruchtzucker, wird dann quasi in den Fruchtzucker umgewandelt. Also der Agavensirup ist damit letztlich nichts anderes als Fructose, als hochkonzentrierte Fructose und schmeckt zwar damit ein bisschen süßer wie der Haushaltszucker, hat aber an sich genauso viele Kalorien. Man liest dann einmal noch, dass dieser Agavensirup besonders viel Mineralstoffe, das Spurenelement oder Ballaststoffe enthält, das sind aber so winzige Mengen, dass sie ernährungsphysiologisch völlig irrelevant sind, nicht wie beim Honig, muss man da wahrscheinlich kiloreise Agavensirup konsumieren, um irgendwo einen Beitrag zur Versorgung mit zum Beispiel Mineralstoffen zu erreichen. Und damit ist Agavensirup und eine Frage zu beantworten Peer definitiv nicht gesünder, als normaler Zucker, hat genauso viele Kalorien und aufgrund des hohen Fructose Gehaltes kann eine hohe Aufnahme und Umstände sogar physiologisch bedenklich sein. Zudem kann man die Verwendung von Agavensirup auch aus Nachhaltigkeitsgründen so ein bisschen hinterfragen. Es braucht sehr sehr viel Energie, um diesen Saft einzudicken. In Mexiko gibt es mittlerweile große Monokulturen dieser Agaven, was dann wieder ähnliche Probleme auch für alle Monokulturen, also Bodenverarmung, Verringerung der Artenvielfalt, Rodung vom Urwald und so weiter. Ja und dann muss dieser Sirup noch über lange Transportwege zu uns gebracht werden, also insofern ist der Konsum von Agavendicksaft weder gesünder und definitiv auch nicht nachhaltiger, als der von Zucker. Und das Gleiche gilt leider auch für Kokosblütenzucker, denn gewinnt man aus den Blüten der Kokospalmen, da gibt es auch eine andere Palme, die man da nutzen kann, da spricht man aber vom Palmzucker, also aber chemisch genau das Gleiche. Gewonnen wird der vor allem in Südostasien, in Thailand, auch in Indien, Sri Lanka, Pakistan, Afrika, Südamerika, also letztlich überall, wo Palmen wachsen, mal Salop gesagt. Und zwar sammelt man dazu dann die, zur Gewinnung die Blüten der Palmen ein, man schneidet die an und dann läuft der Nektar raus. Und diesen Nektar, den muss man dann wiederum eintrocknen, den Zucker kristallisieren und durch diese Erhitzung wird das Produkt so ein bisschen bräunlich-Karamellig, was dann so ein bisschen auch im charakteristischen Geschmack erklärt. Kokosblütenzucker ist also jetzt aus chemischer Sicht eigentlich fast ausschließlich Sacharose, also chemisch nichts anderes als unser ganz normaler Zucker, außer dass er vielleicht ein bisschen Karamellig schmeckt hat, also damit genauso viele Kalorien, als damit auch nicht gesünder oder ungesünder, wie der ganz normale Zucker. Außer, dass er natürlich sehr, sehr teuer ist und damit natürlich jeder sich wirklich auch überlegen muss, ob das echt eine Alternative ist, für den Haushaltszucker aus Zuckerrüben.
Jule Wäntig: Und was ist jetzt mit Birkenzucker?
Thomas Henle: Also Birkenzucker ist das Begriff eigentlich irreführend, denn es ist kein durch Extraktion aus den Bäumen oder aus der Birke gewonnener Zucker, sondern es ist eine eigentlich alte Bezeichnung für Xylid. Xylid ist ein Zuckeralkohol, was wir ja vorhin schon besprochen haben. Der Zuckeralkohol Xylid wird also jetzt auch nicht durch direkte Extraktion aus der Birke oder so gewonnen, sondern durch ein chemisches Verfahren. Man nimmt da heute vor allen Dingen Holzabfälle, Maiskolbenreste, Getreidekleie oder so. Und dann wird durch eine Säurebehandlung, der in diesen Hölzern oder diesen Holzmaterialien vorkommende das Polysacharid gespalten. Dann folgt eine Fermentation mit Mikroorganismen und die produzieren dann aus diesen hydrolysierten Polysachariden des Xylid. Und damit ist Xylid oder Birkenzucker aus lebenswollrechtlicher Sicht ein Zusatzstoff. Er hat eine E-Nummer, nämlich E966. Die Süßkraft und der Geschmack von Xylid, die sind so ähnlich wie vom Haushaltszucker. Er hat nur die Hälfte der Kalorien, weil er vom Körper schlechter aufgenommen wird. Und es relativiert dann etwas den Einsatz als Süßungsmittel, weil eben in hohen Konzentrationen auch Birkenzucker abführend wirken kann. Also für Getränke zum Beispiel ist er weniger geeignet. Man kann ihn vielleicht nehmen für bestimmte Lebensmittel, z.B. Kaugummi oder so. Da werden für sich Süßwaren, da werden dann solche Zuckeralkohole eingesetzt. Aber so in der Küchentechnischen Anwendung muss man dann ein bisschen aufpassen eben wegen dieser potentiellen Nebenwirkungen. Zudem ist Xylid oder auch Birkenzucker relativ teuer.
Jule Wäntig: Ich habe am Wochenende vor etwas zu backen. Was soll ich deiner Meinung nach denn nehmen, um meine Backwaren zu süßen?
Thomas Henle: Also wenn du eine leckere Rezeptur hast, Jule, und weißt, dass die gut funktioniert und auf Nummer sicher gehen willst, dann passt es doch. Wenn es schmeckt, das ist eigentlich völlig egal, wie viel Zucker drin ist, Hauptsache es schmeckt. Wenn du jetzt ein bisschen experimentieren möchtest, in deinem Chemie-Labor z.B. oder auch in deiner Küche, dann kannst du einfach mal ausprobieren, den Zuckeranteil einfach zu reduzieren, einfach ein bisschen weniger Zucker zu nehmen, vielleicht dafür mehr Früchte und einmal ausprobieren, wie es schmeckt. Vielleicht schmecken die dann auch mit weniger Zucker. Wenn du mal andere Zucker ausprobieren möchtest, dann bietet sich da immer Honig an. Honig ist vom Kaloriengehalt auch nicht besser wie der normale Zucker und auch nicht gesünder. Aber Honig ist interessant fürs Backen, weil er vielleicht als ältestes Süßungsmittel der Welt gewisse chemische Reaktionen beim Backen nach sich zieht. Er karamellisiert etwas anders, er schmeckt vielleicht dann ganz anders, wenn man hinterher das Backprodukt fertig hat. Also insofern können das vielleicht ganz interessante Aromen produzieren. Dann kannst du sozusagen deine Küche dann zum Experimentier-Labor machen, Jule.
Peer Kittel: Jetzt sind wir ja durch die verschiedenen Zuckeralternativen durchgegangen, haben glaube ich schon ein bisschen viel von dir gelernt. Lass uns doch nochmal zurückkommen zur Ausgangsfrage. Wie kann denn jetzt die NRI vor diesem ganzen Hintergrund überhaupt funktionieren? Also wie beurteilst du das als Experte?
Thomas Henle: Das Marx-Ruben-Institut macht ein regelmäßiges Monitoring dieser nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie. Das heißt, analysiert in regelmäßigen Abständen eine Palette an Produkten und prüft, ob sich zum Beispiel jetzt der Zucker-Gehalt verringert. Da gab es so eine Erhebung im Jahr 2022. Da wurden 7000 Lebensmittel untersucht. Das kommen wir im Detail nachlesen. Wenn man das etwas zusammenfasst in aller Kürze, dann kann man sagen, dass sich schon etwas tut. Dass man also zum Beispiel bei Cola-Getränken, bei Limonaden, auch bei Lebensmitteln für Kindern eine gewisse Reduktion erreicht hat. Bei Kinder-Lebensmittel, wo die sogar explizit betont, dass man die Reduktionsziele erreicht hat. Bei manchen Lebensmitteln tut sich aber wohl nichts. Wenn eine Verringerung beobachtet wurde, dann war es meist eine tatsächliche Verringerung des Gehaltes, ohne dass man andere Süßungsmittel eingesetzt hat. Wenn man das jetzt im Wortlaut vielleicht zitiert, ich finde, das bringt es dann ganz gut auf den Punkt, dann schreibt das Max-Ruben-Institut, dass die Reduktionsbemühungen nicht ambitioniert genug sind und waren und dass das Ganze weitergehen muss. Und zwar indem man, ich zitiere, wissenschaftlich fundierte und auf Zielgruppen abgestimmte Reduktionsziele schaffen möchte. Das heißt, man muss das Ganze noch etwas detaillierter auf einzelne Produkte fokussieren, dessen Prozess ja gerade am Laufen ist.
Peer Kittel: Und das ist dann auch deine Meinung als Experte?
Thomas Henle: Ehrlich gesagt, per bin ich da doch ziemlich hin und hergerissen,wobei meine Meinung so eine Mischung ist, wenn ich das so sagen darf, aus fachlichen Überlegungen, also als wissenschaftlicher Sicht. Und die andere Hälfte ist so meine Sicht als Bürger in einem glücklicherweise freien Land. Und es kollidiert dann manchmal so ein bisschen mit der Politik, in der es ja schwerpunktmäßig darum geht, Kompromisse zu suchen, eine Vermittelbarkeit von Entscheidungen und so weiter zu erreichen. Also zunächst meine Meinung als Wissenschaftler. Und das war ja auch der Aufhänger für die heutige Folge, dass es in bestimmten Bereichen eine Fehlernährung gibt, eine Überernährung aufgrund von zu vieler Kalorien, dass Adipositats eine große Herausforderung für unser Gesundheitssystem dasteht. Da gibt es keine zwei Meinungen. Ich würde mir aber da aus wissenschaftlicher Sicht wünschen, dass man die Ursachen nicht nur so einseitig bei zu süßen Lebensmitteln oder dem Zucker oder der Industrie sucht. Ich würde mir so sagen, die Maßnahmen sind immer ganz gut gemeint. Es werden unglaubliche Aufwandbetrieben an der Formulierung von spezifischen Reduktionszielen. Es sind gefühlt aktuell, ich glaube, alle Lebens- und Ernährungswissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler beteiligt. Ich war das auch eine Zeit lang, zumindest am Anfang. Ich befürchte nur jetzt, dass der tatsächliche Effekt überschaubar sein wird. Und diese ganze Aktivität dann insgesamt eher sogar vielleicht wieder zu einer Verunsicherung der Konsumentin und Konsumenten beiträgt. So dieses Narrativ der guten und schlechten, der gesunden und ungesunden Lebensmittel eher weiter bekräftigt wird. Wir werden sehen, vielleicht bin ich da zu pessimistisch, ich weiß es nicht. Aus meiner Sicht bin ich jedenfalls der Meinung, oder ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass wir uns vielleicht auch in der Zukunft mit unserem Podcast mal mit der generellen Frage beschäftigen sollten, nämlich, was heißt eigentlich gesunde Ernährung? Oder direkt gefragt, gibt es eine gesunde Ernährung überhaupt oder ist es nicht vielleicht nur so ein Art Mythos und Wunschdenken? Ich glaube, diese Frage müssen wir auch mal behandeln.
Jule Wäntig: In Großbritannien gibt es ja seit einigen Jahren eine Zuckersteuer.Das wäre doch eine Möglichkeit für Deutschland, Zuckerkonsum zu reduzieren.
Thomas Henle: Also ganz allgemein, Jule, bin ich ganz ehrlich, ich sehe solche politischen Steuerungsmaßnahmen, in denen der Staat versucht zu beeinflussen, was wir essen, immer skeptisch. Steuern sind eine Einnahmequelle für den Staat und zum anderen eine Möglichkeit zu lenken und zu steuern. Also in diesem Falle quasi zu lenken, dass wir weniger Zucker essen, der als unerwünscht identifiziert wurde. Es wäre also eine Konsumsteuer, je wer wir konsumieren, umso mehr zahlen wir und gleichzeitig will der Staat eine unerwünschte Verhaltensweise korrigieren. Jetzt gibt es viele Länder, in denen der Zucker bereits besteuert wird, wobei das nicht immer der Zucker per See ist, in allen Lebensmitteln, sondern oft, oder meistens eigentlich nur die zuckerhaltigen Getränke, das ist dann von Land zu Land unterschiedlich ausgestattet. Alleine da drin steckt jetzt für mich das erste Problem, nämlich man unterscheidet, wenn man so will, den guten und den schlechten Zucker. Die guten Getränke mit 10 Prozent Zucker, die werden dann besteuert, Apfelsaft oder Orangensaft, die genauso viel Zucker enthalten als vermeintliche Naturprodukte, werden aber dann nicht besteuert. Das ist das erste für mich wissenschaftliche Problem. Und entscheidend ist dann vor allen Dingen, ob so eine Steuer wirklich was bringt im Sinne von gesundheitlichen Vorteilen. Da gibt es jetzt eine ganz aktuelle Berechnung einer Forschungsgruppe der TU München, die ging vor einigen Wochen ganz groß durch die Medien und demnach würde eine Zuckersteuer tatsächlich was bringen. Hinsichtlich der Profilachse von Diabeteserkrankungen, die rechnen sogar aus in der Studie, für Menschen weniger dann Diabetes bekommen. Das ist eine interessante Modellrechnung, aber Modelle sind halt immer ein Abbild oder in diesem Fall eine Vorschau auf die Wirklichkeit. Man könnte aber jetzt auch versuchen, die Wirklichkeit direkt zu bewerten. Es gibt nämlich ganz, ganz viele Studien, die untersucht haben, ob in den Ländern, wo es eine Zuckersteuer gibt, auch einen Effekt eingetreten ist. Und da muss man sagen, ist die Studienlage völlig unklar. Man hat da versucht, Effekte auf die Kalorienaufnahme auf das Körpergewicht zu messen, auch ob die Inzidenz für Diabetes singen und so weiter. Hierzu gibt es eine sehr, sehr gute Cochrane-Übersichtsarbeit. Die Cochrane Foundation bewertet den Übersichtsartikeln die wissenschaftliche Faktenlage. Und die fasst die Studienlage so zusammen und kommt zu dem doch recht ernüchternden Schluss. Und auch das möchte ich fast wieder wortwörtlich zitieren, dass es bislang keine ausreichende Evidenz dafür gibt, dass eine Besteuerung von unverarbeitetem Zucker oder von Lebensmitteln mit Zucker tatsächlich eine Wirkung auf die Prävention von Adipositas oder andere unerwünschte gesundheitliche Endpunkte haben. Also obwohl es viele Länder gibt, die eine Zuckersteuer haben, konnte also eine positive gesundheitliche Wirkung noch nicht nachgewiesen werden. Und damit ist offensichtlich der Mythos, gesunde Ernährung viel, viel komplexer und vielschichtiger, dass man allein das Finanzministerium damit beauftragen könnte.
Peer Kittel: Lieber Thomas, sehr passendes Schlusswort. Wir haben erfahren, dass es gar nicht so einfach ist, herkömmlichen Zucker durch gesündere Alternativen zu ersetzen und staatliche Steuerungsmaßnahmen dabei nur bedingt Abhilfe schaffen können. Sicher ist, dass unter den Menschen ein steigendes Gesundheitsbewusstsein zu beobachten ist und Unternehmen aus Eigeninteresse dazu angehalten sein sollten und sicher auch angehalten sind, gesündere Ernährungstrends zu verfolgen. Denn nur gesunde Verbraucherinnen und Verbraucher konsumieren solche Produkte ja dann auch weiterhin. Wenn unser Podcast ihren Geschmack getroffen hat, hören Sie gerne auch unsere weiteren Folgen. Food Facts gibt es immer am 24. des Monats auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt. Wenn Sie Themenwünsche rund um Lebensmittel, Lebensmittelchemie und Ernährung haben, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an lebensmittelchemie.podcast@tu-dresden.de. Das war Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. Bis zum nächsten Mal.
Outro
Zucker: Gefährlich für die Gesundheit? 🍬 | Gute Frage über Diabetes, Zuckersteuer & Süßstoffe
Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie der Bundesregierung
https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/reduktionsstrategie/reduktionsstrategie-zucker-salz-fette.html
Wie sinnvoll ist eine Zuckersteuer?
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012333.pub2/full/de
Zuckeralternativen: Welche es gibt und wie gut sie sind
https://www.bzfe.de/lebensmittel/trendlebensmittel/suessende-lebensmittel-und-suessungsmittel/
Folge 5: Superfoods: Weniger super als gedacht?
Vitamine, Mineralien, Proteine, Antioxidantien – nehmen wir in unserer täglichen Ernährung zu wenig davon auf? Brauchen wir Nahrungsergänzung, um gesund und fit zu sein? Können wir mit Superfoods unserer Gesundheit etwas Gutes tun? Was steckt wirklich in Gojibeeren, Spirulina, Weizengras und Co.? Mit unserem Experten Prof. Thomas Henle klären wir in unserer neuen Folge diese und weitere Fragen rund um Superfoods und Nahrungsergänzungsmittel und erfahren, welche Rolle die Kartoffel dabei spielt.
Intro Musik
Peer Kittel: Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. In unserer heutigen Folge sprechen wir über Superfoods. Super gehyped, aber sind sie auch wirklich super wichtig?
Intro Musik
Peer Kittel: Ob im Supermarkt, im Restaurant oder im Netz. Überall lesen wir den Begriff Superfoods und lernen, was diese uns Gutes tun. Neben zahlreichen Nährstoffen, die sie enthalten, sollen sie unter anderem auch gegen Gelenkschmerzen, Verdauungsprobleme, Müdigkeit und vielem anderen helfen. Von A wie Acai bis Z wie Zwiebel. Mittlerweile ist die Liste der möglichen Superfoods lang und unübersichtlich, was viele Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert. Mit unserem Lebensmittelchemie-Experten Professor Thomas Henle von der TU Dresden wollen wir heute etwas Licht in den Superfood-Dschungel bringen. Wir, das sind wie immer Studentin Jule Wäntig und ich, Per Kittel-Dezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften. Insofern, wie gehabt, Hallo Thomas, hallo Jule.
Thomas Henle: Hallo Per, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo.
Peer Kittel: Thomas, wir starten wie immer mit den Basics. Vielleicht schauen wir uns mal den Begriff Superfoods an. Was ist denn damit gemeint?
Thomas Henle: Also der Begriff ist ein reiner Marketingbegriff. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Bezeichnung Superfood nicht definiert und auch nicht akzeptiert. Man wird in der Wissenschaftenliteratur keine seriöse Publikation finden, die diesen Begriff verwendet. Er wird also primär verwendet von Unternehmen rein aus Werbegründen, in den Medien, im Internet, in Zeitschriften, um auf bestimmte Eigenschaften von Lebensmitteln hinzuweisen, meistens auf völlig unwissenschaftliche Art und Weise. Da wird dann eben zum Beispiel betont, dass diese neuen exotisch liegenden Lebensmittel besonders viel Vitamine, besonders viel Mineralstoffe, besonders viel Antioxidantien und so weiter enthalten sollen und damit vor allen möglichen Krankheiten schützen sollen. Und allgemein wird also dann suggeriert, dass diese sogenannten Superfoods besonders wertvoll für die Ernährung sind, besonders gesundheitsfördernd sein sollen.
Peer Kittel: An sich hört sich das doch aber im Prinzip ganz gut an, eigentlich sogar super an, wenn Lebensmittel ja wichtige Inhaltsstoffe haben sollen. Also welche Probleme hat denn die Wissenschaft dann ganz genau mit diesem Begriff Superfoods?
Thomas Henle: Also gegen die Lebensmittel an sich ist nichts einzuwenden. Wer die gerne isst, wen die schmecken, wer das Geld dafür ausgeben möchte, der kann das natürlich selbstverständlich machen. Das Problem ist nur das Marketing. Und zwar das besondere Ausloben von vermeintlich wertvollen oder anfangs auch einen gesunden Inhaltsstoffen. Letztlich um diese Lebensmittel jetzt besonders interessant zu machen und auch um Nahrungsergänzungsmittel, die da mit meistens dann auch im Kontext diskutiert werden, interessant zu machen. Und zwar versucht man der Bevölkerung zu suggerieren, dass ein Mangel an bestimmten Nährstoffen existiert. Das wird uns also irgendwie ungesund ernähren, dies in großer Zahl. Und dass diese Superfoods dann diese vermeintlich zu geringe Zufuhr an, was auch immer ausgleichen könnten. Oder um es vielleicht noch weiter zu treiben, dass man selbst wenn man gesund ist, sich durch diese Superfoods quasi noch gesünder ernähren könnte, sich vor Krankheiten schützen kann und so weiter. Und da kommt man dann sehr häufig in Lebensmittel rechtlich grenzwertige Bereiche. Das Stichwort wäre hier eine nicht zulässige gesundheitsbezogene Werbung. Und das stört mich jetzt dann als Lebensmittel ganz besonders, weil das nun schlichtweg falsche Aussagen sind sehr häufig. Also wissenschaftlich unfundierte, also wenn du so willst sowas wie Fake Science, was man dann nutzt als Grundlage für ein Marketingkonzept.
Jule Wäntig: Ist denn da etwas dran, dass wir mit unserer normalen Ernährung viel zu wenig Nährstoffe aufnehmen? Und wie könnte ich jetzt diesen Nährstoffmangel feststellen?
Thomas Henle: Ja, das ist natürlich in der Tat eine super wichtige Frage. Also die Beurteilung der ausreichend Versorgung mit essentiellen Nährstoffen. Das ist sowohl für die Wissenschaft wichtig, also auch für die öffentliche Gesundheitsvorsorge. Und man kann sich vorstellen, dass es relativ schwierig ist, jetzt für ein ganzes Land, für über 80 Millionen Menschen, die Versorgung mit Nährstoffen zu beurteilen. Das macht man aber tatsächlich. Und zwar gibt es da eine Studie des Max Rubner Institutes, der Bundesanstalt für Ernährung, die sogenannte nationale Verzehrs Studie 2. Die ist schon ein bisschen her, diese Erhebung, die war im Zeitraum von 2005 bis 2007. Aktuell läuft eine dritte Studie. Und diese NVS, diese nationale Verzehrs Studie, die dient letztlich dazu Repräsentative Daten zum Lebensmittelverzehr, zu Nährstoffzufuhr, zu Ernährungsverhalten, zu Ernährungsstatus der deutschen Bevölkerung abzuleiten. Und obwohl die schon ein bisschen älter ist, diese NVS 2 ist sie nach wie vor eine Grundlage zur Beurteilung der Nährstoffzufuhr. Und die Kernaussage dieser NVS ist ganz klar, die mittlere Zufuhr von praktisch allen Vitaminen und Mineralstoffen bei Erwachsenen entspricht sehr gut den Referenzwerten der deutschen Gesellschaft für Ernährung. Oder übersteigt die sogar. Es gibt also bei einer ausgewogenen Ernährung überhaupt keinen Grund für zum Beispiel die Supplementierung mit Nahrungsergänzungsmittel und auch keine Notwendigkeit für besonders Vitaminen oder nährstoffreiche Superfoods. Man kann allerdings aus der Studie auch ein bisschen genauere Infos noch rauslesen für bestimmte Ernährungssituationen. Und so hat die NVS einige kritische Nährstoffe identifiziert, die bei bestimmten Ernährungssituationen, möchte mir so sagen, relevant sind. Und zwar sind es die Vitamine Folsäure, bei den Mineralstoffen ist es Calcium, Jod und das Eisen. Und es betrifft vor allem jüngere Menschen, die sich vielleicht etwas unausgewogen ernähren, noch im Wachstum sind. Und es betrifft vor allen Dingen Frauen bei der Schwangerschaft, Frauen in der Schwangerschaft und in der Stillzeit. Und dann betrifft es Menschen, die eine besondere Ernährungsweise praktizieren, eben zum Beispiel Veganerinnen und Veganer. Da könnte dann zum Beispiel Vitamin B12 und auch Eisen problematisch sein. Da ist an und umständlich auch eine Supplementierung mit Vitaminpräparaten notwendig. Da kann man ja vielleicht im Laufe der heutigen Besprechung noch mit drauf eingehen.
Jule Wäntig: Woran würde ich denn einen Vitamin- oder Mineralstoffmangel bemerken? Ich habe das mal gegoogelt und da wird mir richtig viel vorgeschlagen. Also ich hätte alle Symptome.
Thomas Henle: Ja, hier muss man wirklich ein bisschen aufpassen. Und wenn man nämlich genau hinschaut, dann sind diese Websites, die dann einen Vitaminmangel, sagen wir vermeintlich, wissenschaftlich präsentieren, sind fast immer Websites von Vitaminherstellern oder verlinken direkt auf die Seiten dieser Hersteller. Und da werden dann so ganz allgemeine Symptome beschrieben als Symptome eines vermeintlichen Vitaminmangels, also sowas wie Müdigkeit, schlechter Schlauch, häufiger Erkältungen, Haarausfall, Blässe, Gelenkschmerzen. Und da kann man nun sagen, wer kennt es nicht, es hat jeder, jeder, irgendwann, irgendwo, irgendwie mal. Es wird aber dann eben direkt gefolgert, dass diese Symptome direkt auf den Mangel von Vitamine-Mineralien zurückgehen sollen, dass man dann entsprechende Präparate kaufen soll oder halt die entsprechend Superfoods essen soll. Fakt ist jetzt aber, dass diese Symptome in der Regel wirklich nichts mit einem Vitaminmangel zu tun haben. Und wenn, dann könnte und müsste man das auch nachweisen. Das geht beim Arzt oder der Ärztin, die können mit einer Blutbildanalyse problemlos feststellen, ob tatsächlich ein Nährstoffmangel vorliegt, also ein echter Mangel an Vitaminen oder Mineralstoffen. Und es wird dann auch immer eine medizinische Diagnose. Und alles weitere wird dann in der Arzt- oder Ärztin-Praxis festgelegt, also zum Beispiel die Grunderkrankung erkannt und dann übernehmen die entsprechenden Kosten auch die Krankenkasse. Solche Blutuntersuchungen sind dann vielleicht auch relevant bei speziellen Ernährungsweisen, zum Beispiel bei Veganismus. So was kann man dann als individuelle Gesundheitsleistung beauftragen, muss es dann auch selber zahlen. Es hält sich aber in Grenzen.
Jule Wäntig: Wenn ich jetzt nicht zum Arzt gehen möchte und dann habe ich sehr viele Möglichkeiten gesehen, einen Test einfach einzuschicken oder einen Selbsttest nach Hause zu bekommen, sind die denn belastbar?
Thomas Henle: Im Internet werden in der Tat Selbsttests zum Beispiel für Vitamin D-Status angeboten, für die muss man sich dann selber eine Blutstropfen aus der Fingerkuppe entnehmen und dann in ein Labor schicken. Ich persönlich halte nichts von diesen Angeboten, um es ganz klar zu sagen, weil man schon allein bei der Probennahme viel falsch machen kann. Und auch die Verbraucherzentrale beispielsweise hat Vergleiche auf ihrer Homepage dokumentiert, die dann zeigen, dass die Ergebnisse von Anbieter zu Anbieter doch sehr, sehr schwanken und die Auswertungen dann häufig nicht hilfreich sind und häufig dann wiederum gleich mit Verkaufsempfehlungen für bestimmte Produkte mit verbunden sind. Das waren jetzt biochemische Untersuchungsmethoden. Es gibt aber darüber hinaus noch ganz, ganz viele weitere Methoden, sowas wie Bio-Resonanz-Diagnostik, eine kinesiologische Diagnostik. Es gibt einen Antioxidantien-Scanner und das kann man dann zum Beispiel in Reformhäusern, bei Heil-Praktikern, aber leider auch bei manchen Ärztinnen, Ärzten oder Apotheken machen lassen und sowas ärgert mich dann wieder ganz besonders, wenn dann wissenschaftlich ausgebildetes Personal, solchen Hokus-Pokus anbietet. Letztlich sind all diese Untersuchungen aus wissenschaftlicher Sicht völliger Quatsch. Es ist ein Indiz für die pseudo-wissenschaftliche Durchdringung und Kommerzialisierung leider auch unserer Heilkunde, wenn man das so sagen darf.
Peer Kittel: Das heißt aus deiner Perspektive ist das Statement nur beim Arzt, kann ich mich verlässlich testen lassen?
Thomas Henle: Absolut und dann auch wirklich nur mit einer Blutuntersuchung, in der von einem richtigen Labor untersucht wird, wie der Vitamin- oder der Mineralstoffstatus ist.
Peer Kittel: Wenn man jetzt, du hast ja vorhin auch ein paar Symptome genannt,mit denen geworben wird für Vitamin-Mangel und dann die entsprechende Lösung auch schonangeboten wird. Wenn es jetzt kein Vitamin-Mangel ist, woran können solche Symptome dann liegen?
Thomas Henle: Ja, das ist jetzt schwer zu sagen und es übersteigt natürlich auch unsere Kompetenz jetzt als Naturwissenschaftler. Entscheidend ist immer, dass man die Grunderkrankung abklärt. Das istnatürlich eine zentrale medizinische Aufgabe. Engagierte Ärzte und Ärztinnen, die werden auch immer den großen Bereich der Psychosomatik damit im Blick haben und dann sehr häufig dokumentieren können, dass es mit einem Vitamin- und Mineralstoffmangel oder gar mit speziellen und gesunden Lebensmitteln oder so gar nichts zu tun hat. Da muss man dann die private Situation, Stress, alle möglichen weiteren Aspekte mit einbeziehen und das macht der engagierte Arzt, der engagierte Ärztin dann sicherlich sehr, sehr kompetent.
Peer Kittel: Jetzt würde ich vielleicht nochmal zwei Sachen zusammenbringen, die du vorhin schon angeteasert hast. Wenn wir uns vielleicht nochmal die Veganerinnen als Gruppe anschauen, hast du ja vorhin gesagt, da kann es durchaus sein, in der NVO 2 auch nachgewiesen, dass eine Supplementierung notwendig werden könnte. Gibt es denn da Sachen, die Mineralstoffe und Vitamine, die nur in tierischen Lebensmittelnvorkommen bzw. könnte nun gerade für diese Gruppe die Superfoods, über die wir heute sprechen, den Mangel ausgleichen?
Thomas Henle: Also ich fange gleich mit der letzten Frage an. Nein, kann es nicht. Es gibt ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und dieses Papier benennt zur veganen Ernährung einige kritische Nährstoffe. Das ist vor allem Vitamin B12, Vitamin B2, Vitamin D und auch das Spurenelement Eisen. Manchmal vielleicht auch Jod. Manchmal auch der Protein, die Proteinqualität. Es gibt schon eine ganze Reihe von Faktoren, die man dabei achten muss. Das meiste davon ist die gleiche Veganerin und Veganer aber durch eine ausgewogene Ernährung vollständig aus. Vor allem kritisch ist das Vitamin B12, das Eisen und eventuell das Kalzium. Vitamin B12 kommt jetzt aber tatsächlich nur in tierischen Lebensmitteln vor und zwar in einer Form, die für den Körper verfügbar ist. Kalzium und Eisen, die kann man auch aus pflanzlichen Lebensmitteln bekommen, wird es aber oft schlecht aufgenommen wegen Wechselwirkungen mit anderen Inhaltsstoffen und dann nützt dann auch keine Superfoods, sondern dann nützt dann nur eine Supplementierung mit entsprechenden Präparaten. Wer sich bewusst vegan ernährt und alle Veganerinnen und Veganer, die ich kenne, tun das, die achten auf ihre Ernährung und die wissen auch ganz genau, welche Nährstoffe kritisch sind und die nehmen dann entsprechende Nahrungsergänzungsmittel. Das kann man auch wissenschaftlich dokumentieren. Da gab es eine Studie vom Bundesinstitut für Risikobewertung, die war von 2020. Die haben eine Studie gemacht, wo sie Veganerinnen, Veganer auf der einen Seite und sich um Niveau ernährende Menschen auf der anderen Seite untersucht haben, haben dann geguckt, wie ist es denn mit dem Status dieser potenziell kritischen Nährstoffe. Wir haben dann gesehen, dass es keinen Unterschied gibt, eben weil sich auch die Veganerinnen und Veganer sehr gut zum Beispiel mit Vitamin B12 versorgt haben.
Jule Wäntig: Auf Social Media bekomme ich sehr oft Werbung für Nahrungsergänzungsmittel und einfach Menschen, die für solche Präparate werben, vor allen Dingen im Winter Vitamin D. O-Ton: Jeder in Deutschland hat Vitamin D Mangel, weil ist ja nicht so viel Sonne da und ist schade, die auch nichts, wenn man das einfach mal so nimmt, stimmt das?
Thomas Henle: Also man kann zunächst festhalten, dass der Körper tatsächlich in der Haut 80 bis 90 Prozent vom Vitamin D besser gesagt von einer Vitaminvorstufe selber bildet und zwar mit Hilfe vom Sonnenlicht, genauer der UVB-Strahlung. Dazu muss man aber rausgehen, sich im Freien aufhalten, denn helle Räume oder so reichen da nicht aus, denn das UVB-Licht kann das Glas von Fensterscheiben nicht durchdringen. Der Zufall von Vitamin D Überlebensmittel macht also nur einen ganz geringen Anteil aus, 10 bis 20 Prozent und der Grund dafür ist, dass Vitamin D nur in ganz wenigen Lebensbilden wirklich in nennenswerten Mengen vorkommt. Das wäre zum Beispiel fetter Seefisch oder Innereien, die aber jetzt nicht unbedingt jedermanns Geschmack sind. Und wie du schon andeutest, Jule ist die Vitamin D Bildung bei uns in unseren breiten Graden tatsächlich ausreichend, nur von März bis Oktober möglich. Da ist das Licht sozusagen hell genug oder der Tag lange genug. Allerdings könnte da der Körper das Vitamin D auch speichern. Er kann Vitamin D Reserven anlegen dann für das Winterhalbjahr sozusagen. Also salopp gesagt, im Frühling muss man viel rausgehen, auf den Sonnenbrand aufpassen, dann hat man schon eine gewisse Vorsorge getroffen. Der Einnahme von Vitamin D Präparaten wird jetzt von der deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Beispiel wiederum nur dann empfohlen, wenn die Eigensynthese nicht ausreicht oder auch die Ernährung, man kann ja auch im Winter dann zum Beispiel Fisch essen, dieses potenzielle Defizit nicht ausgleicht. Das Problem ist nämlich jetzt und drum kann es durchaus auch kritisch sein, wenn man zu viel Vitamin D aufnimmt. Das Problem ist, dass das Vitamin D als fettlösliches Vitamin sich im Fettgewebe abspeichern kann und eine übermäßig hohe Vitamin D Zufuhr, zum Beispiel bestimmte Supplemente, dann unter Umständen sogar zu einer Überdosierung führen kann, zu einer Intoxikation. Also insofern kann man sich mit Vitamin D tatsächlich sogar im Extremfall überversorgen. Und auch da würde ich jetzt jedem, jeder empfehlen, sich vom Arzt oder der Ärzte bei den Vitamin D Status kontrollieren zu lassen. Man musste zu sagen, dass das Vitamin D tatsächlich eines der momentan sehr sehr diskutierten Vitamine ist. Man ist sich in der wissenschaftlichen Community auch gar nicht so hundertprozentig einig, wie viel Vitamin D wir tatsächlich im Blut haben sollen. Auf jeden Fall kann man sich auch da den Vitamin D Status untersuchen lassen und gegebenenfalls, wenn es tatsächlich notwendig ist, entsprechende Vitamin D-Präparate verschreiben lassen. Und ich würde halt immer empfehlen, zwei bis drei Monate Woche Fisch zu essen, Heringe, Lachs oder irgendwie sowas und damit kann man einen sehr, sehr guten Beitrag zu seiner zusätzlichen Vitamin D Versorgung leisten.
Peer Kittel: Wie ist das damit im Eiweiß? Das benötigt unser Körper ja auch in großen Mengen und ja bestimmte Superfoods werden als besonders gute Proteinquelle beworben, zum Beispiel Algen als tolle vegane Proteinquelle oder auch Insekten mit besonders hochwertigem Protein. Dazu gibt es ja jede Menge Proteinpräparate auch zu kaufen. Haben wir ein Problem mit der Proteinversorgung? Ich habe neulich sogar von einer Eiweißlücke gehört. Was steckt denn dahinter?
Thomas Henle: Also grundsätzlich muss man sagen, dass wir in Deutschland überhaupt keine Probleme haben mit dem Abdecken unseres Proteinbedarfs. Der liegt so bei etwa einem Gramm pro Kilo Körpergewicht, also je nach Mensch zwischen 40 und 100 Gramm oder so. Und das Decken jetzt mischt, Köstler völlig problemlos ab, auch Vegetarier. Bei einer veganen Ernährung ist das an sich auch kein Problem. Allerdings muss man da so ein bisschen auf die Proteinquelle gucken, denn Protein ist nicht gleich Protein. Da kommen wir jetzt ein Parameter ins Spiel, die sogenannte biologische Wertigkeit, mit der man die Proteinqualität beurteilt. Die biologische Wertigkeit sagt aus, wie viel das Lebensmittelproteins quasi in Körperprotein umgewandelt werden kann. Da geht es dann um die Verfügbarkeit und in den Gehalt von essentiellen Aminosäuren und Eiweiß aus tierischen Quellen, also Fleisch, Milch, Eier, hat eine sehr, sehr hohe biologische Wertigkeit. Während G3 die Proteine, vor allem zum Beispiel Weizenprotein, das Gluten, manche nehmen das als Seitan her für die Herstellung von veganem Fleischersatz, das hat nun eine sehr, sehr niedrige biologische Wertigkeit. Nur etwa ein Drittel zum Beispiel von Fleischprotein müsst also dreimal so viel G3 Proteine essen, im Vergleich zu Fleischprotein, um den Proteinbedarf zu decken. Es gibt aber auch Pflanzeneiweiß, was sehr, sehr hochwertig ist, zum Beispiel Hülsenfrüchte, Soja, Erbsen und die kann man im verarbeiteten Zustand auch als sehr gute Eiweißquelle nutzen. Vielleicht zu diesem Stichwort Proteinlücke. Wie gesagt, bei uns in den Industrienationen ist die Eiweißversorgung kein Problem, aber in vielen Ländern der Welt durchaus und speziell vor dem Hintergrund der steigenden Weltbevölkerung, die wird dann oft und auch durchaus zu Recht argumentiert, dass die Suche nach neuen Eiweißquellen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte durchaus eine ganz, ganz wichtige auch wissenschaftliche Herausforderung ist und das sind so ein bisschen ein Trend, möchte ich fast sagen, entstanden, zu Suche nach neuen, pflanzenbasierten, Eiweißreichen Lebensmitteln. Und da probiert sich eben auch jetzt das Marketing mancher Superfoods zu positionieren.
Peer Kittel: Ja, dann vielleicht umgekehrt gibt es denn überhaupt ein zu viel an Protein?
Thomas Henle: Nein, gibt nicht so lange die Nieren gut funktionieren, schadet eine Überversorgung mit Protein überhaupt nicht. Ich würde mir so sagen, dass man bestimmt 3 bis 4 Gramm pro Kilo Körpergewicht, also das 3 bis 4-Fache von dem, was es im Mindestbedarf Empfohlen wird aufnehmen kann und das ist schon eine ganze Menge und so viel Protein nimmt man mit einer normalen Ernährung und selbst mit dem ein oder anderen zusätzlich im Proteinshake eigentlich kaum auf.
Jule Wäntig: Lass uns mal ein paar vermeintliche Superfoods anschauen und etwas analysieren, bezüglich der angepriesenen Inhaltsstoffe und deren Wirkungen. Im Internet findet man ja regelrechte Hitlisten. Ich lese mal vor, was man da bei einer einfachen Google-Suche findet, zum Beispiel hier, die 10 wichtigsten Superfoods. Acai, Aronia und Goji Beeren, Acerola Kirschen, Chiasamen, Maca, Moringa, Bao- und BaoBabfrüchte, Weizengras und die Mikroalgen, Chlorella und Spirulina. Alles Mega-Zungenbrecher, sogar Gesundheitsmagazine, wie das der AOK schreiben, solche Hitlisten. Was hältst du von solchen Klassifizierungen?
Thomas Henle: Also ganz ehrlich gesagt, überhaupt nichts. Bei vielen solchen Listen unterschiedlicher Art und offensichtlich ist sich sogar die Superfoods-Zähne nicht ganz so einig, was jetzt sozusagen auf Platz 1 steht oder wer in die Top 10 gehört. Häufig werden dann auch noch Nahrungsergänzungsmittel mit aufgelistet. Viele dieser Produkte, die du gerade erwähnt hast, gibt es dann gar nicht unbedingt als frische Lebensmittel, sondern häufig vielleicht als Pülverchen oder als Nahrungsergänzungsmitteln und von daher sind diese Hitlisten eigentlich Marketing und sonst nichts.
Peer Kittel: Trotzdem müssten wir uns ein bisschen annähern. Müssen wir uns mal widmen. Vielleicht fangen wir mit den Bären und Früchten an. Beispiel wären ja hier die schon angesprochenen Acai-Beeren oder die Goji-Beeren, auch der Granat-Apfel. Neben Vitaminen und Mineralstoffen werden hier vor allem Antioxidantien angepriesen.
Thomas Henle: Acai-Beeren, die stammen von der Acai-Palme, die wächst vor allem in Brasilien, in Ecuador, Kolumbien. Und dort sind diese Palmen auch wirtschaftlich recht wichtig, einmal für die Gewinnung der Beeren und auch weil die Palmen herzen, das ist das innere, das Bindungsgewebe zwischen Stamm und Blättern, das kann man auch essen. Diese Acai-Beeren, die bestehen zu fast 50 Prozent aus Fett, die sind von der Nährstoffzusammensetzung so ein bisschen vergleichbar mit Oliven und da die Früchte recht leicht verderben, werden sie dann getrocknet und dann kann man das Pulver zum Beispiel bei uns kaufen oder auch mit Wasser gemischt als Saft. Diese Acai-Beeren, die sollen nun sehr viel Mineralstoffe enthalten, vor allem Kalzium und Mangan. Und in der Werbung sprechen die dann von der brasilianischen Wunderbeere mit unglaublichen Konzentrationen, Antioxidantien und lebenswichtigen Fettsäuren. Und so ähnliche Aussagen gibt es dann auch für die Goji-Beere. Die stammt ursprünglich aus China vom chinesischen Bocksdorn oder auch als chinesische Wolfsbeere bezeichnet. Die gehört jetzt botanisch ist vielleicht ganz interessant zu den Nachtschatten Gewächsen. Ist also mit der Kartoffel und der Tomate verwandt und die gibt es jetzt so gut zehn Jahren auch bei uns im Kulturanbau. Es sind so kleine vielleicht so ein Zentimeter lange Früchte, die kann man dann als Trockenfrüchte kaufen, auch als Gelee oder als Pulver oder auch als Kapseln. Und in der Zusammensetzung enden jetzt diese Goji-Beeren anderen Trockenfrüchten, also zum Beispiel Aprikosen oder so. Da wird dann oft behauptet, dass der Vitamin C-Gehalt besonders hoch ist, befindet dann so Angaben, zum Beispiel 50 Milligramm pro 100 Gramm Trockenfrucht. Das ist aber im Vergleich zum Beispiel zu Heidelbeeren oder zu anderen Beeren auch nicht mehr. Was also die vermeintlich besonders gesunde Zusammensetzung dieser Goji-Beeren schon damit ziemlich relativiert. Dann gibt es auch den Granatapfel. Das ist die Frucht des Granatapfelbaums. Der wächst vor allem in Asien, West- und Mittelasien, Iran, Afghanistan, Nordindien, auch im Mittelmeerraum. Und den kennt sicherlich einer oder andere nach der Blüte bildet dieser Baum so charakteristische kugelförmige Früchte. Die sind so ein halbes Kilo schwer vielleicht. Und im Inneren sind dann diese Samen, die kann man essen oder den Saft draus machen. Und hinsichtlich der Zusammensetzung sind jetzt diese Granatäpfel eigentlich relativ unspektakulär zusammengesetzt. Sie sind halt schön rot. Diese rote, diese roten Farbstoffe, die interpretiert man dann eben als wertvolle Antioxidantien. Antioxidantien sind auch Vitamin C zum Beispiel, Vitamin E. Und die haben natürlich im Körper eine bestimmte Funktion, Vitamin C und Vitamin E als Radikalfänger als Antioxidantien. Und man diskutiert dann, dass diese aus pflanzenstammenden Antioxidantien ähnliche Funktionen haben, ähnliche Funktionen im Körper ausloben möchten und damit dann unter Umständen eine Profilaxe für bestimmte Erkrankungen nach sich ziehen, die mit dem sogenannten oxidativen Stress zusammenhängen. Um es aber jetzt mal ganz pauschal und ganz ernüchternd zu sagen, es gibt bislang keine klinischen Studie, die eindeutig bestätigen Konten, dass diesen aus lebensmittelstammenden Antioxidantien, also diesen Pflanzenfarbstoffen jetzt eine echte kausale Rolle zur Vermeidung von irgendwelchen Erkrankungen zugewiesen werden könnte. Es gilt vor allen Dingen für diese vermeintlich oft postulierte entzündungshemmende Wirkung von Antioxidantien. Da gibt es keinerlei wissenschaftliche Belegung und tatsächlich hat sogar die Europäische Behörde für Lebensmittel Sicherheit verschiedene gesundheitsbezogenen Aussagen überprüft, gerade die, die für Goji Beeren und für den Granatapfel beantragt wurden. Und dann hat die EFSA ganz ernüchtert festgestellt, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen irgendwelchen positiven gesundheitlichen Wirkungen und Aufnahme dieser Lebensmittel gibt. Die Hersteller dürfen also nicht mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben.
Jule Wäntig: Die nächste Gruppe werden so exotische Samen wie Chiasamen oder Quinoa. Steht beides bei mir im Vorratsschrank.
Thomas Henle: Ja, hier ist eine einjährige krautige Sommerpflanze, sagt man aus der Familie der Lippenblütler. Die Samen der Pflanze, die stammen ursprünglich aus Mexiko, die gibt es mittlerweile in ganz vielen Ländern, Lateinamerikas. Die kann man roh oder getrocknet verzehren oder auch Getränken zusetzen. Diese Chiasamen, die bestehen zu 20 Prozent aus Proteinen, 30 Prozent Fett, relativ viel Kohlenhydraten, relativ viel Ballaststoffen. Und die sind nun bekannt dafür, dass sie aufgrund ihrer hohen Quellfähigkeit sehr viel Wasser binden, also sehr, das Lebensmittel sehr verdicken. Und es macht sich ganz interessant als Grundlage für so vegane Lebensmittel, für vegane Puddings, für dickflüssige Smoothies. Man kann ja auch was einsetzen als Ei oder Fettersatz beim Backen oder so. Interessant ist jetzt vielleicht, dass diese Chiasamen früher in Europa ja nicht konsumiert wurden und damit ein sogenanntes Novel Food, ein neuartiges Lebensmittel sind. Sie mussten dann eine entsprechende Zulassung durchlaufen als neuartiges Lebensmittel. Und die EFSA wiederum, die europäische Behörde für Lebensmittel Sicherheit, die hat dann vor gut 10 Jahren festgestellt, dass es maximal Mengen gibt, die man von diesen Chiasamen essen soll. Und zwar sollen diese Chiasamen maximal zu 10% in einer Backware oder in einer Müslimischung drin sein. Wenn man sie einzeln verkauft, dann müssen sie sogar den Hinweis tragen, dass man nicht mehr als 15 Gramm von denen essen soll. Das heißt, die EFSA versucht da vor dem Hintergrund des vorbeugenden Verbraucherschutzes eben zu vermeiden, dass man sich zu viel von diesen Ballaststoffen, von diesen Dickungsmitteln aufnimmt und umständen dann gewisse Verdauungsprobleme bekommt. Man könnte jetzt eine ähnliche Menge an Ballaststoffen auch problemlos, z.B. mit Leinsamen oder Weizenklargereichen. Das gilt jetzt auch für Quinoa, um das abschließend zu diskutieren. Das ist ein sogenanntes Pseudogetreide. Das stammt ebenfalls aus Südamerika. Vor allen Dingen Peru, Bolivien, Ecuador hat dann auch die Bezeichnung Inkaweizen. Man hört mal das. Die Samen kann man jetzt gekocht essen, z.B. so wie Reis oder auch das Zutat zum Müsli nutzen. Dieses Quinoa hat tatsächlich ein relativ hochwertiges Protein, hat kein Gluten, kann also für die Herstellung glutenfreie Lebensmittel genutzt werden. Wer also jetzt tatsächlich eine Alternative vielleicht für den Weizen in bestimmten Backwarmen, ist damit auch eine interessante Proteinquelle bei einer veganen Ernährung. Ein Superfood ist es aber trotzdem nicht. Es kann eine interessante Zutat sein, aber definitiv kein Ersatz für die normalen Getreide oder als Grundnahrungsmittel.
Jule Wäntig: Jetzt gibt es da auch ganz viele Gräser, die einen Superfood sein sollen. Weizengras und Gerstengras habe ich jetzt erst gesehen. Das sind jetzt einheimische Pflanzen, aber warum ist sich denn jetzt nicht nur die Getreidekörner, sondern auch den Rest mit?
Thomas Henle: Ja, das frag ich mich Auch immer, warum man Gräser essen soll, sozusagen ins Gras beißen möchte. Man kann mit Gras auch was anderes machen. Seit einer Zeit darf man Gras auch rauchen. Das ist vielleicht eine interessante andere Applikation, über die wir diskutieren können. Aber mal ganz konkret, hier werden jetzt die noch grünen Gräser der Pflanze, also von Weizen oder Gäste, geerntet, bevor sie die Ehren ausbilden und dann getrocknet. Und die so hergestellte Pulver, Weizengraspulver oder Gerstengraspulver, es wird dann als Nahrungsergänzungsmittel verwendet. Da kann man auch gleich mal die Moringa-Pflanze nennen. Das ist ein traditionelles Lebensmittel im Nahen Ost, in Afrika, Asien. Auch dann nutzt man die getrockneten Blätter als Nahrungsergänzungsmittel. Diese Pülverchen werden dann angepriesen, als besonders Eisen, Vitamin C, zinkreich, auch mit viel Kalzium und so weiter. Aber auch hier, muss man wieder ganz klar sagen, sind die Gehalte keineswegs so viel höher im Vergleich zu anderen Quellen, als dass sie als gute Supplementierung sich eignen würden.
Jule Wäntig: Und wie ist das mit Algen? Im Drogeriemarkt gibt es schon ewig so Spirulina-Algenpulver. Hältst du das für sinnvoll?
Thomas Henle: Also Spirulina ist eigentlich keine Alge, sondern ein Bakterium, und zwar aus der Gattung der Cyanobakterien. Die hat man früher als Blaualgen bezeichnet und die Bezeichnung Alge, das hat sich gehalten bis heute wahrscheinlich, weil es marketingtechnisch auch besser ist, von Mikroalgen oder Süßwasseralgen zu sprechen, als von blau-grünen Bakterien. Man kann Spirulina in Tanks ganz gut züchten und nach der Ernte dann trocknen und dann als entsprechendes grünes Pulver zur Nahrungsergänzung oder so anbieten. Spirulina wird beworben als sehr Eiweißreiches Lebensmittel. Manche sprechen sogar vom Eiweißreichsten Lebensmüll überhaupt. Spirulina soll zudem den hohen Gehalt an Vitaminen und an sekundären Pflanzenstoffen enthalten. Sogar das Chlorophyll wird da dann angepriesen als besonders gesundheitsfördernd. Diese Substanzen sollen dann für alle möglichen positiven Wirkungen verantwortlich sein, Alterungsprozesse hemmen, das Immunsystem stärken, vor Infektionen, sogar vor Krebs schützen und so weiter. Und Fakt ist auch hier jetzt wieder, das sind alles Anpreisungen in einer pseudo-wissenschaftlichen Grauzone. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Publikationen, die sich mit Spirulina und Inhaltsstoffen beschäftigen, es gibt aber bislang keine wirklich wissenschaftlich belastbaren Aussagen für eine Wirksamkeit bei Menschen. Insgesamt ist die Studienlage also völlig unzureichend, insbesondere für solche Aussagen wie Immunstimulierend oder so. Und hier gibt es auch eine eindeutige Stellungnahme der EFSA, die ist von 2010. Und nach da sagt die EFSA, dass sie keinen ursächlichen Zusammenhang jetzt zwischen Spirulina und zum Beispiel dem erhalt des normalen Blutglukose-Spiegels messen oder nachweisen konnte. Also entsprechende Werbeaussagen, die sich jetzt irgendwie auf eine gesundheitsbezogene Wirkung beziehen, sind also nicht zulässig und trotzdem findet man dann leider häufig solche Aussagen. Und das gilt auch für das Vitamin B12. Und wie sagt man, Spirulina ist besonders Vitamin B12-reich und damit vielleicht für Veganerinnen und Veganer geeignet. Das ist auch falsch aus wissenschaftlicher Sicht. Spirulina hat zwar Vitamin B12, aber in einer vom Körper schlecht nutzbaren Form ist also nicht bio verfügbar und insofern taugt dann Spirulina auch nicht als Vitamin B12 Quelle. Was vielleicht ganz interessant ist im Zusammenhang mit Spirulina und was tatsächlich auch in der Zukunft interessant sein könnte, ist der interessante Proteingehalt. Spirulina hat relativ viel Protein bezogen auf die Trockenmaße, so rund 60 Prozent, was als Nahrungsergänzung völlig irrelevant ist. Man müsste 10 Tabletten nehmen, dann hat man vielleicht 4-5 Gramm oder so. Das entspricht dann von mir aus einem Esslöffel Magerquark oder 100 Milliliter Milch oder so. Kann aber vielleicht in der Zukunft als Proteinquelle interessant sein zur Nahrungsversorgung dann auch tatsächlich beitragen. Da muss man aber, soweit ich jetzt zumindest wissenschaftlich beurteilen kann, vor allem die Effizienz der Kultivierung noch verbessern. Man muss die Kultivierung der Bakterien dann auch für die Ernte und so weiter optimieren. Auch die Trocknung muss optimiert werden. Der Energieaufwand, den man braucht für die Zucht und für die Trockenheit, das ist noch relativ viel, was man aus wissenschaftlicher Sicht entwickeln muss, kann aber vielleicht in der Zukunft die Gewinnung dieses Bakterien oder Spirulina-Algenproteins ganz interessant sein, hinsichtlich einer weiteren Alternative für tierische oder auch pflanzliche Proteine.
Peer Kittel: Jetzt hast du es gerade im Hinblick auf die Spirulina schon angedeutet. Beziehen wir uns noch mal auf die Superfoods, die offensichtlich dann doch in aller Erster Linien Marketingbegriff sind. Und es wird ja da dann auch entsprechend beworben, nämlich insbesondere mit ganz tollen und hohen Nährstoffangaben. Ist das denn zulässig? Also darf man dann einfach drauf schreiben, reich an Protein, reich an Vitamin. Da gibt es doch bestimmt auch Lebensmittelrechtliche Regelungen.
Thomas Henle: Das ist Lebensmittelrechtlich sogar ganz genau geregelt. Per und zwar gibt es eine EU-Verordnung, die hat die Nummer 1924/ 2006. Das ist die Verordnung über Nährwert und gesundheitsbezogene Angaben in Lebensmitteln. Und diese Verordnung, die heißt umgangssprachlich auch Health Claims Verordnung. Ein Health Claim ist auf Deutsch eine Gesundheitsbehauptung. Da gibt es zum verschiedenen solcher Claims, die in dieser Verordnung genau geregelt sind. Und da steht dann ganz genau drin, was erfüllt sein muss, damit man diese Aussage auf Lebensmittel drauf schreiben darf. Also zum Beispiel Proteinreich, reich an Vitamin C oder so. Wenn er so das drauf steht, dann muss ihm eine ganz bestimmte Menge Protein, eine ganz bestimmte Menge Vitamin C im Lebensmittel drin sein und dann dürfen die Hersteller so was drauf schreiben. Hinweise auf bestimmte andere Inhaltsstoffe, zum Beispiel in hohem Chlorophylle, die sind durchaus zulässig. Man darf aber dann nicht assoziieren, dass mit diesem Chlorophylle Gehalt vielleicht irgendwelche gesundheitsbezogene Aspekte verbunden sind.
Peer Kittel: Wie ist das mit konkreten Hinweisen auf die Vermeidung von Krankheiten oder eben positiven Einflüssen auf die Gesundheit? Also dürfte man jetzt drauf schreiben, stärkt das Immunsystem oder senkt den Cholesterinspiegel?
Thomas Henle: Ja, auch das ist dann ganz genau geregelt in dieser Health Claims Verordnung. Das werden dann sogenannte Risikoverminderungsclaims, Risk Reduction Claims, nenne die das professionell. So was wie zum Beispiel stärkt die Abwehrkräfte oder so. Und von diesen Claims sind in der Tat nur ganz, ganz wenige erlaubt. Und die sind nur dann erlaubt, wenn das betreffende Lebensmittel ein sehr, sehr aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen hat. Da müssen die Hersteller ganz umfangreiche Studien vorlegen, auch beweisen, dass ihr Claim, also zum Beispiel senkt den Cholesterinspiegel, auch wirklich wissenschaftlich fundiert ist, dass die Wirkung beim Menschen auch dokumentiert ist und vor allem, dass man auch normale Mengen des Lebensmittels braucht, um diese Wirkung zu verursachen. Also um es kurz zu machen, für kein einziges der vermeintlichen Superfoods ist bislang ein Health Claim zugelassen. Und Werbeaussagen wie zum Beispiel Spirulina, stärkt das Immunsystem, sind damit eigentlich nicht zugelassen.
Jule Wäntig: In der Werbung werden ja immer nur die Vorteile von diesen jetzt angeblich, wie du gemeint hast, Superfoods genannt. Ich lasse mich von genau dieser aber dann doch immer mal beeinflussen und wenn ich es im Supermarkt sehe, will ich es wenigstens mal ausprobieren. Gibt es denn Risiken oder andere Nachteile, die mit Superfoods verbunden sind?
Thomas Henle: Also ich finde es auch gut, dass man das ausprobiert, ganz ehrlich. Also es ist ja gegen die Superfoods an sich, es ja nichts anzuwenden und man kann es ja auch einfach um sein, sagen wir kulinarischen Horizont zu erweitern, immer durchaus mal ausprobieren. Das Problem ist nur, dass viele dieser Superfoods von recht weit herkommen und damit ist es aus Lebensmittelchemischer Sicht immer die Frage auch nach der Qualität der Produkte, nach den geltenden Regelungen des Anbaus in den betreffenden Ländern, nach dem Transport, nach einer möglichen Belastung mit Pestiziden, Schwermetallen und so weiter, dem Energieaufwand, den man braucht, um die Produkte über so weite Strecken herzubringen. Also die Frage der Nachhaltigkeit ist meines Erachtens hier durchaus auch immer relevant, also rechtfertigt der Import dieser Lebensmittel, den hohen Aufwand und Energie an CO2 und so weiter. Und dann gibt es noch ein Problem, was offensichtlich durchaus relevant werden könnte, gerade auch in der nächsten Zeit und zwar die hohe Nachfrage nach bestimmten Superfoods in den Produktionsländern mittlerweile gewisse Probleme nach sich gezogen. Also zum Beispiel die Rodung von Wäldern, um dann entsprechende Produktionen aufzubauen. Es ist beispielsweise bei Quinoa schon so, dass der, sagen wir, der Hype, um dieses exotische Lebensmittel dazu führt, dass aufgrund der hohen Nachfrage für den Export die Versorgung mit diesem Lebensmittel in den originären Anbau Ländern in Gefahr gerät. Und das ist natürlich dann eine sehr, sehr problematische Situation, wenn sozusagen sich die Industrienationen, die vermeintlichen Superfoods, die eigentlich Grundnahrungsmittel in bestimmten Ländern darstellen, so rein aus Luxus-Sicht, wenn ich mir so sagen darf, kaufen. Ja, und das ist natürlich noch ein Risiko, hinsichtlich der Zunahmen Allergien möglicherweise zu diskutieren. Neue Lebensmittel, die wir bisher nie in großem Umfang gegessen haben, sind immer eine potenzielle Quelle für mögliche Allergien.
Jule Wäntig: Als Studentin muss ich sagen, dass auch der hohe Preis ganz schön abschreckend ist. Immer gibt es dann auch einheimischer Lebensmittel, die als Alternativen zu diesen ganzen exotischen Superfoods gelten. Hier gibt es ja auch ganz viele Beeren, Samen und Nüsse.
Thomas Henle: Ja, absolut. Wir können uns problemlos durch unsere langen bekannten Lebensmittel ausgewogen und gesund ernähren. Ich möchte es wirklich hier nicht falsch verstanden werden. Ich will nicht davon abraten, diese neuen Lebensmittel zu essen. Man kann aber tatsächlich, wenn man jetzt unbedingt, aus welchem Grün auch immer, mehr Vitamine und Mineralstoffe aufnehmen möchte, dann problemlos, sagen wir, alltägliche, lange bekannte Produkte essen. Viel Vitamine ist zum Beispiel in Zitrusfrüchten, in Paprika, in Sanddornsaft, viel Eisen ist, also in Fleisch, auch in Nüssen. Wenn man jetzt unbedingt das Gefühl haben will, sich mit Antioxidantien was Gutes zu tun, dann kann man statt exotischer Goji oder Acai-Beeren auch Heidelbeeren oder Johannes-Beeren oder Trauben essen. Statt Chiasamen kann man Leinsamen nehmen, statt Quinoa auch Weizen oder Rocken, Vollkornmehl allgemein. Auch Harfe oder Hirse, die haben eben auch viele Ballaststoffe und die sind halt vor allen Dingen auch deutlich günstiger. Und umsetzend nochmal bezogen auf die Nahrungsergänzungsmittel ganz generell festzuhalten, außer vielleicht bei einer veganen Ernährung und einem erwiesenen Vitamin D-Mangel sind Nahrungsergänzungsmittel bei einer einigermaßen ausgewogen Ernährung komplett überflüssig Rausgeschmissenes Geld.
Peer Kittel: Dann vermeiden wir vielleicht mal, das Wort Superfoods, aber wenn du jetzt zwei Lebensmittel nennen müsstest, die du bezüglich der Zusammensetzung als besonders wertvoll bezeichnen würdest, was wären die denn?
Thomas Henle: Also von den tierischen Lebensmitteln wäre das aus meiner Sicht immer Milchprodukte, sowas wie Quark oder Joghurt möglichst ungesüßt und dann eben in Mischung mit irgendwelchen Früchten. Und von den pflanzlichen Lebensmitteln ist mein persönliches Superfoot, Jule, da wirst du zustimmen, die Kartoffel. Manche kennen vielleicht das Buch der Marsianer und der Held hat sich da ja nun auf dem Mars gestrandet, jahrelang von Kartoffeln ernährt und das ist aus Lebensmittel chemisch durchaus ganz realistisch. Also in Kombination zum Beispiel Pellkartoffeln mit Quark, das wär jetzt sozusagen mein persönliches Superessen.
Jule Wäntig: Ich hab von Anfang an gesagt, dass die Kartoffel in all ihren Ausführungen einfach das Beste und das eigentlich wichtigste Lebensmittel ist.
Peer Kittel: Ja, wobei dann muss ich jetzt doch nochmal nach dem Harzer Käse fragen, wie ist das?
Thomas Henle: Ja, jetzt sagen wir mal, ob es ein Superfood ist, ist auch immer Geschmackssache und Geruchssache, würde ich mir so sagen, aber ist bestimmt auch lecker.
Peer Kittel: Ja, dabei bleibe ich auch. Lieber Thomas, liebe Jule, hab vielen Dank. Auch heute wieder für das super spannende Gespräch. Ja, hinter dem Begriff Superfoods steckt also vor allem eine ausgetüftelte Marketingstrategie, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht unbedingt so super ist. Viele einheimische Produkte liefern die gleichen Nährstoffe. Es kommt deshalb wie immer vor allem auf die Ausgewogenheit der Ernährung an. Wenn Superfoods einem ein gutes Lebensgefühl vermitteln, kann man sie durchaus genießen, aber immer mit dem Wissen, dass diese Produkte nicht exklusiv mit Gesundheit verbunden sind. Ja, ich würde sagen, wir gehen jetzt erst mal in die Mensa. Vielleicht gibt es da ja heute Quark mit Kartoffeln. Ich glaube, der Harzer steht da nicht auf dem Menüplan, aber das will ich auch mal durchgehen lassen. Ja, wenn Sie unseren Podcast super finden, dann hören Sie gerne auch unsere weiteren Folgen. Foodfacts gibt es immer am 24. des Monats auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt. Wenn Sie Themenwünsche rund um Lebensmittel und Lebensmittelchemie oder auch Ernährung haben, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an lebensmittelchemie.podcast@tu-dresden.de. Das war Foodfacts, der Lebensmittelchemie Podcast der TU Dresden. Bis zum nächsten Mal.
Outro Musik
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Vegane Ernährung und Nährstoffmangel
Weikertz, C. et al., Dtsch. Arztebl. Int. 2020, 117, 575-582
Folge 4: Honig, das flüssige Gold - aber was steckt wirklich drin?
Ob aufs Brot, zum Backen oder als Hausmittel bei Erkältungen - rund ein Kilogramm Speisehonig konsumieren die Deutschen durchschnittlich pro Jahr. Das flüssige Gold ist nicht nur lecker, sondern ihm wird seit jeher auch eine medizinische Wirkung nachgesagt. In Folge 4 unseres Lebensmittelchemie-Podcasts klären wir mit dem Experten Prof. Thomas Henle, welche Stoffe im Honig enthalten sind, wie Herstellung und Vermarktung geregelt sind und ob das Naturprodukt wirklich heilende Kräfte besitzt. Außerdem erfahren wir mehr über den berühmten Manuka-Honig, zu dem das Team von Thomas Henle bereits seit mehreren Jahrzehnten intensiv an der TU Dresden forscht.
Intro Musik
Peer Kittel: Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. In unserer heutigen Folge sprechen wir über ein ganz besonderes Naturprodukt, den Honig.
Intro Musik
Peer Kittel: Wie Sie vielleicht aus der Presse erfahren haben, hat sich die EU Anfang des Jahres auf Kennzeichnungspflichten für Honig geeinigt, so konnten Hersteller bisher die wahre Herkunft von Honig hinter nichts sagenden Angaben verschleiern, womit nun Schluss sein soll. Die bloße Angabe, ob das Produkt aus der EU stammt, reicht damit nicht mehr aus. Künftig muss die genaue Herkunft angegeben werden. Zum Hintergrund dieser Kennzeichnungspflicht, aber auch zum Thema Honig ganz allgemein, sowie auch zu besonderen Honigsorten wie den begehrten Manuka Honig, sprechen wir heute mit unserem Experten Thomas Henle von der TU Dresden. Wir, das sind wie immer Studentin Jule Wäntig und ich, Peer Kittel, Dezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften. Insofern, ihr kennt das schon. Hallo Thomas, hallo Jule.
Thomas Henle: Hallo Peer, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo!
Peer Kittel: Thomas, starten wir mal ganz einfach. Vielleicht kannst du uns zunächst erklären, was Honig ist und ja, wie er entsteht.
Thomas Henle: Ja, Honig ist ein tierisches Lebensmittel. Honig wird von der Honigbiene, der heißt auf lateinisch Apis mellifera erzeugt. Und die Bienen, die produzieren in Honig für sich selbst als Futter beziehungsweise zur Nahrungsvorsorge und dazu sammeln sie den Nektar von Pflanzenblüten ein. Der Nektar wiederum ist ein in den Blüten produziertes Sekrete, das jede Menge Zucker, Glucose, Fruktose, Sacharose enthält und eben auch Mineralstoffe Finole, vor allem auch Duftstoffe von diesen Duftstoffen und genauso auch von der Farbe der Blüten werden die Bienen angelockt und saugen dann den Nektar aus den Blüten auf. Nebenbei sammeln sie auch die Blütenpollen ein, transportieren die zu den anderen Blüten und tragen sie zur Bestäubung und zur Ausbreitung der Pflanzen bei. Das ist eine ganz klassische Symbiose. Es gibt eine zweite Quelle für den Honig. Das ist neben dem Nektar, der sogenannte Honigtau. Der Honigtau wiederum ist ein Ausscheidungsprodukt von anderen Insekten, zum Beispiel von Blattläusen oder Flöhen, die auf den Blättern von Pflanzen leben. Dort die Blätter anstechen, die Flüssigkeit aussaugen und dann als sogenannten Honigtau wieder ausscheiden. Es kennt vielleicht manche von Autos, die im Sommer unter zum Beispiel Ahornbäumen oder Lindenbäumen stehen, die stark von Blattläusen besiedelt sind und da hat man dann nach ein paar Stunden auf den Autos so einen klebrigen Überzug. Und das ist eben ganz genau dieser Honigtau. So der Nektar bzw. der Honigtau, der wird jetzt von den Arbeiterbienen im Bauch abgespeichert, in der sogenannten Honigblase und zurück in den Bienenstock gebracht. Interessant ist das, da die Bienen bereits dem Honig bestimmte Stoffe Sekrete zusetzen. Man sagt aus chemischer Sicht Enzyme, genauer gesagt Glucosidasen, die die Zucker aufspalten, zum Beispiel aus der Sacharose, dann die einfach Zucker Glucose und Fruktose produzieren. Es entsteht also quasi in der Biene bereits so eine Art vorverdauter Nektar. Wenn die Bienen dann zurück sind im Bienenstock, dann müssen sie diesen Nektar wieder ausscheiden und ganz wichtig eindicken, also zähflüssiger machen, den Wassergehalt reduzieren, um ihr Futter quasi haltbar zu machen. Jetzt macht die Bienen zunächst selber, indem sie den Nektar tropfen über ihren Rüssel ausscheidet und wieder aufnimmt und diesen Prozess so mehrfach wiederholt. Dabei wird dann der Nektar gewissermaßen vorgetrocknet auf so Wassergehalte von so 30 bis 40 Prozent, das ist dann schon recht zähflüssig. Und die zweite Trocknung, die passiert dann im Bienenstock, da wird dann der in die Waben gefüllte eingedickte Nektar durch die Bienen, durch das Fächeln mit ihren Flügeln endgetrocknet. Die tun sich also quasi zusammen, erzeugen so eine Art Staubsauger oder Trocknungsmaschineneffekt und trocknen den Honig dann auf Wassergehalte von unter 20 Prozent, der dann letztlich auf die Art und Weise mehr oder weniger unbegrenzt haltbar ist. Wenn der Honig dann trocken ist, dann werden die Waben mit Wachs überzogen. Da sagt man in der Imker-Reihe dazu, die Waben werden verdeckelt, das ist das Zeichen dafür, dass der Prozess abgeschlossen ist und dann kann der Imker oder die Imkerin den Honig gewinnen, indem sie ihn aus den Waben heraus schleudert mit so einer Art Zentrifuge oder Honigschleuder, so bei maximal 35 bis 40 Grad, wo der Honig so ein bisschen flüssiger wird, dann werden die festen Bestandteile abgetrennt, zum Beispiel Wachs oder so, und dann wird der Honig eigentlich fertig.
Peer Kittel: Und wie sieht das jetzt chemisch aus? Welche Bestandteile sind denn da drin?
Thomas Henle: Also Honig ist zunächst mal Zucker, und zwar auf einigen Glucose, also der Traubenzucker und die Fructose, das ist der Fruchtzucker, die machen zusammen so 70 bis 75 Prozent des Honigs aus, die beiden kommen so ganz grob im Verhältnis eins zu eins vor, man weiß, dass mancher Honig eher flüssig ist, manche kristallisieren und dieses kristallisieren oder flüssig sein, das hängt ab vom Verhältnis der beiden Zucker, wenn da so mehr Fructose drin ist, also mehr Fruchtzucker, dann ist der Honig eher flüssig und umgekehrt, wenn der Glucose höher ist, dann wird er eher kristallin sein und zu diesem vielen Zucker kommen da noch ein paar andere Bestandteile vor allen Dingen Wasser, so etwa ein Fünftel, also 20 Prozent des Honigs ist Wasser, ja und dann bleiben doch so drei für fünf Prozent und das sind dann Inhaltsstoffe, wie zum Beispiel Proteine, Enzyme aus den Bienen, freie Aminosäure, Mineralstoffe, Vitamine, Polyphenole, ist alles möglich an Minorkomponenten, die jetzt den Honig zu einem interessanten Naturprodukt machen und aus chemischer Sicht auch sehr sehr interessant. Allerdings zu Aussagen, wie Honig enthält wertvolle Spurenelemente und Vitamine oder so, die sind aus Ernährungsphysiologischer Sicht sich völlig übertrieben, denn mit dem, was im Honig drin ist an zum Beispiel Vitaminen oder Mineralstoffen, würde man definitiv keinen maßgeblichen Beitrag zum Zufuhr dieser essenziellen Natur, diese essenziellen Nährstoffe leisten, dann müssen wir, ich habe es nicht ausgerechnet, aber wahrscheinlich kilowiese Honigessen und tatsächlich jetzt für die Vitaminversorgung irgendwie wir es beizutragen.
Jule Wäntig: Wann haben die Menschen gemerkt, dass dieser Honig lecker ist und dass man den von den Bienen gewinnen kann?
Thomas Henle: Das haben die gemerkt, wahrscheinlich so etwa vor ungefähr 10, 12.000 Jahren, es gibt sehr hübsche Höhlenmalereien in Spanien, in denen man einen sogenannten Honigjäger sieht, wie er bezeichnet wird, so eine Gestalt, die einen Baum hoch klettert und da aus einem Wildbienennest den Honig rausholt, tatsächlich gezielt hergestellter Honig oder sagen wir besser unter der Nutzung von Hausbienen, so kann man es vielleicht sagen, das begann so vor vielleicht 8.000 bis 9.000 Jahren, das war in der Gegend der heutigen Türkei, das war so mit der Sesshaft Werdung des Menschen, hat man dann auch Hausbienen gehalten gewissermaßen. Ja, dann kann man ins Ägypten 3000 vor Christi gehen, da hat man Honig als Grabbeigabe genutzt, als Göttergeschenk gewissermaßen, ja und dann gibt es Berichte aus der antike Hippokrates 400 vor Christi Geburt, soll Rezepte für Honigmedizin entwickelt haben, also Honig wird sehr, sehr lange gewissermaßen in der Menschheitsgeschichte verwendet. Wenn man bei der Gelegenheit vielleicht jetzt in die heutige Zeit zurückspringt und man überlegt, dass Honig heute tatsächlich jetzt ein Massenprodukt ist, es werden weltweit rund 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr produziert auf der ganzen Welt, am allermeisten so grob ein Viertel davon in China, rund 500.000 Tonnen, der zweitgrößte Hersteller ist die Türkei und Deutschland ist dann in der Rangliste der Hersteller eigentlich relativ weit unten, bei uns wären so rund 30.000 Tonnen, das ändert sich von Jahr zu Jahr so ein bisschen produziert, allerdings sind die Deutschen, was den Honigkonsum anbelangt ganz weit vorne, im Schnitt ist jeder Deutsche, jede Deutsche rund 1 Kilo Speisehonig pro Jahr und um diesen Honigbedarf zu decken, muss Deutschland ganz viel Honig importieren, so etwa 2 Drittel des Honigs, der bei uns gegessen wird, die wird tatsächlich dann importiert.
Peer Kittel: Neben der geschichtlichen Einordnung sind wir auch immer dran, dann das Thema Lebensmittel Recht in den Blick zu nehmen. Insofern, welche Aspekte gibt es denn da? Gibt es spezielle Vorgaben für Honig?
Thomas Henle: Ja, da gibt es absolut, da gibt es super spezielle Vorgaben. Honig gehört so zu den am besten geregelten Lebensmitteln überhaupt. Honig ist ja das per Definition Naturprodukt und entsprechend gibt es eine EU-weit gültige Honigverordnung, da gibt es eine Richtlinie, die hat die Nummer 2001 schrägstrich 110 EG und diese Honigverordnung regelt nun alles mögliche, die regelt die Honig-Gewinnung, die Anforderungen an die Honig- Beschaffenheit, ganz vor allen Dingen natürlich regelt es, wie man garantieren kann, dass der Honig Natur belassen bleibt, man darf also dem Honig nichts zusetzen, man darf zum Beispiel keine Konservierungsstoffe oder keine Aromastoffe rein machen, man darf auch nichts entziehen, um den Honig auf die Art und Weiße vielleicht in der Zusammensetzung zu verändern. Das einzige, was man darf, ist filtrieren, aber auch das muss man dann hinterher angeben. Aus chemischer Sicht ist ganz spannend, dass es da auch definierte Vorgaben gibt, vor allen Dingen für den Wassergehalt. Der Wassergehalt darf maximal 20 Prozent sein, da gibt es eine Ausnahme beim Heide-Honig, da dürfen es 23 Prozent sein, denn das regelt die Haltbarkeit, denn wenn der Honig maximal 20 Prozent Wasser hat, können praktisch keine Bakterien, keine Hefen mehr wachsen, wenn es mehr wären, dann besteht die Gefahr der Gehrung, insofern regelt man hier den Wassergehalt ganz streng und ganz streng ist die Wärmebehandlung geregelt. Also Honig darf nicht Wärme behandelt werden, da gibt es analytische Parameter, die sogenannte Diastase-Zahl, das ist ein Enzymen, was im Honig drin ist, was sehr leicht dann durch die Erhitzung inaktiviert wird und es gibt eine analytische Größe, den sogenannten HMF-Wert, Hydroxymethyfurfural heißt es, das ist eine Verbindung, die entsteht beim Erhitzen aus der Gluckhose oder aus der Fructose und auch die darf nur zu einem bestimmten Gehalt, maximal 40 Milligramm pro Kilogramm drin sein. Wenn diese Werte jetzt nicht eingehalten werden, dann ist es ein Hinweis darauf, dass der Honig erhitzt wurde und dann ist er, man sagt, nicht mehr verkehrsfähig, aber nicht mehr als Speisehonig verkauft werden.
Peer Kittel: Ja, vielleicht nehmen wir an der Stelle dann noch mal die Eingangsfrage auch in den Blick. Was hast du denn von der neuen Kennzeichnungspflicht für Honig zu den Herkunftsländern?
Thomas Henle: Also tatsächlich hat sich das ja geändert, weil wird sich jetzt in der nächsten Zeit ändern. Bislang war das in der Tat etwas diffus geregelt, man hatte bisher das Ursprungsland zwar angeben müssen, allerdings wenn es nur ein Ursprungsland war, dann musste man dieses Land auch benennen. Wenn es mehrere Ursprungsländer waren, dann gab es so Regelungen wie Mischung von Honig aus EU-Ländern oder Mischung von Honig aus EU-Ländern und nicht EU-Ländern. Das heißt, der Verbraucher, die Verbraucherin wusste dann nicht mehr, aus welchem Land es ist und das ist dann schon auch etwas, ich sage mal, relevant vielleicht, wenn man überlegt, worum möchte ich meinen Honig herhaben, auch so vor Hintergrund der Nachhaltigkeit oder irgendwie so, wirst vielleicht schon ganz gut zu wissen, ob diese Mischung aus EU-Ländern und nicht EU-Ländern dann bedeutet, dass 95 Prozent z.B. aus China sind oder so. Tatsächlich muss jetzt künftig dann dieses Herkunftsland deutlich erkennbar angegeben werden und es muss auch angegeben werden, wie hoch der prozentuale Anteil des betreffenden Landes ist. Das ist natürlich wieder so ein gewisser Regelungs- und auch Analytik-Prozess vielleicht, der dann dahintersteckt, aber ich denke schon, dass es den Verbrauchern und Verbrauchern dann eine recht interessante Zusatzinformation gibt, wenn man eben sich überlegt, dass man Honig eben aus bestimmten Ländern vielleicht doch bewusst dann eben deutschen Honig kaufen möchte.
Jule Wäntig: Der Garten meiner Eltern liegt an einer Lindenallee und der Benachbarte Imker verkauft Lindenblüten Honig. Nun habe ich schon öfter die Bienen auch an unseren normalen Blumen erwischt. Ist es dann überhaupt noch Lindenblüten Honig, wenn unsere regulären Blumen damit reingemischt werden?
Thomas Henle: Ja, sag ich mal, wenn der Honig überwiegend aus Lindenblüten Honig besteht, das ist tatsächlich jetzt die Formulierung in der Honigverordnung, da steht drin, dass ein sogenannter Sorten Honig, also ein Honig, bei dem die Tracht, wie man sagt, ausgelobt wird, also zum Beispiel Lindenblüten Honig, Akazien Honig oder so, die dürfen sich so bezeichnen, wenn laut Honigverordnung der Honig vollständig oder überwiegend aus der betreffenden Tracht stand. Überwiegend heißt da mindestens 60 Prozent. Das ist analytisch durchaus nicht einfach, denn in der Tat ist kein Honig 100 Prozent aus einer Tracht, da kommt immer noch ein bisschen was anderes mit rein. Analytisch wird es erfasst durch die sogenannte Melissopalynology. Das ist eine mikroskopische Untersuchung des Honigs und eine Analyse der Pollen und da kann man dann die Pollen tatsächlich identifizieren, auch auszählen und so dann in etwa abschätzen, welche Pflanzen zu welchem Anteil da mit in den Honig hinein gekommen sind. Es geht aber nur bei ungefilterten Honig und man braucht da sehr, sehr viel Erfahrung, also das können ja nur relativ wenig Leute. Tatsächlich kommen aber auch nur zu Aspekte wie Geschmack und Aroma dazu, die dann auch charakteristisch sein müssen oder charakteristisch vorhanden sein müssen, damit man den Honig tatsächlich dann als Sortenhonig bezeichnet.
Jule Wäntig: Honig ist ja auch ein beliebtes Hausmittel und auch ich habe, wenn ich krank war, abends mal eine heiße Milch mit Honig bekommen. Ob das jetzt wirklich geholfen hat, kann ich nicht mehr so sagen, aber was sagst du als Experte denn dazu?
Thomas Henle: Also wenn es geholfen hat, ist es ja zunächst einmal gut. Viele dieser Hausmittel beruhen natürlich dann auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte Überlieferung, ob tatsächlich jetzt ein wissenschaftlicher Nachweis dahinter steckt, das ist immer sehr, sehr umstritten und das ist auch beim Honig so. Es gibt in der Tat jetzt wissenschaftliche Belege, dass Honig antibakterielle Bestandteile enthält. Das weiß man seit den 1930er Jahren. Da hat man dann den Begriff der sogenannten Inhibine geprägt, wobei Inhibine jetzt nicht von der Biene kommt, also nicht mit E geschrieben, sondern von Inhibitor, also von Hemmstoff und zwar hatte man da erkannt, dass Honig ein bestimmtes Enzym enthält, die sogenannte Glucose-Oxidase, die stammt von der Biene und diese Glucose-Oxidase, die bildet, wenn man den Honig verdünnt, mit Wasser, Wasserstoffperoxid, das kennt der ein oder andere immer als Desinfektionsmittel oder auch vom Haare bleichen, ja und dieses Wasserstoffperoxid hat tatsächlich jetzt eine Wirkung gegen Bakterien, die hemmt also, bzw. hemmt bestimmte Bakterien. Gleichzeitig hat Honig einen osmotischen Effekt, das heißt durch den charakteristischen Wassergehalt kommt es noch dazu zu einer Unterdrückung des Bakterienwachstums. Also es gibt schon Belege, dass Honig tatsächlich gegen bestimmte Bakterien wirkt, ob jetzt tatsächlich dann in so Mischungen wie heißer Milch mit Honig oder irgendwie so tatsächlich jetzt medizinisch begründbare Effekte nachweisbar sind. Das ist schon ein bisschen, ich sage mal, fraglich. Honig ist ein Stärkungsmittel, Honig hilft vielleicht auch bei Erkältungen den Schleim abzusondern oder so, aber so wirklich ernsthaft wissenschaftliche Belege gibt es da meines Erachtens sehr, sehr wenige.
Peer Kittel: Und trotzdem gibt es ja Honig, der ganz besonders mit dem Thema Gesundheit assoziiert ist. Stichwort Manuka Honig, ich denke, ja ich kann das hier vielleicht auch mal verraten, wir haben es hier in der Runde ja nicht nur mit einem lebensmittelchemie-Experten zu tun, sondern also ganz bewusst mit einem Manuka-Honig-Experten, lieber Thomas. Ja wie ist das denn mit dem Manuka-Honig? Was ist das überhaupt und was ist das Besondere an Manuka-Honig?
Thomas Henle: Also Manuka-Honig ist ein von den Honigbienen aus dem Blüten Nektar der Sogenannten Südseemyrte, des Manuka-Strauchs produzierter Honig, Leptospermum scoparium heißt der auf Lateinisch, da gibt es übrigens auch einen bei uns im botanischen Garten in Dresden. Dieser Manuka-Baum oder Strauch, der wächst in Neuseeland, eigentlich nur in Neuseeland und in einigen Regionen im Südosten von Australien und der bildet im Dezember so kleine Blüten, ein Zentimeter große, hübsche Blüten und der Nektar aus diesen Blüten dient dann quasi den Bienen zur Produktion des Manuka-Honigs. Der ist wie gesagt ausschließlich in Neuseeland bislang produziert, dort werden dann pro Jahr so rund 8.000 Tonnen produziert, 3 Viertel davon so etwa als Monofloraler, es macht mengengenmäßig auf die Welt, erzeugt natürlich nicht ganz so viel aus, ist eine Spezialität für Neuseeland. Und der war bis in den 1990er-Jahren bei uns eigentlich relativ unbekannt, wir haben da ein paar Publikationen gefunden, die gezeigt haben, dass dieser Honig eine besondere Antibakterielle Wirksamkeit haben soll, eine sogenannte nicht peroxidische Antibakterielle Wirksamkeit, das heißt neben dieser Glucose-Oxidase eben auch noch andere Stoffe, die jetzt dann quasi eine sehr, sehr starke Wirkung gegen Bakterien ausüben, sondern man wusste aber nicht, was es ist. Und da konnte man dann in einer Promotion, auch in Zusammenarbeit mit dem Institut für Mikrobiologie bei uns an der TU Dresden herausfinden, welche Verbindung tatsächlich für diese spezifische Antibakterielle Aktivität verantwortlich ist. Das war 2006, die Originalpublikation war dann 2008 und so ist es eine Verbindung, die heißt Methylglyoxal, MGO, das ist eine Verbindung, die aus dem Zucker entsteht, wie ganz genau, weiß man gar nicht so, weiß man heute noch gar nicht so ganz genau, aber was man mittlerweile weiß, ist, dass diese Verbindung ausschließlich oder maßgeblich für die Antibakterielle Wirksamkeit im Manuka-Honig verantwortlich ist und darauf aufbauend entstanden eine ganze Reihe von Untersuchungen, auch mittlerweile ganz gut wissenschaftlich belegte Studien, die zeigen, dass Manuka-Honig beispielsweise in der Wundheilung sehr gute Wirksamkeit haben kann. Das ist aber dann kein Honig, natürlich schon ein Honig, aber das ist kein Lebensmittel mehr, sondern das ist ein Medizinprodukt, das muss man dann hier immer wieder so ein bisschen mit in die Diskussion einbringen.
Peer Kittel: Insofern ist da also dann wirklich was dran und das hat ja dann auch dazu geführt, dass die Preise für Manuka Honig deutlich angezogen haben und das wiederum ruft dann natürlich Leute auf dem Plan, die das für sich versuchen zu nutzen. Insofern gibt es ja dann doch relativ viel gefälschte Ware auf dem Markt. Hast du denn ein Expertentipp für die Verbraucherinnen und Verbraucher, wie sie da vielleicht sich vor falschen Angeboten schützen können?
Thomas Henle: Es ist in der Tat so, dass Manuka-Honig gefälscht werden kann. Da gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Zum einen ist, dass man Honig als Manuka Honig verkauft, der keiner ist, also der aus anderen Pflanzen stammt und das zweite ist, dass man dieses Methylglyoxal, also diese wirksame Substanz quasi artifiziell oder künstlich zumischt. Das werden so die beiden Möglichkeiten, Manuka Honig zu faken, wenn man das so sagen darf. Allerdings muss ich sagen, ist dieses Thema in der Öffentlichkeit, in der öffentlichen Wahrnehmung bzw. in öffentlichen Berichterstattung oft ein bisschen sehr übertrieben dargestellt. Da gibt es zum Beispiel so Zahlen, die man auch auf Wikipedia immer noch findet, wo dann dort steht, wo dann drin steht, dass 1.700 Tonnen produziert werden in Neuseeland und 10.000 Tonnen vermarktet werden und diese Zahlen entbehren, das muss man ganz klar so sagen, entbehren jeder Grundlage. Es gibt mittlerweile vom Landwirtschaftsministerium in Neuseeland, das ist das MPI des Ministry for Primary Industries, die publizieren jährlich ihre Produktionsdaten. Für 2023 haben die publiziert, dass es 6.000 Tonnen Monofloralen und 2.000 Tonnen Multifloralen Honig gibt. Also es ist ein bisschen weit weniger dramatisch, dass es in der Öffentlichkeit oft dargestellt wird. Trotzdem kann es natürlich vorkommen. Und wenn deine Frage jetzt Peer, was kann man als Verbraucherinnen, das Verbraucher tun, was kann man jetzt machen, um sich vor diesen potenziellen Faken zu schützen, ich würde da immer sagen, es gibt zum einen Analysenmethoden, mit der Hilfe man das nachweisen kann. Da haben auch wir mit dazu beigetragen, es gibt Kriterien, mit deren Hilfe man analysieren kann, ob jetzt ein Honig wirklich ein Manuka Honig ist und aus Neuseeland stammt. Da gibt es auch exakte Vorgaben des entsprechenden Ministeriums, die müssen erfüllt sein, damit der Honig so bezeichnet werden kann. Und es gibt auch Analysenmethoden, man kann quasi wie so eine Art Fingerabdruck bestimmter Inhaltsstoffe analysieren, um nachzuweisen, ob es wirklich natürliches Metüglööksal ist. Und es führt dann schon auch dazu, dass die potenziellen Fälscher da, ich sage mal, vorsichtig sind. Als Verbraucher, als Verbraucher würde ich immer sagen, wenn der Methylglyoxalgehalt drauf steht, also MGO, so und so viel Milligramm pro Kilogramm, oder wenn ein Wert drauf steht, der UMF heißt, es ist ein anderer Qualitätsparameter, der Unique Manuka Faktor, der letztlich nichts anderes ist, wie der umgerechnete MGO-Gehalt, dann ist man schon mal auf der sicheren Seite, dann halten sich diese Firmen tatsächlich an auch sehr analytisch definierte Parameter. Und wenn andere so Fantasie-Bezeichnungen draufstehen, wie Active 10 oder irgendwie so, da wäre dann ein bisschen vorsichtig. Und da würde ich dann vielleicht mir dann doch überlegen, ob man den anderen Honig, der rundum steht, das teurer ist, einen anderen Manuka Honig kauft, der tatsächlich diese exakten Labels dann vorhält.
Jule Wäntig: Ihr habt mit eurer Forschung an Manuka Honig ja einen großen Durchbruch erzielt. Vorstehe bereits an anderen Honigsorten. Gibt es spannende Aspekte an Honig, die noch nicht erforscht sind?
Thomas Henle: Also es gibt sowohl für Manuka Honig als auch für andere Honige jede Menge noch interessanter Forschungsgebiete. Wie gesagt, diese 2-3% Minorkomponenten, die haben es, wenn man so will, in sich, die sind also tatsächlich sehr spannend aus analytischer Sicht. Jetzt speziell vielleicht zum Manuka Honig sind so zwei Themen momentan bei uns so in der Forschung. Das eine ist tatsächlich Untersuchungen zum Aroma von Manuka Honig. Dieses Aroma tut tatsächlich dann Regionen spezifisch. Das hängt auch vom Methylglyoxal ab und ist auch etwas sehr charakteristisches für den Honig. Also tatsächlich hier die Bildung und die Identifizierung charakteristischer Aromastoffe ist so ein Forschungsgebiet. Und ein weiteres, was dann vielleicht eher so in Physiologische Aspekte geht, ist, dass wir vor Kürzen zeigen konnten, dass Manuka Honig Inhaltsstoffe enthält, die die antibakterielle Wirksamkeit von Methylglyoxal modifizieren, sogenannte Synergisten. Da kommen Verbindungen Identifizierende, die diese Wirksamkeit deutlich verstärken, also quasi dann dazu führen, dass, wenn sie in entsprechend hoher Menge vorhanden sind, dann, dass der Honig dann noch nicht stärkere Antibakterie Wirksamkeit hat. Und so war es natürlich interessant, weil man auf die Art und Weise dann unter Umständen zumindest Grundlagen legen könnte für eine mögliche medizinische Anwendung des Honigs.
Jule Wäntig: Apropos medizinischer Anwendungen, es gibt ja noch eine Vielzahl weiterer Bienenprodukte und ich kenne da zum Beispiel noch diese Propolis-Kapseln, die bei Erkältung helfen sollen. Sind da Inhaltsstoffe drin, die helfen oder ist das wieder nur so ein Marketing Gag?
Thomas Henle: Ich würde sagen sowohl als auch. Das heißt, Propolis ist zunächst mal etwas, was aus chemischer Sicht sehr spannend ist. Die Bienen produzieren dieses Propolis tatsächlich, um ihren Bienenstock abzudichten. Das ist so ein Kit-Harz gewissermaßen, mit dem sie sich dann gegen Bakterien und Pilze stützen. Tatsächlich enthält dieses Propolis dann auch Inhaltsstoffe, die gegen Bakterien oder Pilze wirken. Von der Zusammensetzung ist es ganz interessant. Das ist also jetzt kein Honig, kein Zucker, ganz was anderes. Es ist eher so eine fettartige Substanz, die enthält viele Wachse, Harze, ätherische Öle, auch der charakteristisch aromatische Geruch, Phenolcarbonsäuren. Und die haben nun tatsächlich eine Wirkung gegen Bakterien. Dazu wird sie auch produziert. Und das kann man dann hinterher aus dem Bienenstücken rauskratzen und dann verwenden. Zum Beispiel Tinkturen für Salben, für Mundwässer, für Lutschtabletten, für Nasensprays, für alles Mögliche. Jetzt ist es allerdings so, dass eindeutige wissenschaftliche Belege für eine Wirksamkeit von Propolis, egal in welcher Zubereitungsform beim Menschen, gibt es nicht. Es gibt interessante einzelne Substanzen, die vielleicht sogar dann auch für medizinische Anwendung interessant sein könnten, allerdings dann in entsprechend isolierter Form vielleicht. Es gibt bislang keine zugelassenen gesundheitsbezogenen Werbeaussagen für Propolis, auch nicht in entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln, auch sowas wie die Stärkung des Immunsystems ist nicht nachgewiesen. Also ich würde da immer sagen, wissenschaftlich ist das in der Grauzone, probiere es aus, wenn es dir gut tut, dann ist es gut und wenn nicht, dann probiere ich was anders aus.
Peer Kittel: Lieber Thomas, vor dem Hintergrund und vielleicht zum Abschluss nochmal Hand aufs Herz, ist Honig wirklich mehr als ein gut schmeckender Zucker?
Thomas Henle: Also zunächst ist Honig primär ein Süßungsmittel, das muss man ganz klar so sagen. Es ist aber, ich sage mal, ein besonders gut schmeckendes Süßungsmittel. Das heißt, Honig enthält Aromastoffe, enthält Stoffe, die tatsächlich dann aus sensorischer Sicht natürlich deutlich mehr sind als reiner Zucker. Es gibt einem vielleicht auch ein gutes Gefühl. Es schmeckt einfach besser, als wenn man es jetzt nur den normalen Zucker nimmt. Man kann aus Honig auch prima Produkte herstellen, wie zum Beispiel Lebkuchen, Met oder Honigbier. Das ist vielleicht ein Thema für eine andere Story. Aber jetzt aus Ernährungsphysiologischer Sicht ist Honig primär ein Zucker. Man tut sich im Endeffekt jetzt nichts hinsichtlich der Gesundheit, wenn man statt Zucker Honig nimmt. Man tut was fürs Wohlbefinden, fürs Wohlgefühl, das alleine ist ja auch schon was wert. Und insofern lasst er denn Honig auch gerne weiterschmecken Peer.
Peer Kittel: Das werde ich tun. Insofern werde ich beim nächsten Frühstück, denke ich, wieder auf Brot und Honig zurückgreifen und dann auch darüber nachdenken, was wir heute hier besprochen haben. Und wenn Sie jetzt Appetit auf noch mehr Food Facts bekommen haben, dann hören Sie sich gerne unsere weiteren Folgen an. Unseren Podcast gibt es immer monatlich auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt. Wenn Sie Themenwünsche rund um Lebensmittel, Lebensmittelchemie oder Ernährung haben, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an lebensmittliche.podcast@tu-dresden.de Das war Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. Bis zum nächsten Mal.
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Mavric, E., Wittmann, S., Barth, G., Henle T., Identification and quantification of methylglyoxal as the dominant antibacterial constituent of Manuka (Leptospermum scoparium) honeys from New Zealand. Mol. Nutr. Food Res. 2008, 52, 483-489
Folge 3: Mindesthaltbarkeitsdatum - Sollte es für einige Lebensmittel abgeschafft werden?
Bundesagrarminister Cem Özdemir hat das Mindesthaltbarkeitsdatum auf lang haltbaren Produkten wie Reis, Tee oder Honig als "komplett sinnbefreit" bezeichnet. Er argumentiert, dass die Abschaffung dieser Vorschrift dazu beitragen könnte, dass weniger dieser Produkte im Müll landen, nur weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Ist das so wirklich sinnvoll? Können bestimmte Lebensmittel wirklich nicht verderben? Und wie macht man Lebensmittel eigentlich haltbar? Zu diesen und weiteren Fragen sprechen Moderatur Peer Kittel und Studentin Jule mit Lebensmittelchemiker Prof. Thomas Henle von der TU Dresden.
Intro Musik
Peer Kittel: Foodfacts, der Lebensmittelchemie Podcast der TU Dresden. In unserer heutigen Folge wollen wir der Frage nachgehen, ob man das Mindesthaltbarkeitsdatum abschaffen sollte und wenn ja, ob das wirklich gegen Lebensmittelverschwendung helfen könnte.
Intro Musik
Peer Kittel: Als komplett Sinnbefreit beschreibt Bundesagrarminister Cem Özdemir wörtlich das Mindesthaltbarkeitsdatum auf langhaltbaren Produkten wie Reis, Tee oder Honig. Eine Abschaffung dieser Vorschrift soll nun dafür sorgen, dass weniger solche Produkte im Müll landen, weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist. Ist es so wirklich sinnvoll, können bestimmte Lebensmittel wirklich nichtverderben? Und wie macht mein Lebensmittel eigentlich haltbar? Dazu sprechen wir mit unserem Experten, Lebensmittelchemiker Prof. Thomas Henle von der TU Dresden. Wir, das sind wie immer Studentin Jule Wäntig und ich, Peer Kittel, Dezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften.
Insofern, wie gehabt, hallo Thomas, hallo Jule.
Thomas Henle: Hallo Per, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo!
Thomas, in meiner WG haben wir kürzlich unseren Vorratsschrank etwas aussortiert und dabei haben wir ziemlich viele Produkte gefunden, die schon abgelaufen sind und noch haben wir sie nicht weggeschmissen. Aber was meinst du, sollten wir das tun?
Thomas Henle: Was habt ihr denn da so gefunden?
Jule Wäntig: Nudeln, Reis, also alles was so in der Studenten-WG sehr viel vorrätig ist.
Thomas Henle: Also wenn der die Verpackung doch in Ordnung war, wenn die Lebensmittel nicht feucht geworden sind, dann können die ohne weiteres noch essen, auch wenn das Haltbarkeitsdatum schon um einige Zeit überschritten ist, dann müsst ihr euch keinen Kopf machen.
Jule Wäntig: Und was sagt dann dieses MHD überhaupt aus und wo ist das festgelegt?
Thomas Henle: Also dieses MHD ist eine Art Garantie der Hersteller, dass das Lebensmittel bis zu dem Termin, der drauf steht, seine Eigenschaften behält. Also den Geruch, den Geschmack, die Konsistenz, den Nährwert. Bei Lebensmitteln mit höherem Wasser gehalten wird zum Beispiel Joghurt oder so. Da bezieht sich das MHD dann auch noch auf mikrobiologische Veränderungen, also zum Beispiel das Wachstum von Hefen oder irgendwie so. Es hat das jetzt aber insgesamt nichts mit einem Schlechtwerden im Sinne von gesundheitlichem Risiko zu tun und viele Lebensmittel eben die genannten trockenen Lebensmitteln, die sind bei ordnungsgemäßer Lagerung ja eigentlich nahezu unbegrenzt haltbar. Vorgeschrieben ist es MHD gemäß einer sogenannten Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung. Da wird dann das MHD letztlich in die Verantwortung der Hersteller gegeben. Das heißt nicht ein Gesetzgeber schreibt vor, wie lange ein Lebensmittel haltbar sein muss, sondern die Hersteller, diejenigen, die das Produkt in den Verkehr bringen, wenn man es fachlich ausdrückt, die müssen dann ein MHD festlegen und eben dieses MHD auch garantieren.
Peer Kittel: Thomas, wenn ich dich richtig verstehe, geht es also beim Mindesthaltbarkeitsdatum eher um Qualität? Die Frage nach gesundheitlichen Risiken spielt dann dabei also keine große Rolle?
Thomas Henle: Ja absolut. Ich meine, man hört ja oft so umgangssprachlich, das Lebensmittel ist verfallen und dieser Begriff, das Verfallsdatum, der existiert ja nun eigentlich nicht und der ist auch in der Sache falsch. Der würde ja bedeuten, dass das Lebensmittel quasi ab dem Tag, der dann als Datum drauf steht, irgendwie ungenießbar geworden ist. Man muss da zwei Begriffe sehr gut auseinanderhalten. Das eine ist das Mindesthaltbarkeitsdatum, was wir gerade schon thematisiert haben und das andere ist das Verbrauchsdatum. Dieses Verbrauchsdatum ist nun recht wichtig, denn das sagt in der Tat jetzt etwas aus über mikrobielle Veränderungen, also zum Beispiel das Wachstum von schädlichen Bakterien. Das betrifft jetzt vor allen Dingen leichtverderbliche Lebensmittel wie zum Beispiel Hackfleisch oder Fertigsalate und bei denen ist dann so, dass die, wenn dieses Verbrauchsdatum überschritten ist und Umständen Bakterien gewachsen sind, die tatsächlich dann vielleicht so gesundheitliche Risiken nach sich ziehen. Also dieses Verbrauchsdatum ist jetzt wirklich streng zu sehen, wenn das überschritten ist, dann sollte man das Lebensmittel nicht mehr essen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist diesbezüglich eher eine Qualitätsgarantie, also Qualitätsgarantie als MHD und Verbrauchsdatum als Sicherheitsgarantie. So kann man es vielleicht auf den Punkt bringen.
Jule Wäntig: Steht das dann auch auf der Verpackung drauf?
Thomas Henle: Ja, absolut. Die Wortwahl ist da ganz eindeutig. Beim MHD steht drauf Mindestens haltbar bis und dann kommt ein Datum oder eine Jahresangabe und beim Verbrauchsdatum besteht dann drauf zu Verbrauchen bis und eine Datumsangabe und so kann man es dann auseinanderhalten.
Peer Kittel: Hast du jetzt schon ein bisschen angedeutet, aber vielleicht kannst du es noch ein Stück weit präzisieren. Wovon hängt denn jetzt die Haltbarkeit wirklich ab? Also welche Reaktionen laufen denn da ab?
Thomas Henle: Also der wichtigste Parameter, den man für die Haltbarkeit von Lebensmitteln heranziehen muss, ist der Wassergehalt oder genauer gesagt die sogenannte Wasseraktivität. Aus chemischer Sicht sagt man, die Wasseraktivität ist die Menge des Wassers oder der Anteil des Wassers im Lebensmittel, der verfügbar ist für chemische oder mikrobiologische Reaktionen. Und da muss man ein bisschen unterscheiden eben zwischen dem Wachstum von Mikroorganismen und bestimmten Veränderungen, die sich jetzt zum Beispiel durch Reaktionen inzwischen in den Inhaltsstoffen ergeben. Und damit ist eigentlich klar, je mehr Wasser drin ist, umso kürzer ist das Lebensmittel haltbar und umgekehrt je trockener ein Lebensmittel, also zum Beispiel Nudeln oder Reis, da ist aber immer noch etwas Wasser drin, aber dieses Wasser ist quasi so immobilisiert, so in die Inhaltsstoffe gebunden, dass sie quasi nicht mehr verfügbar, dass es nicht mehr verfügbar ist für mikrobiologische Reaktionen und auch nur noch ganz wenig für chemische Reaktionen. In diesen Lebensmitteln können dann praktisch keine Verderbs Reaktionen mehr ablaufen.
Jule Wäntig: Was kannst du denn zur Geschichte des MHD sagen? Seit wann gibt es das überhaupt?
Thomas Henle: Ja, das gibt es, wenn ich mich recht erinnere, seit den 60er Jahren oder genauer gesagt habe, in den 1960er Jahren etwas eingeführt, was quasi der Vorläufer des MHDs war. Man sprach von der sogenannten Datierungsverordnung. Ich glaube, das wurde, man sei 66 oder so eingeführt in der BRD damals. Und zwar hatte man damals dann eingeführt das bestimmte Lebensmittel, leichter verderbliche Lebensmittel, wie zum Beispiel Fleisch oder Fisch, dass die zumindest ein Herstellungsdatum drauf haben mussten und auch ein Abpackungs- und Abfülldatum. Das war dann schon mal wieder fakultativ. Und die Hersteller konnten, wenn sie wollten, das war also nicht vorgeschrieben, auch ein MHD draufschreiben. Das, was wir heute jetzt als Haltbarkeitsdatum kennen, das hat man verpflichtend eingeführt in 1981. Da gab es dann eben eine sogenannte Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung und in der ist dann unter anderem auch das Mindesthalbarkeitsdatum als verpflichtende Angabe eingeführt worden.
Jule Wäntig: Und welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, so ein Lebensmittel länger haltbar zu machen? Also meine Oma kocht ein und das hält dann immer ewig.
Thomas Henle: Ja, das macht sie auch ganz richtig, denn dieses Einkochen oder das Erhitzen von Lebensmittel ist eine der ganz klassischen Methoden zur Haltbarmachung von Lebensmitteln. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man Lebensmittel haltbar macht. Letztlich machen die alle entweder die zerstörende entweder Bakterien, das ist das, was man mit erhitzen macht, oder man versucht, das Wasser entweder rauszukriegen oder zu binden. Und da gibt es dann Verfahren wie zum Beispiel Kühlen, was jeder kennt im Kühlschrank, das Einfrieren, das Einsalzen, das sind alles Verfahren, die letztlich dann die Wasseraktivität reduzieren. Das Trocknen von Lebensmitteln ist eine klassische Methode zur Haltbarmachung. Auch das Fermentieren, also quasi das mit Milchsäurebakterien behandeln und dann zum Beispiel Sauerkraut herzustellen, auch das ist eine Haltbarmachung. Also es gibt ganz, ganz viele verschiedene Verfahren, mit denen hilft man eben dann diese Haltbarkeit verlängern kann. Peer Kittel: Klingt jetzt gar nicht unbedingt so, als wären das dann alles Erfindungen der modernen Lebensmittelindustrie. Also das hat man jetzt dann schon länger so gemacht.
Thomas Henle: Absolut, absolut. Und das ist vielleicht auch wirklich ganz, ganz interessant, wenn man so ein kleines bisschen in die Evolution vielleicht hineingeht, auch das müssen wir ja vielleicht einmal in der eigenen Folge thematisieren. Dann kann man wirklich sagen, dass der Mensch hat das Feuer entdeckt oder kontrolliert. Da gibt es unterschiedliche Überlegungen, ob das vor 400.000 Jahren war oder manche sagen vor zwei Millionen Jahren. Und mit dem Entdecken des Feuers hat der Mensch praktisch auch schon Lebensmittel erhitzt, also wenn man so will, haltbar gemacht. Und es war natürlich dann auch für die Menschheitsentwicklung ein riesengroßer Fortschritt, wenn man eben nicht mehr jeden Tag auf die Jagd gehen musste, weil das Fleisch ansonsten vielleicht verdirbt, sondern dass wir es ein paar Tage haltbar machen können. Ja, und andere Verfahren, das haben wir ja in unserer Folge zu den Zusatzstoffen thematisiert, wie zum Beispiel das Einsalzen, das Pökeln, das Verwenden von Salpeter, das nutzte Mensch auch bereits seit vielen tausend Jahren. Vermutlich die Industrie war natürlich dann auch ganz, ganz entscheidend daran beteiligt, dass man neue, modernere Verfahren entwickelt und das ist vor allen Dingen so im 19. Jahrhundert gewesen. Da wurde dann die Konservendose erfunden, das war im Jahr 1810. Und der hat, es war ein Herr namens Peter Durand, der hat es für die englische Armee erfunden, quasi die Haltbarmachung von Lebensmitteln und ganz berühmt - das Pasteurisieren, den Begriff kennt jeder, das geht zurück auf den Louis Pasteur. Der hatte entdeckt, dass Bakterien verantwortlich sind für dieses Verderben und konnte dann dem feststellen, dass die Bakterien durch Erhitzen abgetötet werden. Und dann hat sich dieses Verfahren 1865, war es glaube ich, als Patent anmelden lassen.
Peer Kittel: Jetzt ist Haltbarmachung per se ja ein Eigenwert, der wichtig ist, wie du gerade auch beschrieben hast. Schadet das aber nicht auf der anderen Seite vielleicht auch den Lebensmitteln. Also gerade beim Erhitzen gehen da nicht irgendwie auch Inhaltsstoffe verloren, die man brauchen könnte?
Thomas Henle: Ja, natürlich. Es ist immer so eine, ich sage mal, Risikonutzen oder Kosten-Nutzenabwägung. Also die Vor- und Nachteile müssen immer abgewägt werden. Es kommt natürlich beim Erhitzen, vor allem zum Beispiel beim Herstellen von Konservendosen in gewisser Maßen zu einem Nährwertverlust. Das ist aber in der Regel, ich sage mal, verschmerzbar eben durch den Vorteil der langen Haltbarkeit. Bestimmte Verfahren wie zum Beispiel dieses Milcherhitzen, das Kurzzeit Milcherhitzen, das traditionelle Pasteurisieren, das ist so schonend, dass es praktisch überhaupt keine Nährwertverluste macht und selbst das höhere Erhitzen von Milch, beispielsweise bei der Hochpasteurisation oder bei der UHT-Behandlung, bei der H-Milch Herstellung, selbst das ist so schonend, dass allenfalls vielleicht so ein zwei, drei, vier Prozent von bestimmten Vitaminen inaktiviert werden, ab und sich auf der anderen Seite natürlich die mikrobiologische Sicherheit dadurch erreicht und der Vorteil überwiegt natürlich dem potenziellen Nährwertverlust bei Weiten.
Peer Kittel: Also, wenn wir vielleicht mal direkt bei der Milch auch bleiben, demnach ist dann der Unterschied zwischen Frischmilch und der H-Milch gar nicht so groß?
Thomas Henle: Nee, ist es auch nicht so. Es ist vielleicht etwas, was man tatsächlich auch mal so betonen muss, denn dieses Pasteurisieren, was man so, sagen wir mal, seit Anfang des 20. Jahrhunderts in großem Maßstab gemacht, das war vielleicht eine der wichtigsten Errungenschaften der Lebensmittel Technologie. Es kann man vielleicht so sagen, es gibt Diskussionen, die sagen, dass die Erfindung des Kühlschranks und die Erfindung der Pasteurisation 10 bis 20 Jahre in Lebenserwartung nach sich gezogen haben. Man weiß ja, dass so um die Jahrhundertwende vom 19. Jahrhundert vor allen Dingen Typhus eine ganz, ganz große, großflächige Erkrankung war. Ich habe mal so Zahlen gefunden, da hat man festgestellt oder gemessen, dass allein im Jahr 1905, um eine Zahl zu nehmen, in Dresden allein 1500 Menschen an Typhus gestorben sind und der Hauptüberträger für Typhus war tatsächlich die Milch. Und quasi durch das Erfinden der Pasteurisation konnte man dann diese Krankheit ja mehr oder weniger zum Eindämmen bringen. Und tatsächlich ist der Nährwertverlust selbst beim Hocherhizen, also wenn man die H-Milch kauft beispielsweise so gering, da kommt es zwar etwas zu Verlusten von Vitamine B12 und Folsäure, die sind so ein bisschen hitzelabiler, aber insgesamt macht es auf die Gesamtmenge an Vitaminen eigentlich kaum was aus.
Jule Wäntig: Wenn wir zum MHD zurückkommen, wie können dann die Hersteller festlegen, wie lange so ein Lebensmittel haltbar ist?
Thomas Henle: Also die schätzen das ab, das heißt die machen Lager-Experimente und versuchen quasi zu ermitteln, wie sich das Lebensmittel während der Lagerung verändert. Da gibt es zwar auch rechtliche Vorgaben, es gibt sogar DIN-Normen und internationale Normen, mit denen Hilfe man dann das MHD errechnen kann, aber in der Praxis schaut es so aus, dass die Hersteller das Lebensmittel gewissermaßen bei hohen Temperaturen, ich sag mal, stressen, also bei 40, 50, 60 Grad lagern und dann gucken, was sich nach Tagen, Wochen oder vielleicht Monaten da verändert und dann zurück rechnen, was das dann entsprechend bei einer Raumtemperatur Lagerung für vielleicht Monate oder Jahre wäre. Und so errechnen wir dann quasi oder machen wir dann entsprechende Experimente und nach dem Ablauf dieser Lagerzeit probiert man einfach. Das heißt Prima wird erst mal sensorisch überprüft, ob sich das Lebensmittel geschmacklich verändert hat, ob sich die Konsistenz verändert hat, ob es vielleicht farbliche Veränderungen gab oder so und daraus errechnen bzw. schätzen die dann eine Haltbarkeit ab, diese eben dann den Verbrauchinnen und Verbrauchern garantieren können. Also letztlich ist es eine Art von individueller Festlegung durch die Hersteller.
Peer Kittel: Jetzt oute ich mich mal als etwas faulen Konsumenten vielleicht. Ich habe es auf jeden Fall gern einfach. So eine Zahl wie das MHD auf der Verpackung klingt da ja zumindest sehr objektiv. Aber wenn ich dich jetzt und in dem Fall ja dann auch Cem Özdemir richtig verstehe, dann ist das eigentlich kein guter Weg. Also eher umgekehrt. Wie kann ich denn erkennen, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist?
Thomas Henle: Also ich bin schon der Meinung, dass wir das MHD weiter behalten sollte, können wir vielleicht nachher mal ganz kurz diskutieren, welche Bedeutung das tatsächlich hat, gerade vor dem Hintergrund Lebensmittel Verschwendung. Aber man muss sich das Datum mal etwas generell angucken und dieses Datum, da gibt es ja verschiedene Angaben und zwar je nachdem wie lange das Lebensmittel haltbar ist, muss diese Angabe etwas unterschiedlich gestaltet sein. Bei einer Haltbarkeit bis zu 3 Monaten, da muss da ein exaktes Datum draufstehen, also wirklich der Tag, bis zu dem es haltbar ist. Wenn die Haltbarkeit 3 bis 18 Monate ist, dann reicht ein Monat und das Jahr, wenn das Lebensmittel über 18 Monate oder länger als 18 Monate haltbar ist, also zum Beispiel Konservendosen oder so, da muss da nur noch ein Jahr draufstehen. Und jetzt, für dich als Verbraucher Peer, wenn man dann die Zahl anguckt, dann ist ja eigentlich klar, wenn also zum Beispiel draufsteht Haltbarkeit bis 2024, dann ist eigentlich klar, dass nicht am 1.1.2025 das Lebensmittel jetzt ja abgelaufen oder ungenießbar ist. Genauso, wenn dann zum Beispiel draufsteht Mindesthaltbarkeitsdatum Februar 2024 und es ist März, dann ist tatsächlich dieses Lebensmittel mit Sicherheit noch genießbar. Also man muss so ein kleines bisschen prüfen, sage ich mal, das heißt einfach aufmachen, erst mal gucken ob die Verpackung in Ordnung war, das ist immer das A und O und dann aufmachen, probieren und wenn es dann noch schmeckt, dann ist es auch, selbst wenn das MHD einige Zeit überschritten ist, problemlos noch genießbar. Wobei man allerdings aufpassen muss, das kann man vielleicht bei der Gelegenheit sagen, wenn man dann mein Lebensmittel aufgemacht hat und dann sagen wir halb aufgegessen hat und dann in den Kühlschrank stellt, dann ist dieses MHD, hat das MHD keine Bedeutung mehr denn dann ist das Lebensmittel ja quasi mit der Umwelt, vielleicht mit Bakterien im Kontakt gekommen und dann spielt dieses MHD keine Rolle mehr, dann muss man tatsächlich wirklich immer gucken und schauen, dass sich da nicht irgendwie was dann während der Lagerung gebildet hat.
Jule Wäntig: Wie machst du das denn zu Hause, Thomas, wirst du gar keine Lebensmittel weg?
Thomas Henle: Ja, also wenn ich ganz ehrlich bin, schon auch ab und zu, also ich könnte es nicht sagen, dass wir nichts wegschmeißen, das muss ich schon so hier mal feststellen. Wir schmeißen aber wenig weg, ich muss sagen, wir haben uns angewöhnt, dass wir versuchen zumindest bedarfsgerecht einzukaufen, vor allen Dingen bei kürzer haltbaren Lebensmitteln, also zum Beispiel Milchprodukten oder irgendwie sowas, oder bei frischen Lebensmitteln wie Obst oder Gemüse. Es passiert natürlich schon ab und zu, dass man abends nicht alles aufgegessen hat, das in den Kühlschrank stellt, das vielleicht vergisst und dann doch hinterher feststellt, dass man es nicht mehr essen kann und dann wegschmeißt. Aber ich glaube, das ist vielleicht so, wenn man das so als Tipp oder als Hinweis geben kann, bedarfsgerecht einkaufen und nicht bei jedem Sonderangebot sich dann den Kühlschrank vollstopfen und hinterher feststeht, dass man nicht aufessen kann. Ich glaube, das wäre so der allererste Schritt und der wichtigste Schritt, um eine Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
Peer Kittel: Jetzt lass es uns vielleicht noch mal fokussieren, wir haben ja bis hierhin schon recht breit über das Thema gesprochen, aber wie ist es denn nun? Aus wissenschaftlicher Sicht, MHD abschaffen, MHD behalten, wie siehst du das?
Thomas Henle: Also ich habe es schon angedeutet, ich würde schon und nicht nur ich, sondern ich glaube, das ist auch die Mehrheitsmeinung der Lebensmittelchemikerinnen und Lebensmittelchemiker. Wir sind schon der Meinung, dass das MHD berechtigt ist, allerdings die Diskussionen zum MHD genauso berechtigt sind. Also man könnte problemlos für einige Lebensmittel, zum Beispiel für Reis, für Nudeln, für Mehl, auch für Honig, diese Lebensmittel sind ja theoretisch unbegrenzt haltbar. Wenn die gut verpackt bleiben, dann könnte man für die das
MHD wirklich abschaffen. Für andere Lebensmittel würde ich es aber schon bei behalten, denn es gibt tatsächlich den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine Art Qualität oder frische Garantie und vor allen Dingen und das wäre so vielleicht meine Befürchtung, würde jetzt ein Streichen des MHDs vielleicht dazu führen, dass man auch das Verbrauchsdatum nicht mehr ernst nimmt. Also nachdem die Frage stellt, ja es gibt kein MHD mehr, wozu braucht es, sondern vielleicht ein Verbrauchsdatum, viele wissen vielleicht den Unterschied ja auch gar nicht und das könnte dann tatsächlich dazu führen, dass so ein generelles Abschaffen des MHDs und Umständen dazu führt, dass man das Verbrauchsdatum immer ernst nimmt und dann vielleicht sogar das Risiko für mikrobiologische Verunreinigungen sogar steigt. Also Stichwort MHD abschaffen, ja für bestimmte Lebensmittel. Es gibt ja jetzt auch schon Lebensmittel, die kein MHD haben, zum Beispiel alkoholische Getränke, die so mehr als zehn Prozent Alkohol haben, Zucker, Essig, die haben eh schon kein MHD oder frische Lebensmittel, ja also wer eben an der Obst oder Gemüse-Theke Lebensmittel kauft oder lose Ware beim Bäcker oder an der Fleisch-Theke, die haben ja auch schon kein MHD und da verlässt man sich dann auch auf das, was man so als ja gesunden Menschenverstand bezeichnet und beurteilt dann eben selbst, ob das Lebensmittel noch genießbar ist. Und so könnte man tatsächlich dann eben auch weitere Lebensmittel von diesem MHD ausnehmen.
Jule Wäntig: Du hattest dabei den Honig angesprochen. Bei Ausgrabungen wurde der ja noch in Pyramiden gefunden und ich habe gehört, dass er der nach rein theoretisch genießbar gewesen wäre nach all den Jahren.
Thomas Henle: Ja, das ist eine tolle Geschichte, die man tatsächlich häufig liest im Internet und ich hatte da vor einiger Zeit tatsächlich mal versucht zu recherchieren. Tatsächlich ist Honig, wenn er weniger als 20 Prozent Wasser hat, das ist übrigens vorgeschrieben laut der Honigverordnung, vielleicht bei der Gelegenheit, wir werden ja bald eine spezielle Folge zum Thema Honig machen. Also wenn dieser Honig dieses 20 Prozent Wasser nicht überschreitet, das ist ja wirklich theoretisch unbegrenzt haltbar. Und man hat auch in der Tat in Pyramiden Honig als Grabbeigabe gefunden. Da gibt es tatsächlich auch Berichte, so aus den 1920er Jahren, in so Zeitschriften wie National Geographic zum Beispiel, weil wir das gefunden, ob jetzt der Honig aber noch genießbar war und ob den tatsächlich auch jemand gegessen hat. Dafür gibt es in der Tat keine wissenschaftlichen Belege. Also ich habe zumindest nichts gefunden, vielleicht hört jemand zu, der hier Belege hat oder Literatur uns nennen kann. Rein theoretisch wäre dieser Honig zwar noch haltbar, auch noch 2-3.000 Jahren, also Bakterien sind ja nicht gewachsen, aber aus chemischer Sicht sind 2.000 Jahre schon ziemlich lange. Also da kann es dann schon auch zu chemischen Reaktionen kommen, die jeder kennt, Stichwort Karamellisierung, was jeder kennt, wenn man Zucker erhitzt und dieses Karamellisieren kann dann natürlich im Laufe der 2.000 oder 3.000 Jahre auch passieren. Also ich vermute mal, ohne dass ich es belegen kann, dass dieser Honig zwar keine Bakterien hatte, aber wahrscheinlich ziemlich dunkelbraun und ziemlich karamellig und bitter schmecken würde, wenn ihn denn tatsächlich jemals jemand probiert hat.
Peer Kittel: Dann lasst uns zum Abschluss vielleicht nochmal auf die Frage vom Anfang zurückkommen. Würde denn nun die Abschaffung des MHD tatsächlich einen Beitrag zu weniger Lebensmittelverschwendung leisten?
Thomas Henle: Ich befürchte nein. Ich finde es wichtig und gut, dass man dieses Thema Lebensmittelverschwendung thematisiert. Das Thema, was tun wir gegen den menschgemachten Klimawandel sind natürlich eines der allerwichtigsten überhaupt und da gehört natürlich auch dann die Frage zur Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion dazu. Auch Änderungen im Essverhalten vielleicht. Und wenn man also dieses Thema Nachhaltigkeit diskutiert, dann stelle ich immer so ein bisschen fest, dass man das vielleicht wirklich größte Problem in diesem Zusammenhang eben die Lebensmittelverschwendung gar nicht so sehr im Vordergrund hat. Da geht es noch häufig um Änderungen im Essverhalten oder so. Aber wenn man tatsächlich immer auf der einen Seite berücksichtigt, dass 600, 700 Millionen Menschen auf der Welt nicht genug zu essen haben und wie in Deutschland, da gibt es aktuelle Berechnungen, pro Person etwa 80 Kilo pro Jahr wegschmeißen, dann ist das natürlich eine Diskrepanz, die eigentlich nicht akzeptabel ist. Von diesen 80 Kilo, das muss man wieder gleich ein bisschen relativieren, könnte man 40 Kilo problemlos vermeiden, der Rest sind also Sachen wie Kartoffelschalen oder Bananenschalen oder so. Aber da gibt es tatsächlich Berechnungen der FAO, also der Welternährungsorganisation, die sagt, dass man allein mit den Lebensmitteln, die in Amerika, in den weinigen Staaten und in Europa weggeschmissen werden, rund 500 Millionen Menschen ernähren könnte. Ich denke, dass allein ist natürlich ein Thema, was man ganz unbedingt immer in den Vordergrund stellen kann. So, ob jetzt das MHD da aber jetzt was dazu beiträgt, das mag ich zu bezweifeln, denn das meiste, was man wegschmeißt, das weiß natürlich auch jeder aus seiner eigenen Erfahrung, ist das, was in der Küche übrigbleibt, was meinetwegen im Restaurant bei Buffets zu viel genommen wird und dann weggeschmissen wird. Das sind frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse. Da muss man natürlich versuchen beizutragen, dass man da nicht mehr was wegschmeißt. Die Lebensmittel, die jetzt ein langes MHD haben, also zum Beispiel Mehl oder Reis oder so, die tragen meines Erachtens zur Lebensmittelverschwendung oder zum Lebensmittelabfall wirklich sehr, sehr wenig bei. Es ist also eine symbolische Diskussion. Da besteht vielleicht zur Werte Gefahr, dass man ein bisschen von dem zentralen Thema ablenkt, also sich mehr dann über die Industrie wieder aufregt, die dann MHDs zu kurz fast um die Leute damit zu motivieren, das Lebensmittelrechtzeitig wegzuschmeißen. Also ich finde es wichtig, das Thema Lebensmittelverschwendung in den Vordergrund zu stellen. Man kann einige Lebensmittel ausnehmen vom MHD, aber insgesamt, glaube ich, ist jeder Einzelne verantwortlich und auch gefordert, sich seinen Beitrag zu einer nachhaltigen Versorgung von Lebensmitteln zu leisten.
Peer Kittel: Liebe Jule, lieber Thomas, vielen Dank für das interessante Gespräch. Ich nehme mir vor allem mit, dass es in meinem eigenen Interesse liegt, künftig die Lebensmittel sorgsamer zu prüfen, nicht nur im Hinblick auf die Frage, ob diese in den Müll gehören. Ja und wenn Sie an diesem Podcast Geschmack gefunden haben, können Sie immer monatlich auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt, mit einer neuen Folge Rechnen. Wenn Sie Themenwünsche rund um Lebensmittel, Lebensmittelchemie oder Ernährung haben, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an lebensmittelchemie.podcast.tu-dresden.de. Bis zum nächsten Mal hier bei Food Facts, dem Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden.
- Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatumdatum - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
- Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatumdatum - Verbraucherzentrale
- Wie wird das MHD festgelegt?
- Wie wird das MHD festgelegt? - Lebensmittelverband
- Wie werden Lebensmittel konserviert?
- Wärmebehandlung von Milch
- Milch - Verbraucherzentrale
- Daten zum Thema Lebensmittelabfall - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
- Daten zum Thema Lebensmittelabfall - Thünen Report
- UNEP Food Waste Index Report 2021
Folge 2: Zusatzstoffe und E-Nummern – sind das wirklich alles Krankmacher?
****Mit diesem Beitrag nehmen wir am Fast Forward Science 2024 Wettbewerb teil. http://www.fastforwardscience.de - Drückt uns die Daumen! ***********#AudioAward, #BestesDebutAudio
In Folge 2 unseres Podcasts sprechen Peer Kittel und Jule Wäntig mit Lebensmittelchemiker Prof. Henle über Zusatzstoffe in Lebensmitteln und die berühmt-berüchtigten E-Nummern. Durch zahlreiche alarmierende Medienberichte sind diese Stoffe in den vergangenen Jahren stark in Verruf geraten. Viele Verbraucher:innen sind verunsichert. Wir klären die Fakten – was sind Zusatzstoffe, wie ist ihr Einsatz geregelt, ist das alles Chemie, machen uns diese Stoffe wirklich krank oder können wir Tütensuppen vielleicht doch ganz ohne Bedenken essen?
[Intro-Musik spielt]
Peer Kittel: Food Facts, der Lebensmittelchemiepodcast der TU Dresden. In unserer heutigen Folge sprechen wir über Zusatzstoffe in Lebensmitteln und decken auf, was hinter den berüchtigten E-Nummern steckt.
[Intro-Musik spielt]
Herzlich willkommen bei Food Facts, dem Lebensmittelchemiepodcast der TU Dresden. E-Nummern und Zusatzstoffe - Was steckt dahinter? Ist das wirklich alles Chemie und machen uns diese Stoffe vielleicht sogar krank? Diese und weitere Fragen wollen wir mit unserem Experten Prof. Thomas Henle klären. Wir, das sind Studentin Jule Wäntig und ich, Peer Kittel, Dezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften.
Insofern wie immer, hallo Jule, hallo Thomas.
Thomas Henle: Hallo Peer, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo!
Peer Kittel: Unter Krebsverdacht, wenn das auf der Packung steht, besser Finger weg. - So titelt Focus Online einen Beitrag einer Ernährungsexpertin zu den berühmt berüchtigten E-Nummern. Ja, viele Verbraucher sind bei diesem Thema äußerst verunsichert. Thomas, kannst du diese Verunsicherung verstehen und warum haben denn so viele Leute speziell auch vor diesen E-Nummern so viel Angst?
Thomas Henle: Ich kann es ehrlich gesagt schon verstehen und es wäre jetzt wirklich zu einfach und vielleicht auch ein bisschen anmaßend, wenn man sagt, kommt, habt euch nicht so, alles ist gut.
Es ist eine komplexe Thematik und viele Verbraucherinnen und Verbraucher assoziieren eben mit E-Nummern Chemie und die öffentliche Wahrnehmung der Chemie ist einfach schlecht zurzeit. Da trug die Berichterstattung der letzten Jahrzehnte natürlich maßgebend dazu bei.
Man darf schon auch sagen, dass die Lebensmittelindustrie da auch nicht ganz unschuldig ist und auch immer noch zu einer gewissen Verunsicherung beiträgt.
Jule Wäntig: Ich kaufe super gerne Fleischersatzprodukte.
Meine Mutter ist davon aber absolut kein Fan, weil da sind ja so viele Zusatzstoffe drin.
Sie hat ja auch die ganzen reißerischen Schlagzeilen in den letzten Jahren mitbekommen.
Machen Zusatzstoffe mich denn jetzt krank?
Thomas Henle: Also eine ganz kompakte Antwort auf diese ganz kompakte Frage wäre, wenn einzelne Zusatzstoffe krank machen würden, dann wären sie nicht erlaubt, dann wären sie nicht zugelassen. Punkt.
Ich kann aber die Bedenken deinerr Mutter wirklich sehr gut nachvollziehen.
Da kommen vermutlich zwei Sachen zusammen. Zum einen die generelle Skepsis gegenüber neuen veganen Lebensmitteln und zum anderen eben diese Bedenken gegen Zusatzstoffe.
Das eine passt dann vielleicht sogar zum anderen.
Man assoziiert dann neue Lebensmittel mit der Verwendung von Zusatzstoffen und entsprechend resultieren solche Bedenken daraus.
Problematisch wird das Ganze halt vor allem deshalb, weil auch vermeintlich seriöse Ernährungsexpertinnen und Experten entsprechende Statements machen. Da gibt es beispielsweise Podcasts, in denen von Killer-Lebensmitteln gesprochen wird, die aus billigen Zutaten und Zusatzstoffen, das jetzt original zitiert, unser Leben um 15 bis 20 Jahre verkürzen soll. Solche Berichte von vermeintlich renommierten Expertinnen und Experten sind dann eben nicht nur wissenschaftlich unseriös, sondern die tragen dann auch massiv zu einer Verunsicherung bei und aus diesem Grunde muss ich mich ganz ehrlich gesagt immer sehr, sehr ärgern, wenn tatsächlich auch Fachkollegen oder Kolleginnen aus verwandten Disziplinen solche Statements loslassen.
Peer Kittel: Das ist ja dann auch ein Auftrag unseres Podcasts, dass wir da ein paar Sachen wieder ins rechte Licht rücken. Lass uns vielleicht mal ganz konkret auf die lebensmittelchemischen Grundlagen kommen. Was sind denn eigentlich Zusatzstoffe? Also wie sind sie definiert, wie werden sie verwendet?
Thomas Henle: Hier gibt es eine allgemeine Definition, die in etwa lautet Zusatzstoffe sind Stoffe, die man Lebensmitteln aus technologischen Gründen zusetzt, entweder um die störungsfreie und sichere Herstellung zu ermöglichen oder um die Eigenschaften während der Lagerung beispielsweise zu sichern. Die Eigenschaften sind dann Näherwert, Genusswert, die Sicherheit während der Lagerung, d.h. man versucht zu vermeiden, dass Bakterien wachsen usw. Man will Veränderungen verhindern, man will letztlich die Qualität während der Herstellung und die Qualität dann bis zur Verwendung durch die Verbraucherinnen und Verbraucher sichern. Und es betrifft dann Farbe, Konsistenz, Haltbarkeit, Geschmack.
Peer Kittel: Damit wird ja dann klar, wofür wir Zusatzstoffe überhaupt brauchen. Ist das eine Erfindung der neueren Zeit, sagen wir mal auch der chemischen Industrie oder wie lange gibt es denn Zusatzstoffe schon?
Thomas Henle: Ja das ist in der Tat ganz interessant, wenn man dann ein bisschen geschichtlich recherchiert, dann stellt man fest, dass man bestimmte Zusatzstoffe tatsächlich schon seit Jahrtausenden verwendet. Beispielsweise ist es das Räuchern von Fisch oder Fleisch, das ist letztlich nichts anderes als das Erzeugen von konservierenden Stoffen, die dann eben die Haltbarkeit des Produktes verlängern, für das Pökeln und das Einsalzen von Fleisch hat man seit Jahrtausenden Salpeter verwendet, also Nitrate, die letztlich als Konservierungsmittel wirken. Ein anderes Beispiel wäre Natron, was man als Backpulver seit Hunderten von Jahren einsetzt. Tatsächlich ist es aber natürlich schon so, dass durch die Industrialisierung, vor allem so seit Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts dann ganz viele Verbindungen in großem Maßstab isoliert, aus Naturstoffen oder eben auch synthetisiert werden konnten. Ja, und diesen Aufschwung, diesen großen Aufschwung an Zusatzstoffen, den brauchte es auch, und zwar wenn man so ein klein bisschen zurück geht, in die Zeit, so um die Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Da haben sich in ganz vielen Städten die Einwohnerzahlen extremst erhöht. Dresden, zum Beispiel von 1880 bis 1905 von 220.000 auf über 500.000 Menschen gewachsen. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es war für diese Menschen, die ja zum Teil in den ärmlichsten Verhältnissen leben mussten, wie schwierig es war, die Nahrungsversorgung sicherzustellen.
Und das gelang eben nur durch die verstärkt industrielle Herstellung. Und für die entsprechenden Lebensmittel waren dann eben unter andrerm auch Zusatzstoffe notwendig.
Jule Wäntig: Wie ist das jetzt mit dem Lebensmittelgesetz? Kann da eine Firma einfach einen süßeren Süßstoff oder eine neue Farbe erfinden oder herstellen und dann einfach in ihre Produkte mixen?
Thomas Henle: Also die Anwendung von Zusatzstoffen oder man sagt generell von fremden Stoffen, die sind im Lebensmittelgesetz ganz streng geregelt, und zwar europaweit. Da gibt es dann in einer entsprechenden EU-Verordnung, der ist 1333/ 2008, um ein bisschen Lebensmittelchemie-nerdig zu werden. Da gibt es dann die Liste an E-Nummern und dieses Lebensmittelgesetz regelt dann, dass einem Lebensmittel nichts zugesetzt werden darf, außer es ist explizit erlaubt. Wir haben das glaube ich schon angesprochen, in einer früheren Folge, das ist das sogenannte Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt. Ja und da gibt es dann eine Positiv-Liste, die gilt in allen Mitgliedstaaten der EU und da stehen die Stoffe drin, die Zusatzstoffe, die man verwenden darf.
Peer Kittel: Ja dann schauen wir doch mal direkt in die Liste auf der Webseite, der Verbraucherzentrale. Da ist da ja ein schönes Bild mit verschiedenen Lebensmitteln und den darin verwendeten E-Nummern. Ich lese da jetzt mal vor, was zum Beispiel für den Kochschinken steht: E150, E250, E407, E450, E621.
Das habe ich mal nachgeschaut, das ist Zuckerkulöhr, Nitrite, Carrageen, Phosphate und Glutamate. Das klingt ja dann schon nach sehr viel Chemie. Sind die jetzt alle in Anführungszeichen chemisch hergestellt, sind die künstlich oder findet man da auch Naturstoffe?
Thomas Henle: Insgesamt sind es rund 300 Stoffe, also die Liste schaut schon relativ groß aus im ersten Moment. Wenn man sich die aber ein bisschen näher anschaut, dann wird man feststellen, dass da ganz viele Komponenten drin sind, die entweder selbst Naturstoffe sind oder aus Naturstoffen hergestellt werden und die man so vielleicht auch in der eigenen Küche als Bestandteil von Zutaten verwenden würde. Und daneben gibt es dann eben einige Verbindungen, die tatsächlich synthetisch hergestellt werden und so in der Natur nicht vorkommen.
Und so könnte man vielleicht dann diese Zusatzstoffe aufteilen, also einmal aus Naturstoffen bestehend oder eben chemisch-synthetisch hergestellt und so in der Natur nicht vorkommend. Und das sind dann vor allen Dingen zum Beispiel einige Farbstoffe oder Süßstoffe, da findet man die größte Anzahl dieser synthetisch hergestellten Stoffe, die so in der Natur nicht vorkommen, während andere Gruppen zum Beispiel Dickungsmittel oder so praktisch ausschließlich aus Naturstoffen bestehen.
Jule Wäntig: Kannst du mal ein paar Beispiele nennen und vor allen Dingen, was tun diese Stoffe überhaupt?
Thomas Henle: Diese auf den ersten Blick recht zahlreichen Verbindungen, die könnte man jetzt wieder unterteilen, da gibt es dann 27 Klassen, die man jetzt nicht unbedingt einzeln besprechen muss. Man kann es so in die Wichtigsten vielleicht aufgliedern.Das sind Süßungsmittel, Süßstoffe, Zuckeraustauschstoffe, Farbstoffe, Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker und Säurungsmittel, die machen das, was der Name ja schon sagt, ja und dann gibt es noch Antioxidantien und Dickungsmittel.
Das wären so die wichtigsten Anwendungsbereiche vielleicht.
Jule Wäntig: Da muss ich jetzt aber nochmal genauer nachfragen, was sind denn diese Dickungsmittel und Antioxidantien und was machen Emulgatoren?
Thomas Henle: Ich fange mal den Antioxidantien an, diese Verbindungen verhindern die Oxidation, d.h. die Bremsen gewissermaßen des ranzig werden von Fett. Das ist eine typische Reaktion, die in fetthaltigen Lebensmitteln ablaufen kann. Gleichzeitig stabilisieren sie Verbindungen, die ebenfalls durch den Kontakt mit Sauerstoff sich verändern würden. Das betrifft z.B. einige Aromastoffe, die dann ihren Geruch verlieren würden, wenn sie oxidieren. Dickungsmittel kennt man aus der eigenen Küche, das ist so etwas wie Stärke, was man hinein rührt, um die Soße eben zähflüssiger zu machen, also zu verdicken und Emulgatorenstabilisieren die Mischungen zwischen wässriger Phase, also beispielsweise Essig und einem Öl und sowas verwenden wir dann beispielsweise bei der Herstellung von Mayonnaise, um eben die Konsistenz zu stabilisieren.
Peer Kittel: Das leuchtet ein, wie ist das denn jetzt aber mit diesen E-Nummern, also woher kommt denn jetzt dieses System?
Thomas Henle: Also dieses System hat man eingeführt Anfang der 1960er Jahre, ich glaube es war 1962, da gab es die ersten E-WG-Nummern, wie man damals noch gesagt hat, das hat man damals dann verwendet zunächst mal für die Farbstoffe, da hat man dann die Nummer 100 bis 199 genommen, glaube ich, danach folgten dann die Konservierungsstoffe und folgend darauf hat man dann einige Jahre später dieses E-Nummern-System europaweit gültig eingeführt. Letztlich weiß jeder europaweit, wenn ich sage E 901, dass das Bienenwachs ist oder E 300 ist Ascorbinsäure, also Vitamin C. Man muss also sich jetzt nicht viele, viele verschiedene Übersetzungen merken, sondern jeder in Europa weiß, wenn ich eine Nummer nenne, dann ist da die entsprechende Verbindung gemeint.
Jule Wäntig: Jetzt habe ich diese Liste an Substanzen, ich möchte jetzt zum Beispiel eine Fertigkuchenmischung auf den Markt bringen, kann ich dann einfach alles, was auf der Liste steht, da reinkippen und dann es erlaubt? Oder wie funktioniert das?
Thomas Henle: So ist es nicht. Tatsächlich sind nicht nur die Verbindungen genau geregelt, sondern es ist auch deren Anwendung ganz genau festgelegt. Also da gibt es dann manche Stoffe, die man generell verwenden darf, aber auch in einer ganz bestimmten Menge, manche Stoffe sind nur für ganz bestimmte Lebensmittel zugelassen. Es gibt Lebensmittel, für die sind Zusatzstoffe überhaupt nicht zugelassen, zum Beispiel Honig oder Butter darf zum Beispiel überhaupt keine Zusatzstoffe enthalten, Säuglingsnahrung darf ebenfalls bestimmte Zusatzstoffe nicht enthalten, zum Beispiel Geschmacksverstärker, keine Farbstoffe, keine Süßstoffe.
Es ist also nicht nur die Art oder die Identität der Zusatzstoffe ist definiert, sondern auch deren Anwendung, auch deren Höchstmenge ist also streng geregelt, wenn man so will. Und dieses recht komplexe Regelwerk, was durchaus auch zu Beanstandungen führt, ist aber letztlich ein Ausdruck dafür, dass man diese Zusatzstoffe tatsächlich immer nur dann verwenden soll, auch immer nur in ganz bestimmten Mengen, wenn es eben aus technologischer Sicht notwendig ist.
Peer Kittel: Wie ist das mit den Bio-Lebensmitteln, die sind dann frei von Zusatzstoffen?
Thomas Henle: Nee, das ist nicht so, auch Bio-Lebensmittel dürfen Zusatzstoffe enthalten, da gibt es eine EU-Ökoverordnung, die genau regelt, was erfüllt sein muss, damit sich ein Lebensmittel als Bio-Lebensmittel oder ökologisch produziertes Lebensmittel bezeichnen darf und gemäß dieser Verordnung sind tatsächlich auch 56 Zusatzstoffe mit den entsprechenden E-nummern erlaubt. Also auch ein Bio-Lebensmittel darf E412 enthalten, das ist Guakernmehl oder 410, das Johannesbrotkernmehl, auch Konservierungsstoffe wie z.B. Schwefeldioxid, ist für Obstweine erlaubt oder Nitrat für Bio-Fleischerzeugnisse. Es ist ganz witzig vielleicht, was du vorhin vorgelesen hast, diese Liste an Zusatzstoffen in diesem Kochschinken, alle diese Stoffe, die da drin sind, außer den Geschmacksverstärkern und Farbstoffen, die darf man für Bio-Fleisch nicht verwenden, aber fast alle Stoffe, die du da vorgelesen hast, die wären genauso auch für einen Bio-Kochschinken zugelassen.
Peer Kittel: Gut zu wissen, jetzt haben wir die Liste der Zusatzstoffe und ja, wir haben generell über die Funktionen von Zusatzstoffen recht ausführlich gesprochen. Auf der anderen Seite gibt es ja aber auch Stoffe, die in Lebensmitteln zugesetzt werden, die wir bisher noch gar nicht erwähnt haben. Einerseits sage ich mal sowas wie diese Aromastoffe, die ja auch auf der Zutatenliste stehen und dann hätten wir zum Beispiel auch sowas wie Jodsalz. Also warum tut man jetzt überhaupt Jod in Salz und, warum tut man Jodsalz in Lebensmittel?
Thomas Henle: Also zu Aromastoffen muss man zunächst mal sagen, dass sie gemäß Lebensmittelgesetz jetzt keine Zusatzstoffe sind, sondern Aromen. Und es gibt hier eine Aromenverordnung, die eben deren Anwendung regelt. Es ist letztlich genauso konzipiert wie die Zulassungsregelung für die Zusatzstoffe. Das heißt, da gibt es eine Liste an Aromen, die man verwenden darf, da gibt es genaue Definitionen über welche Lebensmittel, mit welchen Gehalten.
Ich glaube über Aromen machen wir mal eine extra Folge, denn das ist sowohl aus chemischer wie aus Zulassungssicht ganz interessant. Das mit dem Jodsalz ist dann was ganz was anderes. Das ist jetzt ein funktionell oder ein biofunktioneller Stoff. Den setzt man zum Salz, um die Schilddrüsenunterfunktion zu vermeiden, den sogenannten Kropf. Das ist etwas, was es so bis in den 1960er, 1970er Jahre in großem Umfang gegeben hat, was daraus resultiert, dass Deutschland ein sogenanntes Jod-Mangelgebiet ist.Dass wir unseren täglichen Bedarf an Jod eigentlich nicht decken könnten mit unserer normalen Ernährung. Außer man würde jetzt pro Woche vier, fünf mal Fisch essen, was aber die wenigsten machen. Und aus dem Grund hat man sich dann in den 1960er Jahren sowohl in der BRD, wie auch in der DDR entschieden, aus vorbeugendem Gesundheitsschutz das Salz mit Jodat anzureichern und auf die Art und Weise dann diesen Jod-Mangel in der Bevölkerung gewissermaßen zu beheben.
Jule Wäntig: Wenn ich jetzt für meine hypothetische neue Backmischung einen neuen Farbstoff erfinde und der wird zugelassen, ist er dann für immer zugelassen oder muss er immer wieder seine Unbedenklichkeit beweisen?
Thomas Henle: Also Fakt ist, das hast du richtig gesagt, dass so ein Zusatzstoff zugelassen werden muss, was sehr, sehr aufwendig ist. Wenn du in deinem Chemielabor im Keller, Jule, einen Farbstoff isolieren würdest, dann müsstest du erst einmal nachweisen, dass es den überhaupt braucht. Das heißt, dass der technologisch sinnvoll ist und bessere Eigenschaften hat, als die Farbstoffe beispielsweise, die es schon gibt. Ja, und dann muss der Hersteller nachweisen, dass der Zusatzstoff sicher ist. Das heißt, man muss das zunächst mal prüfen, ob der sich im menschlichen Körper anreichert, wie er verstoffwechselt wird, wie er mit anderen Nahrungsinhaltsstoffen beispielsweise wechselwirkt. Das heißt, es muss also die Sicherheit dokumentiert werden, auch bis hin zu einer toxikologischen Relevanz. Dazu muss man dann beispielsweise in Tierversuchen durchführen. Und das Ganze ist natürlich superaufwendig. Das dauert dann auch viele, viele Jahre, bis man entsprechende Dokumente bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit einreichen kann. Und die prüft dann, ob die Daten, die die Hersteller vorlegen, wirklich überzeugend sind oder ob es vielleicht noch weitere Untersuchungen braucht. Ja, und sowas zieht sich dann viele, viele Jahre hin, ist sehr aufwendig, sehr teuer. Und das führt natürlich dann letztlich auch dazu, dass in den letzten Jahren nur sehr, sehr wenige Zusatzstoffe wirklich neu zugelassen wurden. Vielleicht bei der Gelegenheit, das muss man nicht nur einmal machen, und dann ist der für immer und ewig zugelassen, sondern diese Zusatzstoffe werden immer in regelmäßigen Abständen überprüft. Also beispielsweise auch das Saccharin, was Anfang des 20. Jahrhunderts zugelassen wurde, was seit 100 Jahren als Zusatzstoff verwendet wird, muss sich in regelmäßigen Abständen immer wieder einer neue Bewertung stellen. Da gucken dann die Behörden, ob es neue Publikationen gibt, neue Berichte, die vielleicht eine neu potenziell schädliche Wirkung dokumentieren. Und dann wird geprüft, ob die Zulassung aufrechterhalten werden kann, ob es vielleicht weitere Vorgaben braucht, ob die Zulassung eingeschränkt werden kann oder ob man vielleicht den Stoff tatsächlich aus dem Verkehr zieht.
Peer Kittel: Damit werden wir dann nochmal beim Thema Risiken. Lass uns da vielleicht nochmal kurz darauf eingehen, denn wie einleitend schon dargestellt, ist das sicherlich das Thema, was die allermeisten Menschen auch umtreibt. Also vielleicht nochmal grundlegend die Frage, sind Zusatzstoffe schädlich für die Gesundheit? Also gibt es gesundheitliche Risiken bedingt durch Zusatzstoffe, zum Beispiel weil man jetzt viele Fertiggerichte mit Zusatzstoffen ist. Sehr häufig fällt da ja in jüngerer Zeit dann auch der Begriff der hochverarbeiteten Lebensmittel, die gerade eben wegen der Zusatzstoffe besonders ungesund sein sollen.
Thomas Henle: Also auch das müssen wir vielleicht detailliert aufarbeiten irgendwann in der nächsten Zeit. Denn dieses Thema hochverarbeitete Lebensmittel ist in der Tat etwas, was momentan sehr, sehr intensiv und sehr, sehr kontrovers diskutiert wird. Es gibt eine ganze Reihe von epidemiologischen Studien, die zeigen wollen, dass der Verzehr von industriell produzierten Lebensmitteln einhergeht mit allen möglichen gesundheitlichen Konsequenzen. Das ist zum einen wissenschaftlich begründbar durch die Energiedichte, also ganz profan, viel Essen führt zu viel Kalorien, führt unter Umständen zu Übergewicht und zu ernährungsbedingten Krankheiten. Der Umkehrschluss aber jetzt, der sehr häufig in dieser Literatur dann gemacht wird, dass hochverarbeitete Lebensmittel per se und dann möglicherweise auch die Zusatzstoffe für diese potenziellen Gesundheitsschäden verantwortlich sind. Dieser Umkehrschluss ist wissenschaftlich nicht belegt. Das heißt, das sind Scheinkorrelationen, die momentan, wie gesagt, sehr, sehr intensiv und sehr kontrovers in der wissenschaftlichen Community diskutiert werden. Es ist unumstritten, dass wir in Deutschland ein Gesundheitsproblem haben, resultierend unter Umständen aus Fehlernährung. Aber um es auf den Punkt zu bringen, Konservierungsstoffe oder Zusatzstoffe dafür verantwortlich zu machen, ist schlichtweg nicht wissenschaftlich belegbar.
Jule Wäntig: Jetzt gibt es einige Zusatzstoffe, die bekannter sind als andere, vor allem weil sie als typisch negative Beispiele gelten und einige Menschen da regelrecht Angst davor haben. Dazu zählt der Geschmacksverstärker Glutamat oder der Süßstoff Aspartam. In meiner WG gibt es seit einigen Monaten eine kleine Tüte Glutamat, weil es bei manchen Rezepten mit drin steht. Sollten wir uns eine Alternative suchen?
Thomas Henle: Nein, macht es nicht. Wenn es euch schmeckt und wenn ihr das gut brauchen könnt, dann macht es auch weiter, denn da gibt es mittlerweile so viele Berichte, auch in sehr guten Videos auf YouTube oder in Podcasts, die eindeutig zeigen, dass es keine Glutamatüberempfindlichkeit gibt. Es gibt keine adversen Reaktionen auf die Zufuhr von Glutamat. Das ist auch wissenschaftlich mittlerweile belegt. Beim Aspartam ist es so, dass es da Publikationen gab, die von einer potenziellen krebserregenden Wirkung gesprochen haben. Aber da ist vielleicht ganz interessant, dass die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit gerade im letzten Jahr, 2023, beide Stoffe, also Glutamat und Aspartam neu bewertet haben und letztlich festgestellt haben, um es ganz kompakt darzustellen, dass es keine Gründe gibt, die Zulassung für Glutamat in irgendeiner Weise zu relativieren. Es gibt ADI-Werte, also Werte an Mengen an diesen beiden Stoffen, die man pro Tag nicht überschreiten soll. Diese ADI-Werte werden bei normalem Verzehr nie erreicht, also insofern sind beide Stoffe sicher.
Jule Wäntig: Wenn du jetzt sagst, dass es keine echten Belege für eine Glutamatüberempfindlichkeit gibt, gibt es denn Zusatzstoffe, wo bewiesen ist, dass sie Allergien auslösen oder Überempfindlichkeit?
Thomas Henle: Ja, das gibt es schon und auch das ist dann wiederum wissenschaftlich eindeutig belegt. Es gibt eine Sulfitüberempfindlichkeit, also es gibt Menschen, die sind empfindlich gegen geschwefelte Lebensmittel, also zum Beispiel gegen geschwefelten Wein oder gegen Trockenobst. Das ist eine sehr seltene Pseudoallergie. Pseudoallergie heißt jetzt nicht, dass die sich das nur einbilden oder so, sondern es ist eine allergische Reaktion ohne die Beteiligung des Immunsystems. So was gibt es auch für bestimmte Farbstoffe, so genannte Azofarbstoffe, den gelben Farbstoff Tatrazin, E102 heißt der, der hat man früher in gelben Gummibärchen verwendet und da können eben solche Pseudoallergien ausgelöst werden. Es ist mit Juckreiz, Hautrötungen usw verbunden. Das ist aber wirklich sehr, sehr selten und die Mengen, die man dafür dann in den Studien benötigt, um so was tatsächlich auszulösen, sind so hoch, dass man sie in Lebensmitteln eigentlich nie erreicht, sodass dann eben weiterhin beides, sowohl Sulfit als auch der gelbe Farbstoff, in bestimmten Maximalmengen weiterverwendet werden darf.
Peer Kittel: Gibt es denn also umgekehrt gefragt Zusatzstoffe, die mal erlaubt waren und die dann verboten wurden? Ich habe glaube, ich habe gelesen, dass es Farbstoffe gibt, die bei Kindern ganz besondere Berühmtheit erlangt haben, weil sie zu einer Hyperaktivität führen sollen. Was hat es denn damit aus sich?
Thomas Henle: Ja, das ist tatsächlich so und das ist insofern auch ein Beleg, wenn ich mal so sagen darf, für das Verantwortungsbewusstsein der Zulassungsbehörden. Es gab vor einigen Jahren Berichte, das war glaube ich so 2008, 2009, dass dieser gelbe Farbstoff Tatrazin bei Kindern eventuell Hyperaktivität auslösen kann. Auch in sehr hohen Konzentrationen, Konzentrationen, die viel höher sind, das man in Lebensmitteln eigentlich anwendet. Aber all das hat dann letztlich dazu geführt, dass die EU-Kommission sich entschieden hat, einen Warnhinweis vorzuschreiben. Das heißt, wenn jetzt Lebensmittel Tatrazin enthalten oder andere Azofarbstoffe, das ist die Gruppe an Farbstoffen zu denen das Tatrazin gehört, dann muss auf denen draufstehen, "Kann die Aktivität und die Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen". Also ein Warnhinweis für etwas, was eigentlich wissenschaftlich sehr sehr umstritten ist. Und ein besseres Beispiel vielleicht noch für die tatsächliche Rücknahme einer Zulassung ist das Titandioxid.
Das ist ein weißes Farbpigment mit der E-Nummer 171. Das hat man verwendet für glänzende Überzüge von Lebensmitteln. Und es wurde vor kurzem von der EFSA, von der Europäischen Behörde für Lebensmittesicherheit verboten, weil man eben festgestellt hat, dass es sich im Körper anreichern kann, dass es nicht komplett ausgeschieden wird, dass es eventuell erbgutschädigend oder vielleicht sogar krebserregend wirken kann. Und diese Sicherheitsbedenken haben dann dazu geführt, dass Titandioxid im Januar 2022 aus dem Verkehr gezogen würde.
Peer Kittel: Darin kann man ja dann ganz gut sehen, dass es da doch ein Regelmechanismus gibt, der ganz gut funktioniert.
Thomas Henle: Ja, genau.
Peer Kittel: Wir haben jetzt über das Thema Schädlichkeit von Zusatzstoffen gesprochen und vor allem auch festgestellt, dass die Bedenken einigermaßen unbegründet sind. Jetzt muss sich die Lebensmittelindustrie aber auch immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass sie vielleicht ein bisschen trickst und die Verbraucher:Innen da auch in gewisser Weise manchmal hinters Licht geführt werden. Das geht ja dann schon mit solchen Labels los, wie zum Beispiel "Frei von Zusatzstoffen". Also täuscht man da nicht am Ende etwas vor, was es so gar nicht geben kann?
Thomas Henle: Ja, das ist schon ein Punkt, der es wirklich wert ist, kritisch darüber mal zu diskutieren. Das mit diesem Tricksen und Täuschen ist natürlich ein Vorwurf, den sich die Industrie immer fallen lassen muss. Aus wissenschaftlicher Sicht würde ich vielleicht ein kleines bisschen mehr Seriosität mir wünschen, denn ich bin der Meinung, dass es dieses "Frei von" überhaupt nicht braucht, aber letztlich suggeriert man den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit eine bessere Qualität, wenn sie eben das Lebensmittel frei von Konservierungsstoffen ist, was eigentlich gar nicht notwendig ist, denn selbst mit Konservierungsstoffen wäre die Qualität wahrscheinlich genauso gut. Tatsächlich gibt es hier strenge Regeln. Das muss man vielleicht noch mal zunächst aus lebensmittelrechtlicher Sicht sagen. Man darf beispielsweise "Ohne Konservierungsstoffe" nicht draufschreiben, wenn das Lebensmittel von vornherein keine Konservierungsstoffe enthalten darf. Joghurt zum Beispiel darf keine Konservierungsstoffe enthalten. Entsprechend darf man das nicht explizit ausloben, denn das wäre eine sogenannte Werbung mit Selbstverständlichkeiten. Aber um vielleicht noch mal so ein bisschen auf die ganz, ganz am Anfang einleitende Diskussion, wer ist denn verantwortlich für diese ganze Verwirrung und für dieses ganze Unwohl zum Thema Konservierungsstoffe, zum Thema Zusatzstoffe zurückzukommen. Letztlich tragen aus meiner Sicht solche Werbemaßnahmen im Sinne von "Unsere Lebensmittel enthalten keine Zusatzstofforte. Wir sind nur reine Natur" genau dazu bei, dass die Verunsicherung unter den Verbraucher:Innen immer größer wird. Denn wenn man das draufschreibt, unser Lebensmittel enthält keine Zusatzstoffe, dann assoziiert man damit eine bessere Qualität, einen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern. Und das ist aus meiner Sicht eigentlich schlichtweg nicht notwendig. Denn wenn sich alle an die gesetzlichen Regelungen halten, dann ist ja eigentlich alles gut. Und von daher muss man sich jetzt nicht unbedingt irgendwo was auf die Fahne schreiben oder auf die in die Werbekampange mit einbauen, was letztlich eigentlich dann für die Verbraucherinnen und Verbraucher keinen wahnsinnsgroßen Zusatzinformationsgehalt hat.
Jule Wäntig: Eine Welt ohne jegliche Konservierungsstoffe, um allen die Angst zu nehmen, wäre das überhaupt möglich?
Thomas Henle: Nö. Um es ganz klar zu sagen, wir haben ja einleitend diskutiert, viele Zusatzstoffe verwenden wir unbewusst als Teil unserer Zutaten. Manche Zusatzstoffe sind für die Ernährung der Weltbevölkerung unbedingt notwendig. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir eine steigende Weltbevölkerung mit Lebensmitteln versorgen müssen in den nächsten Jahrzehnten und was ohne industrielle Lebensmittel und auch ohne Zusatzstoffe, Konservierungsstoffe beispielsweise, niemals funktionieren wird. Also eine Welt ohne Zusatzstoffe ist praktisch ausgeschlossen. Man kann sich natürlich selber ein bisschen den Kopf machen, wie versuche ich, wenn ich das möchte, die Verwendung von Zusatzstoffen zu vermeiden. Das kann man, indem man auf die Verpackung guckt, Zusatzstoffe müssen da draufstehen. Und wenn ich sie nicht haben will, aus welchen Gründen auch immer, dann kaufe ich halt die Produkte, die sie nicht enthalten. Und man wird dann sehr schnell feststellen, dass tatsächlich Zusatzstoffe in der Regel gar nicht mehr so häufig verwendet werden. Ja, und da muss man noch einen Punkt mit in die Diskussion bringen, der vielleicht über allem steht und der uns vielleicht in jeder Folge irgendwo als übergeordnetes Thema mit beschäftigen wird. Lebensmittel sind häufig zu billig. Klingt jetzt ein bisschen provokativ, aber wer glaubt, für einen Wurstaufschnitt 39 Cent pro 100 Gramm zahlen zu müssen und dann hochwertig das Biofleisch mit ausgewählten Kräutern oder Gewürzen erwartet, das ist schlicht und einfach nicht möglich. Das heißt, wer damit hochwertige Qualität erreicht, der muss damit rechnen, dass dann Dickungsmittel, Konservierungsstoffe, Aromastoffe verwendet werden. Letztlich hat es also jeder selber in der Hand. Wer Zusatzstoffe vermeiden möchte, der kann das problemlos machen und wer dann doch ab und zu eine Tütensuppe oder eine Dose sich aufmacht,der muss nun wirklich keine Angst haben, was Zusatzstoffe anbelangt. Diese Tüten und diese Dosen sind viel, viel besser als ihr Ruf und letztlich ist dann alles andere Geschmackssache.
Peer Kittel: Mit diesem passenden Statement und mit dieser Zusammenfassung und der Fokussierung des mündigen Konsumenten, sind wir dann schon am Ende der heutigen Folge angekommen. Wie immer, vielen Dank, lieber Thomas, dass du deinen Expertenwissen mit uns geteilt hast und ich denke schon, dass du das Thema E-Nummern Zusatzstoffe so beleuchtet hast, dass wir das jetzt deutlich besser einordnen können.
Und wenn Sie Geschmack an unserem garantiert zusatzstofffreien Podcast gefunden haben, dann hören Sie gerne auch in unseren weiteren Folgen hinein. Unseren Podcast gibt es immer monatlich auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt. Wenn Sie Themenwünsche rund um Lebensmittel, Lebensmittelchemie oder Ernährung haben, dann schreiben Sie uns auch gerne eine E-Mail an lebensmittelchemie.podcast@tu-dresden.de.
Das war Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden.
Bis zum nächsten Mal.
Folge 1: Lebensmittel-Kennzeichnung - Was muss alles auf Lebensmitteln drauf stehen und warum?
In unserer ersten Folge wollen wir uns dem Thema „Lebensmittel-Kennzeichnung“ widmen. Auf den Lebensmittelverpackungen machen die Hersteller viele Angaben: Nährwerte, Inhaltsstoffe, Allergene, etc. Für Verbraucher:innen ist es oft nicht leicht, die Übersicht zu wahren. Mit unserem Experten Thomas Henle wollen wir darüber sprechen, warum so viele Angaben zu den Lebensmitteln gemacht werden, was diese bedeuten und wir werden die Frage klären, ob die Kennzeichnungen tatsächlich immer wissenschaftlich korrekt sind.
Peer Kittel: Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. Folge 1, ein Beipackzettel für Lebensmittel. Was muss alles auf Lebensmitteln draufstehen und warum?
[Intro-Musik spielt]
Peer Kittel: Ja Herzlich willkommen zu unserer neuen Podcast-Reihe Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden. Darin sprechen wir mit Lebensmittelchemiker Prof. Thomas Henle von der Technischen Universität Dresden über aktuelle Themen rund um Lebensmittel und Ernährung. Wir erklären die wissenschaftlichen Hintergründe, räumen mit Mythen und Fake News auf und werden auch den ein oder anderen persönlichen Tipp unseres Experten einholen. Wir, das sind Studentin Jule Wäntig und ich, Peer Kittel, Bereichsdezernent am Bereich Mathematik und Naturwissenschaften. Insofern, ich begrüße euch. Hallo Jule, hallo Thomas.
Thomas Henle: Hallo Peer, hallo Jule.
Jule Wäntig: Hallo!
Peer Kittel: In unserer ersten Folge wollen wir uns dem Thema Lebensmittelkennzeichnung widmen. Auf den Verpackungen steht ja viel drauf. Nährwerte, Inhaltsstoffe, Allergene und so weiter. Mit unserem Experten Thomas Henle wollen wir darüber sprechen, warum so viele Angaben zu den Lebensmitteln gemacht werden, was diese bedeuten. Und wir werden die Frage klären, ob die Kennzeichnungen tatsächlich immer wissenschaftlich korrekt sind. Jule, du hast dich mal umgehört?
Jule Wäntig: Ich habe mich in Vorbereitung auf diese Folge mal unter meinen Freund:innen und Bekannten umgehört und habe die gefragt, lest ihr euch überhaupt durch, was da drauf steht? Und ein Drittel hat gesagt, nee, schaue ich mir nicht an. Dafür hat aber ein Drittel gesagt, ja, aber nur bei Lebensmitteln, die ich noch nicht kenne. Und dann ein Drittel hat gesagt, nee, schaue ich mir nicht an. Dafür hat aber ein Drittel gesagt, ja, aber nur bei Lebensmitteln, die ich noch nicht kenne. Und dann ein Drittel hat gesagt, ja, immer. Und die meisten achten eben darauf, ist was Tierisches drin, wie viel Zucker, wie viel Fett ist drin, ist Alkohol drin. Und überraschend viele gucken einfach nur aufs Eiweiß.
Thomas Henle: Interessante Umfrage. Und mit dieser Umfrage bist du eigentlich ganz gut, genau in dem Bereich, was auch tatsächlich durch wissenschaftliche Umfragen herausgekommen ist. Da gab es vor einigen Jahren eine Studie von Kolleginnen und Kollegen von der Uni in Łódź in Polen. Die haben für polnische Verbraucherinnen und Verbraucher getestet und gefragt, lest ihr überhaupt, was draufsteht auf Lebensmitteln? Und in der Tat kam so ganz grob raus, etwa die Hälfte der Befragten lesen die Labels bzw. die Aufschriften. Und letztlich gab es gar keine großen Unterschiede, egal ob jetzt Männer oder Frauen. Es war auch mehr oder weniger unabhängig vom sozioökonomischen Stand bzw. dem Einkommen. Also letztlich der Hälfte ist es egal und die andere Hälfte liest es. Also insofern passt eine Umfrage da eigentlich ganz gut ins Bild.
Jule Wäntig: Ich habe hier so ein Knuspermüsli. Da kenne ich sehr gut, die Verpackung, weil ich das beim Frühstück sehr oft durchgelesen habe. Hier stehen ganz viele Sachen drauf, ein paar Zutaten, die ich sehr gut kenne, ein paar, die ich nicht so kenne. Was muss denn da alles draufstehen auf der Verpackung?
Thomas Henle: Also diese Verpackungsbeschriftungen sind natürlich für diejenigen, die sie erstellen müssen durchaus eine gewisse Herausforderung, wenn man so will, ist diese Kennzeichnung, so eine Art Wissenschaftskommunikation. Und Wissenschaftskommunikation hat immer das Problem, dass es auf der einen Seite möglichst fachlich korrekt informieren soll, auf der anderen Seite aber auch natürlich von jedem verstanden werden soll. Und diese Ambivalenz kommt auch so ein bisschen zum Ausdruck auf den Verpackungsbeschriftungen. Also manchmal ist es wissenschaftlich ein bisschen grenzwertig, man hat vielleicht etwas zu vereinfacht und für manche andere dann wieder zu kompliziert. Also man kann es festlegen, es gibt eine sogenannte Lebensmittelinformationsverordnung, die ist auf der Basis einer entsprechenden EU-Verordnung festgelegt worden. Die gilt in Deutschland seit 2014 und da ist dann ganz genau festgelegt, was auf Lebensmitteln draufstehen muss.
Peer Kittel: Thomas, ich glaube, wenn ich mir das Knuspermüsli hier mal ein bisschen genauer anschaue, das musst du noch ein bisschen näher erläutern. Fangen wir mal mit der Zutatenliste an. Ich lese einfach mal vor. Wir haben 55 Prozent Vollkorn-Haferflocken, dann Zucker, Sonnenblumenöl, Weizenmehl, Glucose Sirup, 5 Prozent Vollmilchschokolade und so weiter und so fort. Gibt es ein System oder wie ist das geregelt? Woran müssen sich die Herstellerfirmen dann halten?
Thomas Henle: Also in der Tat ist diese LMIV, die Lebensmittelchemikerinen, Lebensmittelchemiker, kürzen Sie mal gerne ab, diese Informationsverordnung regelt wirklich ganz explizit, was draufstehen muss. Da geht es dann um die Bezeichnung des Lebensmittels, um die Füllmenge, um den Hersteller, die Adresse und so weiter. Aus lebensmittelchemischer Sicht interessant ist es jetzt, dass es ein paar so Vorgaben gibt, die eben ganz genau regeln, was quasi im Lebensmittel drin ist sozusagen, beziehungsweise was festgeschrieben wird. Da ist es die Zutatenliste, also die einzelnen Rezepturbestandteile. Das ist der eine ganz wichtige Punkt. Der zweite Punkt ist dann, dass darin auch Zusatzstoffe mit aufgeführt werden müssen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sogenannte Allergen-Kennzeichnung, eigentlich genauer gesagt die Kennzeichnung von Stoffen, die jetzt Allergien oder Überempfindlichkeiten auslösen. Und der dritte Punkt ist die sogenannte Nährwert-Kennzeichnung, also die Zahl tatsächlich, wie viel Prozent eines Inhaltsstoffs sind drin. Das sind die drei, ich möchte mal so sagen, aus lebensmittel-chemischer Sicht spannendsten Sachen. Und dazu kommt dann noch das Mindesthaltbarkeitsdatum, was natürlich für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch ein sehr, sehr wichtiger Punkt ist.
Jule Wäntig: Jetzt sehe ich hier in der Zutatenliste, dass bei der Vollmilchschokolade steht 5 Prozent davor. Und es gibt auch so zwei andere Zutaten, die haben eine Prozententgabe, aber ganz viele andere nicht. Warum das denn?
Thomas Henle: Also zunächst einmal ist diese Zutatenliste so ansortiert, dass die Zutat, die am meisten drin ist, immer als erstes kommt und in absteigender Reihenfolge werden dann die anderen Bestandteile sortiert und für einige Bestandteile, die werden dann in Prozentangaben mit angegeben, also zum Beispiel 5% Schokolade oder 10% Milchpulver oder so und zwar immer dann, wenn sie in der Bezeichnung des Lebensmittels besonders herausgehoben werden. Wenn es zum Beispiel heißt Knuspermüsli mit Schokolade oder so, dann muss der Schokoladenanteil 5 Prozent oder wie auch immer in der Zutatenliste entsprechend genannt werden.
Peer Kittel: Jetzt hatten wir die Zutaten, wir haben die Prozentangaben. Was ja für viele auch wichtig ist, insofern sollten wir darauf noch mal ein bisschen genauer eingehen, ist das Thema Allergenkennzeichnung. Was hat es denn damit auf sich?
Thomas Henle: Diese Allergenkennzeichnung ist vor gut 20 Jahren eingeführt worden und findet sich jetzt auch wieder in dieser Lebensmittelinformationsverordnung. Tatsächlich umfasst es die 14 häufigsten Auslöser von Allergien bzw. Unverträglichkeiten. Und das ist eine Liste von Inhaltsstoffen, wie zum Beispiel Auslöser der Erdnussallergie, Allergien gegen Fisch, Eier, Milch. Alle diese Lebensmittel oder Lebensmittelbestandteile müssen dann entsprechend auf der Verpackung gekennzeichnet werden. Neben Allergien sind es dann aber auch solche Sachen wie zum Beispiel Laktose, was eine Laktosintoleranz auslösen kann bei empfindlichen Menschen. Oder Überempfindlichkeiten gegen Sulfit, also gegen das Schwefeln von Lebensmitteln. Auch da gibt es ganz wenige Menschen, die das haben, aber auch für die muss das dann entsprechend gekennzeichnet werden. Ja, und das muss auf der Verpackung deutlich gemacht werden. Und da gibt es jetzt verschiedene Möglichkeiten. Entweder es wird explizit erwähnt, Allergene, Doppelpunkt, und dann werden die Substanzen aufgelistet. In der Regel hebt man diese Inhaltsstoffe durch eine Kenntlichmachung in der Zutatenliste hervor, indem man sie fettdruckt oder in Großbuchstaben aufschreibt und auf die Art und Weise den Verbrauchern und Verbrauchern anzeigt, dass die entsprechenden Inhaltsstoffe drin sind.
Peer Kittel: Das klingt ja ganz gut, wenn da jetzt für Menschen mit einer Allergie das Risiko erkannt und verringert wird. Nun steht da ja aber manchmal drauf, "kann Spuren von... enthalten". Letztlich führt das die Kennzeichnung dann wieder ad absurdum, wenn man als Allergiker damit rechnen muss, dass doch alle möglichen Allergene drin sind. Also woher kommen dann denn wieder solche Aufschriften?
Thomas Henle: Ja, da ist schon was dran. Das ist in der Tat so, dass man dann bei manchen Lebensmitteln, wenn man so will, fast die gesamte Allergen-Kennzeichnungsverordnung mit "kann möglicherweise irgendwie drin sein". Man muss sich jetzt aber so ein bisschen in die Hersteller versetzen, denn das große Problem bei Allergien vor allen Dingen ist, dass es keine echten Grenzwerte gibt. Das heißt, im Gegensatz zu manchen anderen Inhaltsstoffen, wo man sagen kann, wenn unter zum Beispiel einer bestimmten Menge an Laktose im Lebensmittel drin ist, dann vertragen auch Laktose Unverträgliche diese betreffenden Lebensmittel. Und das ist bei Allergien nicht so. Da kann man also nicht sagen, eine Mindestmenge ist auch von Allergikern verträglich. Und aus dem Grunde sichern sich die Hersteller letztlich ab. Das heißt, insbesondere zum Beispiel bei diesem Müsli, was wir hier diskutieren, da kann es natürlich sein, dass auf dieser Produktionslinie des Schokomüsli vielleicht vorher ein Müsli produziert wurde, bei dem dann beispielsweise Erdnüsse mit drin waren. Und winzige Spuren, selbst wenn man die Anlage noch so sauber macht, könnten ja dann für die nächste Produktion mit ins Lebensmittel gelangen, unter Umständen dann bei besonders sensiblen Menschen Allergie auslösen. Und aus diesem Grunde sichern sich die Hersteller ab, indem sie dann letztlich sagen, wir können es einfach nicht ausschließen, dass winzigste Mengen des betreffenden Allergien drin sind. Inwiefern das dann hilfreich ist für Menschen mit Allergie, steht natürlich in der Tat zur Diskussion. Aber ich glaube, dass Menschen, die tatsächlich so starke Allergien haben, auch besonders vorsichtig von sich aus sind und dann vielleicht sogar auf diese Zusatzinformation gar nicht so sehr angewiesen sind.
Jule Wäntig: Kommen wir mal zu den Zusatzstoffen. In der Schule habe ich eine Hausarbeit zur E-Nummer geschrieben. Da habe ich eine Fertigpizza analysiert und weiß aber auch nicht mehr ganz so genau, was es mit denen auf sich hat.
Thomas Henle: Ja, Zusatzstoffe ist ein wichtiges Thema und ich denke, da müssen wir uns auch in den nächsten Monaten mal mit einer extra Folge beschäftigen. Vielleicht jetzt nur in diesem Zusammenhang. Zusatzstoffe sind ja Stoffe, die einem Lebensmittel zugesetzt werden, zum einen aus technologischen Gründen, um die Verarbeitbarkeit zu verbessern. Vor allen Dingen aber auch, um sichere Lebensmittel zu produzieren. Das heißt, um für die Verbraucherinnen und Verbraucher bestimmte Risiken, beispielsweise eines mikrobiellen Verderbs, zu minimieren. Definiert sind Zusatzstoffe als Stoffe, die den Nährwert oder den Gebrauchswert und die Qualität des Lebensmittels sichern oder verbessern. Auch das ist ganz, ganz streng geregelt in der Europäischen Union. Da gibt es eine definierte Liste von Zusatzstoffen. Das ist diese berühmte Liste mit den E-Nummern. Und die EU bzw. das Lebensmittelgesetz funktioniert da nach dem sogenannten Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt. So heißt es ganz großspurig. Was bedeutet, eigentlich ist alles verboten. Das heißt, man darf Lebensmittel nicht zusetzen, außer das, was explizit erlaubt ist. Und dieser Erlaubnisvorbehalt findet sich dann eben in entsprechenden Listen, also dieser Zusatzstoffliste, wo dann eben die Verbindungen aufgelistet sind, die man Lebensmitteln zugeben darf. In der Regel wird dann noch festgelegt, wie viel von dem Zusatzstoff für welche Lebensmittel und so weiter.
Peer Kittel: Wie du schon gesagt hast, das Thema Zusatzstoffe, E-Nummern werden wir sicher in einer der nächsten Folgen nochmal ein bisschen ausführlicher beleuchten. Lass uns vielleicht noch zur dritten Komponente zurückkehren, die du ja vorhin aufgezählt hattest, nämlich das Thema Nährwertkennzeichnung. Ich schaue nochmal in unsere Tabelle rein. Da steht für die einzelnen Stoffe ja der genaue Anteil im Lebensmittel drin. Ich sage mal 15 Gramm Fett, davon 2,5 Gramm Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate 66 Gramm, Ballaststoffe 6,7 Gramm und so weiter und so fort. Kannst du das noch ein bisschen näher beleuchten?
Thomas Henle: Also diese Nährwertkennzeichnung, so heißt es, ist seit einigen Jahren ebenfalls Pflicht. Und da gibt es nun eine bestimmte Menge an Inhaltsstoffen, also an chemisch definierten Inhaltsstoffen, die gekennzeichnet werden müssen. Die Lebensmittelchemie spricht da von den Big Seven, den großen Sieben, die entsprechend in dieser Nährwerttabelle dann aufgeführt werden müssen. Ich kann die kurz aufzählen. Es ist Fett und davon dann die gesättigten Fettsäuren. Das sind die Kohlenhydrate, davon dann die Zucker. Es ist das Eiweiß und das Salz. Das wären jetzt sechs Inhaltsstoffe. Und der siebte, dieser Big Seven, ist der Energiegehalt in Kilokalorien beziehungsweise in Kilojoule pro 100 Gramm. Und das sind jetzt die Pflichtangaben, die müssen auf den Lebensmitteln draufstehen. Die können jetzt ergänzt werden. Für manche Lebensmittel findet man dann noch Ergänzungen dazu, freiwillige Angaben, die von den Herstellern gemacht werden können. Das wäre dann sowas wie zum Beispiel Ballaststoffe oder ungesättigte Fettsäuren, Vitamine, Mineralstoffe. Die dürfen auch dann draufstehen, aber nur dann, wenn signifikante Mengen, wie es der Gesetzgeber sagt, im Lebensmittel drin sind. Das heißt, wenn also dann der Vitaminanteil in den betreffenden Lebensmitteln wirklich einen Beitrag zur Vitaminversorgung leistet, dann dürfen die Hersteller das quasi als positives Merkmal ihres Lebensmittels ebenfalls mit kenntlich machen.
Jule Wäntig: Dann habe ich jetzt eine Frage zu dem Zucker, weil es muss ja angegeben werden, wie du gemeint hast, Kohlenhydrate davon Zucker. Aber was bedeutet denn hier jetzt Zucker? Zucker ist ja nicht gleich Zucker, oder?
Thomas Henle: Das ist in der Tat ein Punkt, der ein bisschen problematisch ist und der auch aus chemischer Sicht durchaus ein bisschen komplexer diskutiert werden muss. Der Begriff Kohlenhydrate bedeutet zunächst einmal alles das, was aus, wie die Chemiker sagen, Mono-, Di-, Oligo- und Polysacchariden aufgebaut ist. Also da gehört zum Beispiel Stärke mit dazu. Da gehört aber dann auch zum Beispiel der Haushaltszucker dazu oder der Traubenzucker. Also alles das umfasst den Begriff Kohlenhydrate. Und um jetzt das ein bisschen zu differenzieren, hat man dann eingeführt, dass man sagt Kohlenhydrate insgesamt und davon dann Zucker. Und dieses davon Zucker bedeutet jetzt, das sind die sogenannten Einfach- und Zweifachzucker, also Mono- und Disaccharide. Aber das ist jetzt egal, ob die von Natur aus drin sind oder ob die extra zugesetzt sind. Und diese Zucker sind dann eben solche Sachen wie zum Beispiel der Traubenzucker, die Glucose, der Malzzucker, die Maltose, das ist dann Disaccharide, oder die Saccharose, der Kristallzucker. Alles das muss dann entsprechend als Anteil an diesen Kohlenhydraten erwähnt werden. Bedeutet aber jetzt nicht explizit, dass die dann zugesetzt wurden, sondern die können natürlich auch genauso von Natur aus vorhanden sein. In Fruchtsaftgetränken beispielsweise ist in der Regel schon sehr, sehr viel Zucker, also in dem Fall jetzt dann Traubenzucker beispielsweise oder Saccharose mit drin.
Peer Kittel: Wie ist das denn mit den Tagesbedarfen? Das wird ja nun auch ausgewiesen. So und so viel Prozent des Tagesbedarfs wird also da schon verbraucht mit dem einen oder anderen Lebensmittel. Nun sind Menschen ja aber unterschiedlich groß, unterschiedlich schwer. Wie kann man da denn überhaupt eine generelle Aussage zum Tagesbedarf von Personen treffen?
Thomas Henle: Ja, das ist in der Tat ein spannendes Thema. Und da streiten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch wirklich so ein bisschen, denn die Festlegung im Sinne von wie viel Prozent des Tagesbedarfs deckt jetzt zum Beispiel ein Müsli-Riegel oder so, ist natürlich extrem schwierig zu beurteilen. Jeder Mensch ist anders, um es mal so pauschal zu formulieren. Man hat sich deshalb darauf geeinigt, dass diese Angabe des Tagesbedarfs erstmal freiwillig ist, das heißt die Hersteller müssen das nicht machen, im Gegensatz zu den Prozentangaben, das ist verpflichtend. Und man hat sich dann orientiert letztlich an Ernährungsempfehlungen der unterschiedlichsten Wissenschaftsgesellschaften. Da gibt es in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Und die beschäftigt sich ja, wenn man so will, professionell mit der Frage, wie viel von bestimmten Lebensmittelinhaltsstoffen müssen wir denn pro Tag aufnehmen mindestens und wie viel sollten wir möglichst nicht überschreiten und so weiter. Und da muss man natürlich dann, ich sage mal, Referenzmenschen definieren. Und das ist auch tatsächlich dann hier gemacht worden von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Da gibt es eine sogenannte GDA, Richtlinie, die "Guideline Daily Amounts", also quasi die Referenzmengen für Energie, für ausgewählte Nährstoffe. Und jetzt wird es natürlich ein bisschen problematisch dahingehend, denn wer ist denn ein Referenzmensch? Und man hat sich dann für diese Angaben darauf geeinigt, dass wenn man solche Prozentangaben macht, ergeht man davon aus, dass die Person, die man hier festlegt, 2000 Kilokalorien pro Tag verbraucht. Da sagt man, dass das der durchschnittliche Kalorienverbrauch einer Frau ist oder 2500. Das wäre der Durchschnittskalorienverbrauch eines Mannes. Und darauf bezogen machen dann eben zum Beispiel Gesellschaften wie die DGE oder so Angaben im Sinne von, es sollten so und so viel Prozent dieser Energie gedeckt werden durch Zucker, durch Protein, durch Fett und so weiter. Und dann wird eben dieser Anteil der Inhaltsstoffe in dem Lebensmittel bezogen auf diese Referenzmengen und dann ausgerechnet, dass zum Beispiel ein Joghurt mit 200 Gramm eben so und so viel Prozent der Zufuhr an Eiweiß entspricht. Das ist in der Tat, wie du es richtig ansprichst, problematisch und wirklich allenfalls als Orientierung für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu sehen. Denn allein wenn wir uns da anschauen Peer, dann brauchen wir deutlich unterschiedliche Mengen an Eiweiß und an Kohlenhydraten.
Peer Kittel: Da sagst du was.
Jule Wäntig Wenn ich unsere Müsli-Packung jetzt wieder umdrehe, ist da vorne noch dieser Nutri-Score draufgepackt, so eine Art Ampel-Kennzeichnung. Für mich ist Nutri-Score A schon manchmal ein Kaufargument. Stimmt das denn, dass grün gesund und rot total ungesund ist?
Thomas Henle: Ja, dieser Nutri-Score, jetzt kommen wir wirklich so in den Bereich der Punkte, die man aus wissenschaftlicher Sicht durchaus etwas kontrovers diskutieren kann. Ich versuche es einmal so objektiv wie möglich darzustellen. Dieser Nutri-Score ist im Jahr 2020, im Herbst 2020 als freiwillige Kennzeichnung eingeführt worden. Ist also auch nicht verpflichtend. Man findet es nicht auf allen Lebensmitteln. Und man ist letztlich davon ausgegangen, dass man das Essverhalten der Menschen in gewisser Weise, ja ich möchte nicht sagen beeinflussen, aber doch dahingehend modulieren möchte, dass man gewisse Hinweise gibt, wie man sich gesünder ernähren kann. Jetzt ist aber ganz klipp und klar festzuhalten, dass dieses Farbensystem ABCDE, also von grün nach rot, nicht per se bedeutet, rot ist ungesund und grün ist gesund. Tatsächlich hat man versucht in dem Nutri-Score, das ist die wissenschaftliche Basis dafür, dass man die Inhaltsstoffe nach, ich sage mal, günstiger und weniger günstig bewertet. Günstiger hat man dann gesagt, zum Beispiel ungesättigte Fettsäuren, ungünstig heißt viel Zucker, viel Salz, viel Energie. Also man macht dann so ein Ranking, wenn ich das mal so sagen darf, und berechnet dann in der Tat, also da steht tatsächlich ein Algorithmus dahinter, berechnet dann tatsächlich für die bestimmten Lebensmittel so eine Einstufung in A bis E, wobei A dann eben bedeutet, es ist eher bestehend aus günstigen oder passt zu einer günstigen Ernährung, und E würde eben bedeuten, da ist vielleicht sehr, sehr viel Fett drin oder es ist sehr energiereich. Wichtig ist aber jetzt und dafür sollte dieser Nutri-Score auch verwendet werden und die Vertreter dieses Nutri-Scores machen das natürlich auch entsprechend Kenntlich wird ganz deutlich so kommuniziert, es soll jetzt nicht verglichen werden im Sinne von ich ernähre mich jetzt nur noch mit A, weil das gesund ist und nicht mehr mit E, weil das ungesund ist, sondern dieser Nutri-Score erlaubt einen Vergleich von Lebensmitteln einer Produktkategorie. Wenn man jetzt zum Beispiel Müsli nehme, und das kann man tatsächlich wirklich auch mal im Supermarkt so machen und sich von so einem Regal stellt und zehn Müsli ein und dasselbe Hersteller anschaut, dann wird man feststellen, dass man da Müsli findet mit Einstufungen C oder D. Die haben dann zum Beispiel sehr viel Zucker drin, sehr viel Fett. Und es gibt welche, die haben A, einen Nutri-Score mit A. Und da liest man dann in der Regel drauf, enthält keinen zugesetzten Zucker oder so. Also wenn dieser Nutri-Score einen Sinn macht, dann in der Tat zum Vergleich von Lebensmitteln einer Produktkategorie.
Peer Kittel: Jetzt haben wir ja immer von verpackten Lebensmitteln bis hierhin gesprochen, auf denen dann die entsprechenden Infos draufstehen müssen. Wie ist das denn eigentlich bei unverpackten Lebensmitteln? Also zum Beispiel beim Bäcker auf den Brötchen, auf den Tüten, da steht ja nichts drauf. Müssen die sich also nicht an diese Vorgaben halten?
Thomas Henle: Ich sage mal, jein. Man hat natürlich die Schwierigkeit, dass man auf unverpackte Lebensmittel keinen Aufdruck oder so machen kann oder alle dann verpacken müsste, um denen dann so einen quasi Beipackzettel mitzugeben. Und aus dem Grund hat man eine ganze Reihe von Lebensmitteln von dieser Kennzeichnungspflicht ausgenommen. Das ist dann sowas wie frische Lebensmittel wie Obst oder Gemüse oder auch die Brötchen oder die Semmeln, die man beim Bäcker kauft. Für die ist dann diese explizite Lebensmittel-Kennzeichnungspflicht dahingehend limitiert, dass die eben keine Aufschriften haben müssen natürlich. Angaben aber zum Beispiel zur Bezeichnung, zur Herkunft, zum Preis müssen schon deutlich gemacht werden. Es sind aber keine Angaben zum Nährwert oder zur Zutatenliste notwendig. Kann man auch gar nicht machen. Also Obst, Gemüse schwankt in der Zusammensetzung. Da ist es natürlich völlig ausgeschlossen, hier entsprechende Daten zu liefern. Was aber auch weiter gilt für entsprechend verarbeitete Lebensmittel, wie zum Beispiel die Brötchen oder die Semmeln vom Bäcker, ist die Allergen-Kennzeichnung. Diese Lebensmittel werden nicht explizit gekennzeichnet, sondern da muss dann in der Bäckerei durch zum Beispiel den Aushang oder durch Listen, die man dann bei Nachfragen bekommt, deutlich gemacht werden, welche potenziellen Allergene in den Produkten drin sind. Das kann auch letztlich vielleicht nur der Fachverkäufer, die Fachverkäuferin dann wissen. Auch da kann man fragen, sagen Sie mir mal bitte, ist da jetzt Soja mit drin, weil ich eine Soja-Allergie habe. Gilt übrigens auch für Restaurants, kennt auch jeder. Da steht dann in der Speisekarte dann häufig für Allergene, fragen Sie unser Personal oder es stehen kleine Zahlen drunter. Man kann dann irgendwo ganz hinten nachlesen, was das bedeutet. Also die Allergen-Kennzeichnung ist auch für solche Lebensmittel verpflichtend. Aber alles das, was so die Zutatenlistungen angeht -Kennzeichnung ist auch für solche Lebensmittel verpflichtend. Aber alles das, was so die Zutatenliste und den Nährwert anbelangt, davon sind diese Lebensmittel ausgenommen.
Jule Wäntig: Alkoholische Getränke sind verpackt, trotzdem haben viele keine Kennzeichnung. Wie kommt das?
Thomas Henle: Sehr gute Frage zum Abschluss. Alkoholische Getränke sind ebenfalls ausgenommen. Und zwar ab einem Alkoholgehalt von 1,2 Prozent. Wenn Sie drunter sind, wenn man guckt auf alkoholfreiem Bier, da steht dann tatsächlich auch so eine Inhaltsstoffliste drauf. Getränke über 1,2 Prozent sind ausgenommen. Aber, sagt man jetzt, die Hersteller dieser betreffenden Lebensmittel wären motiviert oder dazu angehalten, solche Listen ebenfalls zu machen. Der Deutsche Brauerbund beispielsweise empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen, entsprechende Nährwertkennzeichnungen ebenfalls zu machen. Also auf manchen Bieren, zum Beispiel auch auf manchen sächsischen Bieren oder auf besonderen Dresdner Bieren, da findet man tatsächlich dann auch so eine Nährwertkennzeichnung. Warum die ausgenommen waren oder immer noch ausgenommen sind, liegt vermutlich daran, dass diese Lebensmittel ja nun, ich sage mal, keinen signifikanten Beitrag zur Zufuhr bestimmter Inhaltsstoffe des Tages beitragen sollten. Hängt natürlich von der Menge ab. Von daher hat man dann diese Nährwertkennzeichnung hier ausgenommen. Wohl aber haben die eine Zutatenliste. Das heißt, auch auf einem Bier oder auf einem alkoholischen Mixgetränk finden wir natürlich entsprechend die Zutatenlisten.
Peer Kittel: Lieber Thomas, liebe Jule, vielen Dank. Unsere Zeit ist leider schon um. Wir haben viele Hintergrundinfos zur Lebensmittelkennzeichnung erfahren. Für einige Fragen hat die Zeit heute aber nicht gereicht. Das haben wir ja schon angedeutet. Da werden wir in den kommenden Folgen noch ein bisschen intensiver in den Austausch gehen.
Und wenn dieser Podcast künftig auch auf Ihrer Zutatenliste für die Aufnahme von Wissen stehen soll, können Sie immer monatlich auf der Webseite der TU Dresden und überall da, wo es Podcasts gibt, mit einer neuen Folge rechnen. Wenn Sie Themenwünsche rund um bestimmte Lebensmittel, Lebensmittelchemie oder Ernährung haben, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an lebensmittelchemie.podcast@tu-dresden.de. Das war Food Facts, der Lebensmittelchemie-Podcast der TU Dresden mit Prof. Thomas Henle, Jule Wäntig und Peer Kittel.
[Outro Musik]
Weitere Informationen
Sprecher:innen
Prof. Thomas Henle:
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Jahrgang 1961
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Seit 1998 Professor für Lebensmittelchemie an der TU Dresden
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Ärgert sich oft über so manchen „Ernährungspodcast“ – und muss deshalb jetzt was "Eigenes" machen.
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Lieblingslebensmittel: Alles (außer Rohmilch)
Peer-Philipp Kittel:
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Jahrgang 1984
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Seit 2021 Dezernent des Bereichs Mathematik und Naturwissenschaften der TU Dresden
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Hat früher mal beim Radio gearbeitet
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Lieblingslebensmittel: Reis und Harzer Käse (nicht unbedingt in Kombination)
Jule Wäntig
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Jahrgang 2002
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Studiert Bauingenieurwesen an der TU Dresden
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Engagiert sich ehrenamtlich und verteilt dabei Nahrungsmittel
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Hört Podcasts immer in doppelter Geschwindigkeit
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Lieblingslebensmittel: Kartoffel
Produktion
Nicole Gierig, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, TU Dresden