Wissenschaftlicher Hintergrund: Paradigma-Wechsel beim Verbraucherschutz
1. Individuelle Risikofaktoren
Die Konzepte und Studien der Arbeitsgruppe sind Folge eines Paradigma-Wechsels für die Prävention von Glücksspielstörungen: Annahme war bisher, dass alle Spielteilnehmer ein ähnliches Risiko für die Entwicklung einer Störung tragen. Konsequenterweise liegen dann die Bedingungsfaktoren überwiegend beim Glücksspielangebot und den Glückspielcharakteristika, und Prävention erfolgt vor allem über Einschränkungen bei diesen Variablen (Reduzierung der Spielangebote, Abstandsregelungen, Eingriffe in Spielabläufe und Internetverbot). Dieser Ansatz verkennt, dass der Anteil der Personen mit einer Glücksspielstörung in Deutschland mit etwa 1-2% unter den aktiven Spielern (oder 0,5% der erwachsenen Bevölkerung) sehr gering ist, obwohl Glücksspiele für alle weitgehend gleich erreichbar sind und etwa 40% der erwachsenen Bevölkerung sich daran beteiligt. Das heißt, dass es individuelle Faktoren bei einzelnen Personen geben muss, die diese empfänglich für eine Glücksspielstörung im Vergleich zur restlichen Spieler:innengruppe machen, und dass überwiegend diese individuellen Risikofaktoren in Interaktion mit sozialen und glücksspielbezogenen Faktoren die Wahrscheinlichkeit für eine Glücksspielstörung erhöhen.
Diese Überlegung passt gut zu neueren Erkenntnissen der Grundlagenforschung zu Vulnerabilitätsmerkmalen von Personen mit einer Glücksspielstörung, die darauf hinweisen, dass diese Gruppe bereits initial ab Spielbeginn ein hohes Risiko aufweist. Damit sind die üblichen präventiven Maßnahmen (Aufklärung, Warnhinweise auf Risiken) nicht ausreichend, vulnerable Spieler brauchen einen besonderen und frühzeitigen Schutz.
2. Soziale und glücksspielbezogene Faktoren
Das weiterentwickelte Vulnerabilitäts-Risiko-Modell beschreibt als heuristisches Konzept das Auftreten einer Glücksspielstörung als Interaktion biologischer, psychologischer und sozialer Variablen mit einer variierender Bedeutung über die Lebensspanne: Psychosoziale Faktoren wie Glücksspielen von Freunden oder in der Familie, soziale Faktoren wie Vorbilder für Glücksspielen, Werbung sowie Merkmale des Glücksspielangebots spielen für das erstmalige Glücksspielen und die Entwicklung riskanten Spielverhaltens eine Rolle und müssen für die Prävention bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beachtet werden: Schulische und elterliche Maßnahmen, konsequente Teilnahme- und Werbeverbote für diese Altersgruppe sind zentrale Maßnahmen zur Entwicklung eines risikoarmen und risikobewussten Teilnahme (Bühringer & Ennuschat, 2016; Bühringer, Kotter & Kräplin, 2017).
Der Übergang vom riskanten Glücksspielen zur Entwicklung einer Glücksspielstörung betrifft die Spieler mit einer genetisch bzw. lebensgeschichtlich entwickelten Vulnerabilität. Die beschriebene Prävention ist hier nicht ausreichend, aktive Schutzmaßnahmen von der Früherkennung bis zur Spielpause und Spielsperre sind für diese Zielgruppe notwendig (Bühringer, Kotter, Czernecka & Kräplin, 2018).