Diversitätssensible Kommunikation und Interaktion
Für ein positives Lernklima und einen konstruktiven Umgang mit Vielfalt ist eine wertschätzende und diskriminierungsfreie Kommunikation und Interaktion grundlegend. Erfahren Sie mehr zu den Themen:
- Wertschätzende Lernatmosphäre
- Gendersensible und antidiskriminierende Sprache
- Gruppendiskussion divers
01. Wertschätzende Lernatmosphäre
Nur durch gegenseitige Wertschätzung kann eine Unterrichtsatmosphäre entstehen, die jede:n Einzelne:n in seiner Lernbereitschaft unterstützt. Grundlegend für einen wertschätzenden Umgang ist es, als Lehrperson zugänglich zu sein, und anderen gegenüber Interesse und Präsenz zu zeigen, um so eine offene Lernatmosphäre zu schaffen [1].
Für Sie als Lehrperson würde das Folgendes bedeuten:
- Treten Sie mit Ihren Studierenden in den Dialog und berücksichtigen Sie dabei deren persönliche Situation.
- Versuchen Sie die Studierenden ohne Vorbedingungen anzunehmen und Ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Nehmen Sie die Studierenden in Ihren Herausforderungen und den Schwierigkeiten während des Lernprozesses ernst.
- Begleiten Sie die Studierenden während des Lernprozesses, indem Sie Ihnen eine aktive Aneignung des Lernstoffes ermöglichen. Vermeiden Sie eine reine Weitergabe Ihres Wissens.
- Seien Sie emphatisch und versuchen Sie sich in die Studierenden hineinzuversetzen. Versuchen Sie zu verstehen, was Ihnen helfen könnte, um die Lernziele zu erreichen? [1]
Es wird davon ausgegangen, dass eine wertschätzende Atmosphäre auf drei verschiedenen Ebenen angesiedelt ist:
1. Akademisch-kognitiv
Das akademisch-kognitive Klima kann verbessert werden, indem Sie als Lehrperson beispielsweise erfüllbare und dennoch hohe Erwartungen stellen und diese klar formulieren. Studierende sollten nicht über- aber auch nicht unterfordert sein.
2. Strukturell-organisatorisch
Strukturieren Sie Ihre Lehrveranstaltungen so, dass die Studierenden wissen, was am Ende von Ihnen erwartet wird. Hierzu sollten Sie sich im Vorfeld fragen:
- Welche Kompetenzen sollen die Studierenden am Ende haben?
- Wie ist die Lehre aufgebaut?
- Welchen Einsatz erwarten Sie von Studierenden?
- Was behandeln Sie konkret in welcher Lehreinheit?
- Welche Teilbereiche wird die Prüfung umfassen?
3. Sozial-kommunikativ
Versuchen Sie selbst Maßstäbe für einen respektvollen und vertrauten Umgang innerhalb Ihrer Lehrveranstaltungen zu setzen. Dies ist das Fundament einer wertschätzenden Atmosphäre. Hierzu eignet es sich beispielsweise, gemeinsam mit den Studierenden Gesprächsregeln festzulegen oder auch gemeinsame Ziele zu formulieren. [1]
02. Gendersensible und antidiskriminierende Sprache
Zur Einstimmung in das Thema gendersensible bzw. antidiskriminierende Sprache bitten wir Sie, sich die folgende kurze Geschichte durchzulesen:
Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen Unfall, bei dem beide verletzt werden. Sie werden in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein bekannter Chirurg arbeitet. Die Operation des Jungen wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“ (https://genderdings.de/gender/gendern/)
Waren Sie zunächst etwas irritiert, als Sie die kurze Story gelesen haben? Vielleicht haben Sie sich gefragt, ob es sich um ein homosexuelles Paar handelt? Viele werden erst beim weiteren nachdenken darauf kommen, dass es sich bei dem bekannten Chirurgen auch um eine bekannte Chirurgin und damit um die Mutter des Jungen handeln könnte.
Dies ist nur ein kurzes Beispiel, das zeigt, dass Sprache durchaus Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung von Sachverhalten hat und dementsprechend nach einem sensiblen Umgang verlangt.
Hintergrund
„In den meisten Fällen von sozialer Diskriminierung spielt Sprache eine Schlüsselrolle. Sie ist ein zentrales Mittel der Diskriminierung, wird aber auch zum Objekt von Diskriminierung und zudem zum Medium der Bekämpfung von Diskriminierung.“ [2]
„Gendern ist, sehr allgemein gesprochen, ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung, d. h. die gleiche und faire Behandlung von Frauen und Männern im Sprachgebrauch zu erreichen. Gendern bedeutet somit die Anwendung geschlechtergerechter Sprache.“ (Diewald & Steinhauer 2017, 5; Hervorh. im Orig.)
Im Kontext eines allgemeinen Strebens nach Gleichstellung hat sich auch das Bemühen um eine gendergerechte Sprache, sowohl in Deutschland als auch in anderen westeuropäischen Ländern, großflächig durchgesetzt. Diese Anerkennung der Wichtigkeit einer sprachlichen Umsetzung von Gleichstellung findet sich auch in verschiedenen Verordnungen und Gesetzen wieder.
Grundlegend wird vorausgesetzt, dass es historisch bedingt eine Dominanz des Männlichen gibt, welche Frauen in ihrer Sichtbarkeit und ihren Wirkungsmöglichkeiten einschränken und sie somit benachteiligen. Die Anwendung geschlechtergerechter Sprache führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Vielmehr ist Sprache aber ein wichtiges Instrument und auch ein Ergebnis der Konstitution von Wirklichkeit. „Sprache ist von Denken geprägt und Sprache prägt das Denken. Zugleich ist Sprache die Grundlage jedes gesellschaftlichen Handelns.“ (Diewald & Steinhauer 2017, 7).
In seinem alltäglichen Sprachgebrauch kann es jedoch nicht nur relevant sein, auf eine geschlechtergerechte Sprache zu achten. Vielmehr sollte darüber hinaus auf eine insgesamt diskriminierungsfreie Sprache Wert gelegt werden – insbesondere dann, wenn Sie der Heterogenität der Studierenden gerecht werden möchten.
vgl. Diewald, Gabriele & Anja Steinhauer (2017): Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Duden.
„Sprache spiegelt nicht einfach etwas wider, was sowieso da ist, sondern ist ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Normen und Situationen, stellt diese mit her, bestätigt diese, macht sie selbstverständlich.“ (AG Feministisch Sprachhandeln 2014 / 2015, 11)
Sprache konstituiert Wirklichkeit. Wie bereits beschrieben, kann über die Sprache Wirklichkeit hergestellt werden. Demnach werden mit einzelnen Wörtern auch Zuschreibungen geschaffen.
Sprache ist nicht neutral, auch wenn das nicht immer sofort bewusst ist. Warum wird eine Person als „die/er blinde Studierende“ beschrieben, aber nie als „die/er sehende Studierende“? Inwiefern wird dadurch die Norm des gesunden Studierenden reproduziert? Ebenso werden beispielsweise schwarze Personen häufig mittels ihrer Hautfarbe beschrieben. Weiße Personen werden hingegen häufiger nach ihrer Kompetenz oder Funktion benannt.
Sprache orientiert sich weitestgehend an den vorherrschenden Normen unserer Gesellschaft. In Bezug auf Menschen ist die momentan häufig unbenannte Norm männlich, weiß, nicht-behindert sowie heterosexuell. Zudem wird meist von Mittelklasseprivilegien ausgegangen.
Durch Sprache können auch Diskriminierungen reproduziert werden, und das nicht nur in Bezug auf Geschlecht, sondern in Bezug auf andere Kategorien sozialer Ungleichheit.
vgl. AG Feministisch Sprachhandeln (2014 / 2015): Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit! 2. Auflage, online verfügbar unter: http://feministisch-sprachhandeln.org/wp-content/uploads/2015/04/sprachleitfaden_zweite_auflage.pdf (letzter Zugriff am: 10.08.2020)
Diversitätssensible Lehre bedeutet also die Vermeidung der sprachlichen Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheiten. Dies kann auf verschiedene Art und Weise in der Lehre Berücksichtigung finden. An dieser Stelle soll auf den Leitfaden der TU Dresden verwiesen werden.
Ebenso finden Sie verschiedene Anregungen zum geschickt gendern auf der folgenden Website:
03. Gruppenarbeit divers
Viele von Ihnen werden Gruppenarbeiten bereits selbstverständlich als didaktische Methode nutzen, denn Sie bieten viele Vorteile und sind relativ einfach umzusetzen.
Im Folgenden möchten wir zeigen, wie Gruppenarbeiten auch gezielt in Hinblick auf eine diversitätssensible Hochschullehre genutzt werden können.
Für Ihre Lehrveranstaltung ist es zunächst wichtig, sich zu fragen:
Welche Dimensionen und Merkmale bei den Studierenden und auch bei Ihnen hinsichtlich Diversität identifiziert werden und wie diese Einfluss auf die Lehre nehmen können. [3]
Hierbei kann zunächst festgehalten werden, dass Diversität in unterschiedliche Dimensionen unterteilt werden kann:
- Persönlichkeit
- Innere Dimension (relativ unveränderbare Merkmale wie beispielsweise Hautfarbe, Alter, Nationalität etc.)
- Äußere Dimension (relativ veränderbare Merkmale, wie Z. B. Wohnort, Berufserfahrung, Religion etc.)
- Organisationale Dimension (veränderbare Merkmale, wie der Studienabschluss oder der Studienschwerpunkt) [4]
Diversität ist häufig unsichtbar!
Mit Blick auf diese Einteilung und der Vielzahl verschiedener Merkmalsausprägungen wird Ihnen als Lehrperson vermutlich bereits bewusst, dass Diversität keineswegs immer von vornherein sichtbar ist, was eine Gruppeneinteilung in möglichst heterogene Gruppen zunächst schwierig erscheinen lässt. Allerdings können Sie sich zunächst fragen, welche Diversitätsmerkmale Ihre Lehre inwiefern beeinflussen können und welche Dimensionen hierfür erfasst werden können. In einer Untersuchung von Maassen & Ruschin (2018) wurde beispielsweise deutlich, dass Lehrende insbesondere die organisationale Dimension als relevant einstuften, wie z. B. der Ort des Bachelorabschlusses, der Studienschwerpunkt oder auch das Fachsemester. Die äußere und die innere Dimension spielte kaum eine Rolle. (449f.) Vielleicht könnten Sie diese Dimensionen vor der nächsten Gruppenarbeit erfragen und so der Heterogenität im Vorwissen, den Interessen und Sichtweisen gerechter werden. Laut Massen & Ruschin (2018) bietet dies auch die Chance, dass sich die Studierenden von den Lehrenden gesehen fühlen. Außerdem könne so offen mit Stärken und Schwächen umgegangen werden, was die Gemeinschaft fördere und Synergieeffekte schaffe.
„Der Lernerfolg am Ende der Veranstaltung wird für alle Studierenden erhöht und führt zu einer positiven Beeinflussung des Gesamtstudiums.“ [3]
Was sind mögliche Risiken?
Als mögliches Risiko wurde herausgestellt, dass sich Studierenden möglicherweise mit einem Schwachpunkt konfrontiert sehen, den Sie bisher verbergen konnten. Demnach kann eine Sichtbarmachung der Diversität auch unerwünschte Konsequenzen haben, indem einzelne Studierende eventuell aufgrund bestimmter, zunächst unbekannter Merkmale ausgeschlossen werden könnten. [3]
Zusammenstellung von Gruppen
Sicher werden Sie sich jetzt fragen, ob nicht auch die anderen Diversitätsdimensionen einen Einfluss auf die Lehre und damit auch den Lernerfolg haben. Denn neben den zunächst unmittelbar relevanten Merkmalen der organisationalen Dimension, können auch die Merkmale anderer Dimensionen sich zumindest mittelbar auf den Bildungserfolg auswirken. Um zu vermeiden, dass sich für Gruppenarbeiten ausschließlich Studierende zusammenfinden, die sich bereits kennen bzw. um eine zufällige Gruppeneinteilung zu ermöglichen, gibt es zahlreiche einfache Möglichkeiten:
- Das Abzählen kennen sicherlich viele - Vorteil: es ist extrem einfach, verständlich und schnell.
- Möchten Sie, dass die Gruppen unterschiedliche Aufgaben lösen? Dann bereiten Sie doch einfach mehrere Zettel mit dem Gruppennamen und der jeweiligen Aufgabe vor und lassen Sie die Studierenden dann ein Zettel ziehen. Über den jeweiligen Gruppennamen können sich die Studierenden zusammenfinden und haben die Aufgabe gleich parat.
- Soll es etwas aktivierender sein? Bitten Sie die Studierenden sich beispielsweise nach ihrer Schuhgröße zu sortieren und zählen Sie erst dann ab.
- Ebenso können Sie die Studierenden durch das Mayer-Meyer-Maier-Spiel zu Gruppen zusammenfinden lassen. Je nach Gruppengröße besteht jede Familie aus verschiedenen Familienmitgliedern, die sich zur "richtigen" Familie zusammenfinden müssen. Dabei darf Familie Mayer nicht mit Familie Meyer oder aber der Familie Maier verwechselt werden. Je nach Gruppenanzahl können noch weitere Familien wie z. B. Familie Mayr, hinzugefügt werden. Chaos erwünscht.
- Eine eher witzige Idee mit einem kleinen Überraschungseffekt...kleben Sie vor Beginn der Veranstaltung Punkte mit verschiedenen Farben unter die Stühle.
Wenn Sie als Lehrperson einer Segregation nach bestimmten Merkmalen gezielt begegnen möchten, ist es jedoch schwierig, die Gruppeneinteilung nur dem Zufall zu überlassen. Gruppen können von Ihnen gezielt heterogen zusammengestellt werden. So können Sie darauf achten, dass – sollte beispielsweise der Anteil männlicher Studierender in Ihrem Seminar gering sein – sich diese nicht alle in derselben Gruppe zusammenfinden. Gleiches trifft auch auf andere Merkmale, wie beispielsweise die Muttersprache, Nationalität etc. zu. Sicher ist es nicht immer leicht auszumachen, welche Merkmale die Studierenden in sich vereinen. Und natürlich gibt es Merkmale, die die Studierenden nicht Preis geben wollen. Hier können Sie als Lehrperson einerseits offen mit den Studierenden sprechen und bereits in einer der ersten Sitzungen ihren Wunsch äußern, die Veranstaltung möglichst diversitätssensibel zu gestalten. Andererseits kann den Studierenden mit der nötigen Sensibilität begegnet werden, indem beispielsweise Gesprächsangebote gemacht und Ängste ernst genommen werden.
Quellen
[1] Reitzer, Christine (2014): Erfolgreich lehren: Ermutigen, motivieren, begeistern. Springer-Verlag, Heidelberg, Berlin.
[2] Reisigl, Martin (2017): Sprachwissenschaftliche Diskriminierungsforschung. In: Scherr, Albert; El-Mafaalani, Aladin; Yüksel, Gökçen (Hrsg.): Handbuch Diskriminierung, Springer, Wiesbaden
[3] Maassen, Kathrin & Sylvia Ruschin (2018): Diversitätsorientierte Lernumgebung: Heterogene Lernvoraussetzungen für Gruppenarbeit nutzen. Ein wirtschaftsingenieurwissenschaftliches Lehrprojekt an der Universität Duisburg-Essen. In: die hochschullehre. Interdisziplinäre Zeitschrift für Studium und Lehre. Beiträge zu Praxis, Praxisforschung und Forschung. Jahrgang 2018, S. 443-458.
[4] Boomers, S., & Nitschke A. K. (2013). Diversität und Lehre. Empfehlungen zur Gestaltung von Lehrveranstaltungen mit heterogenen Studierendengruppen (Hrsg.), Gemeinschaftsprojekt der Arbeitsbereiche Qualitätssicherung in Studium und Lehre des FB Geschichts- und Kulturwissenschaften und des FB Politik- und Sozialwissenschaften. Freie Universität Berlin. https://portal.uni-freiburg.de/gleichstellung/Lehre/fu-berlin-lehrveranstaltungen-mit-heterogenen-studierendengruppen.pdf. (Zugegriffen am 14.08.2020)