Historischer Brückenschlag zwischen Dresden und Sankt Petersburg - Vor 190 Jahren wurde die erste Vorgängereinrichtung der heutigen TUD gegründet
Wladimir Reschetilowski
Das hohe nationale und internationale Ansehen einer Universität lebt mit Blick auf die Zukunft nicht zuletzt von ihrer Herkunft und dem gelebten Traditionsbewusstsein. Ein Blick in die Vergangenheit der Technischen Universität Dresden eröffnet eine historisch interessante und einzigartige Perspektive auf die anfänglichen chemisch-technologischen Wissenschaftsbrücken zwischen Dresden und Sankt Petersburg. Denn die Vorgängereinrichtungen der TU Dresden und des St.-Petersburger Staatlichen Technologischen Institutes (Technische Universität) wurden im gleichen Jahr 1828, also vor 190 Jahren, gegründet.
»Die Wissenschaften, und insbesondere die Technologie, haben in der neueren Zeit so große Fortschritte gemacht, und die Bedürfnisse des Lebens haben sich so erweitert, dass es geeignet erscheint, durch Erziehung für die nötige Ausbreitung gründlicher Kenntnisse und Fertigkeiten zu sorgen und eine solche Bildungsanstalt unter die Landesbehörden zu stellen« – stellte damals seine Exzellenz Cabinetsminister Sachsens, Detlev Graf v. Einsiedel (1773 – 1861), anlässlich der Gründungsfeier der Technischen Bildungsanstalt zu Dresden am 1. Mai 1828 fest. Damit wurde der Bedeutung der chemischen Technologie mit ihrer lebenswichtigen Funktion für die Wirtschaft im sächsischen Raum und darüber hinaus Rechnung getragen. Ein halbes Jahr später, am 28. November 1828, hieß es per Ukas des Zaren Nikolai I. (1796 – 1855): »Die Verbreitung und die dauerhafte Einrichtung der Gewerbeindustrie in unserem Imperium wünschend, haben wir die Güte zu verordnen, in Sankt Petersburg das Praktische technologische Institut zu gründen«. Mit dieser Entscheidung sollte auch im russischen Imperium der Bedarf an hoch qualifizierten Fachkräften für das sich stürmisch entwickelnde chemische Gewerbe solide und fortwirkend gedeckt werden.
Heute muss man den Gründungsvätern der beiden Bildungsanstalten ein hohes Maß an Klugheit und Weitsicht zu der damaligen Zeit attestieren, denn auch nach 190 Jahren genießen die aus Vorgängereinrichtungen hervorgegangene TU Dresden und das St.-Petersburger Staatliche Technologische Institut (Technische Universität), die »Technolozhka «, wie sie liebevoll genannt wird, ein hohes Renommee. Die Erstere, weil ihr in jüngster Vergangenheit der Titel »Exzellenzuniversität « zuerkannt wurde und sie, dem Prinzip der Universitas litterarum folgend, ihre Leistungsfähigkeit auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, Technik und Gesellschaft eindrucksvoll unter Beweis stellt. Die Letztere, weil sie es verstanden hat, trotz vielerlei gesellschaftlicher und sozialer Umbrüche, an den Traditionen der chemisch-technologischen Ausbildung des Nachwuchses für das eigene Land, mit den neuesten Entwicklungen der Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand gehend, festzuhalten. Beide Einrichtungen können auf eine Vielzahl von herausragenden Gelehrten und Pädagogen stolz sein, die neben den bahnbrechenden Entdeckungen auch die Fähigkeit besaßen, die künftigen Absolventen für ihren späteren Beruf zu begeistern und sie darauf zielführend vorzubereiten.
Wer kennt heute nicht die Dresdner Forscher und Hochschullehrer wie den Ingenieur Andreas Schubert (1808–1870), Konstrukteur der Dampfschiffe und der ersten Dampflokomotive »Saxonia«, den Gasanalytiker Walther Hempel (1851 – 1916), der mit den von ihm entwickelten gasanalytischen Messgeräten die technische Gasanalyse revolutionierte, den Physiker Richard Mollier (1863 – 1935), Pionier der technischen Wärmelehre, den Photochemiker Robert Luther, Begründer der Photographischen Chemie und des Wissenschaftlich-Photographischen Institutes (WPI) in Dresden im Jahre 1908, oder den technischen Chemiker Richard Müller (1903 – 1999), Entdecker der Silicone. Auf der anderen Seite gehören die Namen der St.-Petersburger Chemiker und Technologen wie Henri Hess, Begründer der Thermochemie, Dmitri Iwanowitsch Mendelejew, der russische Entdecker des Periodensystems der chemischen Elemente, Friedrich Beilstein, Urheber und erster Herausgeber des »Handbuchs der Organischen Chemie« oder Sergei Wassiljewitsch Lebedew (1874 – 1934), Erfinder der technischen Synthese von Elastomeren, zum allerersten Rang der Wissenschaftler- und Technikereliten.
Im Verlaufe vieler Jahrzehnte seit der Gründung beider Universitäten bis in die Gegenwart gab es vielfältige, häufig wechselnde fachliche und persönliche Beziehungen zwischen den Naturwissenschaftlern, Ingenieuren sowie Geistes- und Sozialwissenschaften auf verschiedenen Ebenen. Auf der Grundlage lebhafter wissenschaftlicher Kontakte unterzeichneten schließlich die TU Dresden und das St.-Petersburger Staatliche Technologische Institut im 175. Jahr ihres Bestehens einen Vertrag über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, der in den folgenden Jahren wesentlich zur weiteren Vertiefung der Kooperation in Forschung und Lehre beitrug. Bei der Unterzeichnung des Vertrages waren sich die damaligen Rektoren, Prof. Hermann Kokenge (1949 – 2014) und Prof. Anatoli Sergejewitsch Dudyrew (geb. 1945), darin einig, dass es gilt, weitere stabile Brückenpfeiler zu errichten, um insbesondere die technologischen Herausforderungen der Zukunft im Zusammenhang mit dem fortschreitenden Rohstoff- und Energiewandel gemeinsam meistern zu können. (UJ09/2018)