Nestor der Angewandten Mechanik beging 90. Geburtstag
Professor Hans Göldner prägte über drei Jahrzehnte die Mechanik des Maschinenwesens der Technischen Universität Dresden.
Herbert Balke
Am 19. Februar beging Prof. Dr.-Ing. habil. Hans Göldner seinen 90. Geburtstag. Drei politische Systeme hat er bewusst erlebt. Als Jugendlicher 1944 noch zum Kriegsdienst eingezogen, überstand er das Kriegsende und die Gefangenschaft. Er konnte 1947 in Dresden das Abitur ablegen. Nach einjähriger Praktikumstätigkeit in Dresdner Maschinenbaubetrieben absolvierte er ein vierjähriges Maschinenbaustudium an der TH Dresden, das er als Diplomingenieur abschloss. Anschließend blieb er als Assistent bei Professor Heinz Neuber, dem Autor der berühmten Kerbspannungslehre, und später als Oberassistent bei Professor Arthur Weigand, dem Direktor des Institutes für Festigkeitslehre und Schwingungsforschung an der Fakultät Maschinenwesen. Hans Göldner promovierte 1960 bei Professor Weigand zu dem Thema „Die Reduktionsmethode in der Elastizitätstheorie“ und habilitierte sich 1963 mit der Schrift „Beiträge zur Festigkeitsberechnung im Behälterbau“. Im Jahr 1960 wurde er mit der Wahrnehmung einer Professur mit Lehrauftrag für Technische Mechanik an der Fakultät Maschinenwesen der TH Dresden beauftragt, 1963 Professor mit Lehrauftrag für Festigkeitslehre, 1969 bis 1992 ordentlicher Professor für Statik und Festigkeitslehre sowie 1993 bis 1994 Professor für Elastizitätstheorie/Bruchmechanik an der Fakultät Maschinenwesen der TU Dresden.
Die 45-jährige akademische Laufbahn von Professor Göldner unterlag dem Einfluss der tiefgreifenden Veränderungen in Deutschland. Infolge der politischen Entwicklungen im Dritten Reich waren führende grundlageninteressierte Wissenschaftler der Technischen Mechanik in die USA ausgewandert, während in Deutschland die Anwendungen der Technischen Mechanik für die Kriegstechnik bis 1945 forciert wurden und ein hohes Niveau erreichten. Nach Kriegsende stand in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen qualifiziertes ingenieurwissenschaftliches Personal zur Verfügung. Allerdings setzte mit der beginnenden Teilung Deutschlands eine zunehmende Personalabwanderung von Ost nach West ein. Außerdem wurden zahlreiche Spitzeningenieure aus Ostdeutschland für mehrjährige Tätigkeiten in der Sowjetunion dienstverpflichtet. Dies und der erhöhte Reparationsdruck auf Ostdeutschland sowie die einsetzende Behinderung des Wissenstransfers erschwerten den Neuanfang und die weitere Entwicklung auch an der TH/TU Dresden erheblich.
Mit Zunahme der Zahl von Studierenden an technischen Fachrichtungen entstand in Ostdeutschland ein erhöhter Bedarf an geeigneter Fachliteratur, speziell für die Technische Mechanik, einer der unverzichtbaren Basiswissenschaften des Maschinenbaus. In diesem Zusammenhang verfasste Professor Göldner 1962 zunächst die „Übungsaufgaben aus der Technischen Mechanik“ für Studierende an Technischen Hochschulen, mit den Themen Statik, Dynamik und Festigkeitslehre (Fachbuchverlag Leipzig). Das Buch erreichte nach Verbesserungen und Erweiterungen bis 1988 fünfzehn Auflagen. Es war als Arbeitsbuch für die Ausbildung an Universitäten und Hochschulen allgemein anerkannt, wurde in mehreren Lizenzausgaben in Westdeutschland herausgegeben und wird aktuell unter Springer/Vieweg elektronisch angezeigt.
Die in der DDR bis in die 60er Jahre bestehende Lücke hinsichtlich eines umfassenden Lehrbuches über Technische Mechanik schloss Professor Göldner mit Unterstützung seiner jungen Assistenten unter hohem Termindruck mit dem „Leitfaden der Technischen Mechanik“ für die Gebiete Statik, Festigkeitslehre, Kinematik und Kinetik, wieder beim Fachbuchverlag Leipzig (Redaktionsschluss 1964, erschienen 1966). Später kam Prof. Dr.-Ing. habil. Franz Holzweißig als Mitautor für die Gebiete Kinematik und Kinetik (jetzt Dynamik) hinzu. Das Buch wurde deutlich überarbeitet, erreichte bis 1989 elf Auflagen in Ostdeutschland und drei Lizenzausgaben in Westdeutschland. Es war ebenfalls als Lehrbuch für die Ausbildung an Universitäten und Hochschulen allgemein anerkannt und wird aktuell unter dem Copyright des Springer-Verlages elektronisch angezeigt.
Für Studierende von Studienrichtungen mit verringertem Lehrumfang der Technischen Mechanik wie z. B. Verfahrensingenieurwesen und Werkstoffingenieurwesen verfasste Professor Göldner zusammen mit Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Pfefferkorn ein am „Leitfaden“ orientiertes Lehrbuch „Technische Mechanik“, das 1987 und als verbesserte Version 1990 in Leipzig sowie als Lizenzausgabe 1988 bei Vieweg Braunschweig erschien. Auch dieses Buch wurde als Lehrbuch für die Ausbildung an Universitäten und Hochschulen allgemein anerkannt.
Für das Maschinenbaugrundstudium erarbeitete Professor Göldner zusammen mit Prof. Dr.-Ing. habil. Dieter Witt bis 1993 noch ein Lehr- und Übungsbuch Technische Mechanik, Band I Statik und Festigkeitslehre, nun beim gesamtdeutschen Fachbuchverlag Leipzig-Köln.
Für das Fachstudium entstand unter Professor Göldners Federführung und wesentlicher Mitarbeit sowie unter Beteiligung von sieben ostdeutschen Universitätsprofessoren bzw. –dozenten im Zeitraum 1978-1985 das zweibändige Werk „Lehrbuch Höhere Festigkeitslehre“ zusammen mit einem Arbeitsbuch „Höhere Festigkeitslehre“, alle in Leipzig verlegt und zur Benutzung an Universitäten und Hochschulen allgemein anerkannt. Die drei Bücher sind im Zeitraum 1978-1985 auch im Physik-Verlag Weinheim erschienen. Die Lehrbücher erlebten im Leipziger Fachbuchverlag bis 1992 drei Auflagen, das Arbeitsbuch zwei. Sie werden aktuell im Lehrbetrieb der TU Dresden und der TU Bergakademie Freiberg eingesetzt.
Die im Zeitraum von Krieg und Nachkrieg außerhalb Deutschlands weiterentwickelten Grundlagen der Technischen Mechanik waren auch in der DDR zunehmend zu berücksichtigen. Dies betraf hauptsächlich das phänomenologische inelastische Materialverhalten, welches im Wesentlichen mit der Plastizitätstheorie und der Viskoelastizitätstheorie erfasst wird (s. Lehrbuch Höhere Festigkeitslehre Band 2). Die letztgenannten Inhalte führten im Verantwortungsbereich von Professor Göldner zur Einrichtung einer Dozentur für Viskoelastizitätstheorie und später zu einer Professur für Kontinuumsmechanik. Dem wichtigen Aspekt der Technischen Mechanik, Bauteile im Hinblick auf Festigkeit und Zuverlässigkeit zu dimensionieren, widmete sich Professor Göldner als Zweitautor zusammen mit Prof. Dr.-Ing. habil. Siegfried Sähn und drei weiteren ostdeutschen Hochschullehrern in der wissenschaftlichen Monografie „Bruch- und Beurteilungskriterien in der Festigkeitslehre“ (Fachbuchverlag Leipzig 1989 und Leipzig-Köln 1993, zusammen mit der Herausgabe eines Arbeitsbuches 1992).
Professor Göldner war Hauptinitiator und –organisator der 1963 an der TU Dresden gebildeten Fachrichtung „Angewandte Mechanik“, die fünf Jahrzehnte bestand und die Grundlage für die heutige Studienrichtung „Simulationsmethoden des Maschinenbaus“ bildete. Diese Fachrichtung bündelte die Ingenieurmechanik unter Einbeziehung moderner mathematischer Methoden, numerischer Verfahren und Experimentaltechnik. Sie generierte jenseits der zahlreichen Änderungen der universitären Strukturen kontinuierlich den wissenschaftlichen Nachwuchs und war damit eine wichtige Stütze der Mechaniklehre für die Studierenden des Maschinenbaus und angrenzender Disziplinen. Darüber hinaus gingen aus diesem Nachwuchs achtzehn Universitäts- und Fachhochschulprofessoren hervor.
Die Änderungen der universitären Strukturen waren regelmäßig verbunden mit dem Wettbewerb um personelle und materielle Ressourcen. Als hervorragender Organisator hat sich Professor Göldner stets und mit hohem Engagement für die Sache der Mechanik eingesetzt, so als erster Direktor der 1968 gegründeten Sektion Grundlagen des Maschinenwesens. Die Gründung dieser Sektion beruhte auf dem heute noch sinnvollen Gedanken, die thematischen Gebiete Konstruktion, Werkstoff und Berechnung institutionell zusammenzuführen. Außerhalb der einzelnen Forschungseinrichtungen erfolgte in der DDR ab 1968 die wettbewerbliche Abstimmung der Grundlagenforschung gesamtstaatlich zunächst im Rahmen der Wissenschaftskonzeption (WK), dann der Hauptforschungsrichtung (HFR) „Festkörpermechanik“. Die zentrale Abstimmung betraf auch die Lehre der Grundlagenmechanik bis hin zu einer gemeinsamen Aufgabensammlung „Technische Mechanik“ für Universitäten und Technische Hochschulen. Hier ist Professor Göldners Tätigkeit als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates Maschineningenieurwesen und damit Mitglied des Hoch- und Fachschulrates im Zeitraum 1978-1983 hervorzuheben. Als Beauftragter von WK und HFR, als Vorsitzender des Zentralen Arbeitskreises „Mechanik“ im Forschungsrat der DDR sowie als Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR hat Professor Göldner über viele Jahre Verantwortung getragen.
Auf Basis der an der TU Dresden vor 1990 erarbeiteten Forschungsergebnisse zur Festkörpermechanik gelang es, nach der politischen Wende das erste von der DFG geförderte Graduiertenkolleg (Thema: Kontinuumsmechanik inelastischer Festkörper) an der TU Dresden (zusammen mit der TU Chemnitz) einzurichten.
Generationen von Ingenieurabsolventen haben von Professor Göldners Wirken profitiert. Diese Leistung kann nicht hoch genug bewertet werden.
Vielen ehemaligen Studenten des Maschinenbaus der TU Dresden werden die mitreißenden Grundlagenvorlesungen Professor Göldners im traditionsreichen „Bombentrichter“, dem Stammhörsaal des Zeuner-Baus, in Erinnerung geblieben sein. Professor Göldners natürliche Umgangsformen waren unter dem von ihm stets geförderten akademischen Nachwuchs und unter seinen Mitarbeitern sprichwörtlich, ob bei gegenseitigen Rempeleien während der regelmäßigen Arbeitsgruppenfußballspiele, ob bei morgendlicher Begegnung im kühlen Wasser des Dresdner Arnoldbades oder während der Bereichswanderungen in Dresdens schöner Umgebung. Seit 65 Jahren ist Professor Göldner Mitglied der Abteilung Rudern im USV der TU Dresden, deren Sektionsleiter er in den 50er Jahren war. Ab 1972 bis heute spielt er Volleyball in einer Gruppe ehemaliger Professoren.
Die Angehörigen des Institutes für Festkörpermechanik wünschen Herrn Professor Göldner Gesundheit und noch viele Jahre voller Lebensfreude.