»Und so wenden wir unsere Blicke der Zukunft entgegen« Vor 190 Jahren wurde die Vorgängereinrichtung der TU Dresden gegründet / Von bescheidenen, aber in die Zukunft weisenden Anfängen – Festakt am 1. Mai 1828
Matthias Lienert
„Und so wenden wir denn unsere Blicke der Zukunft entgegen, welche verschleiert vor uns liegt […] Wir sehen aus der Geschichte der ersten 25 Jahre, dass ein Keim der Entwicklungsfähigkeit in unserer Anstalt liegt, den nach allen Richtungen hin auszubilden, wo das öffentliche Leben Anforderungen an uns stellt, in unserer Pflicht liegt.“ Es war kein Geringerer als der allseits hochgeachtete Julius Ambrosius Hülsse, der im Mai 1853 über das erste Vierteljahrhundert der Technischen Bildungsanstalt, die zwischenzeitlich zur Kgl.-Sächsischen Polytechnischen Schule aufgestiegen war, Bilanz zog. Auch aus heutiger Sicht ist das auf der Jubiläumsfeier vorsichtig optimistische und ohne Pathos dargebrachte Resümee Hülsses interessant. Seitdem beschäftigten sich immer wieder Männer und später zunehmend auch Frauen mit der Geschichte der TU Dresden, ihrer Vorgängerinstitutionen und der integrierten Hochschulen. Dabei sind die Geschichten stets auch ein Abbild des Zeitgeistes, unter dem sie entstehen, bis hin zu ideologischen Überformungen und parteipolitischen Vereinnahmungen. Zum 150. Gründungsgeburtstag der TU Dresden im Jahre 1979 lag schließlich ein opulentes Werk zu ihrer Geschichte vor.
Im Jahr 2003 erschien zum 175. Gründungsjubil.um die umfassende dreibändige Geschichte als Ergebnis eines groß angelegten Forschungsprojekts. In den folgenden Jahren wurde sowohl von Fachhistorikern, aber auch von Emeriti verschiedener Fachdisziplinen und Absolventen in Eigeninitiative eine Vielzahl von Publikationen veröffentlicht, die besondere Aspekte der Geschichte der Studenten, der Wissenschaften oder auch ganz spezielle biographische Aspekte berücksichtigen. Das hat mitunter zu teilweise kontroversen Diskussionen geführt, die aber stets mit Respekt ausgetragen werden und nicht zu Feindschaften führten, wie sie bedauerlicherweise zumindest teilweise die Dresdner Stadtgesellschaft prägt.
Die Geschichte ist nicht eindimensional, sie muss auf Grundlage der Quellen interpretiert werden, wobei jede Generation sich die Geschichte immer wieder neu erschließt. Dabei ist sie selbst bei höchstem wissenschaftlichem Anspruch und akribischer Quellenkritik dennoch aus Sicht der jeweiligen Betrachter subjektiv auslegbar. So ist es auch mit der TUD-Geschichte.
Vorgeschichte
Sachsen stand unter dem Druck überlegener industrieller Konkurrenz insbesondere aus dem damals industriell führenden England. Mit der Aufhebung der Kontinentalsperre 1813 hatte sich die ungünstige wirtschaftliche Konkurrenzsituation für Sachsen, das nach dem Wiener Kongress zugunsten Preußens rücksichtslos amputiert worden war, weiter zugespitzt. Nicht von ungefähr drängten gerade Angehörige des gewerblichen Bürgertums als Manufaktur- oder auch schon als Fabrikbesitzer auf Reformen, die aber erst 1831 umgesetzt wurden. Aber auch in den Jahren davor saßen im antiquierten Verwaltungsapparat Persönlichkeiten, die sich insbesondere um eine Forderung der Wirtschaft kümmerten, wie der Direktor der sächsischen Finanzkammer und Kameralvermessungsanstalt Wilhelm Ernst August von Schlieben, der 1822 gemeinsam mit Wilhelm Gotthelf Lohrmann eine mehr als zweimonatige Studienreise durch Süddeutschland, die Schweiz und Österreich unternahm. Jedenfalls war die Reise nicht nur für die weitere Entwicklung der Kataster- und Vermessungsangelegenheiten Sachsens von Bedeutung. Den beiden Geodäten war eine umfangreiche Agenda aufgetragen. Dazu gehörten auch Visiten bei den Polytechnika in München, Prag und Wien, wobei die beiden letzteren als ausgesprochen modern galten. Vor allem das 1815 eröffnete Wiener Institut hatte die beiden Reisenden tief beeindruckt, was im Reisebericht mehr als deutlich ausgeführt ist. Diese Darstellung beförderte nachhaltig den virulenten Gedanken zur Gründung eines solchen Instituts für Sachsen. Der an der Dresdner Chirurgisch-medicinischen Akademie tätige Philosophieprofessor Friedrich Gottlob Haan unterstützte 1825 diese Intentionen gegenüber dem sächsischen König nachdrücklich.
In den folgenden Jahren beschäftigte sich neben den Ständischen Vertretungen die etwas behäbige aber politisch einflussreiche Landesökonomie-, Manufaktur- und Kommerziendeputation mit dem Vorschlag. Dabei stand diese Institution dem Ansinnen weitgehend ablehnend gegenüber, da Sachsen ja über leistungsfähige Akademien auf den Gebieten der Kunst, des Berg- und Forstwesens und der Medizin (neben der Universität Leipzig) verfüge. Moderne Entwicklungen wie die rasch wachsende Bedeutung des Maschinen-, Verkehrs- und Bauwesens wurden nur ungenügend beachtet. Ganz anders die ökonomische Gesellschaft Sachsens, die eine Polytechnische Schule ausdrücklich forderte und später auch konzeptionell deren Entwicklung begleitete. Dabei konnte auf bereits erfolgreiche Gründungen auch in anderen deutschen Staaten verwiesen werden.
Gründung
Schließlich waren 1827 nach weiteren Studien und Gutachten die Weichen für die Gründung einer Technischen Bildungsanstalt auch für Sachsen gestellt. König Anton und sein Geheimer Rat gaben ihre allerhöchste Zustimmung.
Am 1. Mai 1828 wurde die Technische Bildungsanstalt – schon bald unter Hinzufügung Königlich Sächsisch. – feierlich, wenn auch nicht fürstlich, eröffnet. Ihr erstes Domizil war ein wenig zweckmäßiger und beengter spätbarocker Gartenpavillon auf der Brühlschen Terrasse.
Der Kabinettsminister Graf Detlev von Einsiedel, selbst Eisenhüttenunternehmer, brachte während seiner Ansprache die Gründungsintention auf den Punkt, als er ausführte, dass der sächsische Maschinenbau „mit den blühenden Anstalten Englands, Frankreichs und Belgiens“ zumindest „gleichen Schritt“ halten muss. Dazu wurden Fachkräfte, tatkräftige innovative Ingenieure und Techniker gebraucht.
Die Anfänge der Bildungsanstalt waren bescheiden, wobei die ministeriellen Geburtshelfer aus Gründen strikter Haushaltsdisziplin bereits bestehende Strukturen zu nutzen verstanden. So wurde die bisher zur Dresdner Kunstakademie gehörende eher kunstgewerblich ausgerichtete Industrieschule Teil der Bildungsanstalt, während die Ausbildung der Architekten bei der Akademie verblieb. Die bereits in Lehre und Krankenversorgung ausgewiesene und anerkannte Kgl.-Sächs. Chirurgisch-medicinische Akademie im Kurländer Palais – nur wenige Gehminuten vom Domizil der Technischen Bildungsanstalt entfernt – stellte mehrere Lehrer, so den renommierten Professor Heinrich Ficinus als Lehrer für Physik, Chemie und Technologie. Der wohl später bekannteste Professor der ersten Generation war Johann Andreas Schubert. Er gab als Lehrer für Buchhaltung seinen Einstand.
Vorerst war die Anstalt in drei Abteilungen gegliedert. Die aufgenommenen Schüler waren zwischen 14 und 18 Jahre alt und mussten unter oftmals erheblichen Entbehrungen eine vierjährige Ausbildung durchstehen. Die enge Verbindung zur Praxis sicherte Mechanicus Rudolf Sigismund Blochmann, in dessen Werkstatt die Schüler ihre praktisch-mechanische Ausbildung erhielten.
In der zweiten Abteilung wurden vor allem Schüler aufgenommen, die nicht in der Blochmannschen Werkstatt, sondern in anderen, vorrangig maschinenbautechnischen Einrichtungen ausgebildet wurden. Sie absolvierten einen „zweijährigen Cursus“ an der Bildungsanstalt vor allem in Physik, Elementar- und höherer Mathematik, Technologie, Chemie, deutscher Sprache, wenig später auch in Französisch und im „Gravieren und Kupferstechen“.
Schließlich bot eine dritte Abteilung in einem einjährigen „Cursus“ Vorträge und Unterricht in den naturwissenschaftlichen Grundlagen und beispielsweise in den Disziplinen Maschinen- und Architecturzeichnen, Konstruktionslehre, Technologie und deutscher Sprache an. Zudem wurden im Rahmen einer Sonntagsschule Vortr.ge gehalten und technische Demonstrationen veranstaltet. Noch Ende 1828 unterzeichnete König Anton ein Mandat, das diejenigen Absolventen vom beruflich einengenden Zunftzwang befreit wurden, deren „Tüchtigkeitszeugnis“ mit dem Prädikat „sehr gut“ oder „gut“ gekrönt war. Außerdem entfielen für die Absolventen die bei Handwerkern pflichtgemäßen Wanderjahre.
Im Gegensatz zur Landesuniversität Leipzig war bei einer Aufnahme in die Technische Bildungsanstalt die Hochschulreife nicht erforderlich. Während in der unteren Abteilung im ersten Jahr zehn „Zöglinge“ aufgenommen wurden, lernten in der zweiten Abteilung 75 junge Männer, für den Unterricht in der dritten Abteilung waren mehr als 140 an den theoretischen Grundlagen Interessierte aufgenommen worden. Mit rund 180 Teilnehmern war die Sonntagsschule am stärksten frequentiert. Die Schüler stammten anfänglich vorrangig aus Sachsen, zumeist aus der näheren Umgebung Dresdens.
Im Gegensatz zu heute war die Quote der Ausbildungsabbrecher sehr gering. Das begehrte Tüchtigkeitszeugnis stand hoch im Kurs. Von Hörerinnen ist nichts bekannt. Es sollte noch mehrere Generationen dauern, bis auch Frauen an der späteren Hochschule studierten. Vor allem wegen der nicht erwarteten großen Bewerberzahl erwies sich der Gartenpavillon bereits zu Beginn des Unterrichtsbetriebs als zu klein. Die Kämpfe um adäquate Räumlichkeiten sollten auch in den folgenden 190 Jahren nicht abebben.
Die Bildungsanstalt unterstand in den ersten Jahren der bereits erwähnten Kommerziendeputation, die den gut vernetzten Inspector der Kameralvermessungsanstalt Lohrmann, der gleichzeitig den Mathematisch Physikalischen Salon leitete, zum Vorsteher der Technischen Bildungsanstalt ernannte.
Damit waren Grundlagen für die dynamische und phasenweise auch problematische Entwicklung zur heutigen Volluniversität gelegt, deren „Entwicklungsfähigkeit“ im ständigen Wandel entsprechend der Anforderungen der Gesellschaft begründet ist. Die eingangs zitierte Aufforderung Hülsses „Und so wenden wir unsere Blicke der Zukunft entgegen, welche verschleiert vor uns liegt“ hat nichts von ihrer Aktualität und Problematik eingebüßt.
(UJ 08/2018)