Jul 12, 2024
BQL Deutsch & BQL.Digital: Workshop-Reihe zum Thema „Künstliche Intelligenz im Deutschunterricht“
Im Sommersemester 2024 besuchten die Teilnehmer:innen von BQL Deutsch eine Workshop-Reihe zum Thema „Künstliche Intelligenz im Deutschunterricht“. In einer Kooperation zwischen ihrer Dozentin Stephanie Richter und Dagmar Oertel und Christin Nenner von BQL.Digital wurde der Workshop in zwei Teilen mit unterschiedlichen Schwerpunkten realisiert:
1. Digitale Tools und Künstliche Intelligenz (KI) im Deutschunterricht
2. KI in der Unterrichtsplanung
Die Zielstellung der Workshop-Reihe bestand darin, die Teilnehmer:innen für die Potenziale und Herausforderungen im Umgang mit KI in der Schule zu sensibilisieren. Zentral war dabei die fachliche Verortung und Spezifizierung dieser digitalisierungsbezogenen Überlegungen durch die Beschäftigung mit konkreten Gegenständen des Literaturunterrichts.
1. Digitale Tools und KI im Deutschunterricht
In diesem ersten 90-minütigen Workshop wurde mit den Teilnehmer:innen eine exemplarische Deutschstunde zur Gedichtinterpretation von Rainer Maria Rilkes kanonischem Text „Der Panther“ für die Klassenstufe 10 erprobt. Die Teilnehmer:innen nahmen dabei die Schüler:innenrolle ein und erlebten, wie eine digitale Pinnwand bzw. Tafel (hier: TaskCards) und der auf KI-basierende Chatbot ChatGPT (hier: von OpenAI, 3.5) unterrichtlich in die Auseinandersetzung mit einem Gedicht eingebunden werden können. Der Nutzung wurde jeweils eine kurze Einführung zu technischen Hintergründen und Funktionsweisen sowie unterschiedlichen Einsatzszenarien vorangestellt.
In Vorbereitung auf den Workshop hatten sich die Teilnehmer:innen bereits aus fachwissenschaftlicher wie -didaktischer Perspektive mit dem Gedicht beschäftigt. Im Workshop selbst bearbeiteten sie in Kleingruppen zunächst arbeitsteilig verschiedene Analyse- und Interpretationsaufträge (einige visualisiert in Abb. 2) und dokumentierten ihre Ergebnisse in einer vorbereiteten Pinnwand in TaskCards (Abb. 1). Die eingesetzte Pinnwand visualisierte die Agenda der Stunde und alle Arbeitsaufträge.
Jeweils unter den Arbeitsaufträgen konnten die Teilnehmer:innen ihre selbst erarbeiteten Ergebnisse eintragen (siehe Abb. 2), sodass eine Dokumentation im Rahmen der Ergebnispräsentation und -sicherung entstand, die auch in weiteren Unterrichtsstunden genutzt und bearbeitet werden kann.
Anschließend wurde ChatGPT mit unterschiedlichen Prompts, wie z. B. Wie könnte man Rilkes Gedicht „Der Panther" interpretieren? (siehe Abb. 3), nach einer Analyse und Interpretation des Gedichts gefragt, um zu eruieren, wie tragfähig die Deutungen des Chatbots sind. Die generierten Antworten wurden unter Bezugnahme auf die Befunde der Teilnehmer:innen kritisch diskutiert. Auffällig war dabei, dass die Angebote von ChatGPT auf den ersten Blick überraschend gut waren und z. B. die Stimmung des Gedichts treffend widerspiegeln konnten. Schwächen zeigten sich hingegen insbesondere mit Blick auf Formales, wie die Zählung der Strophen und die Bezugnahme auf nichtexistierende Verse.
Obwohl die KI also tatsächlich gute Ansatzpunkte für die Interpretation liefert, bedarf es dennoch einer gründlichen Textarbeit durch die Schüler:innen selbst, um diese Deutungshypothesen einerseits so zu untermauern, dass sie den schulischen Ansprüchen an das Analysieren und Interpretieren genügen. Andererseits ist das eigene Befassen mit dem Text und der Interpretation notwendig, um Fehlerhaftes identifizieren und korrigieren zu können.
Bestimmt wurde die abschließende Diskussion von der Frage, wie der Umgang mit KI didaktisch zu rahmen ist, damit die Interpretationsangebote die Schüler:innen tatsächlich zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Text anregen können. Darüber hinaus reflektierten die Teilnehmer:innen aber auch Anforderungen an das Prompting. Der Perspektivwechsel der Teilnehmer:innen durch die Einnahme der Schüler:innenrolle verdeutlichte die Transferierbarkeit der exemplarischen Unterrichtsstunde in die Praxis und auf andere Gegenstände des Literaturunterrichts.
2. Künstliche Intelligenz in der Unterrichtsplanung
Im zweiten 90-minütigen Workshop der Reihe galt es zu erproben, welche Rolle KI bei der Planung von Deutschstunden spielen kann. Zum Einstieg berichteten die Teilnehmer:innen in einer Austauschrunde über erste Erfahrungen im Umgang mit KI bei der Planung von Unterricht. Im Anschluss wurde Vorwissen zur Funktionsweise und dem Einsatz von KI am Beispiel von ChatGPT aus dem ersten Workshop zur Gedichtinterpretation aktiviert. Darauf folgten eine Vorstellung und Demonstration der KI-basierten Tools der Plattform fobizz.
Um die Potenziale und Herausforderungen beim Einsatz von KI in der Unterrichtsplanung zu eruieren, wurden schließlich zwei exemplarische Gegenstände des Deutschunterrichts betrachtet: Zum einen die kanonische Ballade „Der Handschuh“ von Friedrich Schiller für die Klassenstufe 7, zum anderen der recht unbekannte Songtext „Fehler fehlen“ von Clueso für die Klassenstufe 8. Beide Gegenstände wurden zunächst fachwissenschaftlich wie -didaktisch auf ihre Verstehenspotenziale und -herausforderungen hin untersucht. Dabei diskutierten die Teilnehmer:innen z. B., was Schüler:innen einer 7. Klasse oder 8. Klasse an diesen Texten lernen und verstehen sollen. In einem nächsten Schritt wurde dann geprüft, wie überzeugend die generierten Vorschläge von GPT-4 Turbo (eingebunden in fobizz als KI-Chat) sind.
Auffällig war, dass die KI-generierte Unterrichtsplanung einer Stunde zu Schillers Ballade insgesamt recht gelungen erscheint – sowohl mit Blick auf die Gegenstandsangemessenheit als auch hinsichtlich der Phasierung, der Zeitplanung und der methodischen Gestaltung. Diese positive Globaleinschätzung wurde dann arbeitsteilig vertieft. Dazu untersuchten die Teilnehmer:innen weitere Anfragen an die KI und die generierten Ergebnisse: eine Sequenzplanung zu Balladen inkl. Lehrplaneinordnung, Lernzielformulierungen, eine didaktische Analyse, Verstehensherausforderungen der Ballade sowie konzipierte Aufgaben und Arbeitsblätter. Die Analyse ergab, dass diese Ergebnisse zwar zum Teil gute Ideen und Denkanstöße liefern können, aber in jedem Fall weiter zu konkretisieren wären, weil sie recht oberflächlich bleiben.
Im Vergleich zur KI-generierten Unterrichtsplanung zu Schillers kanonischer Ballade „Der Handschuh“ erschienen die Vorschläge zu dem recht unbekannten Songtext von Clueso weniger elaboriert. Wenngleich der grundsätzliche Aufbau der Stunde zum Metaphernverstehen auch hier überzeugte, blieben die Angaben noch allgemeiner und abstrakter, sodass die Lehrkraft keinesfalls von ihren eigenen Planungsüberlegungen suspendiert wird. Insbesondere die Aufgabenstellungen, aber auch die Zeitplanung und die Gestaltung der Input-Phasen zur Metapher müssen durch die Lehrkraft im Anschluss an den KI-Vorschlag individuell ergänzt bzw. angepasst werden.
In vergleichendem Modus wurden die Vorschläge aus dem fobizz-KI-Chat (beruhend auf GPT-4 Turbo) den Ergebnissen von ChatGPT 3.5 von OpenAI gegenübergestellt. Die fobizz-Ergebnisse erschienen dabei für die beiden Beispiele in der Tendenz etwas gegenstandsadäquater und weniger beliebig, was möglicherweise auf den Zuschnitt der Plattform auf schulische Kontexte zurückgeführt werden kann.
Abgeschlossen wurde der Workshop schließlich mit einer Diskussionsrunde zur Ableitung von Schlussfolgerungen aus der Erprobung. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und inwiefern Lehrkräfte trotz KI immer noch oder sogar umso mehr in individuellen Planungskompetenzen gefordert sind. Die Teilnehmer:innen erkannten Potenziale eines Einsatzes von KI insbesondere als Inspirationsquelle im Dienste der Ideenfindung und einer ersten Groborientierung sowie die damit verbundene Zeitersparnis. Gleichsam betonten sie deutlich die Notwendigkeit eigener didaktischer Analysen der Gegenstände, welche die Basis für eine erforderliche kritische Reflexion der KI-generierten Vorschläge bilden müssen.
Beide Teile der Workshop-Reihe „Künstliche Intelligenz im Deutschunterricht“ sensibilisierten die Teilnehmer:innen für die Potenziale und Herausforderungen im Umgang mit KI in der Schule, aber auch der Vorbereitung von Unterricht. Dabei wurden ihnen in gewinnbringender Weise der Erwerb und die Anwendung fachlicher, fachdidaktischer und digitalisierungsbezogener Kompetenzen im Verbund ermöglicht.
Kontakt
Stephanie Richter (stephanie.richter@tu-dresden.de), Christin Nenner und Dagmar Oertel (bql.digital@tu-dresden.de)