22.05.2019
Nullzins-Politik – wer gewinnt, wer verliert?
Das UJ befragte den Makroökonomen Prof. Stefan Eichler im Vorfeld zweier Podiumsdiskussionen zum Thema Geld
Prof. Stefan Eichler, Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Internationale Monetäre Ökonomik, lehrt und forscht seit Oktober 2016 an der TU Dresden. UJ befragte ihn im Vorfeld des kommenden Lingnerpodiums »Wohin mit dem Geld?« (15. Mai, Lingnerschloss) und des am 21. Mai von der Fakultät Wirtschaftswissenschaften im Hülße-Bau ausgerichteten Panels zum Thema »Finanzkompetenz« zu Ursachen, Folgen und Perspektiven der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank EZB.
UJ: Prof. Eichler, infolge der Lehman-Pleite im Oktober 2008 begann auch die EZB, schrittweise den Leitzins zu senken; die Amerikaner hatten infolge der Immobilienkrise damit bereits vorher im Laufe des Jahres 2008 begonnen. Was waren die Ziele und konnten diese erreicht werden?
Prof. Eichler: Von Ende 2008 bis Mai 2009 senkte die EZB den Leitzins in rascher Abfolge auf zunächst ein Prozent, danach bis 2014 schrittweise sogar in Richtung null Prozent. Sie verfolgte damit das Ziel, das Bankensystem und die Wirtschaft zu stabilisieren. Das funktionierte aber nicht im gewünschten Umfang; die Geschäftsbanken reichten das billige Geld nicht verstärkt als günstige Kredite an die Wirtschaft aus.
Warum verhielten sich die Geschäftsbanken so? Und wie reagierte die EZB darauf?
Nun, die EZB reagierte zunächst eben mit einer immer weiteren Absenkung des Leitzinses. Im Jahr 2015 begann die EZB mit dem riesigen Anleihe-Aufkauf-Programm, das heute ein Volumen von 2,6 Billionen Euro erreicht hat. Das Verhalten der Geschäftsbanken lässt sich mit den Vorgaben der Bankenregulierung erklären. Diese fordert die Banken zu weniger risikobehaftetem Verhalten auf – und die Vergabe von Krediten ist nun mal risikobehaftet. Deshalb dann der Ansatz mit dem Anleihen-Ankauf, um an den Banken vorbei massiv Geld in den Kreislauf zu pumpen, Inflation zu generieren und die Kaufzurückhaltung abzubauen. So wurden die Marktpreise natürlich verzerrt; die Zinsen auf Staatsanleihen sind künstlich niedrig. Allein die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch seit Ausbruch der Finanzkrise über 350 Milliarden Euro an Zinsersparnissen verzeichnet. Die »schwarze Null« war also nicht nur eine Folge höherer Steuereinnahmen, sondern dieser historisch niedrigen Zinsen.
Die Staaten sind also Gewinner dieser EZB-Politik – aber wo es Gewinner gibt, da gibt es immer auch Verlierer.
Genau, zum Beispiel all jene, die in Staatsanleihen investiert haben, wie zum Beispiel Lebensversicherungen. Und natürlich der risikoscheue deutsche Sparer, der weder mit seinem Bankguthaben noch mit seinem Sparbuch nennenswerte Renditen erzielen kann. Andererseits hat auch die breite Bevölkerung von den niedrigen Zinsen für Haus-Kredite profitiert – was durch steigende Baupreise allerdings geschmälert wird. Jeder Sparer sollte sein Spar-Verhalten überdenken. Durchschnittlich investieren die Deutschen nur 20 Prozent ihrer Finanzanlagen in Aktien und Fonds, obwohl sie langfristig viel höhere Renditen als das Sparbuch aufweisen. Der Kauf von breit gestreuten, passiv gemanagten ETFs ist eine sinnvolle Alternative!
Die Fragen stellte Konrad Kästner.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 09/2019 vom 14. Mai 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.