Jun 09, 2020
Beim Autokauf könnten coronabedingt Preisnachlässe winken
TUD-Experten befragt: Prof. Gerhard Golze vom Zentrum Car Business Management über Corona-Folgen in der Autoindustrie
In der TU Dresden forscht eine ganze Reihe anerkannter Wissenschaftler zu vielfältigen Fragen des Verkehrs. Immer wieder geht es dabei auch um Beiträge zur nachhaltigen Verkehrsentwicklung. In der letzten Ausgabe (10/2020) veröffentlichte das UJ einen Interview- Beitrag zur Geschichte und der Vermarktung des Elektroantriebs im Verhältnis zum Verbrenner-Antrieb. Interviewpartner war Prof. Gerhard Golze vom Zentrum Car Business Management an der BWL-Professur für Industrielles Management der TUD. Nun befragte das UJ Prof. Golze zu eher grundsätzlichen Strategien der Automobilwirtschaft und dem Einfluss der Corona- Pandemie auf diesen Wirtschaftsbereich.
UJ: Die Corona-Pandemie berührt mit der Autoindustrie einen der Kernbereiche der deutschen Wirtschaft. Welche Felder in der Autoindustrie sind besonders betroffen, in welcher Weise und in welchen Größenordnungen?
Prof. Gerhard Golze: Da die Wirtschaft aktuell im großen Umfang zum Erliegen gekommen ist, sind nahezu alle Bereiche der Automobilindustrie gleichermaßen betroffen. Sowohl die arbeitsteiligen Bereiche der bei Automobilproduzenten und Zulieferern üblichen Strukturen als auch der Partner bei Zulieferungen und im Vertrieb. Unterschiede gibt es jedoch in den Voraussetzungen, wie mit der Situation umgegangen werden kann. Während die großen Konzerne wie Volkswagen, Daimler und BMW dank großer Gewinne in den Vorjahren die Absatzausfälle ökonomisch einigermaßen auffangen können, gestaltet sich die Situation im Handel und bei Zulieferbetrieben deutlich schwieriger. Hier sind kaum große Rücklagen vorhanden, da beispielsweise der Handel seit vielen Jahren eine Phase der Konsolidierung durchlebt, weshalb die Betriebe bei ausbleibendem Umsatz auch schnell in Liquiditätsengpässe und somit in Insolvenzgefahr geraten können. Allein im Handel und bei Werkstätten sind in Deutschland zirka 440 000 Personen beschäftigt, deren Arbeitsplätze durch die aktuelle Notlage in massive Gefahr geraten können.
Ist die Corona-Pandemie eher ein Indikator für die über Jahrzehnte praktizierte Strategie des permanenten Wachstums der Automobilwirtschaft und der daraus resultierenden Probleme? Wirkt sie jetzt wie eine Art Brandbeschleuniger, Katalysator?
Wie oben bereits beschrieben, durchlebt der Handel seit vielen Jahren einen Prozess der Konsolidierung, da immer weniger Gewinn – im Durchschnitt um die zwei Prozent – beim Händler übrigbleibt. Verschärft wird diese kritische Situation durch die viel zu geringe Eigenkapitalaustattung von durchschnittlich 15 Prozent. Das hat viele Ursachen, beispielweise steigende Anforderungen an Geschäftsausstattung durch die Automobilproduzenten, knappere Handelsmargen oder auch der Investitionsdruck in Vorbereitung auf die Elektromobilität, die bei den Händlern und Werkstätten bisher aber nur Kosten für Ladesäulen, Schulungen und vorbereitende Maßnahmen verursacht.
Die ohnehin prekäre Lage vieler Händler und Werkstätten wird durch die Corona- Pandemie nun natürlich noch verschlimmert.
Auf Seiten der Zuliefererindustrie zeigen sich nun die negativen Effekte der engen Verzahnung von Herstellern und Zulieferern sowie der internationalen Lieferketten und Just-in-Time- oder Just-in- Sequenz-Strategien. Die Fertigungstiefe deutscher Automobilproduzenten beträgt zwischen 30 und 50 Prozent. Häufig gibt es nur einen oder wenige Lieferanten für spezifische Bauteile, die dann zur richtigen Zeit am Fließband der Hersteller ankommen müssen. Werden nun Grenzen geschlossen, hat das auch massive Auswirkungen auf die Produktion in Deutschland. Eine kontinuierliche, getaktete Produktion wird unmöglich.
Welche Auswirkungen auf den Markt, auf die Hersteller und Käufer sind zu erwarten?
Im I. und II. Quartal sind die Verkaufszahlen weltweit eingebrochen, zumindest für den chinesischen Markt, den weltweit größten. Es zeichnet sich im April jedoch eine partielle Erholung ab. Mit fortschreitenden Lockerungen werden sich auch die Produktions- und Verkaufsstückzahlen erholen, jedoch wird das Gesamtjahr weltweit deutlich schlechter als in den Vorjahren abschneiden.
Die aktuellen Diskussionen um eine Verkaufsprämie in Deutschland, die in ihrer Sinnhaftigkeit stark anzuzweifeln ist, führen zudem zu einer weiterhin abwartenden Haltung der Käufer. Ein ordnungspolitischer Eingriff des Staates dahingehend würde zu erheblichen Verwerfungen bzw. Störungen der Marktregularien führen. Zudem werden knapp zwei Drittel der Neuwagen an gewerbliche Kunden und sogenannte Großabnehmer verkauft, die aktuell natürlich unter ähnlichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten leiden. Für die Hersteller bedeutet das, dass die bereits vor Corona überdimensionierten Produktionskapazitäten in diesem Jahr nicht genutzt werden können, da die Nachfrage schlichtweg kleiner ausfällt; ihr Umfang ist nicht voraussehbar. Perspektivisch wird der Markt nach Corona, bezogen auf die Produkte, den Preis, das Vertriebssystem und die Strukturen eine Strategieänderung bewirken und die Branche weltweit »über alle Maßen« herausfordern.
Für Kaufwillige könnten sich im Laufe des Jahres gute Gelegenheiten ergeben, da das vorhandene Überangebot irgendwie in den Markt gebracht werden muss. Unabhängig von einer Kaufprämie ist daher mit Preisnachlässen zu rechnen.
Haben bisher Politik und Produzenten die kritische, sachbezogene Auseinandersetzung mit der Elektromobilität durch die Nutzer herkömmlicher Verbrenner-Automobile ignoriert?
Der in den letzten Jahren entstandene Hype um Elektrofahrzeuge war sicherlich nicht immer sachlich zu begründen. Die Nachteile der Elektrofahrzeuge mit zu geringer Reichweite bedingt durch die Speicherkapazität der Batterie, mit fehlender Ladeinfrastruktur, je nach technischer Konfiguration mit langen Ladezeiten und hohen Anschaffungspreisen, wurden lange mit dem Verweis abgetan, dass in Zukunft schon bessere Lösungen verfügbar sein würden. Fakt ist jedoch, dass der Markt in Deutschland bislang kaum Elektrofahrzeuge nachfragt und sich auch in diesem Jahr die Anteile noch im niedrigen einstelligen Bereich der Neuzulassungen befinden, und das trotz jahrelanger Förderung, Kaufprämien und Ausbau der Infrastruktur. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass ein großer Teil der auf den Straßen fahrenden E-Fahrzeuge von quasi öffentlichen Haltern – Ämter, Verwaltungen, Hochschulen, Institute – angeschafft worden ist.
Was passiert, wenn am Markt orientierte unternehmerische Entscheidungen bezogen auf das Produktportfolio durch politische Diktate ersetzt werden sollten?
Die Prinzipien der Marktwirtschaft werden außer Kraft gesetzt. Solange der mündige Konsument entscheidet, welches Produkt das erstrebenswerte ist, werden alle Veranlassungen, ob durch Legislative oder die Administration, ins Leere laufen.
Zieht man die »4 P« aus dem Marketing zur Hilfe, wird man feststellen, dass die entscheidenden Elemente Place, Product, Price und Promotion für eine marktgerechte Produktstrategie und einen Verkaufserfolg unabdingbar sind. Das Ziel der Bundeskanzlerin von einer Million Elektrofahrzeugen im Jahr 2020 ist trotz Förderung in Milliardenhöhe weit verfehlt.
Auf der Suche nach einem ausgewogenen, auf die jeweils konkreten Nutzungsverhältnisse und -bedingungen orientierten Mix von Antriebstechnologien entstand nicht selten der Eindruck, dass ideologische Vorgaben über die rationale Analyse dominieren. Teilen Sie diesen Eindruck? Warum hat sich das so entwickelt?
Trotz anderslautender Studienergebnisse, die Vorteile von Elektromobilität vor allem im planbaren, innerstädtischen Verkehr mit kurzen Fahrdistanzen sehen, wird nach wie vor das Ziel verfolgt, den gesamten Automobilverkehr zu elektrifizieren. Dies führt zu immer größeren Batterien, deren Herstellung energie- und rohstoffintensiv ist, zu hohem Bedarf an Schnellladeinfrastruktur mit Auswirkungen auf die örtlichen Elektrizitätsnetze und zu einer generellen Anpassung der Elektrofahrzeuge an »den Verbrenner«. Das kann durchaus kritisch gesehen werden, da auf Langstrecken beispielsweise der Dieselantrieb durchaus seine Vorteile hat und dank moderner Abgasnormen auch nicht so umweltschädlich ist, wie er im Laufe der Diskussion in den letzten Jahren gemacht wurde.
Wie wirken die Corona-Pandemie bzw. die gesellschaftspolitischen Maßnahmen des Lockdowns im Kampf gegen die Pandemie-Folgen auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen pro/kontra Elektro-/Verbrenner-Antrieb? Werden ideologisch geprägtes Vorgehen oder ausgewogene Rationalität gestärkt?
Zumindest die Sensibilisierung, Argumente kritisch zu hinterfragen und bisher präferierte Ziele der Politik neu zu bewerten, sind ein positiver Begleitumstand der Corona-Pandemie. In einer Zeit, in der niemand voraussagen kann, ob die größten Erschütterungen bereits erfolgt sind oder noch bevorstehen, ist Rat- und Hilflosigkeit Bestandteil unseres Alltages.
Unser Wohlstand ist in Gefahr und wie es scheint, hat die Krise das Kommando übernommen. Die bisherige auf Besitzstandswahrung ausgerichtete sehr lineare Denk- und Verhaltensweise hilft uns nicht wirklich weiter.
Dieser Gedanke betrifft auch das Grundbedürfnis Mobilität und schon lange fällige wirkliche Konzepte, die über die Elektromobilität und alternative Antriebe weit hinausgehen.
Über 40 Millionen zugelassener Fahrzeugbestand in Deutschland ist Herausforderung und Chance zugleich. Umwelt und der Umgang mit Ressourcen werden coronabedingt an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnen und neue Ziele sowie Lösungen generieren.
Gegen falsche Versprechen und Strategien helfen das Sachkundeprinzip und Vertrauen in die Wissenschaft und unsere eigenen Fähigkeiten.
Die Fragen stellte Mathias Bäumel.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 11/2020 vom 9. Juni 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.