18.06.2021
Interview mit Dr. Marcus Jahnel - neuer Forschungsgruppenleiter am BIOTEC und PoL
Dr. Marcus Jahnel begann am 1. Juni als neuer Forschungsgruppenleiter am Exzellenzcluster Physik des Lebens (Physics of Life, PoL) und dem Biotechnologischen Zentrum (BIOTEC) der TU Dresden. Seine Gruppe Dynamik der Biomoleküle nutzt die Physik des Lichts, um die Physik des Lebens zu untersuchen.
Können Sie uns einen Überblick über Ihre bisherige akademische Laufbahn geben?
2006 arbeitete ich während meiner Bachelor-Arbeit im Labor von Prof. Josef Käs an der Universität Leipzig an Aktin-Netzwerken. Ende 2006 zog ich nach Manchester, um einen Master in Physics zu machen. Ich arbeitete unter Dr. Thomas Waigh an Fibrin-Netwerken, Netzwerke eines der wichtigsten Proteine, welches an der Blutgerinnung beteiligt ist.
Danach, im Oktober 2007, kam ich nach Dresden, um am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in der Gruppe von Stephan Grill meine Doktorarbeit zum Thema „Single molecule studies of transcription“ zu schreiben. Meine Doktorarbeit wurde durch ein Stipendium des Böhringer Ingelheim Fonds unterstützt.
Während meiner Postdoc Zeit nach 2013 arbeitete ich verstärkt an drei Themen: der Automatisierung von komplexen Einzelmolekülexperimenten mit Loic Royer (jetzt Chan Zuckerberg Biohub, USA), der Bestimmung von Materialeigenschaften verschiedenster molekularer Kondensate zusammen mit den Gruppen von Tony Hyman und Simon Alberti (MPI-CBG und BIOTEC), sowie der Funktionsweise von langen, fadenartigen Molekülen die auf bestimmten Zellorganellen sitzen, zusammen mit der Gruppe von Marino Zerial (MPI-CBG).
All dies sind biologische Projekte. Sie sind aber ausgebildeter Physiker. Was hat Sie dazu gebracht, sich in die Life Sciences und der Biophysik zu widmen?
Das Interesse für die Biologie – oder vielleicht besser gesagt, die Faszination – war eigentlich immer schon da. Aber ich hatte in der Schulzeit auch immer viel Spaß an der Physik, der Nähe zur Mathematik, und der Vorstellung, auf eine Frage eindeutige quantifizierbare Antworten zu finden. Das klingt vielleicht im Nachhinein ein bisschen naiv, aber ich mochte diese Herangehensweise. Es gibt ein Problem, und dies kann man mit Formeln beschreiben, und wenn man die entsprechenden Gleichungen löst, hat man ein belastbares Ergebnis, das überall gilt. Die Realität ist leider – oder zum Glück – ein bisschen komplexer…
Dann klingt Biophysik wirklich nach einer perfekten Lösung! Was war denn Ihr erster Kontakt mit der Biophysik?
Es war während meiner Bachelorarbeit an der Universität Leipzig. Ich erinnere mich, dass ich im Labor von Prof. Josef Käs fluoreszent-markierte Aktin-Netzwerke sah. Aktin is ein polymeres Protein, dass das Skelett der Zelle aufbaut. Wir beobachteten, wie es sich polymerisieren und bündeln lässt. Das war absolut faszinierend! Ganz anders als die regelmäßigen Kristalle, oder die abstrakteren Quantenphänomene, die ansonsten im Lehrplan standen. Diese Experimente waren einfacher zu greifen, und auch einfacher selbst durchzuführen. Gleichzeitig hörten wir Vorlesungen über Polymerphysik von Prof. Klaus Kroy, der dieses Verhalten von Polymeren theoretisch beschrieb, mit wenigen eleganten Argumenten. Ich war also angetan von einer Mischung aus den spannenden Experimenten, die visuell sehr ansprechend waren, gekoppelt mit Formeln, die ein so komplexes Verhalten beschreiben konnten.
Beide Professoren, Käs und Kroy, und ihre Gruppen verbreiteten so etwas wie Aufbruchsstimmung: Physik und Biologie gehören zusammen! Die Physik kann viel von der Biologie lernen. Was sind die spannenden Fragestellungen? Wie unterscheidet sich belebte von unbelebter Materie? Gleichzeitig bietet die Physik eine quantitative Herangehensweise, die versucht, die wirklich essentiellen Eigenschaften von Prozessen herauszuarbeiten. Können wir etwas so weit reduzieren, dass wir es in eine Gleichung gießen können? Und dann gibt es ja noch die ganzen physikalischen Geräte (Mikroskope, Laser, Rasterkraftmikroskope, usw.) die sich hervorragend dafür eignen, versteckte Dinge messbar und beobachtbar zu machen.
Dieses Gesamtpaket – biologische motivierte Probleme mit physikalischem Werkzeugkasten aus Experiment und Theorie zu erforschen – hat mich seitdem begleitet. Es war dann ein logischer Schritt für die Master- und die Doktorarbeit in eine Biophysiker-Gruppe zu gehen.
Jetzt, 15 Jahre später, gründen Sie Ihre eigene Biophysik-Gruppe, die sich mit der Erforschung von biologischen Kondensaten beschäftigt. Wie hat Ihr Interesse an molekularen Kondensaten begonnen?
Es war eher Zufall. Im Spätsommer 2008 teilte ich mir am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS) ein Büro mit einem Postdoc von Tony Hymans Forschungsgruppe. Er kam gerade von einer Reise zum Physiologie Kurs in den USA zurück und war voll begeistert: „Schau mal! Ist das nicht abgefahren! Sieht aus wie Honigtropfen, ist aber eigentlich ein Protein!“ Er zeigte mir die ersten Videos von tropfenähnlichen Proteinansammlungen, die er während des Kurses gemacht hatte, und er war absolut fasziniert von dem Phänomen. Und so was steckt ja bekanntlich an. Der Postdoc war natürlich Cliff Brangwynne, und er hatte gerade mit Tony Hyman und Frank Jülicher die Bedeutung der Phasentrennung von Proteinen mit ungeordneten Regionen entdeckt. Ich habe die Entwicklung des Feldes also ab diesem Zeitpunkt sehr interessiert verfolgt, aber war noch auf meine Doktorarbeit zum Thema Transkription konzentriert.
Ein paar Jahre später, als die ersten gereinigten phasen-trennenden Proteine in den Laboren von Tony Hyman und Simon Alberti verfügbar wurden, begann ich mich ernsthaft dafür zu interessieren, an ihnen zu arbeiten. Es ging nun daran, diese neuartigen Materialzustände der Proteine in vitro zu charakterisieren. Verhalten sie sich eher wie Wasser, wie Öl, oder wie Honig? Hier war es nun ein glücklicher Zufall, dass die Proteintropfen sich wunderbar mit der Optischen Falle einfangen, bewegen, verformen und messen ließen – etwas, mit dem ich sehr vertraut war.
Die Experimente waren relativ einfach und brachten gleichzeitig neuartige Daten, die durch bloßes Beobachten mit dem Mikroskop sehr schwer zu erhalten waren. Tropfen aller Art sind meistens schön rund, daher ist es vom reinen Abbild schwer zu unterscheiden, ob sie dynamisch oder eher zäh sind. Die kontrollierten Experimente mit den Optischen Fallen beantworten genau diese Frage, und erlauben uns, mehr über diesen Materialzustand zu erfahren. So konnten wir mit diesen Experimenten z.B. zeigen, dass das RNA-bindende Protein FUS – eines der Proteine welches in neurodegenerativen Krankheiten wie ALS ein Rolle spielt – von einem flüssigen in einen zähflüssigeren Zustand übergeht, und dass dieser Übergang in ALS-Mutanten beschleunigt ist.
Was fasziniert Sie am meisten an den molekularen Kondensaten?
Einen der spannendsten Aspekte ist, dass es sich um dynamische und zum Teil fragile Ansammlungen handelt, die maßgeblich durch ungefaltete Teile eines Proteins und schwache Wechselwirkungen zwischen ihnen bestimmt werden. Es galt lange die Devise, dass die gefaltete 3D Struktur hauptsächlich die Funktion eines Proteins bestimmt. Allerdings kodieren etwa 40 % der menschlichen Gene für Proteine mit ausgedehnten unstrukturierten und ungefalteten Resten. Das passte irgendwie nicht so recht ins Gesamtbild. Heute verstehen wir, dass gefaltete und ungefaltete Proteinregionen genau ausbalanciert sind, und dass es unterschiedliche Funktionsebenen gibt. Hierbei wird das dynamische kollektive Verhalten oft durch die ungeordneten Teile bestimmt, und manifestiert sich dann in Phänomenen wie der Phasentrennung und Tropfenbildung. Viele dieser Phänomene können daher mit Thermodynamik und Polymerphysik quantitativ beschrieben werden.
Sie haben eine optische Falle erwähnt. Das klingt nach einem besonderen Gerät. Können Sie erklären, wie es funktioniert?
Gerne! Die Forschung in meiner Gruppe basiert auf der Fähigkeit, kleinste molekulare Kräfte zu messen, z.B. Kräfte, die ein einzelner molekularer Motor ausübt, während er läuft, oder Kräfte, die man benötigt um ein Protein oder eine RNA zu entfalten, oder Kräfte um einen kleinen Kondensattropfen zu strecken. Wir bewegen uns hier auf der Kraftskala im Bereich von pN, d.h. die Kräfte betragen nur 1 Millionstel von 1 Millionstel der Kraft, die eine Tafel Schokolade auf einen Tisch ausübt, auf dem sie liegt (1 N). Mechanische Instrumente stoßen nun an ihre Grenzen und können hier oft nicht zuverlässig eingesetzt werden. Stattdessen nutzen wir Licht für diese Messungen. Man kann mit fokussiertem Licht diese kleinsten Kräfte messen und auch solche winzigen Kräfte auf eine Probe ausüben. Das Prinzip nennt sich Optische Falle oder Optische Pinzette, bzw. Optical Tweezers in Englisch, und für dessen Entwicklung gab es 2018 den Nobelpreis für Arthur Ahskin. Man kann also sagen, dass wir im Grunde die Physik des Lichtes nutzen, um die Physik des Lebens zu erforschen.
Ist die Ausrüstung bereits auf dem Campus vorhanden oder müssen Sie die Infrastruktur für Ihre Gruppe aufbauen?
Die ist schon da. Während meiner Doktorarbeit im Labor von Stephan Grill am MPI-CBG habe ich eine hochauflösende Optische Falle selbst entwickelt, gebaut und programmiert. Diese Arbeit dauerte rund drei Jahre und resultierte in einem so sensitiven und robusten Messinstrument, dass es heute noch im Einsatz ist.
Nach der Doktorarbeit betreute ich einen Doktoranden, der eine zweite Version dieser Optischen Falle am BIOTEC entwickelte. Diese hat den großen Vorteil, dass es zugänglicher für Weiterentwicklung und Automatisierung ist. Diese beiden selbst-gebauten Geräte werde ich in meiner neuen Gruppe weiter benutzen. Da diese Mikroskope viel Know-How benötigen, gibt es im Moment nicht viele Forscher, die sie zu bedienen und in ihrer Breite anzuwenden wissen. Diesen Wissensvorsprung wollen wir nutzen.
Gibt es bereits kommerzielle Setups für Optische Falle?
Ja! Inzwischen wurden auch kommerzielle Optische Fallen entwickelt, die wirklich das höchste technische Niveau bieten. In Dresden gibt es derzeit drei solcher Geräte – zwei am MPI-CBG und eines am Center for Molecular and Cellular Bioengineering. Auch hier ist es für die effiziente Nutzung dieser Instrumente von Vorteil, einen Hintergrund in der Durchführung von Einzelmolekülexperimenten und der dazugehörigen Datenauswertung zu haben. Daher sehe ich unsere Gruppe nicht nur als einen der Hauptnutzer, sondern auch als natürlichen Kollaborationspartner für alle, die an der Nutzung der Optischen Fallen auf dem Dresdner Campus interessiert sind.
Man kann also sagen, dass Sie in Bezug auf Infrastruktur bereits gut aufgestellt sind, oder?
Ja und nein. Eine Richtung, die ich in naher Zukunft gern komplementär zu den Optischen Fallen etablieren möchte, ist die Mikrofluidik – Flüssigkeitsmesssysteme im kleinen Maßstab. Hier gibt es viele Anknüpfungspunkte mit Kolleginnen und Kollegen am Campus und ich freue mich darauf, tiefer in diese Technik einzusteigen.