27.08.2021
Neue Perspektive auf die Kräfte während der Zellteilung
Kontraktilität ist ein wesentlicher biologischer Prozess, der es Zellen ermöglicht, sich zu teilen, zu bewegen und ihre Form zu verändern. Bisher wurde angenommen, dass Kontraktilität ausschließlich von einer Gruppe von Proteinen, den so genannten molekularen Motoren, angetrieben wird. Ein internationales Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des Biotechnologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag und des B CUBE - Center for Molecular Bioengineering an der TU Dresden hat nun einen neuen Mechanismus der Zellkontraktilität entdeckt, der unabhängig von molekularen Motoren ist.
Die Zellteilung ist für das Leben unerlässlich. Damit sich eine Zelle in zwei Tochterzellen teilen kann, muss sie mechanisch getrennt werden. In tierischen Zellen zieht ein spezielles ringförmiges Netzwerk von Proteinen die Zelle zusammen, bis sie sich schließlich in zwei Teile teilt. Es wurde vermutet, dass diese Kontraktion von Myosin-Motorproteinen angetrieben wird, einer speziellen Gruppe von Proteinen, die Energie in Form von ATP benötigen, um sich an Aktinfilamente anzuheften, sich an ihnen entlang zu bewegen und sie in entgegengesetzte Richtungen zu ziehen. Auf diese Weise würden die Filamente relativ zueinander gleiten und die Kontraktion des ringförmigen Netzwerks verursachen. Dieses Modell erklärte jedoch nicht, wie es möglich ist, dass einige Zellen, denen Myosinmotoren fehlen, sich dennoch erfolgreich zusammenziehen und teilen können. Wissenschaftler:innen des Biotechnologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag und des B CUBE - Center for Molecular Bioengineering der TU Dresden haben nun eine mögliche Antwort gefunden - eine neuartige Aktin-Kontraktion, die unabhängig von Myosin-Motorproteinen und sogar vom ATP-Verbrauch ist.
Angetrieben wird der neue Mechanismus von Anillin, einem Protein, das Aktinfilamente lose vernetzt, d.h. eine lockere Verbindung zwischen ihnen herstellt. Die Anillinmoleküle, die sich in den Zwischenräumen der Filamente befinden, wirken wie eingeschlossene Gaspartikel. Wenn sich die Filamente teilweise überlappen, dehnt sich das "Anillin-Gas" aus und erzeugt eine Kraft, die das Gleiten der Filamente weiter vorantreibt und ihre Überlappung maximiert, wodurch sich das ringförmige Filamentnetzwerk zusammenzieht. Bemerkenswerterweise ist die Stärke der von Anillin erzeugten Kraft vergleichbar mit der von Myosinmotoren.
„Die beschriebene Expansionskraft wurde zunächst in unseren Laboratorien nur zwischen zwei einzelnen Filamenten des Zytoskeletts gefunden und charakterisiert. Es ist nun großartig zu sehen, dass diese Expansionskraft tatsächlich die Kontraktion komplexer, ringförmiger Aktinstrukturen antreiben kann, die für die Zellteilung entscheidend sind", sagt Stefan Diez, Gruppenleiter am B CUBE - Center for Molecular Bioengineering an der TU Dresden.
Ondrej Kucera, Postdoc im Labor für Strukturproteine am Biotechnologischen Institut in Prag und Erstautor der Studie, ergänzt: „Seit langem haben wir vermutet, dass Myosine allein nicht in der Lage sind, Aktinringe in tierischen Zellen zusammenzuziehen. Mit den von Anillin erzeugten Kräften ist unser Verständnis des kontraktilen Rings nun wesentlich vollständiger." Da Störungen der Zellteilung für das Auftreten einer Vielzahl von pathologischen Zuständen und Krankheiten verantwortlich sind, ebnet das erweiterte Verständnis der kontraktilen Maschinerie den Weg für potenzielle klinische Anwendungen.
Originalveröffentlichung
Ondřej Kučera, Valerie Siahaan, Daniel Janda, Sietske H. Dijkstra, Eliška Pilátová, Eva Zatecka, Stefan Diez, Marcus Braun, Zdenek Lansky: Anillin propels myosin-independent constriction of actin rings, Nature Communications, (Juli 2021)
doi : https://doi.org/10.1038/s41467-021-24474-1