14.02.2019
Landwirtschaft 4.0 – TU Spin-off im Interview
Die Landwirtschaft von heute hat kaum noch etwas mit romantischer Bauernhofidylle zu tun. An der Digitalisierung führt auch in der Landwirtschaft kein Weg mehr vorbei. Informatik und Elektronik sind bereits im Stall und auf dem Feld im Einsatz und intelligente Maschinen sind aus dem „precision farming“ nicht mehr wegzudenken. Der technische Fortschritt der letzten Jahre revolutioniert die Landwirtschaft, sodass immer mehr Prozesse, die früher noch mühsame Handarbeit bedeuteten, heute automatisiert ablaufen. Mit Hilfe von Sensoren, die Daten messen und auswerten, kann die Landwirtschaft immer weiter optimiert werden, sodass Ressourcen optimal genutzt werden. Das Dresdner Unternehmen „Senorics GmbH“ entwickelt briefmarkengroße Sensoren, die auf dem Prinzip der Nahinfrarot-Spektroskopie beruhen und nachweisen können, ob und welche Inhaltsstoffe in welcher Menge vorhanden sind. Das Dresdner Start-up sammelte kürzlich in seiner Seed-Finanzierungsrunde 2,3 Millionen Euro. Zu den Inverstoren zählen der Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS), der Hauptinvestor Ventura Investment GmbH (Ventura) sowie die TUDAG TU Dresden Aktiengesellschaft.
1. Herr Dr. Timmreck, als Mitgründer des High-Tech Spin-offs der TU Dresden „Senorics GmbH“ haben Sie 2016 mit Ihrer Sensortechnologie den futureSax Ideenwettbewerb gewonnen. Die entwickelten Sensoren sollen unter anderem in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen, um den Reifegrad, Feuchte- oder Proteingehalt des Ernteguts bereits auf dem Feld zu bestimmen. Können Sie kurz erläutern, wie das Verfahren in der Praxis umgesetzt wird?
Tatsächlich hat sich anfangs der Agrarwirtschaftssektor als attraktiver Bereich für uns herausgestellt, weil hier die Anwendungen bereits vorhanden sind und die Technologie der NIR-Spektroskopie, mit der wir ja arbeiten, dort schon eingesetzt wird. Allerdings sind die heutigen Geräte hierfür sehr groß, schwer und vor allem teuer, sodass die Anwendung sehr eingeschränkt ist. Unsere Technik bietet ähnliche Möglichkeiten, nämlich die Analyse von Inhaltsstoffen wie Fett, Protein, Kohlenhydrate usw. in Agrarprodukten. Es gibt hier zwei Möglichkeiten: Entweder man misst während des Reifeprozesses, um den richtigen Erntezeitpunkt zu finden oder aber man kann nach der Ernte messen, um die Qualität des Erntegutes zu bestimmen. Das ist messbar und wird auch bereits eingesetzt. Deswegen haben wir die Landwirtschaft zunächst als attraktives Feld gesehen, das promotet und schließlich den futureSax Ideenwettbewerb gewonnen. In der weiteren Folge mussten wir dann aber sehen, dass der Agrarmarkt alleine doch nicht so ein guter Einstiegsmarkt ist, da man sehr hohe Genauigkeiten bei den Messungen braucht und die Hürden größer sind, als wir zunächst dachten. Aus diesem Grund haben wir uns dann zusätzlich auf andere Märkte konzentriert, auch wenn Agrar weiterhin ein Thema für uns ist und wir aktuell an einem konkreten Projekt mit einem Agraranbieter arbeiten. Wir sind aber inzwischen breiter aufgestellt und gehen in verschiedene industrielle Märkte rein, wie den Automotivbereich, wo es um die Analyse von Kühlflüssigkeit geht, auch Haaranalyse im Kosmetikbereich, um dem Kunden passende Haarpflegeprodukte anbieten zu können, ist ein Thema. Die Einsatzfelder sind also breitgefächert.
2. Wie genau funktioniert die optische Sensortechnologie?
Bei der optischen Messung gibt es eine Lichtquelle, wir strahlen Licht auf den Untersuchungsgegenstand und die verschiedenen Farben des Lichts werden unterschiedlich zurückreflektiert; einige werden absorbiert, andere reflektiert, sodass eine Art spektraler Fingerabdruck entsteht. Bestimmte Stoffe wie Fett, Zucker oder ähnliches absorbieren verschiedene Wellenlängen und Farben im nicht sichtbaren NIR-Bereich. So sehen Zucker und Mehl für das menschliche Auge weiß aus, im NIR-Bereich haben beide Produkte jedoch unterschiedliche Farben. Man könnte an einem Feldhäcksler ein kleines Messmodul, ca. 10x10 cm anbringen, in einem Auto müsste der Sensor noch kleiner sein, ungefähr die Größe Streichholzschachtel. Wenn man noch visionärer denkt, könnte man diese Technik auch in Smartphones integrieren, sodass man sein Essen untersuchen und Protein- und Kohlenhydratgehalt messen könnte.
3. Welche Vorteile bringt die neue Sensortechnologie in der Landwirtschaft?
Bei der Herstellung von Silage bietet es sich beispielsweise an, den Wassergehalt zu messen, um die Futter- und Proteinmenge anpassen zu können. Bis heute überprüfen Landwirte die Qualität der Silage per Hand, das heiß sie drücken eine kleine Menge in der Hand aus, um zu sehen, ob viel oder eher wenig Wasser enthalten ist und schätzt so die Futtermenge grob ab. Dies ist natürlich sehr ungenau. Mit der Sensortechnologie können genaue Daten ausgelesen werden und die Landwirtschaft kann optimiert werden. Im Vergleich mit bereits existierenden Messverfahren ist unser Sensor deutlich preiswerter, kleiner und unser Chip ist monolithisch und somit unempfindlich gegenüber Erschütterungen, die man ja immer bei großen Maschinen auf dem Feld hat.
4. In welchen weiteren Bereichen finden die Sensoren Anwendung?
Neben der der Agrarwirtschaft auch im Automotivbereich, der Prozessautomatisierung, der Kosmetik als kleiner Spezialbereich und im Agri-Food. Langfristig sehen wir vor allem bei letzterem ein großes Potenzial. Bei der Gründung eines Start-ups wird immer empfohlen einen Fokus zu setzen. Wir haben aber festgestellt, dass wir uns breiter aufstellen müssen, um verschiedene Märkte bedienen zu können und Optionen für die Zukunft zu schaffen.
5. Sie entwickeln auch ein sensorisches Wundpflaster, das Gesundheitsdaten übermitteln soll. Was ist die größte Herausforderung bei der Entwicklung dieses Produkts?
Das Problem sind hier vor allem technologische Hürden wie die Lichtquelle und die Energieversorgung. Im Medizinbereich muss das Produkt natürlich auch den strengen Anforderungen genügen, die hier gestellt werden. Wenn man verschiedene Anwendungen zur Wahl hat, wird man wahrscheinlich den Medizinbereich nicht als ersten wählen, da hier die Hürden einfach am höchsten sind. Es ist ein sehr visionäres Thema, aber aktuell haben wir schon einige Gespräche mit Interessenten geführt und sicherlich ein zukünftiges Forschungsthema.
6. Für was werden Sie die 2,3 Millionen Euro aus der Seed-Finanzierungsrunde genau verwenden?
Die Grundlage unserer entwickelten Technologie ist bereits sehr gut und einsetzbar. Wir müssen also keine Grundlagenforschung mehr betreiben. Es geht jetzt vor allem um Engineering-Themen: Miniaturisierung, Überführung in ein fertigbares Produkt, weg von den Prototypen, die wir bislang an der TU Dresden herstellen. Wir möchten in absehbarer Zeit Kleinserien und richtige Serien herstellen können. Chip-Packaging ist hier ein Thema. Auch im Bereich Software brauchen wir Kalibrierdatenbanken und natürlich werden wir personell aufstocken müssen, um unser Produkt verkaufen zu können.
7. Sie haben bereits mehrere Patente angemeldet und auch eins bereits erhalten. Welche Rolle spielen Patente in Ihrem Geschäftsmodell?
Für eine Technologieausgründung sind Patente die Grundlage schlechthin, ohne Patente hätten wir keine Chance einen Investor zu kriegen. Patente sichern ja die Alleinstellung ab, die Basis also für ein Start-up. Ohne Alleinstellungsmerkmale würde niemand Geld investieren. Insofern spielen Patente wirklich eine entscheidende Rolle und sind für unser Start-up essentiell.
8. Anfang Januar 2019 waren Sie auf der CES in Las Vegas, der weltgrößten Fachmesse für Unterhaltungselektronik. Gibt es bereits Anfragen für Ihre Erfindung aus den USA?
Wir sind ja schon länger in den USA unterwegs, waren auch letztes Jahr schon auf der CES. Das Interesse ist auf jeden Fall da, gerade im Bereich der Smartphonetechnologie gibt es in den USA viele Nachfragen. Generell nehmen wir an verschiedenen Messen teil, dieses Jahr noch an der SPIE Photonics West in San Francisco und dem Mobile World Congress in Barcelona. In Deutschland werden wir auf jeden Fall auf der Hannover Messe vertreten sein und auf der Sensor+Test in Nürnberg am Gemeinschaftsstand „Forschung für die Zukunft“.
9. Was sind Ihre Unternehmensziele für die nächsten 3 bis 5 Jahre?
Das erste Ziel ist es, unseren bestehenden Kunden ein Produkt zu entwickeln, sodass diese das Sensormodul in ihr Produkt integrieren können. Für die nächsten 1,5 bis 2 Jahre möchten wir eine Fertigung aufbauen und dann in Stückzahl gehen.
10. Können Sie zukünftigen Wissenschaftlern, die ein Start-up gründen möchten, einen Rat geben, auf was es bei einem erfolgreichen Technologietransfer ankommt?
Ich habe eine ganze Menge an Tipps, die ich geben könnte (schmunzelt). Zwei Punkte sind meines Erachtens nach besonders wichtig. Das ist zum einen das Team. Ein Start-up lebt von seinem Team und Investoren schauen meistens zuerst auf dieses. Eine gute Technologie und ein schlechtes Team werden nicht funktionieren, wohingegen eine schlechte Technologie und ein gutes Team durchaus funktionieren können. Das ist auch die Grundprämisse des Investors. In der ganzen frühen Phase sollte man sich genau Gedanken über die Teamzusammenstellung machen und sich als allerstes im Team über die langfristigen Ziele unterhalten. Wenn diese nicht zusammenpassen, ist das Start-up zum Scheitern verurteilt. Der zweite Punkt ist das Forschungstransferprojekt. Wir haben im BMWi-Förderprogramm EXIST-Forschungstransfer angefangen. Viele betrachten dies jedoch oft als Drittmittelprojekt und können so das Potenzial nicht vollausschöpfen. Mein Credo war es, ab dem ersten Tag der Förderung ins Fundraising zu gehen und aktiv eine Finanzierung aufzubauen. Damit kann man nicht früh genug anfangen. Das dauert lange und man muss lernen sich gut gegenüber Investoren zu präsentieren, seine Strategie an die Investoren anzupassen und pragmatisch zu sein. Ich kann nur jeden ermuntern, der selbst eine Erfindung hat und an eine Ausgründung denkt, sich darüber zu informieren. Es ist eine sehr schöne Form der Verwertung, die für die Uni und die Gründer sehr attraktiv ist. Es macht viel Spaß und es kommt am Ende für alle was Sinnvolles heraus.