03.05.2017
20. Ökumenisches Forum der TU Dresden - Gemeinsam Kirche für andere
Wie können Christen mit Luther und über Luther hinaus dem Anliegen der Reformation gerecht werden? Um diese Frage ging es am 8. April beim 20. Ökumenischen Forum der TU Dresden.
Erwartungsvoll gespannte Konzentration war im großen Hörsaal am Dresdner Weberplatz spürbar, als der katholische Theologe Professor Ottmar Fuchs die Bedeutung von Martin Luthers Bekehrungserlebnis erschloss: Überwältigt von der Einsicht, von Gott bedingungslos geliebt zu sein, wurde er zum Wegbereiter der gleichermaßen befreienden wie herausfordernden „Rechtfertigungslehre“. Diese kreist um ein Dilemma. Denn auf der einen Seite schenkt Gott seine Gnade dem Menschen gratis; man kann sich Gottes Zuneigung nicht verdienen. Auf der anderen Seite wird das Handeln des Menschen dadurch nicht irrelevant. Zwar ist der Mensch vor Gott ein für alle Mal „gerechtfertigt“, ohne dass er dafür etwas leisten muss. Doch damit der universale Heilswille Gottes diesseitig erfahrbar wird, bedarf es der guten Werke. Durch aktiv gelebte zwischenmenschliche Solidarität kommt die alle Menschen rechtfertigende Gnade Gottes in der Welt zur Geltung. Mission besteht folglich darin, ohne Übergriffigkeit den Menschen die Zusage zu vermitteln, von Gott geliebt zu sein. Damit konkretisierte Professor Fuchs die „Entmonopolisierung des Heils“, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im kirchlichen Selbstverständnis angelegt wurde.
In seiner Antwort auf den Vortrag von Ottmar Fuchs beleuchtete der evangelische Theologe Christian Schwarke den Glauben an die Rechtfertigungsgnade als tiefgreifende Befreiungserfahrung. Luther hat sich weniger aus theologischem Interesse, sondern vielmehr aus persönlich-existenzieller Betroffenheit an den Spannungen des Vorsehungsglaubens abgearbeitet. Ein im Vertrauen auf Gott verwurzelter Mensch bringt von allein gute Früchte hervor. Die Problematik der Werkgerechtigkeit ist dann lediglich eine Zuspitzung der Frage, woher der Mensch seine Motivation zum guten Handeln gewinnt, wenn seine Erlösung bereits feststeht. Den Zusammenhang zwischen Bildung und diakonischen Werken in reformatorischer Tradition zeigte der Dresdner Professor Gerhard Lindemann auf. Aus der befreienden Erfahrung der Rechtfertigung entstanden immer wieder karitative Aktivitäten und Bildungsinitiativen. Professor Roland Biewald profilierte schließlich Dietrich Bonhoeffers „Kirche für andere“ als ökumenischen Ansatz. Dabei fielen Parallelen zwischen manchen Passagen aus Bonhoeffers Schriften mit dem katholisch-kirchlichen Selbstverständnis in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils auf.
Unnötige Abgrenzungen vermeiden
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von der katholischen Professorin Hildegard König, wurde es als wünschenswert herausgestellt, die infolge der Reformation möglich gewordene Vielfalt an theologischen Standpunkten und Frömmigkeitsformen positiv zu würdigen. Eine solche Wertschätzung der Pluralität biete die Chance, voneinander zu lernen, was zu wechselseitig bereichernden Klärungsprozessen beitragen könne. So haben etwa evangelische Christen durch ihren Diskurs mit katholischen Christen ein gewandeltes Gespür für die Bedeutung der Abendmahlsfeier gewonnen, während sich in manchen katholischen Gemeinden durch evangelische Impulse ein anderer Blick auf die Bedeutung der Predigt ergeben habe. Christian Schwarke wies darauf hin, dass bei vielen kirchlichen und interkonfessionellen Lernprozessen soziale und spirituelle Intuitionen eine wichtigere Rolle spielen als rein rationale Reflexionen. Dies bewusst zu berücksichtigen, könne helfen, unnötige ideologisch verhärtete Ab- und Ausgrenzungen zu vermeiden.
Ökumenische Praxis vor Ort vielfach sehr gut
Roland Biewald stellte es als religionspädagogische und gemeindekatechetische Aufgabe heraus, das Urvertrauen der Menschen auf die bedingungslose Liebe Gottes zu stärken, die ausnahmslos allen Menschen gilt. In diesem Zusammenhang war man sich einig, dass im Sinne von Ottmar. Fuchs die alte „Wenn … dann“-Struktur zu überwinden ist: Da Gott sein Geschenk der Liebe und des Heils an keine Bedingungen knüpft, entspricht es dem Auftrag der Christen, ihrerseits niemanden von der tätigen Nächstenliebe auszuschließen. Dies bekräftigte Fuchs, indem er auf die vielen ökumenischen Initiativen hinwies, bei denen Christen zwar ihre jeweilige Identität im Glauben wahren, indessen im karitativen Handeln zur Einheit verbunden sind. Beispiele aus dem Auditorium belegten, dass die ökumenische Praxis vor Ort vielfach sehr gut gelingt. Solche Basiserfahrungen nähren die Hoffnung auf eine weitergehende fruchtbare Entwicklung gemeinsamen solidarischen Handelns der Christen aller Konfessionen.
Das Ökumenische Forum erwies sich als eine rundum gelungene Veranstaltung und trug zur Erschließung des Rechtfertigungsglaubens als Inspirationsquelle für interkonfessionelles Lernen und als Motivationsraum für gemeinsames solidarisches Handeln bei. Dem von Thies Gundlach (Vizepräsident des EKD-Kirchenamts) formulierten Wunsch, Theologen sollten im Jubiläumsjahr 2017 einen „tragenden Grundgedanken, eine weiterführende Idee und eine konstruktive Interpretation des Ereignisses“ der Reformation herausarbeiten, wurde damit auf jeden Fall entsprochen.
Autor: Denis Schmelter