22.03.2021
Call for Abstracts: Künstliche Intelligenz als geistes- und sozialwissenschaftlicher Begriff// Interdisziplinäre Tagung an der TU Dresden// 1. bis 3. Dezember 2021
In gegenwärtigen Debatten um Künstliche Intelligenz (KI) fällt auf, dass sich der Fokus geistes- und sozialwissenschaftlicher Analysen zumeist auf Effekte der Anwendung von KI-Verfahren in verschiedenen gesellschaftlichen Szenarien richtet. Diese werden etwa im Hinblick auf Mechanismen der Reproduktion und Verstärkung bestehender sozialer Ungleichheiten und Diskriminierungsformen diskutiert (vgl. etwa Apprich et al. 2018). Ebenso gilt das Interesse der Debatten fragmentierenden und polarisierenden politischen Tendenzen in öffentlichen Räumen (vgl. Ingold 2017, Vesting 2019) oder Fragen nach der Einschränkung individueller Handlungsautonomie durch die Implementierung von KI-Verfahren in unterschiedlichsten Lebensbereichen (vgl. König 2019, kritisch dazu Block/Dickel 2020). Aktuelle Diskussionen dieser Vorgänge betonen zudem unterschiedliche soziale, kulturelle und politi-sche Aspekte der Verbreitung von KI, sei es im Hinblick auf Prozesse der technischen Formalisierung von Wissensbeständen, der Verarbeitung kontingenter Zukunftsszenarien zu Vorhersagen (vgl. Esposito 2017) oder der Verteilung von technischen Infrastrukturen zwischen Staaten und Organisationen mitsamt den damit einhergehenden Fragen nach hegemonialen Strukturen (vgl. Galloway 2014) und geopolitischen Implikationen (vgl. Bratton 2015). Darüber hinaus finden sich Versuche, die informatischen, statistischen und mathematischen Grundlagen von KI in ihren sozialen Implikationen nachvollziehbar zu machen (vgl. etwa Mackenzie 2017, Heintz 1993) oder aber deren institutionelle Einbettung und infrastrukturelle Verzweigung nachzuzeichnen (vgl. etwa Crawford/Joler 2018).
Die erste Tagung des Schaufler Kolleg@TU Dresden möchte demgegenüber die analytische Frage nach angemessenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Begriffen und Konzepten von KI ins Zentrum der Diskussion stellen. Aktuelle theoretische Ansätze gehen in diesem Zusammenhang etwa davon aus, dass die adaptive algorithmische Verarbeitung von Informationen auf der datenförmigen Extraktion von Wissensbeständen (vgl. Joler/Pasquinelli 2020) beruht, die interpretationsbedürftige „Muster“ (Nassehi 2019) erzeugt, welchen Spuren ihrer sozialen Ursprünge weiterhin anhaften. Auf der Tagung sollen diese, wie auch andere – möglicherweise weniger bedachte – Perspektiven analytisch exploriert werden. Welche Konzepte eignen sich besonders zum besseren Verständnis von KI, auch und gerade in ihrer komplexen Einbettung in gegenwärtige gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten? Wie kann an einer gemeinsamen Sprache zu einem gemeinsamen Verständnis von KI gearbeitet werden? Welche Wissensbestände können als Inspiration übernommen, welche Vorstellungen sollten verworfen werden?
Die eingereichten Beitragsvorschläge sollten im weiteren Sinne an der konzeptuellen Bestimmung von KI wie auch deren Einordnung im Verhältnis zu anderen für verwandte Diskussionen paradigmatischen Begriffen arbeiten und können sich an folgenden thematischen Komplexen orientieren:
- Intelligenz, Denken, Rechnen, Lernen, Urteil und Entscheidung
- Materialität, Situiertheit und soziale Identität
- Kommunikation, Technik, Infrastruktur, Information und Wissen
- Autonomie, Kontrolle, Agency und Ökologie
- Ungleichheit, Diskriminierung, Hegemonie und Gewalt
Diese programmatische Setzung basiert auf der Annahme, dass ein interdisziplinärer Austausch über Begriffe und Konzepte von KI zu einem besseren Verständnis von KI als realem Phänomen beiträgt und eine solche Auseinandersetzung sowohl für die Schärfung des analytischen Blicks auf empirische Gegenstände wie auch für die Spezifizierung geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Zugänge zu diesen hilfreich ist. Wir gehen davon aus, dass die Verhandlung der Vorzüge wie Nachteile verschiedener Ansätze sowohl innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften als auch im Dialog mit den Natur- und Ingenieurwissenschaften neue gewinnbringende Perspektiven auf KI eröffnen kann. Deshalb sind wir insbesondere auf der Suche nach Vorschlägen, die Brücken zwischen vermeintlichen epistemischen Gräben zu schlagen versuchen und begrüßen Konzepte, die Verbindungen zwischen bislang eher disparat verlaufenden Diskussionen über KI ermöglichen.
Wir bitten um Einreichung von Beitragsvorschlägen per E-Mail in Form eines Abstracts (300-500 Wörter) bis zum 30. April 2021 an: . Ebenso ist unter dieser Adresse das Organisationsteam (Richard Groß & Ann-Kathrin Koster) bei Rückfragen zu erreichen.
Die Tagung wird in Abhängigkeit vom weiteren Verlauf der COVID-19-Pandemie online, in Hybridform oder als Präsenzveranstaltung stattfinden. Alle Teilnehmenden und Interessierten werden weit im Voraus über die Planung informiert, sobald eine Entscheidung getroffen worden ist.
Literatur
Clemens Apprich, Wendy Hui Kyong Chun, Florian Cramer & Hito Steyerl, Pattern Discrimination. Lüneburg/Minneapolis, MN: meson press/Minnesota University Press 2018.
Katharina Block & Sascha Dickel, Jenseits der Autonomie. Die De/Problematisierung des Subjekts in Zeiten der Digitalisierung. In: BEHEMOTH. A Journal on Civilisation 13 (2020), H. 1, S. 109-131.
Benjamin H. Bratton, The Stack. On Software and Sovereignty. Cambridge, MA: MIT Press 2015.
Kate Crawford & Vladan Joler, Anatomy of an AI System: The Amazon Echo As An Anatomical Map of Human Labor, Data and Planetary Resources. AI Now Institute and Share Lab, https://anatomyof.ai, 2018.
Alexander R. Galloway, The Cybernetic Hypothesis. In: differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 25 (2013), H. 1, S. 108-131.
Bettina Heintz, Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers. Frankfurt a.M./New York, NY: Campus 1993.
Albert Ingold, Digitalisierung demokratischer Öffentlichkeiten. In: Der Staat 56 (2017), H. 4, S. 491-533.
Pascal D. König, Die digitale Versuchung. Wie digitale Technologien die politischen Fundamente freiheitlicher Gesellschaften herausfordern. In: Politische Vierteljahresschrift 60 (2019), H. 3, S. 441-459.
Adrian Mackenzie, Machine Learners. Archaelogy of a Data Practice. Cambridge, MA/London: MIT Press 2017.
Armin Nassehi, Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. München: Beck 2019.
Matteo Pasquinelli & Vladan Joler, The Nooscope Manifested: AI as Instrument of Knowledge Extractivism. In: AI & Society (2020).
Thomas Vesting, Die Veränderung der Öffentlichkeit durch künstliche Intelligenz. In: Sebastian Unger & Antje von Ungern-Sternberg (Hrsg.), Demokratie und künstliche Intelligenz. Tübingen: Mohr Siebeck 2019, S. 33-50.