01.12.2016
„Die Stimmung in der Stadt hat sich verändert“
Johannes Filous gehört zu denjenigen, die die aktuelle Situation in Dresden nicht ohne Zutun hinnehmen möchten. Dafür gründete er 2015 mit seinem Partner den Twitterkanal „Straßengezwitscher“, der sich enormer Beliebtheit erfreut und über die Grenzen Dresdens hinaus bekannt wurde. In diesem Jahr bekamen er und seine Mitstreiter dafür den „Grimme Online-Award“. Ein weiterer Erfolg war der unter seiner Mitarbeit ins Leben gerufene Kongress „2gather – gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit“, der Anfang Oktober stattfand. Wir sprachen mit Johannes Filous über spezifisch sächsische Probleme, über sein Projekt „Straßengezwitscher“ und über seine Zukunftspläne.
Vom 8. bis 9. Oktober 2016 fand der Kongress „2gather“ statt. Wie war die Resonanz auf diese Konferenz?
Die Resonanz war wirklich gut, wenn man sie in zwei Bereiche einteilen will. Am ersten Tag kamen etwa 220 Personen ins Festspielhaus Hellerau, am zweiten Tag waren es sogar 350. Einige besaßen Tickets für nur einen Tag, im Umkehrschluss bedeutete dies, dass wir etwa 450 verschiedene Menschen in Hellerau versammelt hatten, die alle sehr engagiert und aktiv mitgemacht haben. Das war für uns sehr wichtig. Wir wollten keine Frontalveranstaltung, sondern wollten die Menschen motivieren, eigene Ideen einzubringen und sich untereinander auszutauschen. Außerdem möchte ich zudem die mediale Resonanz sehr positiv hervorheben. Diese war sowohl lokal als auch überregional groß, sodass es die Berichterstattung über unseren Kongress bis in die Tagesschau geschafft hat. Auf unserer Twitterplattform war die Veranstaltung sogar der Trend Nr. 1 als getweeteter Hashtag am Sonntag.
Wie war die Struktur des Kongresses?
Das Format war so angelegt, dass wir zunächst mit Impulsreferaten begonnen haben. Wir hatten ganz unterschiedliche Persönlichkeiten als „Key Note Speaker“ eingeladen: von Michal Tomaszewski (Dresdner Architekt und Musiker), über Burhan Qurbani, den Regisseur von „Wir sind jung, wir sind stark“ und Dipjyoti Deb, Wissenschaftler am Helmholtz-Institut bis hin zu David Schalko (Filmemacher), Anetta Kahane (Amadeo Antonio-Stiftung) und dem Europaparlamentspräsident Martin Schulz. Dazu gab es verschiedene Podiumsdiskussionen zu ganz unterschiedlichen Themen.
Ein breites Spektrum durch die Gesellschaft also?
Genau. Uns war wichtig, verschiedene Bereiche der Öffentlichkeit zusammenzubringen. Zudem war ein Vertreter des Verfassungsschutzes Sachsen unser Gast, was zu gleichsam hitzigen als auch konstruktiven Diskussionen geführt hat. Am Sonntag haben wir den Kongress zu einer europäischen Thematik geöffnet. Wir wollten wissen, was man aus diesen momentanen regionalen Entwicklungen, die aber eigentlich ein überregionales Phänomen sind, für Europa lernen kann. In Workshops wurde Methodenkompetenz, gerade im digitalen Bereich, vermittelt. Best-Practice-Beispiele gaben Einblicke in schon bestehende Projekte, während Open-Space-Beispiele auf die Entwicklung möglicher neuer Projekte helfen sollten. Zum Teil haben wir schon positive Rückmeldungen bekommen, dass der Kongress nachwirkt, wie ein Beispiel aus Halle zeigt.
Konnten Sie anhand dieses Kongresses spezifizieren, in welchen Bereichen in Sachsen Aufholbedarf in Sachen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit besteht?
Ja, ich versuche die Antwort so kurz wie möglich zu halten, obwohl es schwierig ist. Wir haben gesehen, dass insbesondere in der Kunst viele Impulse zu bemerken sind. Besonders spürbar ist das in den Bereichen Musik und Theater. Ich nenne die „Banda Internationale“ und verschiedene Bürgerbühnen nur als zwei wenige Beispiele. Viele Dresdner Kultureinrichtungen haben sich in ihren Programmen schon ein wenig auf dieses Thema eingestellt, das sicherlich seinen Niederschlag in der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas finden wird. Damit wird aber sicherlich nur ein Teil der Gesellschaft, etwa das Bildungsbürgertum, erreicht. Es gibt viel zivilgesellschaftliches Engagement, aber es fehlt vielfach die Unterstützung. Oft gibt es starke Ideen, die aber schließlich an der Antragsstellung scheitern. Dabei ist ein starkes Stadt-Land-Gefälle spürbar. Auch im/beim Journalismus gibt es viele Punkte, an denen man ansetzen und kritisch sein muss. Ein Punkt ist die Sprache. Begriffe wie „Asylgegner“ oder „Asylkritiker“ sind unscharfe Begriffe, die eine gewisse Situation nicht klar beschreiben. Daher gab es einen Workshop, bei dem wir uns ganz dezidiert mit der Sprache im Journalismus auseinandergesetzt haben. Ein konkretes Beispiel für den Nachholbedarf ist das Abweichen der Sächsischen Zeitung vom Pressekodex. Plötzlich wird ein Merkmal eines vermeintlichen Kriminellen herausgehoben und auf die Herkunft desselben verwiesen. Diese Feststellung basiert ausschließlich auf dem Polizeibericht. Den größten Aufholbedarf haben Viele jedoch in der Politik gesehen. In diese Richtung ist seitens der Landesregierung seit der Wende eine Impulsgebung ausgeblieben. Viele wünschen sich, dass sie Unterstützung von der Politik dafür erhalten, dass sie für demokratische Werte einstehen und sich dafür engagieren.
Sie sagten kürzlich in einem Interview mit der „Zeit“, dass Sachsen seine kleine „Modelleisenbahnwelt“ zurück haben möchte. Wie sehen Sie die Politik der Regierungspartei seit der Wende in ihrer Entwicklung?
Es wäre zu viel gesagt, wenn man sagt, die Entwicklung ist stehengeblieben. Man hat allerdings nur einen geringen Wandel im demokratischen Prozess durchlaufen, da immer eine Partei durchregiert hat. Dadurch haben die Bürger wenig Gefühl für partizipative Demokratie vermittelt bekommen. Jetzt jedoch stehen wir an einem Punkt, an dem die Politik tatsächlich gefragt ist, Menschen den Wert und die Stärke der Demokratie zu vermitteln. Das ist jetzt schwierig geworden, da Menschen Positionen bezogen haben, die sie mit einfachen populistischen Mitteln verteidigen.
Denken Sie, dass das Auftreten von Pegida seit zwei Jahren diese Positionen verstärkt hat, bzw. dass sich Aggressionen über diese Organisation kanalisiert haben?
Man kann sicher merken, dass sich die Gesellschaft ein wenig verroht hat. Das merkt man an der Sprache, wie sie durch montägliche Entmenschlichungen auf einer Bühne gezeigt wird. Das ist eine sehr gefährliche Rhetorik, die ihre Auswirkungen hat. Radikale rechte Spektren sehen jetzt, dass Äußerungen, die sie vorher schon verwendet haben, plötzlich in die Mitte der Gesellschaft gerückt, quasi hoffähig geworden sind. Außerdem unterscheidet man häufig unwillkürlich zwischen „Die“ und „Wir“, es geht also ein Riss durch die Gesellschaft, was auch sehr gefährlich ist. Jeglicher Dialog wird dadurch erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Das Finden einer Gesprächsebene ist in der momentanen Situation sehr schwierig geworden, weil man von dieser Zerrissenheit zunächst erstmal wieder zurückkommen muss. Denn wir reden zu allererst über einen Menschen, und dann über alles andere.
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Stadt Dresden in der Vergangenheit zu sehr auf den Nimbus der Barock- und Kulturstadt berufen hat und dass nun Einige Angst davor haben, dass diese „heile Welt“ durch Asylsuchende und/oder Geflüchtete zerstört werden könnte?
Das ist ein typisches Phänomen für unsere Stadt. Man beruft sich auf das Aussehen und die Kultur der Stadt. Man sieht beispielsweise bei der Vergabe der Fördermittel, dass die großen Orchester wie Staatskapelle oder Philharmonie oft mit großzügigen Zuweisungen bedacht werden, während kleinere Theater nicht beachtet werden. Das kann auch ein Grund dafür sein, dass sich die Zivilgesellschaft nicht so stark zeigen kann. Der Wunsch nach der Homogenität, nach dieser „Modelleisenbahnwelt“ ist in Dresden sehr ausgeprägt. In einer globalisierten Welt ist ein solches Denken einfach nicht realistisch.
Vielleicht ein paar Worte zu Ihrem Projekt: Wie kam der Twitterkanal „Straßengezwitscher“ zustande?
Wir verfolgten einen aufklärerischen Ansatz. Im März 2015 gab es ein Protestcamp geflüchteter Menschen vor der Semperoper. Dort wurde gegen die Dauer der Anträge, gegen die Residenzpflicht etc. demonstriert. An einem Montagabend wurde dieses Camp von Pegida-Anhängern nach einer Demonstration angegriffen. Dabei kam es verbal zu Angriffen auf die Würde des Menschen, was sich medial sehr wenig niedergeschlagen hat. Für Alexej (Alexej Hock, der zweite Mitarbeiter von „Straßengezwitscher“ – WW) und mich war es ein Widerspruch, in einer aufgeklärten Gesellschaft zu leben, ohne dass diese Grundwerte unserer Gesellschaft thematisiert werden und darauf keine Antwort gegeben wird. Die Polizei konnte an diesem Abend die Antwort darauf nicht gegeben. Unsere Idee war, so etwas zu zeigen. Wichtig war es uns aber, die Meinungsbildung dazu nicht von uns zu gestalten, da dies jeder für sich tun kann. So war für uns klar, dass wir ein journalistisches und kein aktivistisches Projekt anschieben wollten. Dafür haben wir uns klare Regeln gesetzt, insgesamt sind es im Moment 16 Seiten, wie wir zu arbeiten haben. Wir möchten erreichen, dass niemand sagen kann, er habe nicht gesehen, was passiert. Durch Mobilisierungen auf Facebook wurde es uns ermöglicht, schon vor den etablierten Medien z.B. in Freital oder Heidenau zu sein. Gerade in Heidenau wurden die Ausschreitungen bereits drei Tage vorher vom NPD-Abgeordneten Rentzsch (Rico Rentzsch – einziger NPD-Abgeordneter im Stadtrat – WW) angekündigt. Theoretisch hätte so etwas gesehen werden müssen, sodass wir uns einer aufklärerischen Arbeit verschrieben haben. Wir möchten die Lücke zwischen den Geschehnissen auf der Straße und der klassischen Berichterstattung füllen.
Sie haben in diesem Jahr für Ihr Engagement den „Grimme Online-Award“ bekommen. Inwiefern bekam Ihr Projekt durch diese Auszeichnung einen zusätzlichen Auftrieb und was bedeutet diese Ehrung für Sie persönlich?
Das Wichtigste war wohl eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit für unser Projekt, was zur Erhöhung der Reichweite sehr wichtig ist. Es ist dadurch möglich, unser Anliegen weiter zu vermitteln und die Idee des Bürgerjournalismus weiter zu tragen. Jeder kann hinschauen auch wenn viele wegschauen und kann das weitertragen. Für uns selbst war es ein emotionaler Augenblick, als wir als Journalisten wahrgenommen wurden. Das war für uns ein wichtiger Motivationsschub, mit unserer Arbeit weiterzumachen.
Sie wurden bereits mehrfach tätlich angegriffen. Haben Sie manchmal Angst?
Nein, Angst habe ich nicht. Wir haben einfach über die Zeit unserer Berichterstattung einiges gelernt. So wurde uns bewusst, dass wir einigen Situationen einfach aus dem Weg gehen müssen. Man muss sich auch nicht immer auf das Grundrechtsverständnis der sich im Einsatz befindlichen Polizisten berufen. Deren Handlung ist recht differenziert, sodass eine pauschale Kritik an der sächsischen Polizei auch nicht angebracht ist. Punktuell gibt es dennoch Schwierigkeiten mit der politischen Bildung und mit dem Verständnis über die Aufgabe einer Exekutive in einem Versammlungsgeschehen. Für uns bedeutete das, dass wir uns selbst schützen müssen. So sind wir immer mindestens zu zweit unterwegs, schauen uns An- und Abreisewege an und wir verifizieren vorher alles, indem wir bei Pressestelle oder Landratsämtern anfragen, ob Versammlungen angezeigt sind. Ist das der Fall, dann ist Polizei vor Ort. Schwierig wird es aber, wenn sich Landratsämter nicht mit dem Landespresse- oder dem Informationsfreiheitsgesetz auskennen. Dann halten sie solche Informationen zurück und es wird wirklich gefährlich. In Pirna wurden beispielsweise zehn Monate solche Informationen zurückgehalten, sodass über diesen Zeitraum Menschen in Gefahr gebracht wurden.
Sind Sie andererseits auch schon einmal in einen konstruktiven Dialog mit Pegida-Anhängern getreten?
Unsere Neutralität ist einerseits für uns ein Schutz, andererseits kann sie eine Gesprächsgrundlage sein. Bei einer Demonstration wurde ich von einem älteren Mann angegriffen, der mit den Worten „Jetzt haben wir dich“ mit seinem Handy auf mich zu kam und ein großformatiges Bild meines Gesichts machte. Als ich ihn fragte, warum er das mache, antwortete er, dass wir die Demonstranten alle als Nazis pauschalisieren würden. Daraufhin zeigte ich ihm die gesamte Berichterstattung über Pegida von diesem Tag, in dem ich belegen konnte, dass wir niemanden verunglimpft und keine persönlichen Aufnahmen Einzelner gemacht haben. Daraufhin kam ein Gespräch zustande, in dem ich ihm klar machte, dass wir niemanden beschimpfen und ich im Gegenzug auch erwarte, dass ich nicht bedroht werde. Er löschte daraufhin das Foto, aber ich weiß natürlich nicht, was das bei ihm ausgelöst hat. Es ist sicherlich nicht einfach, mit einem Gespräch alles zu verändern, denn die Schlagworte „Lügenpresse“ oder „Die da oben“ werden jeden Montag aufs Neue wiederholt.
Am 3. Oktober gab es eine Vielzahl an Veranstaltungen, die sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzten, die aber in den Nachbetrachtungen in der Presse wenig Reflexion fanden. Diese legten vielmehr den Fokus auf eine pöbelnde Minderheit. Sehen Sie darin eine verzerrte Berichterstattung?
Ich kann nur von unserer Arbeit rund um dieses Wochenende ausgehen. Wir haben selbst Demonstrationen, die sich selbst als linksradikal bezeichnet haben, ebenso medial begleitet wie die Pöbeleien vor der Frauenkirche. Wir selbst haben dahingehend eine recht differenzierte Berichterstattung geliefert. Ich wurde schon an anderer Stelle gefragt, ob die pöbelnde Minderheit nicht zu stark dargestellt wurde.
Ich finde es berechtigt, die Lautstärke darzustellen und ich finde es auch berechtigt, sie in dieser Form an einem Tag, an dem man die Demokratie feiert, darzustellen. Insofern finde ich die Berichterstattung nicht verzerrt.
Ein kleiner Blick in die Zukunft: Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?
Ganz klar: Plan 1: Das Twitterprojekt „Streetcoverage – Straßengezwitscher“ in der bisherigen Qualität fortführen und ausbauen. Das bedeutet, dass wir möchten neue Reporter gewinnen möchten, egal ob Bürgerjournalisten, Journalisten oder interessierte Studierende.
Plan 2: Etablierung der Plattform „Crowdgezwitscher“. Diese haben wir bereits vor kurzem gestartet. Die Idee dahinter ist es, unser Projekt noch weiter auszudehnen. Da wir keine hauptberuflichen Journalisten sind, können wir einfach gar nicht alle Demonstrationen oder Ausschreitungen medial begleiten, sodass wir einfach noch mehr Motivierte dazu brauchen. Wir möchten über diese Plattform Menschen ermutigen, bürgerjournalistisch tätig zu werden. Dafür haben wir einen Leitfaden entwickelt. Zusätzlich können wir über diese Plattform jetzt schon über den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre hinweg eine Chronik darstellen, die über vergangene Demonstrationen und/oder Ausschreitungen Auskunft gibt.
Plan 3: Wir wollen über unseren Verein das Verständnis für Demokratie weiter herausarbeiten, so wie wir das mit dem Kongress „2gather“ begonnen haben.
Das Interview führte Winfried Wagner.