28.11.2016
„Kulturwissenschaftliche Impulse in Theorie und Praxis: Integration – Evolution? Revolution?“
Kulturwissenschaftliche Konzepte zur Integration gibt es zahlreiche: Multikulturalität, Interkulturalität und Transkulturalität werden jedoch zu selten in den öffentlichen Diskussionen benannt, historische Fallbeispiele sind zu sehr in Vergessenheit geraten und Expertinnen und Experten aus der Kulturwissenschaft kommen nur begrenzt zu Wort. Für eine Re-Evolution des Integrationsbegriffs und damit für eine Vergegenwärtigung des kulturwissenschaftlichen Knowhows zum Thema Integration plädierte die im CrefoForum Dresden stattfindende Tagung.
In einer Key Note-Discussion wurden von Prof. Dr. Brigitte Georgi-Findlay (Dresden, Nordamerikastudien), Prof. Dr. Horst-Peter Götting (Dresden, Jura) und Prof. Dr. Holger Kuße (Dresden, Slavistische Sprachwissenschaft) kulturwissenschaftliche Ansätze von Integration problematisiert und die Bedeutung des Rechts, der Sprachbewusstheit und der Populärkultur betont. Beiträge aus der Interkulturellen Kommunikation (Prof. Dr. Alois Moosmüller, München), des Kulturmanagements (Prof. Dr. Steffen Höhne, Weimar/Jena) und der Geschichtsdidaktik (Prof. Dr. Eugen Kotte, Vechta) legten die theoretischen Grundlagen der Auseinandersetzung mit dem Integrationsbegriff, der als multiple Kulturanalyse gefasst (Prof. Dr. Roswitha Böhm/Dr. Elisabeth Tiller, Dresden), aber auch als Modellierung der Zukunft (Prof. Dr. Joachim Scharloth, Dresden) Diskussionen anregte. An unterschiedlichen historischen Beispielen wie den Vertriebenen (Prof. Dr. Jörg Hackmann, Szczecin/Greifswald) und dem mittelalterlichen Venedig (Prof. Dr. Uwe Israel, Dresden) wurden emotionale Zugänge aber auch die Relativität der Konzepte von Mehrsprachigkeit spürbar und die Übertragbarkeit auf heutige Verhältnisse kritisch geprüft. Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) stellte in seinem Beitrag zur „Diversity in Québec“ die gelebte Realität der Integration im frankokanadischen Québec und das Konzept des interculturalisme mit gemeinsamen Grundwerten und individuellen Rücksichten vor, während Dr. Martin Henzelmann (Dresden) die bulgarische Presseberichterstattung zur „Flüchtlingskrise“ nachzeichnete. Abschließend wurde eine Podiumsdiskussion zum Gratmesser der theoretischen Konzepte, die Dresdner „Praktiker“ der Integration mit kulturwissenschaftlichem Hintergrund auf die Bühne brachte: der syrische Musikwissenschaftler Obeid Alyousef, die mit Expertise im
Konfliktmanagement im Ehrenamt engagierte Katrin von der Bey-Löhmann, Prof. Dr. Anke Langner als Expertin für Inklusion, Dr. Susanne Ritschel als Vertreterin des Förderprojekts „Integration durch Qualifizierung“ und Marcus Schaub M.A. als Kursleiter Deutsch als Fremdsprache diskutierten den Übergang von der Theorie zur Praxis unter Leitung von Dr. Anja Centeno García. Dabei entpuppte sich die Arbeit mit Geflüchteten als Kondensator für den bürokratischen Hemmschuh, der der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung im Wege steht und nur im Miteinander konzentriert abgebaut werden kann.
Wissenschaft, so der Tenor der Veranstaltung, schärft nicht nur den Blick für gesellschaftliche Probleme, sondern sie wirkt beim Aufbau von sozialer und gesellschaftlicher Kompetenz mit. Sie kann auch Handlungswissen generieren, muss sich aber aktiv einbringen und ihre Berücksichtigung einfordern. Integration ist, wie bereits einleitend von den Veranstaltern, die bei ihrer Organisation tatkräftig von Rebecca Schreiber (Institut für Romanistik) unterstützt wurden, betont, keine einseitige Aufgabe der Neuankommenden, sondern sie muss eine neue Perspektive darstellen. Dazu braucht es keine „integrierten Deutschen“; vielmehr eine Rückbesinnung auf Konzepte und Errungenschaften wie Diversität, Inklusion und Heterogenität.
Die aus der Initiative, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) e.V., den Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften der TU Dresden, Mitteln des Zukunftskonzepts (finanziert aus der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder), vom Italien-Zentrum (IZ) der TU Dresden und dem Italienischen Honorarkonsulat Dresden gefördert wurde, wird zudem in einem Sammelband ihre Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
Autoren: Christoph Mayer und Maria Lieber