15.07.2020
Moral und Staatlichkeit - Eine Studie über die Fallarbeit von Mitarbeiter*innen in Bundespolizei, Ausländerbehörden und Aufenthaltsberatungsstellen
Ob bei der Passkontrolle am Flughafen, bei der Bearbeitung von Aufenthaltstiteln oder der Beratung in Bezug auf das Aufenthaltsrecht: Die Mitarbeiter*innen der Bundespolizei, in Beratungsstellen und Ausländerbehörden stehen tagtäglich im Spannungsfeld zwischen Gesetzestexten und deren Auslegungsmöglichkeiten.
In "Moral und Staatlichkeit" hat sich Dr. Lisa Janotta, Mitarbeiterin an der Professur für Sozialpädagogik mit den Schwerpunkten Prävention und Gesundheitsförderung, diesem Spannungsfeld angenommen. In der kürzlich veröffentlichten Studie untersucht sie, wie die Mitarbeiter*innen dieser drei Organisationen über ihre Arbeit denken, sich selbst in ihrer beruflichen Rolle wahrnehmen und dabei auch ihre "Gegenüber" erleben.
Um das herauszufinden, führte Dr. Janotta Interviews mit Angehörigen aller drei Berufsgruppen durch und erarbeitete anhand dieser Geschichten, wie unterschiedlich das Selbstverständnis der befragten Personen ist. Es stellte sich heraus, dass jede Berufsgruppe mit einer eigenen Erwartungshaltung an die Interaktionspartner*innen herantritt: Während Angehörige der Bundespolizei ein gewisses Maß an Information und Respekt seitens des Gegenübers erwarten, sehen sich Mitarbeitende in Beratungsstellen eher in einer vermittelnden Position und bringen den Beratungssuchenden viel Verständnis entgegen.
"Bei Sachbearbeiter*innen in Ausländerbehörden herrscht das Leitbild, dass die Antragsteller*innen nicht als eigenständige Akteur*innen in Erscheinung treten können oder sollen. Die Mitarbeitenden in den Behörden wollen die Oberhand behalten", so Dr. Janotta. "Im Vergleich der drei Berufsgruppen wird die Besonderheit des Status der Sozialen Arbeit sichtbar. Die unabhängigen Berater*innen sind stets den Ratsuchenden gegenüber loyal."
Für die Praxis lassen sich aus der Studie wertvolle Erkenntnisse ableiten. Dies gilt insbesondere für die Etablierung von "Willkommenskulturen" in Behörden. Um diese nachhaltig zu gestalten, muss eine kritische Reflexion des Rollenverständnisses der Mitarbeitenden erfolgen.
In theoretischer Hinsicht ist nicht zuletzt auch interessant, wie unterschiedlich sich die Berufsgruppen auf ein und das selbe Aufenthaltsrecht beziehen – und wie unterschiedlich die Verständnisse der Grenzen und Grenzverletzungen in Bezug auf das deutsche Aufenthaltsrecht sind. Im Buch wird diskutiert, dass Grenzen nicht nur physische Territorien beschränken, sondern auch entlang bestimmter Verhaltensweisen oder Fähigkeiten verlaufen können.