11.08.2014
Was hat die Globalisierung mit Recht und Verfassung zu tun?
Das Büro von Prof. Sabine Müller-Mall befindet sich am Nürnberger Platz und ist derzeit noch komplett leer. Lediglich ihr Büro ist mit einem kleinen Schreibtisch und einem Besprechungstisch ausgestattet. „Ich bin gerade dabei mich einzurichten. Die Ausschreibungen für die freien Stellen an der Professur habe ich auf den Weg gebracht. Als nächstes kümmere ich mich um die Ausstattung der Büros.“ Frau Müller-Mall ist in Dresden angekommen. Sie fühlt sich sehr wohl an der Uni und in der Stadt. „Ich wurde sehr nett empfangen und hatte auch schon einige interessante Gespräche mit Kollegen.“
Als sie von der Ausschreibung der Open Topic Tenure Track Stellen erfuhr, überlegte sich nicht lang, denn es bot sich für sie eine einmalige Gelegenheit: „Die Möglichkeit sich mit einem eigenem Konzept bzw. Thema auf eine Professur und nicht in eine vorgegebene Ausschreibung hinein zu bewerben, war für mich großartig.“ Als Frau Prof. Müller-Mall die Zusage und den Ruf an die TU Dresden erhielt, war sie durchaus sehr stolz: „Ich war gerade in Frankreich am Atlantik im Urlaub und habe den Anruf aus dem Büro des Zukunftskonzepts bekommen. Die Kollegin hat mir erzählt, dass es wahnsinnig viele Bewerber gab, das war mir gar nicht so bewusst.“ Mit der Open Topic Professur hat sie die Chance in ihrem interdisziplinären Forschungsfeld weiter zu arbeiten. Ihre Forschung bewegt sich zwischen den Disziplinen und „für eben diese Ausrichtung gibt es in Deutschland kaum Stellen. Ohne die Berufung an die TU Dresden hätte ich einen meiner Blickwinkel für die kommende Jahre stark einschränken müssen.“
Prof. Müller-Mall befasst sich mit Verfassungsrecht, Rechtstheorie und Wissenschaftstheorie. Ihr Spezialgebiet ist die Verknüpfung von Rechts- und Verfassungstheorie. „Ich habe mich schon immer für beide Gebiete interessiert und da lag es auf der Hand Brücken zu suchen und zu bauen.“ Dabei widmet sie sich vordergründig der Entwicklung des Verfassungsrechts und dessen Veränderung durch die Globalisierung. Es ist beispielsweise das Phänomen zu beobachten, dass Verfassungsgerichte bei Entscheidungen sich nicht mehr nur auf nationales Verfassungsrecht beziehen. Inzwischen ziehen sie auch Urteile von Verfassungsgerichten anderer Länder bei der Urteilsfindung zu Rate. Es findet also eine Migration von Verfassungskonzepten statt. „Das ist einerseits gut, weil es einen großen Diskurs und Austausch zwischen den Verfassungsgerichten, aber auch zwischen den Verfassungsrechtswissenschaftlern gibt und sich dadurch bestimmte Konzepte schärfen. Auf der anderen Seite ist es auch problematisch, da Verfassungsrechtskonzepte einwandern, die so nicht vom Verfassungsgesetzgeber, dem Volk, legitimiert sind.“ Legitimation ist ein verfassungstheoretischer Begriff, der mit der Gewaltenteilung eines Staates zusammenhängt. Er muss aber auch rechtstheoretisch erklärt werden. An diesem Punkt schafft Sabine Müller-Malls Verbindungen und verknüpft Verfassungstheorie mit Rechtstheorie. „Mit dem spezifischen Zugriff auf das verfassungsgerichtliche Urteilen unter transnationalen Bedingungen versuche ich eine Urteilstheorie aufzuschreiben. Das ist mein größtes Projekt zurzeit, mit dem Ziel ein Buch zu veröffentlichen.“ Sie geht also Fragen nach, wie Rechtsurteile funktionieren und was Richter tun, wenn sie Urteile fällen. „Das ist wissenschaftlich noch nicht sehr gut erforscht, obwohl Urteile zu fällen ein zentrales Momentum des Rechts ist“. Dabei untersucht sie dieses Themenfeld sowohl auf der juridischen, als auch auf der philosophischen und psychologischen Ebene. Ihr geht es um die Verbindung von Kognition und Emotion.
Neben diesem komplexen und umfangreichen Thema beschäftigt sich Sabine Müller-Mall auch mit der digitalen Kommunikation und deren Auswirkung auf das Recht und Verfassung. „Die Digitalisierung verändert die Art und Weise wie Richtende Urteile bilden. Sie gehen nicht mehr mit einer ganz bestimmten Frage im Kopf in die Bibliothek und finden dann vielleicht ein Urteil. Sie haben jetzt Zugriff auf die ganze Welt der Rechtsprechung. Rechtskonzepte können also viel schneller in verschiedene Rechtssysteme migrieren.“ Wer sich mit der digitalen Kommunikation befasst, kommt auch schnell zu der Frage nach dem Schutz in der digitalen Welt. Sabine Müller-Mall arbeitet aber nicht auf dem Gebiet des Datenschutz, sondern auf einer grundsätzlicheren Ebene: „Ich glaube, dass der grundrechtliche Schutzbedarf vor allem auf einem Gesamtvorgang von Kommunikation bestehen muss. Es geht also nicht um den Schutz von einzelnen Informationen, die in Daten gesammelt sind, sondern um die ganze kommunikative Handlung. Da arbeite ich gerade an einer dogmatischen Konstruktion, wie man das grundrechtlich fassen kann."
Im Wintersemester wird Frau Prof. Müller-Mall ihre ersten Vorlesungen im Masterstudiengang „Politik und Verfassung“ geben. „Ich bin natürlich sehr gespannt, was mich erwartet. Denn ich kenne keinen ähnlich konturierten Studiengang in Deutschland.“ Konkrete Projekte an der TU Dresden sind gerade in Vorbereitung. Sabine Müller-Mall ist mit vielen Kollegen im Gespräch um zukünftige gemeinsame Forschungsvorhaben zu entdecken und zu entwickeln. Für ihre weitere Arbeit hofft sie, dass der interdisziplinäre Diskurs an der TU Dresden fortgesetzt und ausgebaut werden kann und dass sie sich mit ihrer speziellen Forschung in den Austausch einbringen und diesen bereichern kann.