27.04.2015
Auftaktveranstaltung des deutsch-polnischen Kolloquiums „Transformationen“
Ein deutsch-polnisches Kolloquium, organisiert vom Internationalen Büro am Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften, widmet sich in diesem Semester den Transformationen in Dresden und Wrocław seit 1989. In der Auftaktveranstaltung diskutierten der Historiker Prof. Krzysztof Ruchniewicz vom Willy-Brandt-Zentrum der Universität Wrocław und der Soziologie Prof. Karl-Siegbert Rehberg aus Dresden über Gemeinsamkeiten und Differenzen beider Städte beim Umgang mit ihrer jüngeren Vergangenheit. Moderiert und eingeleitet wurde der Abend von Prof. Christian Prunitsch, Dekan der Fakultät Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften.
Beide Städte mussten sich nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges neu erfinden. In Breslau, nun Wrocław, war zudem nahezu die gesamte Bevölkerung ausgetauscht worden. „Die Dresdner bauten nach 1945 ihre eigene Stadt wieder auf, die Menschen in Wrocław eine, die ihnen zutiefst fremd war“, so Krzysztof Ruchniewicz. „Erst seit dem Oderhochwasser 1997 gibt es in Wrocław so etwas wie eine gemeinsame Identität. Durch die Renovierungsanstrengungen ist es wirklich unsere Stadt geworden - wenn auch die Zeit vor 1945 nicht unsere Vergangenheit ist.“ Seit der Wende wird die deutsche Geschichte der Stadt aber neu entdeckt und von vielen als Bereicherung empfunden.
Beide Wissenschaftler räumten mit immer wieder gerne erzählten Mythen auf. Karl-Siegbert Rehberg sprach dabei die Singularität der Dresdner Kriegszerstörungen und den Mythos der „unschuldigen Stadt“ an: „Der Vergleich mit Breslau zeigt ja schon, dass andere Städte mindestens genauso, wenn nicht mehr zerstört waren.“ Krzysztof Ruchniewicz widerlegte die Erzählung von Wrocław als dem „neuen Lemberg“. Durch die Westverschiebung der Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Lemberg nicht mehr zu Polen. „Allerdings zogen lediglich sieben Prozent der ehemaligen Lemberger nach Wrocław.“
Am Ende des Abends ging es dann doch noch um die Gegenwart: Vor einigen Wochen wurde die letzte direkte Bahnverbindung zwischen Dresden und Wrocław eingestellt, was die Universitätspartnerschaft und auch das Kolloquium vor gänzlich ungeahnte Probleme stellt. Aber die nach Jahrzehnten der Städtepartnerschaft intensiven persönlichen Kontakte zahlen sich hier aus: Eine deutsch-polnische Bürgerinitiative setzt sich für eine Rückkehr der Verbindung ein. (https://bahndepl.wordpress.com/)
Autor: Jacob Nuhn