30.04.2015
18. Ökumenischen Forum - theologische Differenzierungen aus christlicher und islamischer Sicht
Das Interesse war groß und der Hörsaal am Weberplatz gut gefüllt. Unter dem Thema „Europa, Islam und (In-)Toleranz“ hatten die theologischen Institute der TU Dresden in Kooperation mit dem Ökumenischen Informationszentrum e.V. eingeladen: zur Auseinandersetzung mit religionsbezogenen Fragen der aktuellen gesellschaftlich-politischen Debatte im Kontext der Pegida-Kundgebungen und der Initiativen für ein weltoffenes Dresden für alle. Anliegen des Forums war es, theologische, religionsgeschichtliche und religionswissenschaftliche Erkenntnisse und Differenzierungen in die Meinungsbildungsprozesse einzuspeisen und den Blick zu schärfen auf die aktuelle Gemengelage zwischen Pegida-Propagandisten, religiösen Fundamentalisten und denen, die meinen sich – durch Schweigen und Nichts-Tun – neutral verhalten zu können.
Prof. Karlheinz Ruhstorfer (Institut für Kath. Theologie, TUD) eröffnete die Reihe der Vorträge. Ruhstorfer erläuterte, der Begriff „Abendland“ lasse allzu leicht auf eine substanzielle Unterscheidung vom Morgenland schließen (Orient und Okzident), die es so in der Geschichte nie gegeben habe und auch heute nicht geben könne. Die Wurzeln des Christentums liegen im Orient. Jesus war Jude. Der Islam bezieht sich auf die gleiche Vatergestalt „Abraham“ wie seine beiden Geschwisterreligionen Judentum und Christentum. Ruhstorfer sprach von einer jüdisch-christlich-islamischen Traditionsgemeinschaft, die sich auf das sie Verbindende besinnen müsse, um glaubwürdig zu bleiben. Ruhstorfers These, das Christentum sei eine wesentliche Wurzel westlicher Kultur, indem es Gott und Mensch vereint sieht und vereinen will in einer Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, führte ihn konsequent zum Artikel 1 des Grundgesetzes, demzufolge die Würde des Menschen unantastbar ist. Insbesondere die prägnante Feststellung Ruhstorfers, „für Menschen, die Flüchtlinge verachten und nicht aufnehmen wollen, ist das Abendland bereits untergegangen“, erntete Beifall.
In einem atemberaubenden Durchgang durch die Geschichte des Christentums skizzierte Prof. Gerhard Lindemann (Institut für Evangelische Theologie, TUD), inwiefern Toleranz, welche nicht nur als geduldiges Ertragen eines Übels, sondern auch als Dialogbereitschaft zu verstehen sei, in verschiedenen geschichtlichen Kontext praktiziert wurde. Dass das 20. Jahrhundert, das auch als „ökumenisches Zeitalter“ bezeichnet wird, zwei Weltkriege hervorgebracht und den Weg frei gemacht habe für die Konflikte unserer Tage, zeige eindringlich, dass die Kooperation der Christen verschiedener Kirchen in der sog. „Kleinen Ökumene“ einmünden müsse in eine „Große Ökumene“ der Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen, die sich gemeinsam engagieren für Frieden, Gerechtigkeit und Umweltschutz – lokal und global.
Frau Prof. Maria Häusl (Institut für Kath. Theologie, TUD) stellte aus biblisch-theologischer Sicht dar, dass Israel Fremdheit nicht nur anderen Menschen und Völkern zugeschrieben hat, sondern eine Grundkomponente der Lebens- und Gotteserfahrung des Volkes Israel ist. Anhand biblischer Texte zeigte sie, dass die Bibel – ebenso wie der Koran – unterschiedliche Tendenzen im Umgang mit Fremdheit aufweist. Im Umgang mit biblischen Texten komme es darauf an, die Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, zu konkreten Aspekten des Fremdwahrnehmens und zum Umgang mit Fremdheit aufzudecken. So ist immer zu fragen, WER mit welchen Mitteln (der Macht) Grenzziehungen vornimmt. Im Umgang mit Fremdheit sind jenseits des Bereiches des Rechts, der das Überleben von „Fremden“ sichern kann, insbesondere die Haltungen und Einstellungen der Menschen zentral, da sie einen Raum der Begegnung entstehen lassenund dazu aus den menschenfreundlichen und menschenverbindenden Aspekten biblischer Texte Impulse für heutiges Zusammenleben bezogen werden können.
Der mit besonderer Spannung erwartete Vortrag von Prof. Erdal Toprakyaran (Direktor des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Tübingen und Experte für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur) griff viele Aspekte der vorangegangenen Vorträge aus islamischer Perspektive auf. Insbesondere wies er darauf hin, dass der Islam kein monolithisches Gebilde sei und er nicht gleichzusetzen sei mit den Islam-affinen extremistischen Bewegungen. Nachdem Toprakyaran in beeindruckender Weise einige der 99 Namen Gottes aus der islamischen Tradition erläutert und Einblick in die zutiefst demütige, poetische und weltzugewandte Mystik des I
slam gegeben hatte, zeigte er an exemplarischen Wegmarken der Islam-Geschichte auf, wie das Pendel umschlagen kann: von aufrichtiger Gottsuche und tiefer Gotteserfahrung hin zu blutigen Machtkämpfen, in denen die religiöse Tradition missbraucht wird. Im Blick auf die wechselvolle Geschichte des Islam unterstrich der Islamwissenschaftler, dass die Barmherzigkeit Gottes im Koran insgesamt stärker betont werde als sein Zorn. Außerdem erklärte er, dass auch die Koran-Suren, die Gewalt gegen andere Menschen in Maßen rechtfertigten, immer erst unter Berücksichtigung ihres Kontextes angemessen zu verstehen sind – als Legitimierung maßvoller Selbstverteidigung infolge eines Angriffs. Toprakyaran, der für ein „Bündnis der Vernünftigen“ unter den Religiösen plädierte, verdeutlichte nicht zuletzt, dass der Islam alle Voraussetzungen in sich trägt, um sich in die westliche Kultur einzufügen: eine hohe Wertschätzung der Vernunft, des Pluralismus und der Rechtsstaatlichkeit.
Die zahlreich erschienenen Teilnehmenden aus dem Großraum Dresden und verschiedenen Fakultäten der TU nutzten dieses Ökumenische Forum, um sich über religionswissenschaftliche und theologische Aspekte der aktuellen gesellschaftlichen Diskurse zu informieren und vielfältige, oft tiefgreifende Fragen zu äußern. Die 90minütige Podiumsdiskussion zeigte, dass diese öffentliche Veranstaltung der TU Dresden einen gegenwärtig hochsensiblen Nerv getroffen hat: Der Informations- sowie Gesprächsbedarf auch und gerade über religionsbezogene Aspekte der Flüchtlings-, Asyl-, und Integrationsdebatte ist nach wie vor immens und diesbezügliche Angebote religiöser, ethischer und politischer Bildung müssten in Sachsen erheblich ausgebaut werden. Ein Teilnehmer, der sich als Sympathisant der Pegida-Bewegung bekannte, äußerte vorsichtig anerkennend, dass ihm viele Zusammenhänge im Verlauf der Veranstaltung in neuem Licht erschienen sind.
Was nach der Veranstaltung an einem sonnigen Apriltag bleibt, sind: 1. Einblicke in bisher Unbekanntes, die Türen öffnen und manchen informellen Gesprächen gute Impulse geben werden, 2. offene Fragen, die zur weiteren Auseinandersetzung anregen und 3. große Anerkennung für die gelungene Organisation. Die Zusammenarbeit des Instituts für Katholische Theologie und des Instituts für Evangelische Theologie der TU Dresden und der Dialog mit Vertretern der fünf neu gegründeten Zentren für Islamische Theologie in Deutschland soll weiter gepflegt und für die Öffentlichkeit in Sachsen fruchtbar werden.
Autorinnen: Franziska Müller-Stark / Prof. Dr. Monika Scheidler