12.06.2015
Toleranz und Intoleranz – Kirchengeschichtliche Erkundungen
„Christliche Theologie und europäische Kultur“ lautet der Veranstaltungsschwerpunkt des Instituts für Katholische Theologie in diesem Sommersemester. Prof. Dr. Hildegard König führt im Rahmen dieser Thematik ein Seminar mit dem Titel „Toleranz und Intolernz – Kirchengeschichtliche Erkundungen“ durch. „Dieses Thema besitzt einen sehr aktuellen Bezug, gerade bei uns in Dresden“, sagt sie und verweist damit auf die momentanen Entwicklungen, die mit der PEGIDA-Bewegung einhergehen. Obwohl die Zeiten der großen Märsche zunächst vorbei zu sein scheinen, zieht es doch jeden Montagabend immer noch nicht wenige Menschen zu den so genannten „Abendspaziergängen“. Eine Studie, die jüngst von der TU Dresden erstellt wurde, zeigt, dass viele derjenigen, die sich mit den Zielen von PEGIDA identifizieren können, eine subtile Furcht vor dem Islam haben, weil sie ihn nicht gut genug kennen.
Dieses Phänomen und die darin zutage tretende Bipolarität zwischen Toleranz und Intoleranz ist nicht neu und wird innerhalb der Kirchengeschichte in diesem Seminar untersucht. In spätantiken Texten, etwa von Tacitus, Plinius oder Minucius Felix, lassen sich Tendenzen von Toleranz und Intoleranz ausmachen, und zwar in der Haltung gegenüber Juden und Christen, also Gruppen, die als anders wahrgenommen wurden. König verortete die Intoleranz an der Schnittstelle vom Mono- zum Polytheismus im ansonsten religionstoleranten Römischen Reich.
Zunächst stand die Analyse eines Textstückes aus den Historien des Tacitus im Mittelpunkt der Diskussion. Der römische Gelehrte lebte von 53 bis 117 n.Chr. und zeigt in seinem Text einen deutlichen Antijudaismus. In seiner Schilderung der Exodusgeschichte weiß er zu berichten, dass die Juden vertrieben wurden, weil eine Seuche in Ägypten ausgebrochen war, die mit ihnen in Verbindung gebracht wurde. Nach ihm sind sie den Göttern verhasst, frevelhaft und gottlos, eine Wertung, die bis in den Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts nachwirkte. In seinen Schilderungen beschreibt Tacitus die Differenzen zwischen Juden und Römern und lässt durchblicken, dass diese für ihn die Gründe seien, diesem Volk misstrauisch gegenüberzustehen. Solches kommt vor allem in seinen Worten „Frevelhaft ist dort alles, was bei uns heilig ist, andererseits ist bei ihnen erlaubt, was bei uns gottlos ist“ zum Ausdruck. Intoleranz zeigt sich bei Tacitus also im Vorbehalt gegen das Andere, das vom eigenen Standpunkt und der eigenen Tradition abweicht. Eine Einschätzung, die im heutigen Diskurs mit der PEGIDA-Bewegung durchaus hohe Aktualität besitzt.
Auch der Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan zu Beginn des 2. Jhd. ist für die Toleranz-Intoleranz-Thematik aufschlussreich. Plinius war Statthalter der Provinz Pontus am Schwarzen Meer (heute Nordtürkei). In einem Brief an Kaiser Trajan befragt er diesen zum Prozessverfahren gegen Christen, deren Gemeinden offensichtlich anwuchsen. Der Brief enthält eine Schilderung dessen, was er an christlichen Gepflogenheiten erfahren hatte, nämlich den Vollzug von Mählern, Gottesdienst an einem bestimmten Tag und ethische Verpflichtung, wohl ein Hinweis auf die Taufe. Dies alles erscheint Plinius fremd und er hält die Religion der Christen für Wahn und Aberglaube. Darin kommt bei ihm die recht aktuelle Haltung des Argwohns gegenüber dem Fremden zum Vorschein, die alles skeptisch betrachtet, was nicht der eigenen Tradition entspricht. Für Plinius steht die Aufrechterhaltung der Ordnung in seiner Provinz an oberster Stelle, deswegen lässt er angezeigte Christen verhaften und gegebenenfalls hinrichten. Dies betrifft die, die sich entschieden als solche zu erkennen geben und trotz Drohung bei ihren Glauben bleiben. Plinius ist kein Christenhasser. Die Anzahl der Prozessfälle beunruhigt ihn. Er vertritt die den Römern eigene Toleranz: nach außen muss der öffentliche Kult gewahrt sein, was aber der Einzelne selbst glaubt, muss jeder selbst entscheiden. König wies noch auf ein interessantes Detail im Text hin: Plinius sieht im aufblühenden Christentum in seiner Provinz die Ursache für das Verwaisen der Tempel und für die Absatzschwierigkeiten für Fleisch von Opfertieren. Dieser wirtschaftliche Aspekt wirkt modern: Auch heute ist nach dem Zusammenspiel wirtschaftlicher Faktoren und Toleranz bzw. Intoleranz zu fragen: Was geschieht, wenn Religionen in wirtschaftlichen Belange eingreifen? Wo und wann und mit welchen Argumentationsmustern entwickelt sich dann Intoleranz?
Intoleranz, initiiert durch Skepsis gegenüber Fremdem aufgrund fehlendem Wissen macht der christliche Apologet Minucius Felix (Ende 2./Anfang 3. Jhd.) deutlich. In einem fiktiven Streitgespräch zwischen dem Christen Octavius und dem Nichtchristen Natalis konstruiert Minucius Felix die Situation, in der sich Christen damals sahen. „Natalis fährt alle Vorurteile und Anschuldigungen gegen Christen auf, die in der christlichen Frühzeit im Umlauf waren und ein unmenschliches, gewalttätiges und monströses Bild ergeben“, resümiert Hildegard König. Intoleranz entsteht aufgrund von Unwissenheit und ungeprüften Vorurteilen. Übertragen lässt sich dies auf islamfeindliche Äußerungen; die darin sichtbare Intoleranz hängt häufig damit zusammen, dass man keinen Muslim persönlich kennt. Dazu kommt, dass die Medien immer nur ein Bild des gewalttätigen Islam zeigen. Unter dieser Perspektive wird ein friedlicher Islam größtenteils ausgeblendet. „Man muss selbst aktiv werden, um die andere Seite kennenzulernen. Dies ist mit Anstrengungen verbunden, die einige nicht auf sich nehmen möchten. Es ist einfacher, ein vorgefertigtes Bild zu übernehmen“, ist das Resümee der Diskussion.
Der Text des Minucius Felix gibt aber auch Auskunft über die typische religiöse Toleranz der Römer. Während ihrer Eroberungszüge vereinnahmten sie die Götter der Besiegten einfach für sich und verehrten sie, denn sie erwarteten auch von diesen neuen Gottheiten Wohlfahrt für den Staat. Das führte mit der Zeit dazu, dass sehr viele verschiedene Götter verehrt wurden. Diese unübersichtliche Menge an Kulten war es dann auch, die einige Römer dazu veranlasste, sich gegen solche Vielfalt aufzulehnen. Damit schlug das eigentlich tolerante Religionsmodell in Intoleranz um. Eines ist in 90 Minuten klar geworden: Toleranz und Intoleranz sind Haltungen, die die Menschheit seit der Antike bewegen. „Man ist nur so lange tolerant, wie man sich selbst nicht eingeschränkt fühlt“, bemerkte ein Seminarteilnehmer dazu recht treffend. „Das war vor über tausend Jahren so, und das ist es auch noch heute.“
Autor: Winfried Wagner