23.06.2015
„Die Zeit mit den Studierenden war das schönste Erlebnis hier.“
Dr. Matthias Guttke war im Wintersemester 2014/15 als DRESDEN Junior-Fellow am Institut für Slavistik zu Gast. In seinen Forschungen verbindet er sprach-, gesellschafts- und kommunikationswissenschaftliche Elemente. Wir sprachen mit ihm rückblickend über seine Zeit in Dresden, über die schwierige Situation in der Ukraine und über seine Forschungen.
Sind Sie zum ersten Mal in Dresden?
Nein. Bereits während meines Studiums in Potsdam in den Jahren 2001 bis 2008 und der sich daran anschließenden Promotion war ich auf Einladung von Prof. Holger Kuße vom Institut für Slavistik zu einem Workshop hier. Auch touristisch ist mir die Stadt aus Kindheitserinnerungen bekannt. Mir sind noch gut die Bilder der Frauenkirche aus der Zeit vor der Wende im Gedächtnis, die Ruine der Kirche faszinierte mich damals sehr.
Jetzt konnte ich durch das Fellow-Programm erstmals länger in Dresden sein. Ich habe einen Großteil der Lehre von Prof. Kuße übernommen, da er im Forschungsfreisemester war. Insgesamt waren es zwei Seminare, ein Workshop und drei Module im Rahmen einer Ringvorlesung.
Sie haben das DRESDEN Fellowship-Programm bereits erwähnt. Wie bewerten Sie diese Initiative?
Es ist eine sehr gute Initiative mit einem klaren und sehr unbürokratischen Verfahren. Man ist sehr stark in den Universitätsbetrieb eingebunden und versteht sich dadurch ein Stück weit als Mitarbeiter. Auch die Möglichkeit der Kontaktaufnahme für spätere Projektvorhaben ist sehr wichtig. Dafür bietet die Initiative sehr gute Möglichkeiten. Sehr angenehm empfand ich die Flexibilität des Programms im Hinblick auf die Terminierung aber auch im Hinblick auf die Themen des Programms. Alles ist sehr offen gestaltet und es wird darauf vertraut, dass man seine Zeit hier sinnvoll nutzt. Dadurch ist das Programm weit mehr als ein zweckgebundenes Stipendium, da man sich einerseits in die Lehre einbringen, andererseits aber auch seinen Aufenthalt dazu nutzen kann, wissenschaftlich weiterzukommen.
Sie befassen sich sehr stark mit der Ukraine. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Ich habe mich bereits während meines Studiums mit dem Thema beschäftigt. Dieses Grenzland ist sehr schwer zu fassen auch im Hinblick auf Nationalitäts- und Identitätsprozessen. Im Gegensatz zu Staats- und Kulturnationen wie beispielsweise Deutschland oder Frankreich ist die Ukraine ein sehr fragiles Konstrukt aus Nation und Identität und bildet daher einen interessanten Gegenentwurf zu klassischen Staatsgebilden in Westeuropa. Das ist die politische Seite. Eine andere ist die sprachliche, die mich seit jeher fasziniert hat. Sie war immer von starken Unterdrückungsmomenten geprägt. Vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ukrainisch sprechende Schriftsteller wie Ivan Franko oder Taras Ševčenko ihre Werke publizierten. Obwohl die ukrainische Sprache von westlicher Seite in Form der k.u.k.-Monarchie und von östlicher Seite in Form des zaristischen Russlands stark eingeschränkt und teilweise verboten wurde, hat sie überlebt und wurde zur Staatssprache. Interessant ist auch die Brückenfunktion, die die Ukraine einnimmt zwischen Ost und West. So gibt es fast keinen Ukrainer, der nicht polnische oder russische Wurzeln hat.
Nimmt die aktuelle Lage in der Ukraine Einfluss auf Ihre Arbeit und Ihre Forschungen?
Auf jeden Fall. Meine Spezialgebiete sind die Argumentationstheorie und der politische Diskurs. Ich hatte bereits im Vorfeld über Überredungs- und Überzeugungsstrategien geschrieben, die Krieg rechtfertigen. Durch die Vielzahl der Studierenden in den Seminaren, die aus slavischsprachigen Ländern stammen, erhält man eine gute Außenperspektive und so konnten wir immer ein gutes Klima der Diskussion herstellen. Welche sprachlichen Strategien werden umgesetzt und wie funktioniert politische Rhetorik und Pragmatik? Solche Fragen konnten in den Auseinandersetzungen immer gut aufgenommen und geklärt werden. Im vergangenen Sommer führten wir einen Workshop hier an der TU Dresden durch, in dem DAAD-Stipendiaten aus verschiedenen Ländern sich mit dem Ukrainekonflikt auseinandersetzten.
Außerdem schreibe ich aktuell einen Text für die Zeitschrift für Slavistik, deren Hauptherausgeber ja hier am Institut lehren. Der Essay befasst sich mit der Frage der Legitimierung der Grenze in der Ostukraine. Dabei untersuche ich, wie der Grenzdiskurs historisch entstanden ist, aber auch welches Grenzkonzept aktuell dort herrscht und wie mit Grenze argumentiert wird.
Wenn Sie an das Semester zurückdenken, was war für Sie am schönsten?
Die Zeit mit den Studierenden war das schönste Erlebnis hier. Die Seminare haben mir großen Spaß bereitet. Vor allem der Masterstudiengang „Europäische Sprachen“ hat mich sehr beeindruckt. Ich habe hier interessante Persönlichkeiten aus verschiedenen Kulturräumen kennengelernt, die allesamt sehr sprachaffin waren und die Dresden aufgrund der Nähe zu östlichen Ländern sehr schätzen. So gibt der Masterstudiengang seinen Studierenden die Möglichkeit, praxisnah zu studieren. Sie werden zum Beispiel im Redigieren geschult. Auch die Dresdner Slavistik ist sehr vielseitig. Es gibt Studierende aus slavischen Ländern, die hier ihre Heimatkulturen studieren, aber auch viele deutsche Studierende, die sich für das Studienfach interessieren und diese Synergieeffekte nutzen wollen. Besonders deutlich zeigte sich das in Seminaren, wo Muttersprachler noch einmal besondere Nuancen einbringen, die man als Ausländer vielleicht übersehen hätte. Besonders die Internationalität der Universität hat mich beeindruckt.
Werden Sie weitere Lehraufträge an der TU wahrnehmen?
Ja, ich werde im Sommersemester die Lehre von Prof. Kuße unterstützend betreuen und ihm eine Veranstaltung im Umfang von zwei Semesterwochenstunden abnehmen. Perspektivisch werde ich ab August 2015 in Almaty in Kasachstan tätig sein.
Gibt es neben der Lehrtätigkeit Forschungsprojekte, die Sie mit Prof. Kuße durchführen werden?
Ja, wir würden gern ein von der Volkswagen-Stiftung ausgeschriebenes trilaterales Forschungsprojekt realisieren, dessen Kern die Förderung eines wissenschaftlichen Dialogs zwischen Deutschland, Russland und der Ukraine ist. Als Arbeitstitel könnten wir uns Aggression und Argumentation vorstellen. Dazu ist die Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten geplant. So möchten wir die TU Dresden, die Universitäten in Lemberg und St. Petersburg, sowie die aus Donezk nach Wynniza ausgelagerte Exiluniversität in das Projekt einbinden.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jana Höhnisch.