03.07.2017
Rollenspiel im Realitätstest
Politische Schlachten werden mit prägnanten Sätzen geführt. »Brexit heißt Brexit«, beteuert die Regierung Großbritanniens bei den Austrittsgesprächen mit der EU. Ein »›Europa à la carte‹ steht nicht zur Debatte«, erwidert eine Repräsentantin Nordeuropas auf die Frage, wohin die Verhandlungen führen werden. »Unsere Antwort darauf lautet: Vorwärts «, plädiert die Vertretung der Europäischen Kommission: »Wir werden nicht zulassen, dass die Europäische Union unter dem Brexit leidet.«
Diese Sätze sind nicht in Brüssel gefallen. Und es sind auch nicht David Davis, Angela Merkel und Jean-Claude Juncker, die hier debattieren. Studenten des Masterstudiengangs Internationale Beziehungen des Zentrums für Internationale Studien (ZIS) der TU Dresden lieferten sich am 15. Juni 2017 ein Wortgefecht in der Sächsischen Staatskanzlei. In einem Planspiel stellten sie den Austritt nach, um Verhandlungsfertigkeiten zu trainieren und zu erfahren, wie sich theoretische Überlegungen auf die Praxis auswirken. »Brexit quo vadis: Fiktion trifft auf Wirklichkeit« hieß die fiktive Fernsehdebatte, bei der die Studenten mit Dr. Fritz Jaeckel zusammenkam. Als Chef der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten kann er ihnen Einblicke in die realen Verhandlungen verschaffen.
Knapp ein Jahr ist es her, dass das britische Volk für ein Ausscheiden aus der EU gestimmt hat. »Das ist der ideale Anknüpfungspunkt für ein Planspiel, das Entwicklungen vorweg nimmt«, wird die Diskussionsrunde von Dr. Daniel Lukas anmoderiert, der als Dozent am ZIS zusammen mit Dr. Martin Gerner und Benjamin Behschnitt das Planspiel betreut. »Wir versuchen daraus zu lernen, wohin die Reise gehen könnte«.
Jeweils einen Vertreter haben die wichtigsten Verhandlungsakteure auf das Podium entsandt: die Regierung Großbritanniens, die Europäische Kommission, sowie Repräsentanten Schottlands, die europäischen Regionen und die USA, die sich als Außenstehende in die Debatte einmischen. Glaubhaft müssen sie in die Rollen schlüpfen und in dem eineinhalbstündigen Gespräch mit dem Staatsminister testen, ob sie mit ihren Strategien auf dem richtigen Weg sind.
Bereits im vergangenen Semester haben sich die Studenten theoretisch mit dem Brexit beschäftigt. Anfang April, kurz nach dem realen Austrittsgesuch Theresa Mays, startete die fiktive Verhandlung am ZIS. Ein »Thinktank« steuert seitdem Fachinformationen bei und eine Mediengruppe berichtet. Ob sich Großbritannien und die EU auf einen neuen Vertrag einigen, wird sich hier jedoch nicht erst nach zwei Jahren entscheiden, sondern schon in einem Gipfeltreffen Anfang Juli.
In dem Planspiel tendieren die Briten zu einem harten Brexit. »Wirtschaftlich würde von einem derartigen Austritt niemand profitieren«, fürchtet Dr. Jaeckel und äußert eine Einschätzung, die auf planspielerische Fiktion und politische Wirklichkeit zugleich zutrifft: »Ich bin überzeugt, dass wir den großen Konflikt noch vor uns haben werden.«
Autoren: Jonas Gerding, Aileen Kampfmann, Aicha Kheinette
Dresdner Universitätsjournals, 28. Jahrgang, Ausgabe 12|2017, Seite 8