03.03.2023
Social Media und die Zukunft - Was passiert mit Twitter?
In welche Richtung entwickelt sich Twitter? Wird es ein Ort der Meinungsfreiheit oder ein Platz für ungehemmte Kommunikation? Über Twitter wird in Deutschland und Europa seit der Übernahme durch Elon Musk sehr kritisch berichtet. Viele Personen mit offiziellen Profilen, darunter auch der Bundeskanzler, überlegen ihre Aktivitäten auf Twitter einzustellen.
Wir sprachen mit Prof. Lance Bennett über Twitter, die Zukunft der Plattform und deren Einfluss. Lance Bennett ist emeritierter Professor für Kommunikation und Politikwissenschaft und Senior Research Fellow am Center for Journalism, Media and Democracy an der University of Washington, Seattle. Aktuell ist er Dresden Senior Fellow am Institut für Politikwissenschaften der TU Dresden. Gemeinsam mit Prof. Marianne Kneuer erforscht er u. a. die Entwicklung von illiberalen öffentlichen Kommunikationssystemen in verschiedenen Demokratien. Die Idee ist zu erklären, wie diese reaktionären Mediensysteme entstehen, wie sie funktionieren und wie sie sich von herkömmlichen Presse- und Kommunikationssystemen in Demokratien unterscheiden. Weiterhin arbeiten beide an einem Projekt zur Förderung hochwertigerer öffentlicher Informationen und zum Verständnis der Frage, warum so viele Menschen minderwertigen Informationen und störenden Inhalten vertrauen.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei Twitter?
Seit der Übernahme durch Musk ist Twitter sehr viel toxischer geworden, mit einer starken Zunahme von Hassreden. Vor allem rassistische, antisemitische und homophobe Inhalte haben stark zugenommen. Eine Studie berichtet von einem anfänglichen Anstieg rassistischer und antisemitischer Begriffe um 500%. Nicht nur Politiker erwägen, die Plattform zu verlassen, auch viele große Werbekunden haben ihre Anzeigen eingestellt. So verkaufte Twitter beispielsweise eine 8-Dollar-Zertifizierung an ein gefälschtes Konto, das vorgab, das riesige Pharmaunternehmen Eli Lilly zu vertreten. Dieser Account kündigte an, dass das Insulinpräparat des Unternehmens kostenlos verteilt werden würde. Das daraus resultierende Chaos führte zu einem Wertverlust der Unternehmensaktien in Höhe von 15 Milliarden Dollar. Lilly stellte sofort seine Werbung ein, was Twitter Millionen von Dollar kostete.
Angesichts dieser und anderer Katastrophen ist nicht klar, ob das Unternehmen die derzeitige Kombination aus schlechtem Management, Umsatzeinbußen und allgemeinem Imageschaden überleben wird. Musk hat kürzlich die Twitter-Nutzer gefragt, ob er zurücktreten sollte, und 57,5 % haben mit Ja geantwortet. Es ist jedoch nicht klar, ob irgendjemand dieses Chaos managen kann.
Wie Sie schon sagten, ist eine Zunahme von HateSpeech und Fake News zu beobachten. Kann Twitter unter Musk zu einem Ort der Meinungsfreiheit werden?
Musk hat eine vereinfachte Vorstellung von Redefreiheit. Jede demokratische Gesellschaft reguliert die Redefreiheit, wobei es von Kultur zu Kultur interessante Unterschiede gibt. Die meisten Nationen haben Normen und/oder Gesetze gegen hasserfüllte Angriffe auf andere Bürger und die Verbreitung von Lügen, um öffentliche Unruhe zu stiften. Es besteht natürlich ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der freien Meinungsäußerung und der Verhinderung von Ideen, die andere gefährden und die Demokratie selbst bedrohen. Musk scheint sich wenig um diese Fragen zu scheren. Seine vereinfachende Behauptung, er sei für absolute Redefreiheit, zeugt von einer grundlegenden Unkenntnis der demokratischen Kommunikation.
Es gibt mehrere gefährliche Tech-Milliardäre, die eine Menge Geld für störende Kommunikationsplattformen ausgeben. Peter Thiel (der PayPal zusammen mit Musk gegründet hat) hat kürzlich in die Plattform Rumble investiert und sie 2022 an die Börse gebracht. Dies war ein Schritt zum Aufbau eines radikalen Mediensystems, das darauf abzielt, die liberale Demokratie zu zerstören. Thiel hat erklärt, dass Demokratie und Kapitalismus unvereinbar sind, und unterstützt politische Projekte, die diese Ansichten fördern.
Letztlich erfordern diese Angriffe auf Demokratie und Vernunft eine stärkere staatliche Regulierung von Inhalten, Datenschutz und Sicherheit auf digitalen Medienplattformen. Die EU hat strengere Vorschriften entwickelt, wie die jüngste Geldstrafe gegen Meta zeigt, weil sie den Nutzer:innen von Facebook und Instagram nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Datenschutz bietet. Es ist jedoch an der Zeit, das Medien- und Sprachrecht im digitalen Zeitalter viel umfassender zu überdenken.
Und sollten sich öffentliche Einrichtungen, wie Universitäten, Behörden von Twitter abwenden oder als „gemeinschaftliches Korrektiv“ bleiben – sozusagen als Stimme der Vernunft?
Es ist nicht klar, ob verantwortungsbewusste Nutzer:innen den Missbrauch durch andere „korrigieren“ können. Das Problem toxischer Kommunikationsumgebungen ist, dass schlechte Inhalte oft die „Guten“ übertönen und beschädigen. Die Ströme in den sozialen Medien funktionieren nicht wie vernünftige Unterhaltungen. Die meisten Desinformationskampagnen, ob aus dem Ausland oder aus dem Inland, zielen darauf ab, zu stören. Ab einem gewissen Punkt wird es schwierig, in diesem Umfeld qualitativ hochwertige Inhalte zu verbreiten. Dies stellt für viele Gruppen wie Politiker, Journalisten oder Aktivisten für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz, die Plattformen wie Twitter nutzen, um Gemeinschaften auf der Grundlage hochwertiger Inhalte aufzubauen, eine Herausforderung dar.
Kennen Sie Mastodon? Kann das eine Alternative zu Twitter werden?
Nachdem Musk den größten Teil der Twitter-„Reinigungs“-Abteilung entlassen hatte, die versuchte, die Qualität der Inhalte zu regulieren, sind viele Nutzer:innen zu Mastodon gewechselt. Der sprunghafte Anstieg der Mastodon-Nutzer:innen von mehreren Hunderttausend auf mehrere Millionen ist jedoch im Vergleich zu den von Twitter gemeldeten 230 Millionen täglichen Nutzern gering. Außerdem handelt es sich bei Mastodon um ein verteiltes Servernetz. Meine bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass Mastodon einer Interessensgemeinschaft ermöglichen kann, mit weniger Lärm und Störungen zu kommunizieren, aber es ist nicht für die Überschneidung verschiedener Inhaltsströme konzipiert, die Twitter so nützlich gemacht hat.
Twitter wird in Deutschland ja viel von Wissenschaftlern und Politikern genutzt. Wie ist das in den USA?
Ja, Twitter ist ein Raum für wissenschaftliche, journalistische und politische Kommunikation, aber auch für Sport, Musik und andere Lifestyle-Bereiche. Viele soziale Bewegungen haben die Plattform genutzt, um Informationen zu verbreiten und organisatorische Verbindungen zwischen verschiedenen Gruppen und Plattformen herzustellen. All diese Funktionen unterschieden Twitter von Facebook oder Instagram.
Welchen politischen Einfluss hat Twitter in den USA? Kann bzw. wird sich das nach der Reaktivierung von Trumps Account auf Twitter ändern?
Twitter hat aufgrund einer Kombination aus den oben genannten vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und der Einfachheit und Flexibilität von Funktionen wie Hashtags, Retweets und Links großen Einfluss. Die Hauptfrage ist jetzt, ob das gestörte Umfeld aufgrund des Anstiegs rechtsgerichteter Nutzer:innen und Hacker zusammen mit dem Verlust kompetenter Mitarbeiter:innen das Aus bedeuten wird.
Ich glaube nicht, dass die Reaktivierung von Trumps Account ein wichtiger Faktor ist. Er hat seine eigene Plattform (Truth Social), die er versucht im Geschäft zu halten. Auch wenn er auf Truth Social weniger als 5 Millionen Follower hat (im Vergleich zu 80 Millionen, bevor er von Twitter entfernt wurde), würde er das Geschäft gefährden und die Investoren verärgern, wenn er Vollzeit zu Twitter zurückkehren würde.
Hinzu kommt, dass Trumps Anziehungskraft in den USA endlich geringer wird. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es jetzt so viele wirklich verrückte rechte Politiker gibt, die sich während Trumps Präsidentschaft entwickelt haben, dass die Republikanische Partei keine kohärente oder verantwortungsvolle politische Organisation mehr ist. Die Unfähigkeit der Republikaner, einen Führer im Repräsentantenhaus zu wählen, ist nur ein Beispiel dafür.
Das Interview führte Jana Hartmann.