02.09.2020
Spuren des Traumas – SFB „Invektivität“ mit Sonderprogramm beim Filmfest Dresden
Der Sonderforschungsbereich „Invektivität“ der TU Dresden ist Teil des 32. Filmfests Dresden, das vom 8. bis 13. September wieder zahlreiche Kurzfilme präsentiert. Ein Sonderprogramm widmet sich dabei der Verbindung von Migration und traumatischen Erfahrungen. Die acht Filme wurden vom Sonderforschungsbereich 1285 „Invektivität“ der TU Dresden co-kuratiert, der in 13 geistes- und sozialwissenschaftlichen Teilprojekten Phänomene der Beleidigung, Bloßstellung und Herabsetzung untersucht.
Migration ist ein Thema, das gegenwärtig das menschliche Zusammenleben weltweit herausfordert. Laut der UN Refugee Agency betrug Ende 2018 allein die Anzahl der gewaltsam Vertriebenen weltweit über 70 Millionen Menschen. Die globalen Bewegungen einzelner Personen oder Gruppen werden dabei stets von den aufnehmenden Gesellschaften medial verarbeitet: Für den europäischen Kontext etwa steht die Überquerung des Mittelmeers im Zentrum der Aufmerksamkeit, obwohl ebenso Wanderungsbewegungen auf dem Landweg erfolgen.
Die Beschäftigung mit dem Thema regt zu Fragen an: Was treibt Menschen zur Flucht bzw. zur Migration an? Welche Erfahrungen machen sie auf ihrem Weg? Wie verarbeiten die Medien das Thema? Welche Bilder entstehen dabei? Der Kurzfilm – ob dokumentarisch oder fiktional – kann dem Themenkomplex neue Perspektiven abgewinnen, wie das Sonderprogramm zeigen will. Im Eröffnungsfilm EUPHRAT etwa erzählt ein syrischer Geflüchteter von seiner Heimat, seiner Herkunft und seiner Familie, und wie ein Fluss – der Rhein – ihn schließlich zu seinem neuen Zuhause führt.
In den preisgekrönten Kurzfilmen MAYDAY RELAY und 8TH CONTINENT dagegen werden Ereignisse auf der mediterranen See zu einer von Traumata besetzten Chiffre für die gesamten, in sich heterogenen Migrationsphänomene: In MAYDAY RELAY empfängt ein deutsches Segelboot auf dem Mittelmeer einen Notruf und steht vor der schwierigen Entscheidung, ob es diesem folgen soll – obwohl die Anzahl der zu rettenden Geflüchteten ihr eigenes Schiff in Gefahr bringen würde. 8TH CONTINENT inszeniert einen Krater auf der Insel Lesbos, auf dem tausende von auf dem Meer angeschwemmte Schwimmwesten gelagert werden.
Die Erfahrung der Flucht präsentiert sich uns in der Regel noch vor jeder filmischen Verarbeitung auf unterschiedlichsten medialen Plattformen, oft in Form von Bildern. Woher diese stammen, welcher Gebrauch von ihnen gemacht wird, welche Zwecke sie verfolgen ist dabei nicht immer klar. Umso mehr eignet sich der Film, um den visuellen Spuren der Fluchtbilder auf den Grund zu gehen. THE MIGRATING IMAGE hinterfragt die Überproduktion von Bildern auf Stationen von Nordafrika bis Europa – von den Internetseiten der Schmuggler über militärische Überwachungsaufnahmen bis hin zu Drohnenaufnahmen von Migranten auf europäischem Boden.
Der Film kann auch Darstellungsweisen in Frage stellen, durch die Migranten und Migrantinnen herabgesetzt werden, indem er beispielsweise stereotypisierende Darstellungen von Geflüchteten als hegemoniale Deutungspraktiken offenlegt. Dabei stellt sich die Frage, auf welche Art die audiovisuellen Mittel des Films die Dynamiken der Herabsetzung erfahr- und fühlbar machen können. Die ausgewählten Filme nehmen sich dieser Problematik auf unterschiedliche Weise an, etwa in MARTA, einem Rückblick auf die Reise einer ehemaligen nigerianischen Prostituierten, in dem das Schweigen der Protagonistin den geschwätzigen Deutungsdiskurs letztlich überlagert.
Nicht zuletzt kann der Film auch den Einbruch des Realen zeigen, wenn die Bilder, die wir nur aus den Medien kennen, plötzlich als Alltagserfahrung in unsere Nähe rücken: So setzt etwa DARK CHAMBER über den Blick durch ein Loch in der Plane eines LKW einen tragischen Vorfall an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn in Szene. Allegorisch dagegen wird es, wenn im Animationsfilm THE OUTLANDER ein Elefant namens Süleyman im 16. Jh. eine lange Reise von Ceylon nach Portugal macht und dann in fünf Monaten die Alpen von Lissabon nach Wien überquert: Ein lebendiges königliches Geschenk zu sein ist eine Aufgabe, bei der selbst der Tod kein friedliches Ende herbeiführt.
32. Filmfest Dresden
08. – 13. September 2020
https://www.filmfest-dresden.de
Schwerpunkt: Nachbilder – Spuren des Traumas 1. Monitoring Migration – Welt in Bewegung
In Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 1285 „Invektivität“ der TU Dresden. www.invectivity.com
Alle Filme in Originalfassung mit englischen Untertiteln
Termine für das Sonderprogramm
Di. 08.09.2020 - 22:00 Schauburg / Tarkowski-Saal
Mi. 09.09.2020 - 19:00 SLUB Dresden / Klemperer-Saal
Sa. 12.09.2020 - 11:30 Schauburg / Tarkowski-Saal
Informationen für Journalisten:
Georg Imgraben
Tel.: +49 351 463-43849