22.08.2016
Stabilität durch Flexibilität
Der Historiker Dr. Christoph Lundgreen wurde in diesem Jahr mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis ausgezeichnet und ist zudem in die Junge Akademie berufen wurden. Seit 2012 ist er Akademischer Assistent am Lehrstuhl für Alte Geschichte der TU Dresden. 2009 promovierte er in Dresden und Paris mit summa cum laude zum Thema „Regelkonflikte in Rom. Geltung und Gewichtung von Normen in der römischen Republik“. Aktuell forscht er im Rahmen eines Feodor-Lynen-Forschungsstipendiums für erfahrene Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Università degli studi Roma Tre. Wir sprachen mit ihm über die Auszeichnungen, seine Dissertation und seine aktuellen Forschungen.
Sie sind seit 2006 an der TUD – warum haben Sie sich damals für Dresden entschieden?
Ich hatte nach meinem Studium das Glück, gleich mehrere Möglichkeiten für eine Promotion zu haben, Dresden war eine davon. Und so ist es eine ganz bewusste Entscheidung gewesen – vor allem, um bei Martin Jehne zu promovieren. Er ist einer der renommiertesten und originellsten Forscher für die römische Republik. Hinzu kam, dass mit dem Programm des Europäischen Graduiertenkollegs „Institutionelle Ordnungen, Schrift und Symbole“ in Dresden und Paris insgesamt die Bedingungen für eine Promotion hervorragend waren. Und dann folgte der Sonderforschungsbereich „Transzendenz und Gemeinsinn“ (SFB 804), der eine intensive Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedensten Fächern ermöglichte. Das war für mich mit meinem Interesse auch an juristischen und politikwissenschaftlichen Fragen spannend.
Sie haben für Ihre Dissertation den Heinz Maier-Leibnitz-Preis in diesem Jahr erhalten. Wie fühlt sich das an?
Es ist natürlich eine sehr große Ehre für mich! Und besonders habe ich mich darüber gefreut, dass es eine Wertschätzung für meinen Ansatz darstellt, Themen der Alten Geschichte mit aktuellen Fragen, mit modernen Theorien und Methoden zu verbinden. Der Preis ist allerdings auch ein guter Anlass, mein aktuelles Projekt noch intensiver voran zu treiben, getreu der Preissatzung, in der es ja nicht nur um Anerkennung bisheriger Leistungen, sondern auch den Ansporn für künftige Arbeiten geht.
Und jetzt wurden Sie in die Junge Akademie berufen. Was bedeutet das für Sie und Ihre weitere Forschung?
Es ist eine Auszeichnung, aber auch eine Verpflichtung. Wir wollen ja in der Jungen Akademie gesellschaftlich relevante Fragen interdisziplinär diskutieren, aber auch z.B. zu Debatten im Feld der Wissenschaftspolitik Stellung nehmen. Man könnte also im Sinne Ihrer Frage anmerken, dass es für die eigene Forschung eher weniger bedeutet, einschließlich weniger Zeit. Das Gegenteil ist aber der Fall, denn bisher haben meine Arbeiten ja gerade vom fächerübergreifenden Austausch stark profitiert. Ich bin also selber ganz gespannt und neugierig auf die Impulse, Kontakte, Aktivitäten und Projekte in den nächsten 5 Jahren, in denen es gilt, die optimalen Bedingungen, die die Junge Akademie bietet, fruchtbar zu nutzen.
Der Titel Ihrer Dissertation lautet „Regelkonflikten in der römischen Republik“ und Sie haben hier Geschichte und Rechtswissenschaften miteinander verbunden. Was heißt das?
Die Kernfrage meiner Dissertation lautete schlicht: Was passiert, wenn sich zwei Regeln widersprechen? Diese Frage können Sie für alle politischen Systeme aufwerfen, ob in der Gegenwart oder in der Vergangenheit. Im Anschluss habe ich mich länger mit den Konzepten von Regel und Ausnahme in analytischer Philosophie, Rechtstheorie und vor allem Soziologie befasst – bevor ich dann mit Hilfe solcher Ansätze konkrete Konfliktfälle in dem, wie wir es heute nennen würden, „öffentlichen Recht“ der römischen Republik untersucht habe.
Ihre Forschungsinteressen sind Griechische Archaik und Klassik, Mittlere römische Republik bis zur frühen Kaiserzeit, Antike Rechts-, Normen- und Verfassungsgeschichte. Was untersuchen Sie? Wie kann man sich Ihre Forschung vorstellen?
Wenn ein Feldherr siegreich nach Rom zurückkehrte, konnte er beim Senat einen sogenannten Triumph beantragen. Manchmal hat er diesen bekommen, manchmal nicht. Ich habe untersucht, ob diese Entscheidung völlig willkürlich geschah oder klaren Regeln folgte, an die sich die Römer nur manchmal einfach nicht gehalten haben. Für meine Deutung dieser (bei den alten Römern wie vielen Forschern) umstrittenen Vergabe von Triumphen, dem sog. ius triumphandi, hat mir die moderne Unterscheidung von starren Regeln mit keinen oder klar geregelten Ausnahmen und flexiblen, gegeneinander abzuwägenden Prinzipien geholfen. Neben Triumphen habe ich noch andere Konfliktfelder, wie Wahlen oder die Vergabe von Provinzen, betrachtet. In der Zusammenschau hat sich ergeben, dass bis zu einem gewissen Punkt die meisten Konfliktfälle in Rom eher flexibel anhand von Prinzipien ausgehandelt wurden. Ab 180 v. Chr. wurden dagegen immer mehr klare Regeln etabliert, es trat eine Art „Normverhärtung“ ein – abzulesen u.a. an einer steigenden Anzahl von Gesetzen. Dies hat sicherlich zunächst Konflikte entschärft und auch politische Karrieren besser planbar gemacht, langfristig aber die Rolle des Senats geschwächt, der weniger Spielräume als „Schiedsrichter“ hatte.
Was fasziniert Sie an diesen Themen? Wie sind Sie dazu gekommen?
Letztlich sind es alles, wie wohl oft bei Historikern, Fragen unserer eigenen Zeit, die Einen faszinieren. Bei mir sind es die Fragen nach politischer Ordnung, den Umgang mit Abweichlern oder einer Hierarchie von Normen. Denken Sie an die aktuelle Situation in Polen und die Frage nach einer Einschränkung des Verfassungsgerichts durch die Regierung. Das Verfassungsgericht hält dies für nichtig, was wiederum die Regierung nicht akzeptiert und so weiter. Ähnliches gab es 1954 in Südafrika, was der Rechtstheoretiker H.L.A. Hart untersucht hat, der u.a. hieran seine Frage nach einer von allen akzeptierten obersten Spielregel, der sog. rule of recognition, entwickelte. Dieses Konzept bildete dann wiederum meine Frage an die römische Republik – mit dem Ergebnis, dass es dort keine Normenhierarchie gab, das System aber nichtsdestotrotz (oder vielleicht sogar deswegen) stabil war; wenn man wollte, könnte man von „Stabilität durch Flexibilität“ sprechen.
Ziehen Sie auch konkrete Vergleiche zur heutigen Zeit?
Nein – allem was ich jetzt gesagt habe zum Trotz, sind es eher allgemeine, überzeitliche Fragen, die mich interessieren als tatsächlich konkrete Vergleiche. Diese sind bei so großer historischer Distanz auch nur selten fruchtbar. Aber manchmal klappt es, dass man nicht nur moderne Theorie auf die Antike anwenden, sondern auch umgekehrt aus dem Material heraus einen Beitrag zu aktuellen Debatten leisten kann. Ich denke an einen Band aus dem Kontext des angesprochenen Dresdener SFB 804 zu Gemeinsinn und Gemeinwohl. Hier haben wir im Projekt in vielen Beiträgen aktuelle Ansätze hinsichtlich eines „Sinns für die Gemeinschaft“ aber auch der Rolle von „Gemeinwohlrhetorik“ für die Antike fruchtbar gemacht. Ich hatte die Aufgabe, das häufig auf den römischen Antiquar Marcus Terentius Varro zurückgeführte Konzept einer Zivilreligion zu überprüfen. Dabei ergab sich, dass die Rede von Zivilreligion nur sinnvoll ist, wenn man eine prinzipiellen Trennung von politischer und religiöser Sphäre voraussetzt, was nun für die römische Republik gerade nicht passt. Dieses, wenn man so will, „negative“ Ergebnis führt zu einer engeren Definition des Begriffs und ist insofern auch ein Beitrag zu aktuellen Debatten, was unter Zivilreligion eigentlich genau zu verstehen ist.
An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Mein Projekt, das als Habilitation in Dresden eingereicht werden soll, betrifft die Frage nach Staatlichkeit in der griechischen Welt. Während es hoch umstritten ist, ob man für die Vormoderne überhaupt von Staat sprechen kann, bedeutet „Staatlichkeit“, zwischen einer juristischen Betrachtung im Sinne einer außenpolitischen Anerkennung und einer eher sozialwissenschaftlichen de facto Perspektive zu trennen. Im Fokus der letzteren steht dann, welche Materien von wem und in welchem Maß a) entschieden, b) organisiert und c) legitimiert werden. Ausgehend von solchen Fragen nach Formen von Governance gehe ich momentan die verschiedensten Quellengattungen durch, von Homer und archaischer Lyrik über die Historiker Herodot und Thukydides und die Tragiker bis hin zu den sehr vielen Inschriften, die einen enormen Reichtum an Regelungen überliefern, wie z.B. eine Straße nicht zu verschmutzen, Wein nur in bestimmten Gefäßen zu verkaufen oder Verbannte nicht heimlich wieder aufzunehmen.
Sie sind noch bei März 2017 in Rom. Wie sehen Ihre Zukunftspläne für Ihre Arbeit aus? Werden Sie zurück nach Dresden kommen?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin dank der großzügigen Förderung durch die Alexander von Humboldt Stiftung noch bis zum 31. März in Rom und kehre danach als Assistent an den Lehrstuhl für Alte Geschichte zurück. Worauf ich mich auch freue! Bis dahin soll aber in Rom noch möglichst viel geschrieben und erarbeitet werden; worunter natürlich auch archäologische und gelegentlich kulinarische Sehenswürdigkeiten fallen. Das kann man zum Teil sogar gut verbinden, befindet sich doch gleich gegenüber einer der besten (und schönsten) Bibliotheken, der École Française, ein nettes Restaurant, in dessen Keller man Überreste des Pompeius-Theater sehen kann. Dies war nicht nur Schauplatz prächtiger Spiele und später der Ermordung Caesars, sondern offiziell auch ein Tempel, da man damals keine dauerhaften Theater aus Stein errichten durfte, also ein schöner Fall einer archäologisch erhaltenen Regeldehnung.