18.09.2023
Tomasz Kitliński: Fellow am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft
"Now I term TUD and the creative Dresden my home, my safe haven."
Als Kunsthistoriker:in, Geisteswissenschaftler:in und politische:r Aktivist:in befasst sich Tomasz (tomek) Kitliński als Senior Fellow am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden seit Mai bis Oktober 2023 mit dem Thema "Bildproteste". Am Institut arbeitet er eng mit Prof. Kerstin Schankweiler, Inhaberin der Professur, zusammen. Aktuell untersucht er, wie mit Bildern gegen die rechtsextreme Regierung Polens – Kitlińskis Heimatland – protestiert wird. Kitliński wurde u. a. aufgrund seines öffentlichen Verurteilens der Regierungspartei und ihrer Vorurteile (wie Antiseminitismus, Misogynie und Queer- und Homophobie) sowie wegen seiner/ihrer nicht-binären Identität selbst zur Zielscheibe der Regierung und musste daher fliehen. Mit Dresden und der TU fand er/sie nun einen sicheren Hafen.
Name: Tomasz (tomek) Kitliński
Position/Professur: Senior Fellow Bildwissenschaft im globalen Kontext
Institut: Institut für Kunst- und Musikwissenschaft
Fakultät: Philosophische Fakultät
An welchem Projekt arbeiten Sie gerade und wie ist der Stand der Dinge? Was genau machen Sie in Ihrer Forschung? Gibt es schon Ergebnisse?
Der Titel lautet "Eine Studie über die Politik und Ästhetik der Protestkunst von Frauen, Queers und Flüchtlingen aus der Perspektive der Protestbild-Methodologie". Ich denke, dass ich diese theoretische Perspektive der Proteste erfolgreich auf die Situation in Polen seit 2015 anwende, als Polen unter der rechtsextremen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" zu einem faschistischen Land wurde, das stark vom religiösen Fundamentalismus geprägt ist. In der Tat betrachte ich das, was in Polen passiert, als Faschismus, und zwar nicht nur, weil es eine oberflächliche Bezeichnung, sondern eine Perspektive ist, die von mir selbst klar und bewusst in Betracht gezogen wurde. Ich habe herausgefunden, dass wir uns gegen dieses Regime wehren können, aber wir wehren uns nicht genug dagegen. Und eine der Möglichkeiten, sich dem Faschismus zu widersetzen, besteht darin, ihn durch Bildproteste zu blockieren.
Außerdem verkündete die polnische Regierung ein Gesetz zur Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, das in Polen seit 1993 in Kraft ist, was eine Demütigung für die polnischen Frauen und für die gesamte Gesellschaft darstellt, da Abtreibung praktisch in allen Fällen illegal ist. Es gab massive Demonstrationen von Frauen und ihren Verbündeten – viele Queers nahmen daran teil, ich in Lublin, und viele meiner Student:innen, sogar feministische Erasmus-Student:innen aus Spanien. Diese sehr häufigen Demonstrationen in Warschau und anderen Städten und sogar Kleinstädten haben die Regierung jedoch nichts gelehrt. Jetzt sind wir mit unzähligen Tragödien konfrontiert – ungewollte Schwangerschaften, kranke Kinder und Babys, sterbende Mütter...
Diese massiven Proteste wurden von einer sehr reichhaltigen Ikonographie der Kunst und der visuellen Kultur begleitet, die der Regierung feindlich gesinnt war. All diese Kunst, die Inschriften und Profanitäten wurden auf Kartons geschrieben, da dies die billigste Art ist, Plakate zu tragen. Eine lokale Galerie, die sehr oppositionell ist, hat diese Kunst in einer Ausstellung mit dem Titel "You should never walk alone" gezeigt, die sehr erfolgreich und inspirierend war. Ich habe einen Teil meiner Recherchen diesem Thema gewidmet, das wir in Polen "Der polnische Frauenstreik" nennen.
Warum haben Sie sich für die Arbeit an diesem Projekt entschieden? Gibt es eine persönliche Verbindung, d. h. steht Ihre persönliche Geschichte in Zusammenhang mit dem Projekt?
Ich bin Akademiker:in, Aktivist:in und Kunstkurator:in und ein Teil meiner Forschung geschieht durch Ausstellungen, durch das Kuratieren von Ausstellungen.
Im Jahr 2019 kuratierte ich eine Ausstellung öffentlicher Kunst mit dem Titel "Open City" und beauftragte eine hervorragende Künstlerin namens Dorota Nieznalska mit einer Installation über die Pogrome, die von Polen an ihren jüdischen Nachbarn verübt wurden. Das löste eine Kontroverse aus. Dann wurde der Gouverneur von Lublin, Przemysław Czarnek, Minister für wissenschaftliche Bildung. Przemysław Czarnek trat im Fernsehen auf und sagte mir öffentlich, dass die Installation antipolnisch und abscheulich sei, und er forderte die sofortige Entfernung der Installation. Die Installation trug den provokativen Titel "Judenfrei". Ich stimmte ihm nicht zu, und ein paar Tage später erhielt Przemysław Czarnek eine Ehrenmedaille meiner Universität, der Marie-Curie-Universität in Lublin, was mich schockierte. Ich habe protestiert. Ich schrieb einen offenen Brief, in dem ich darauf hinwies, dass der Gouverneur von Lublin sich des Antisemitismus, der Ukrainefeindlichkeit, der Islamfeindlichkeit und der Homophobie rühmt und die Rolle der Frau auf die Reproduktion reduziert.
Er beschimpfte mich und warf mir etwas vor, was man in Polen seltsamerweise einen "Angriff auf das Verfassungsorgan des Staates" nennt, was ein sehr polnisches Gesetz gegen angebliche Einschüchterung eines Regierungsbeamten ist. Und er legte meinen Fall dem Staatsanwalt vor, der mich verhörte. Als die Klage nach genau einem Jahr, im Jahr 2020, abgewiesen wurde, überredete Przemysław Czarnek seinen stellvertretenden Minister für Bildung und Wissenschaft, eine ähnliche Klage gegen mich bei der Staatsanwaltschaft einzureichen – dieses Mal mit dem Vorwurf, ich hätte die Republik Polen beleidigt und religiöse Gefühle verletzt. Auch dieses Blasphemiegesetz ist typisch für Polen. Es gibt viele internationale Empfehlungen, dieses Gesetz abzuschaffen. Ich wurde damals von der Polizei verhört und fühlte mich unsicher, weil ich mich trotz meiner jahrelangen, ja jahrzehntelangen Forschung, Lehre und meines Aktivismus zu vielen feministischen und queeristischen Themen persönlich bedroht fühlte. Jetzt ist also Deutschland und insbesondere Dresden meine neue Heimat.
Warum haben Sie die TUD gewählt, um das Thema Ihres Projekts zu behandeln?
Seit vielen Jahren interessiere ich mich für das Thema und habe an den Protesten in Polen teilgenommen. Und dann habe ich mich ihnen theoretisch genähert. Mein Interesse an der TUD wurde durch ein phänomenales Buch von Prof. Kerstin Schankweiler namens Bildproteste geweckt. Es hat mich methodisch inspiriert, und ich verwende es gerade jetzt als Grundlage für meine eigenen Beobachtungen von Protestbildern im polnischen Kampf gegen das rechtsextreme Regime. Und sobald ich Kerstins Buch gelesen hatte, fand ich es so nützlich für meine Forschung, dass ich den Brief schrieb, um sie zu kontaktieren. Mein Kontakt zur TU Dresden wird auch dadurch bezeugt, dass mein Mann und ich am Vorabend des russischen Einmarsches in die Ukraine 2022 einen Vortrag im Ramen von Professor Klavdia Smolas Vorlesungsreihe [Anm. Die Redaktion: Prof. Klavdia Smola ist Inhaberin der Professur für Slavische Literaturwissenschaft an der TU Dresden] zum Thema Performative Power and Failure of Dissent: Ästhetik der Intervention im östlichen Europa und darüber hinaus hielten.
Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Prof. Kerstin Schankweiler im Rahmen des Projekts "Bildproteste"? Was sind Ihre Pläne für Ihr kuratorisches Projekt Bildproteste aus Osteuropa?
Kerstins Buch hat immer noch einen großen Einfluss auf mich. Besonders gut gefällt mir die Verbindung zwischen 'Bildprotesten' und der Bildung affektiver Gemeinschaften unter den Demonstrant:innen. Das ist genau das, was in Polen passiert. Durch die Bildproteste sind die Teilnehmenden und die Angebote der Bildproteste in eine neue Art von Gemeinschaft eingebunden: affektiv – wir sind durch Gefühle verbunden. Und ich denke, das ist eine sehr wichtige These von Kerstin.
Ich treffe mich jede Woche mit ihr, um mein Projekt zu besprechen, und ich sehe mir auch viele Ausstellungen in Dresden an, darunter die fantastische ukrainische Ausstellung im Albertinum. Ich denke, das Albertinum und andere Orte in Dresden, einschließlich der Kustodie unserer Universität, sind großartige Orte für solche Projekte.
Warum passen Gender Studies und Kunstwissenschaften aus Ihrer Sicht gut zusammen? Was ist das Besondere daran, diese beiden Disziplinen miteinander zu verbinden und welchen Nutzen ziehen Sie aus der Arbeit an der TUD in dieser Hinsicht?
Ich denke, im Vergleich zu Polen ist die transdisziplinäre und interdisziplinäre Forschung und Lehre in Deutschland, insbesondere in Dresden, viel weiter entwickelt. Ich finde, dass die Arbeit der Kunstgeschichte oder der Institute für Kunst- und Musikwissenschaft sehr interdisziplinär, multidisziplinär, transdisziplinär ausgelegt ist. Es gibt ein neues amerikanisches Wort "postdisziplinär", und wir vertreten verschiedene wissenschaftliche Bereiche, verschiedene Ansätze, verschiedene Methodologien. Und ein solcher Pluralismus ist für mich sehr wichtig. In Polen haben wir weder politischen noch wissenschaftlichen Pluralismus.
Hängt der Vortrag über "Das heimgesuchte und gastfreundliche Osteuropa: Developing a New History in the Arts", den Sie auf der IFZO-Jahrestagung in Greifswald gehalten haben, mit Ihrem Hauptprojekt zusammen?
Mein ursprünglicher Titel war durch Jacques Derridas Neologismus "hospitalité" inspiriert, die Gastfreundschaft und Feindseligkeit verbindet. Es war zentral für meine Dissertation und ich habe lange daran gearbeitet. In Polen gibt es nur eine begrenzte Gastfreundschaft gegenüber dem sogenannten 'Fremden', dem 'Anderen', wie Minderheiten, Migranten, Menschen, die in irgendeiner Weise benachteiligt wurden, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Deshalb habe ich gedacht, dass wir in Polen keine Gastfreundschaft, sondern eher Feindseligkeit praktizieren. Und was den Mangel an Gastfreundschaft in Polen deutlich zeigt, ist Polens Verwicklung in den Holocaust. Laut dem Gesetzentwurf des polnischen Parlaments von 2018 ist es verboten, darüber zu sprechen, ja sogar wissenschaftlich darüber zu forschen. Mit großer Freude und Enthusiasmus kann ich hier also stolz darauf sein, das polnische Gesetz zu übertreten und zu sagen, dass es viele Beispiele für polnische Beiträge zur Erinnerung an den Holocaust gibt.
Auch heute haben wir es mit der Tragödie der Zurückdrängung, Tötung und Misshandlung von Flüchtlingen an der polnisch-weißrussischen Grenze durch die polnischen Streitkräfte, die Polizei und insbesondere die Grenzbeamt:innen zu tun. Die Grenzbeamt:innen begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der Grenze, wo es wilde Wälder mit eisigen Temperaturen gibt und nicht-weiße Flüchtlinge nicht nach Polen gelassen werden. Ukrainer:innen wurden mit Begeisterung in Polen aufgenommen, während Flüchtlinge aus Nicht-EU-Staaten überhaupt nicht akzeptiert und an der Grenze drastisch zurückgedrängt werden.
Es gibt auch eine Verbindung zu Dresden: Die polnisch-jüdische Filmemacherin, die es in Hollywood geschafft hat, Agnieszka Holland, ist meiner Einladung gefolgt, nächstes Jahr für eine Sonderausstellung über "Grenzen" nach Dresden zu kommen. Ihr neuer Film, der jetzt in die Kinos kommt, heißt "The Green Border". Er handelt von den Schwierigkeiten, Nöten und Tragödien, mit denen Flüchtlinge an der polnisch-weißrussischen Grenze konfrontiert sind, aber auch von dem heimlichen Versuch, den Flüchtlingen durch ein polnisches informelles Netzwerk von Ärzt:innen und Freiwilligen zu helfen, die trotz des staatlichen Verbots humanitäre und medizinische Hilfe zu den Flüchtlingen bringen.
Gab es Anregungen von anderen Autoren, die Sie in Ihre Untersuchung einfließen lassen wollten?
Ich habe verschiedene Theorien des Faschismus und insbesondere die des deutsch-jüdischen Denkers Gerhard "George" L. Mosse berücksichtigt. Er war für mich eine Inspiration. Er ist zwar nicht mehr unter uns, aber seine Bücher sind hervorragend, und sie handeln vom Aufstieg des Faschismus in Nazi-Deutschland. Außerdem ist das Buch "Bildproteste" von Prof. Schankweiler für mich immer noch von großer Bedeutung.
Im Zusammenhang mit Ihren aktuellen oder zukünftigen Projekten: Planen Sie, vielleicht zusammen mit Prof. Schankweiler, größere Veranstaltungen zu organisieren, wie z. B. Ausstellungen, Museumsbesuche mit begleitenden Vorträgen o. ä.?
Ich habe bereits zwei öffentliche Vorträge gehalten, die sehr gut besucht waren und bei denen die Zuhörer:innen einen Einblick in die politischen Kämpfe in Polen erhielten, sodass sie sich mit mir und unserem Leidensweg in Polen identifizieren konnten.
Für die Zukunft habe ich ein Projekt im Kopf: "Bildproteste aus Osteuropa". Ich würde es gerne vorstellen. Ich werde auch an Agnieszka Hollands Filmprojekt teilnehmen, mit Vorführungen und Begegnungen im Rahmen von Tanja-Bianca Schmidts und Kerstin Schankweilers Ausstellung über Grenzen im nächsten Sommer.
Haben Sie unseren Leser:innen noch etwas zu sagen, möchten Sie dem, was Sie gerade gesagt haben, noch etwas hinzufügen?
Der höchste Wert in meiner Ethik ist die Gastfreundschaft gegenüber dem sogenannten Anderen. Ich erlebe sie an der TU Dresden hautnah. Ich bin allen an der Universität sehr dankbar, die mir meine Forschungstheorien ermöglichen, die sie unterstützen und die mir immer helfen. Ich habe in Dresden viele Freunde gefunden – viele Kolleg:innen, viele Student:innen und viele Kulturschaffende der Stadt sind meine Freunde geworden.
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