13.07.2021
Triff die Koryphäe unter der Konifere - Audiomitschnitt - Solvejg Nitzke
Am 20. Juni fand die Auftaktveranstaltung unserer neuen Veranstaltungsreihe "Triff die Koryphäe unter der Konifere" statt. Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Solvejg Nitzke sprach mit den Gästen im Botanischen Garten über "Baumgeheimnisse, Mutterbäume und den Gesang des Waldes".
Für alle die nicht live dabei sein konnten, ist nun der Audiomitschnitt verfügbar.
Diringer: Auch von meiner Seite aus noch mal ganz herzlich Willkommen. Ich bin Lilith Diringer, unter anderem auch Studierende oder Studentin an der TU Dresden und eben in „der bühne“ aktiv, dem Theater der TU und moderiere dort auch sehr viele Live- und Onlineformate , falls Sie oder Ihr da auch mal vorbeischauen möchtet. Aber heute geht es vor allem um unsere Gästin Solvejg Nitzke. Wir hatten uns auch im Voraus schon auf das „Du“ geeinigt, von daher dürft ihr das auch sehr gerne so übernehmen, auch dann nachher bei der Fragerunde. Es wird eben so sein, dass das ganze sehr offen gestaltet ist, das heißt, wir möchten viele Fragen von eurer Seite aus hier aufgreifen und diskutieren. Dennoch möchte ich einen kleinen Input einleiten von deiner Seite, um erst mal einen kleinen Überblick über deine Arbeit zu bekommen. Wie kam es denn dazu, wie hast du deinen Weg gefunden, was ist gerade so spannend, was du neues entdeckst jeden Tag. Überleiten möchte ich mit einem Zitat, das ich gefunden habe und sehr spannend fand, und zwar: „Wir leben in der Welt der Bäume, nicht umgekehrt.“ Was hat es denn damit auf sich und wie kannst du dazu?
Solvejg Nitzke: Ja vielen Dank erst mal, dass Sie alle da sind. Ich freue mich so sehr richtige Menschengesichter zu sehen und tatsächlich Adressat:innen für meine Worte vor mir zu haben und nicht irgendwie versetzt. Also diese Romantik bin ich noch nicht ganz los, dass es so schön ist manchmal. Was es damit auf sich hat, dass wir in einer Welt der Bäume leben, ist erstmal eine triviale Feststellung. Bäume sorgen - Bäume und alle anderen Pflanzen - für all das, was wir überhaupt zum Leben brauchen, d. h. ziemlich existenzielle Feststellung. Für eine Literaturwissenschaftlerin ist es aber durchaus eine, die auch – jetzt könnte ich natürlich die vielen Papierwitze machen, denn nicht zuletzt all das was, was ich für meine Arbeit brauche - Papier - und Tinte wurde lange auch aus Baumprodukten hergestellt. Also auch wir sind darauf angewiesen, aber das ist eine ziemlich weit reichende Feststellung für jemanden, die sich von Berufs wegen mit Literatur beschäftigt. Jetzt komme ich relativ schnell in die großen Fragen. Was ist denn eigentlich diese Literatur und wie kommt man eigentlich von da aus an den Punkt einem anfängt, etwas über Bäume zu sagen? Literatur im fast schon engeren Sinne müssten ja solche Dinge sein: Also, wir haben hier ein Buch - relativ viel Text drin und darauf steht Roman. Das ist für mich das einfachste womit ich arbeiten kann. Wenn da Roman draufsteht, darf ich davon ausgehe, dass sich jemand hingesetzt hat, eine Geschichte erfunden hat und ich damit leben kann, dass all die Dinge, die in dem Text sind, innerhalb dieses Textes eine Wirklichkeit beanspruchen, die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit außerhalb übereinstimmen muss, d. h. in so einem Buch können Bäume sprechen und dann stimmt das auch. Also, ich gucke schon direkt rüber (lacht). Man nennt sowas Willing suspension of disbelief. Also wir einigen uns in dem Moment, in dem wir so einen Roman aufschlagen - vielleicht nicht direkt mit der Autor:in, aber zumindest sozusagen mit uns selbst - darauf, dass wir für die Zeit wir jetzt lesen, die Plausibilität, die innerhalb eines Textes hergestellt wird, annehmen. Jetzt bin ich sozusagen schon mittendrin, denn da können Dinge passieren, die außerhalb nicht passieren können. Wie gesagt, Bäume sprechen; manche Bücher erzählen auch von von herumlaufenden Bäumen. Das sind dann Dinge, die innerhalb dieser Erzählung funktionieren können, auch wenn wir eigentlich „wissen“ - ich mache Anführungsstriche (sag ich mal für die Aufnahme dazu) -, dass das ja ganz in echt gar nicht sein kann. Da hör ich aber mit Literatur nicht auf. Was mich interessiert und das kommt so ein bisschen auf deine Frage zurück, wie ich da eigentlich hingekommen bin, ist, wie das, was in Literatur sozusagen kein Problem ist - also, dass jemand anfängt eine Geschichte zu erzählen, die aufzuschreiben, dass die geformt ist, ja dass, man nicht am Anfang anfängt und in der Mitte weitermacht und am Schluss hört man auf. Sondern man kann Rückblenden machen. Vorblenden. Ja, man kann damit spielen, dass man gar nicht weiß, wer gerade erzählt. Und wir sind alle irgendwie eher bereit, in der Literatur uns darauf einzulassen. Und, das sollte ich vielleicht dazu sagen, damit meine ich jetzt nicht nur die sogenannte hohe Literatur, also nicht nur irgendwie Goethe und Schiller, sondern durchaus auch alles, was irgendwie dieses Label, zum Beispiel „Roman“ hat. Da sind wir irgendwie einverstanden mit dieser Art von Vertrag, die uns sagt, dass da dann Dinge passieren können, mit der wir arbeiten. So. Mich interessiert jetzt genau der Ort, wo das sozusagen ausfranzt, ja, wo entweder solche Romane für sich beanspruchen - nicht nur Romane, aber fiktionale Erzählungen zum Beispiel - beanspruchen, dass sie auch über Dinge sprechen, die in der Wirklichkeit passieren.
Stichwort: Science-Fiction. Ja da kommen dann plötzlich ganz viele wissenschaftliche Dinge vor.
Hier in „Betrunkenen Bäume“ passiert das auf eine ziemlich klassische Weise. Das ist Ada Dorians „Betrunkene Bäume“. Ich lass die Bücher hier auch nachher nochmal liegen, wenn sich jemand weiter dafür interessiert. Das ist eine Geschichte, die spielt sich zwischen einer jungen Frau, die von zu Hause abhaut, und einem seit Jahren pensionierten Forstwissenschaftler, bei dem man nicht so ganz sicher ist, ob er seinen Verstand verliert oder ob er eigentlich gerade erst so richtig tief in seiner Forschung ist. Das ist – so viel darf ich vielleicht sagen - auch im echten Leben bei Forschern nicht immer ganz deutlich trennbar, sondern immer so vom Ende her erst klar. Hier jedenfalls, und das nehme ich jetzt mal vorweg, es ist ein schönes Buch und eine der tollen Sachen, die hier passieren, ist die, dass dieser Wissenschaftler zu Forschungszwecken, aber auch, um sich zu umgeben mit dem, was er liebt, einen Wald in seinem eigenen Schlafzimmer anlegt. Und allein wie er versucht, das vor seiner Tochter, die eigentlich gern hätte, dass er langsam in ein Altersheim zieht, zu verbergen. Entspinnt Beziehungen zwischen diesen Menschen und den Bäumen, die für mich ganz interessant sind. Aber noch mal zurück zu der Frage, wo das sozusagen ins wirkliche Leben reicht. Dieser Wissenschaftler erklärt der jungen Frau relativ viel über die Forstwissenschaft, die er macht. So, und da kann man dann relativ gut sich hinsetzen, man könnte jetzt nachvollziehen, gibt es das wirklich? Gibt es die Wissenschaftler, auf die sich bezogen wird, stimmen diese Sachen? Diese betrunkenen Bäume sind welche, wo der Boden sich aufgelöst hat. Also, so steht‘s im Buch. Wo der Boden so weich geworden ist, dass die schief anfangen zu wachsen und dann in ganz seltsamen Formen. All das, woran wir sozusagen bei Bäumen als erstes denken, dieses gerade nach oben wachsen, nicht mehr stimmt. Und diese Eigensinnigkeit ist was, was mich interessiert. Um das sozusagen nochmal hervorzubringen.
Was ich also mache, ist weder mir anzuschauen, welche Bäume als Motiv irgendwo auftauchen. Das könnte ich wunderbar machen, irgendwie vom ersten Mal als jemand irgendwas aufgeschrieben hat, relativ bald, kam auch ein Baum vor. Bis jetzt. Ja, dann hätte ich so eine Kulturgeschichte, wie Alexander Demandt. Und dann kann man schöne Sachen sagen. Der Mann ist Historiker - ja das Schöne an Bäumen ist, dass man dann auch als Historiker endlich was gefunden hat, was sich nicht so viel bewegt.
Das ist nicht mein Ansatz bei Bäumen, sondern ich guck mir an, wo bestimmte Dinge die jetzt in Baumwissenschaften in Bewegung kommen, vor allem im öffentlichen Diskurs, in der Wissenschaftskommunikation dieser neueren Erkenntnisse oder dem, was sich vielleicht auch nicht etablieren wird, anfangen sozusagen zu verändern, was da überhaupt stattfinden kann. Und da komme ich tatsächlich sozusagen jetzt von meiner Wissenschaftsbiografie her aus der literarischen Katastrophenforschung über das Klima zu den Bäumen und frage mich eben immer genau - hier jetzt auch wie vorher schon - an welchen Stellen Literatur sozusagen Räume öffnet, um Wirklichkeit zu diskutieren. In genau diesem Modus, in dem etwas sein kann, was wir vielleicht noch nicht kennen. Das muss dann nicht heißen, dass wir etwas lernen aus der Literatur und hinterher ganz viel schlauer sind, sondern dass bestimmte Sachen verunsichert werden. Diese Verunsicherung ist was, was ich dann – das darf ich vielleicht in diesem Format auch sagen – für ein sehr produktives Format halte.
Was ich da konkret tue, jetzt und in den nächsten sagen wir mal zwei Jahren, ist dieses Buch und den Rest des Regals den ich zu Hause gelassen habe, weiterhin darauf zu untersuchen und auch noch ein Buch zu schreiben,
Diringer: Das klingt auf jeden Fall super spannend und ich glaube wir freuen uns alle schon auf die Ergebnisse dann im Buch oder auf das Zwischenfazit. Vielleicht schon mal so weit: Es ist es ja auch immer die Frage, wann ist jetzt ein Wald ein Wald, wann sind es nur einzelne Bäume. Ist das dann Definitionen, die in der Literaturwissenschaft, gefällt werden oder sind das tatsächlich forstwirtschaftliche Definitionen? Wo ist da also die Grenze zwischen „Was ist jetzt wie wahr“ und aus welcher Disziplin kommt es jetzt?
Nitzke: Ähm, mit all den Dingen arbeite ich. Also, ich kann mir anschauen, wenn ich - also das tue ich dann auch - dann gucke ich in populärwissenschaftliche Bücher, in Bestimmungsbücher. Ich stöbere auch ab und zu mal im botanischen Teil unserer Bibliothek und schau mir dann an, was es da gibt. Ich freue mich immer, dass gerade so Definitionen von Wald und Baum ja relativ offen sind an verschiedenen Stellen. Es gibt eben das, was auch hier so drin steht, wenns dann an die Kinder geht. Das ist übrigens meine große Leidenschaft, meine Fünfjährige, die heute aufgrund von Hitze keine Lust hatte, mitzukommen, als Ausrede zu benutzen, die ganzen schön gestalteten Kinderbücher anzuschaffen. Weil brauch ich natürlich zuhause, ist klar. Naja, aber da steht dann eben drin, dass Bäume dann eben große Pflanzen sind, die einen holzigen Stamm ausbilden und auch Breitenwachstum – äh Dickenwachstum haben usw.,
Aber eben das, was ich gerade meinte, mit dem Willing suspense of disbelief, also diesem Vertrag zwischen Autor:in und Leser:in, wenn in dem Buch steht: „Das ist ein Baum“, dann kann ich damit ja erst mal arbeiten und ab und zu ist dieses „Das“, worum es dann geht, zum Beispiel eine Frau. Das passiert immer mal wieder. Ja, dass es Frauen gibt, die sich in Bäume verwandeln und am Ende des Textes Bäume sind, obwohl alle Beteiligten im Buch und alle, die das Lesen, eigentlich wissen die Menschenform ist nicht verlassen. Trotzdem ist das ein Baum, also d. h. ich komme sozusagen von zwei Seiten. Ich guck mir einerseits an, was in den Texten steht. Also es geht weniger um die Literaturwissenschaft, die das macht. Es gibt natürlich auch viele Untersuchungen gerade zum sogenannten „deutschen Wald“ in der 19.-Jahrhundert-Literatur. Da gibt es relativ viel zum Wald in Märchen, was die unterschiedlich können usw., was die unterschiedlich mit dem jeweiligen Forstwissen angestellt haben. Aber ich kann mir diese Definition sozusagen aus jedem einzelnen Text ziehen. Ich kann gucken auch, wie sich das innerhalb eines Textes verändert, und ich kann das dann abgleichen und finde meistens ähnlich viele Vorstellungen. Da habe ich natürlich auch aufgrund meines Standpunktes den großen Vorteil, dass mich nur bedingt interessieren muss, was sozusagen Lehrmeinung ist, sondern ich mir sozusagen die ganze Breite dessen angucken kann, was so unter dem Label „Wissenschaft“ läuft. Was, das sag ich dazu, nicht heißt, dass ich nicht sehr, sehr genau gucke, an welchen Stellen was publiziert wird. Das ist auch in meiner Dissertation zur Produktion der Katastrophe schon wichtig, dass ich mir angucke, ob jemand - wie schnell jemand zufrieden damit ist, dass es doch die Aliens waren oder dass es doch irgendwie… man das alles so selbst spürt. Und da mache ich natürlich schon Unterscheidung.
Diringer: Sehr spannend auf jeden Fall. Ich hatte auch noch zwei Begriffe aufgeschnappt bei Online-Publikationen, und zwar „Arboreale Poetik“ und „Nature Writing“. Kannst du dazu vielleicht noch ein bisschen was sagen?
Nitzke: Genau, das ist der Punkt, wo ich so subtil auf meinen eigenen Sammelband hinweisen kann. Also, „arboreale Poetik“ ist sozusagen mein Vorschlag an die Literaturwissenschaft. Das ist dann der Punkt, wo man in der Literaturwissenschaft… Wir sind ja auch nicht arm an Fachbegriffen. Wo es um Poetik geht ist einerseits der Versuch, mir anzuschauen, welchen Einfluss Bäume auf Texte haben. Also das, was ich gerade meinte, ich guck mir das nicht nur als Motiv an, also nicht nur „In soundsoviel Gedichten taucht ein Baum auf“ und dann steht der Kirschbaum für dieses und die Eiche steht wie jenes und so und so. Sondern ich versuche sozusagen mit der Annahme, der Hypothese zu arbeiten, dass wenn man Texte daraufhin liest, dass Bäume für Bäume stehen und nicht immer automatisch für Menschen, dass das etwas mit dem Text macht. Und Poetik heißt dann - also im Grunde hätte man auch Baumpoetik schreiben können, und ich hatte auch am Anfang noch was mit „romantischer Dendrographie“ untendrunter, das habe ich mir dann doch gespart -, also die „aboreale“ wäre dann sozusagen die bäumische oder die Baumpoetik, d. h. Texte, die tatsächlich sozusagen aus den Eigenschaften, die sie Bäumen zuschreiben oder die sie über Bäume erlesen, entwickeln, wie Texte funktionieren.
Hier ist zum Beispiel Esther Kinskys Roman „Hain“. Ein tolles Beispiel. Das ist ein Roman, der heißt auch Geländeroman. Da kann ich auch gleich direkt auf Nature Writing kommen. Wo eine Protagonistin nach Norditalien fährt, um zu trauern um ihren verlorenen Partner. Und sie tut es auf verschiedene Weisen. Einerseits indem sie sich Bäume anguckt, und zwar ganz explizit keine besonderen Bäume, sondern einfach, was da halt so steht und indem sie fotografiert. Und wie das zum Beispiel zusammengebracht wird, wie die Baumfotografie zum Beispiel anders funktioniert und in dem Text beschreibt, wie der Text funktioniert: Das ist das, was ich mir angeguckt habe.
Und was ganz spannend ist, wo das dann mit dem Nature Writing zusammenkommt, ist zum Beispiel hier in dem Buch von Sumana Roy „Wie ich ein Baum wurde“ aus der Reihe Naturkunde. Also auf deutsch ist das bei den Naturkunden bei Matthes & Seitz erschienen. Das ist ja auch so eine Zwischenform zwischen fiktionalen Literatur und Sachtext. Das gibt es eigentlich im deutschsprachigen Raum erst seit Matthes & Seitz diese Reihe haben und einen Preis dafür verleiht. Das ist immer ein ganz guter Weg ein neues Genre einzuführen, indem man einen Preis dafür verleiht. Dann sind die Autor:innen oft selbst überrascht, dass ist diesem Genre zugehören, aber ich meine, wer lehnt schon so einen Preis ab, also funktioniert das ganz gut.
Sumana Roy macht was ganz interessantes. Das ist kein literaturwissenschaftliches Buch, das ist auch kein literarisches im Sinne von fiktionaler Erzählung, sondern so eine Art Selbsterkundung, also eine Autobiografie mit Bäumen. Und am Anfang steht auch da so eine Hypothese: „Ich möchte ein Baum werden“. Sie hat dieses Bild, dieses Begehren ein Baum zu werden, was ich dann zurückbinden kann an die Geschichte von Daphne aus Ovid, die ja auch ein Baum werden will, um Apollon zu entkommen. Und auch hier erzählt eine Frau, die Geschichte davon, wie sie sozusagen zu einer Pflanze, einem Baum werden möchte, um bestimmten menschlichen Erwartungen an ihr Frausein zu entkommen. Das ist schon relativ… ähm ja „innovativ“… das Wort immer so sehr eingebunden in diese ganzen fancy Wissenschaftssprechsachen, ja wenn man irgendwas innovativ, neu macht. Es ist eigentlich sehr alte Weise zu erzählen, ohne notwendigerweise eine geschlossene Geschichte zu erfinden, sondern ein „Ich“ in einen Naturzusammenhang zu setzen und dann zu gucken, was passiert. Das kann man auch als Nature Writing verstehen. Und es ist für mich deswegen so interessant, weil es genauso eine Randform von Erzählen ist. Und was ich mir in diesem „Aboreale Poetik“-Artikel angeguckt habe, ist, dass Menschen, die diese Texte schreiben, dass, was er hier - Peter Wohlleben kennen bestimmt einige - in „Das geheime Leben der Bäume“ tut, nämlich Bäume zu anthropomorphisieren, also in Menschenform zu bringen… Die sind dann befreundet und die sind dann Nachbarn und die passen aufeinander auf und alles solche Sachen… kehren diese Autor:innen, zum Beispiel Robert McFarlane, um und zeigen, wie die Menschen, die in diesen Texten vorkommen, nicht versuchen zu Bäumen zu werden … ähm nein, andersrum: Nicht die Bäume zum Menschen machen, sondern selbst versuchen mehr wie ein Baum zu werden. Das muss dann nicht so weit gehen wie bei Sumana Roy, die diese Grenzen des Baumwerdens auch feststellt, am Ende. Ja, also das ist jetzt nicht so, dass sie das am Ende wirklich von sich glaubt und man denkst so: „Ja, klar, nein, du bist ein Baum, ja sicher“. Sondern die sozusagen mit diesem Scheitern arbeiten. Das ist was, was ich interessant finde, also das Scheitern, der Versuch, ein Baum zu werden, von dem man weiß, dass er nicht gelingen kann.
Und das ist das, was dann Literatur oder literarisches Schreiben kann, also Nature Writing, weil es das versuchen darf und weil es nicht gelingt. Es ist eben kein wissenschaftlicher Artikel. Da muss am Ende nicht „was rauskommen“, was verallgemeinerbar ist, nachvollziehbar ist, sondern etwas, was für diesen Text funktioniert und was dann vielleicht auch andere anregt.
Diringer: Besonders interessant, ich hatte auch eine Geschichte über meinen Namen „Lilith“ mal gelesen, die auch im Sumerischen mal aus einem Baum herausgewachsen ist, wie auch immer. Also sehr spannend, dass du hier jetzt auch nochmal auf die Götterwelten verwiesen hast, welche alte Tradition es auch dort gibt.
Ihr könnt euch alle schon mal darauf vorbereiten, wenn wir gleich die ersten Fragen entgegennehmen.
Aber davor darfst du noch kurz möglichst prägnant zusammenfassen, was von der einen Seite vielleicht deine hauptsächliche Motivations-, auf der anderen Seite dein größter Demotivationsfaktor innerhalb deiner gesamten Arbeit bisher - vielleicht schon vorausschauend – ist oder sein wird.
Nitzke: Naja, da ich ja noch wissenschaftliche Mitarbeiterin bin und immer mal gucken muss, wie das so weitergeht, ist der Demotivationsfaktor all das, was so zu organisieren ist, damit ich diese Forschung machen kann. Also, gucken, dass man eine Stelle hat. Dass - ich bin mit meiner Familie hierhingezogen - dass auch mein Mann irgendwie unterkommt. Also, dass man all das irgendwie zustandebekommt, was nötig ist, damit man sich in Ruhe hinsetzen und forschen kann. Das war, wie Sie sich denken können, im letzten Jahres super spitze, mit geschlossenen Kitas, hab ich total produktiv gearbeitet, war noch nie so toll. Also, das ist tatsächlich das, was es wirklich frustrierend macht und was es dann auch frustrierend macht, dazu gehört eben auch, dass ich - was auch Spaß machen kann - ständig erklären muss, was ich da eigentlich mit zu schaffen hab. Ich bin weder Botanikerin, noch ist es so „richtige Germanistik“, was ich hier mache. Und wenn ich auf dem Germanistentag sowas vorstelle, dann ist das immer „hübsch“. Die Frau Nitzke, die macht was mit Bäumen, das ist auch schön, das kann die auch gern mal machen, aber es ist immer sehr viel Arbeit, bis die Leute das richtig ernst nehmen. Da kommt dann halt so eine „arboreale Poetik“ mal um die Ecke und dann wissen die Leute schon: „Jaja, die kann die Worte schon schmeißen, wenns sein muss“.
Und der Motivationsfaktor ist… Also erstens hab habe ich noch ein Regal voller so schöner Bücher kaufen „müssen“ und es sind wirklich bemerkenswerte Dinge, die in Texten passieren und die zeigen, was tatsächlich auch eine interdisziplinäre Herangehensweise an Wissen – und jetzt bewusst nicht nur formalisierte „Wissenschaft“ - sondern an Wissen bringen kann. Wo man einfach ein bisschen rührt. Und was gerade im Moment, wo aus verschiedenen Richtungen - auf mir sehr unangenehme Weise -wissenschaftliches Wissen angezweifelt wird, glaube ich auch sehr sehr wichtig ist, dass man gucken kann, welche Weisen gibt es eigentlich, Skepsis zu äußern, zu zweifeln. Alternativen zu erzählen, die eine Berechtigung haben, weil sie eben sozusagen etwas öffnen und nicht immer eindampfen. Das ist für mich - also da erlaube ich mir meine eigene Arbeit tatsächlich wirklich wichtig zu finden.
Diringer: Ja sehr sehr schöne Einordnung und gute Darstellung dann auch dieses Struggles. Aber wir hoffen natürlich, dass solche Veranstaltungen auch ein weiterer Motivationsfaktor sind. Und dementsprechend würde es mich freuen, wenn von eurer Seite aus auch Interesse gezeigt wird, im besten Fall in Form von Fragen. Gibt es denn schon erste Gedanken, Kommentare?
Gast: Bei Ovid sind dass, ich sag jetzt nicht Figuren, Bäume, ja, also Lebewesen außer Menschen, die aber selbstständig handeln, es ist eine reale Situation, die dringt nicht in eine Subebene ein, sondern hat dort ihre eigene Lebenswelt, wie meinetwegen Menschen. Aber was sie hier vorstellen, das ist ja was völlig anderes. Dort lebt ja der Baum oder was weiß ich wer, in der Welt des Menschen, notfalls als Erzählung, als quasi Subebene. Und führt dort ein eigenständiges Leben. Versucht eine Verbindung herzustellen. Mit der andern Hauptebene meinetwegen. Und da sehe ich auch einen ganz gravierenden Unterschied zu Ovid. Bei Ihnen sind das Pflanzen, speziell Bäume.
Wenn man dann mal E.T.A. Hoffmann nimmt, wo das ja fast immer Tiere sind. Also meinetwegen bei „Meister Floh“, da ist es der Floh. Oder duie Schlange hier bei… wie heißt die Geschichte schnell… oder bei Prinzessin Brambilla. Da spielt das ja immer fast in ner zweiten Ebene, in einer dritten Ebene. Der Leser weiß zum Schluss nicht mehr, in welcher Ebene bin ich denn. Er weiß bloß genau, in der Ebene kann die Geschichte nicht enden. Wie macht ers denn, dass es nun wieder in die Realität zurückkommt. Und plötzlich knallt eine Tür und da sagt der Johann, zu dem er die Geschichte erzählt, und plötzlich ist es wieder in der Ebene eins. Wie verhalten Sie sich denn in Ihren Erzählungen oder Geschichten oder Romanen oder was weiß ich?
Nitzke: Also, das ist ein ganz großartiger Strauß von Fragen und genau im Zentrum meines Buchs, weil das eine sehr unterschiedliche Literatur macht. Also bei Ovid würde ich es am besten andersrum sehen. Das Tolle an Ovid ist genau das, was sie beschrieben haben. Da kann eine Figur wie Daphne zu einem Baum werden, da werden die Finger zu Ästen, die Füße zu Wurzeln, die Haare zu Blättern. Das passt und dann ist der Baum sozusagen schon in der Figur angelegt, aber eben tatsächlich sozusagen kontinuierlich, sie muss nicht magisch verwandelt werden, sondern sie kann das sozusagen schon werden. Und ich hab - noch mal zur Motivation - ich hab neulich in einem Kolloquium vorgestellt, was ich da gerade so mache und hab mich anstatt mich mit den Kollegen in meinem Kolloquium sozusagen, in den Medienwissenschaften und Germanistik, habe ich mich bei den Altphilologen mit hineingeschlichen, um mal auszuprobieren, ob das, was ich so zu Ovid zu sagen habe auch hält. Und das, was bei Ovid interessant ist, ist das ja eigentlich umgekehrt ein Schuh draus wird. Ovid erzählt ja fast rückwirkend, weil die Geschichte von Daphne zum Beispiel ist die Frage, warum tragen eigentlich alle Leute Lorbeerkränze, um bis sich besonders zu rühmen. So, und dann fängt man zu erzählen: Ja gut, da war mal der Apollon, und der hat sich verliebt in diese Nymphe, die wollte ihn aber nicht, weil er sich vorher mit Amor angelegt hat und da gibt es diesen Liebespfeil und diesen Entliebenspfeil. Jedenfalls rennt Sie vor ihm weg, er kann sie nicht bekommen. Es ist aber klar, das wird nicht lange gut gehen. Sie bittet ihren Vater, den Flussgott, sie zu retten und dann wird sie zu einem Baum. Und Apollon liebt sie trotzdem noch, weil er ihre menschliche Gestalt in dem Baum noch erkennt. Er hört ihr Herz noch schlagen unter der Rinde. Das ist aus heutiger Perspektive gelesen auch so ein bisschen – nicht so ein bisschen – es ist massiv unangenehm, wenn man das liest, wie er sich dann trotzdem auf dem Baum setzt, obwohl sie gerade dachte entkommen zu sein. Aber es ist genau das, was sie sagen, ja, das ist eine gerade Linie auf der das stattfinden kann. Es gibt einen Roman vom amerikanischen Autor Richard Powers, der heißt in der deutschen Übersetzung „Die Wurzeln des Lebens“. Ich muss immer so lange überlegen, weil es auch einen Pflanzenphilosophen gibt, Emanuele Coccia, da heißt das Buch „Die Wurzeln der Welt“, weil auf Deutsch muss immer alles Wurzeln haben. In diesem Roman jedenfalls wird Ovid als Intertext, also d. h. als Bezugstext genommen, um genau diese Kontinuität wieder zu zeigen. Der macht also nicht nur… da kommt ein ähnliches Buch wie das von Wohlleben vor, also ein Buch im Buch. Womit wir fast schon bei Hoffmann sind, ich komm noch dahin. Der versucht aber sozusagen von diesem antiken Text - 2000 Jahre alt - mitzunehmen, dass es eine Kontinuität gibt, dass es keinen Kategorialen Unterschied gibt zwischen der Welt, in der die Bäume leben und der Welt, in der die Menschen leben. Und da sind wir auch wieder bei der Nachfrage vom Anfang. Wir leben also in einer Baumwelt und nicht nur ist der eine beim anderen zu Gast, sondern man ist eben auch verbunden. In dem Roman von Richard Powers gibt es dann auch eine Wissenschaftlerin, die dann eben sagt, wie viel die Gene identisch sind usw. Das wird dann eben auch in einem anderen Modus gemacht, weil da eben keine Nymphen herumlaufen. Das ist zwar nicht plausibel für den Realismus dieses Textes. Da wird es über andere Sachen hergestellt. Was das bei so Ovid so interessant macht, ist dass Ovid ja nun alles andere als ein altvorderer Mythentext ist, das ist ja hochkomplexe Literatur. Also das ist wirklich, ich meine, wenn man anfängt in Hexametern zu schreiben, dann ist es kein spontanes Erzählen mehr. Und da und da genau zwischen bewegt sich das. Hoffmann ist ein anderes Problem. Denn diese Romantik, die muss damit leben, das eigentlich diese Kontinuität nicht mehr sein darf. Industrialisierung beginnt, Institutionalisierung von Wissenschaften beginnt, oder sowas. Und d. h. jedes Mal, wenn E.T.A Hoffmann erzählt, wie man in … „Die Elixiere des Teufels“ ist das glaube ich mit der Serpentina, oder? Jetzt weiß ich auch nicht, ob ich das gerade durcheinander werfe. Also da, da macht man halt so die Studierzimmer, das sind dann auch oft Gelehrte, die sich dann aber plötzlich, wenn man die richtige Tür zwischen den richtigen Bücherregalen aufmacht, ist das doch schon ein chemisches Ding und sind die doch Zauberer, und doch mit dem Teufel im Bunde und solche Sachen. Und da muss man aber schon am Anfang genau diese … da gibt es eben so Zimmern die gestapelten - apropos Poetik - ja also da ist dann ein Zimmer mit einer Geheimtür hinter der sich ein geheimes Zimmer befindet, das dann noch geheime Tür hat, wo man dann sozusagen beim Teufel ankommt. Ja, aber die genau diese Welten sozusagen übereinander stapeln und die immer wieder damit leben müssen, dass das eben eigentlich nicht sein darf, sondern Kontinuität. Und wie ich damit umgehe, ist erstens: Sehr lange zu erzählen, wie ich gerade wieder feststelle. Und zweitens zu schauen, wo Autor:innen heutzutage in ganz vielen - und es ist wirklich also aus einer Arbeitsperspektive erschreckend, wie viel allein in den letzten zwei Jahren an Baumtexten erschienen ist - wirklich versuchen, sich das Recht auch für die Literatur wieder herauszunehmen, zu sagen, „Da wird jemand ein Baum“. Das ist ein unerhörter Satz. Wir sind absolut bereit, dass bei Ovid zu akzeptieren, weil das ist ja 2000 Jahre alt, was wussten die denn schon. Also, das bisschen Hexameter und römische Kultur - pfff. Aber, das ist eben ein völlig unerhörter Satz und dann realistische Roman draufzuschreiben, das ist eben so eine Art von Störung, an der arbeite ich. Also, Sie haben im Grunde meinen Problemaufriss geschildert.
Gast: Aber was würden Sie sagen, wann der Umschwung vom Tier, bei E.T.A. Hoffmann beispielsweise, zur Pflanze erfolgt.
Nitzke: Das ist eine eher eine Frage, wann Literaturwissenschaften auf was aufmerksam werden. Also die Romantiker arbeiten fast genauso viel mit Pflanzen, wenn Sie an „Das kalte Herz“ denken von Hauff oder an Tieck, „Den Runenberg“. Und die ganzen Wälder, die wieder was können. Das ist eher eine Spezialität der einzelnen Autoren zu der Zeit oder Autorinnen. Bettina von Günderode hat super viel dazu gemacht. Ähm, jetzt habe ich sie durcheinandergebracht: Die Günderode von Bettina von Arnim, so. Ja, die arbeiten mit beidem. In der Literaturwissenschaft kann man das relativ genau sagen, da hat sich die… wo ich ja jetzt auch so dazu gehöre… also einerseits hat sich die ökologisch orientierte Literaturwissenschaft seit den 1990er Jahren institutionalisiert und das Interesse für Pflanzen ist in den letzten zehn Jahren wirklich groß geworden.
Diringer: Also ein ganz aktuelles Thema. Wir hatten hier noch eine weitere Frage.
Gast: Der Unterschied ist aber meines Erachtens doch, dort ist es immer in Form eines Märchens erzählt.
Nitzke: Nicht immer...
Gast: Aber als Realität, weil das bei E.T.A Hoffmann ja völlig anders ist, dort ist es Realität und dort spinnt sich die Realität, in eine immer andere Ebene.Und plötzlich denkt man dann, das kann ja wohl nicht mehr funktionieren. Wie will der das auflösen?
Nitzke: Aber das ist genau die Art von Zuordnung, gegen die ich mich setze, weil das ist wirklich sehr unterschiedlich und mit der Perspektive, aus der ich arbeite, stellt sich das tatsächlich differenzierter noch mal dar. Also das ist auch der Effekt - das, was sie gerade gesagt haben, ist nicht falsch. Aber dass das immer als Märchen erzählt wird, liegt auch daran, dass das in der Schule und in der Universität usw. immer als Märchen unterrichtet wird. Da stehen dann Leute wie ich und sagen ihren Studierenden: „Ja, aber im Endeffekt ist das natürlich ein Märchen“ und die müssen das dann aufschreiben, denn wenn sie es nicht aufschreiben, kriegen sie halt ne Vier. Das ist jetzt ein bisschen sehr vereinfacht, aber – Frau Flecks guckt schon - ja aber, das ist eher eine Frage, wie mit diesen Texten gearbeitet wurde, als was in diesen Texten drinsteckt. Weil wenn man die noch mal anguckt und noch mal liest, dann öffnen sich da wirklich noch mal ganz andere Welten. Also, da verweise ich jetzt mal auf mein Buch, das dann irgendwann erscheinen wird.
Diringer: Ich denke auch, dass wir auch im Zuschauerraum alle unsere Bücher nochmal anders reflektieren werden. Noch ein kurzer Hinweis. Wir nehmen das Ganze auch als Audiodatei auf, damit es im Nachhinein auch einem größeren Publikum zugänglich ist. Von daher würde ich euch alle bitten, wenn ihr die Frage formuliert, ganz kurz zu warten auf das Mikrofon und dann haben wir auch die ganze Frage immer schön auf der Aufnahme mit drauf. Denn ich kann auch schwer unterbrechen und die Frage nochmal wiederholen, weil hier ja ein Dialog entstehen soll. Also ganz kurz gedulden und dann kommt das Mikro zu euch geflogen durch unsere Helferin. Jetzt würde ich sagen, die nächste Frage…
Gast: Ja, also du hattest es grad schon angesprochen, dass es mehr und mehr Literatur über Bäume gibt. Was mich interessieren würde: Zum einen, was sagt es aus, dass so viele Bücher über Bäume jetzt entstehen und wie werden Bäume unterschiedlich in unterschiedlichen Zeiten vielleicht verarbeitet, ohne dass es jetzt ein Motiv sein muss, sondern einfach, was heißt das und was sagt das dann, wie der Diskurs der Öffentlichkeit verläuft. Und das ist vielleicht die zweite Frage: Welche öffentlichen Diskurse - oder gibt es öffentliche Diskurse, die gerade diese Baumbücher anstoßen?
Nitzke: Also, wenn ich das aus der Literaturperspektive beantworte, Literatur im engeren Sinne, da sind die Bäume im Moment deswegen auch ein besonders dankbares Sujet, weil sie durch die öffentlichen Diskurse nach, denen du auch fragst, ganz neue Fähigkeiten zur haben scheinen. Ja, also ich hab Alexander Demandt erwähnt, der eben als eines seiner letzten Großwerke als Historiker diese Geschichte des Baums schreibt, weil das so schön ist, weil die Bäume sich nicht verändern. Das ist halt überhaupt nicht mehr der Stand der Dinge. In der öffentlichen Diskussion - dient nicht zuletzt also gerade in Deutschland massiv um Peter Wohlleben kreist und eben dieses „Geheime Leben der Bäume“ - aber eben auch gerade aus den USA und England, aus Italien durch Stefano Mancuso und „Die Intelligenz der Pflanzen“ heißt dessen Buch - massiv in Bewegung geraten ist. Und da ist gar nicht so sehr interessant, ob das jetzt stimmt, was die sagen oder nicht nicht. Das ist für die meisten - also gerade für Literaten ist es voll „Who cares?“, also ganz ehrlich, aber die Vorstellung, das es plausibel genug ist, über Bäume als intelligent, als kommunikativ und als sozial zu sprechen, ist eine Infragestellung dessen, was man meint ja sehen zu können. Die macht es literarisch interessant, und die macht es vor allem literarisch interessant, um Geschichten zu erzählen, von Leuten oder von Figuren, die sonst nicht romanfähig sind. Also warum sollte man - es gibt, das haben wir in dem Metamorphosen-Seminar ja gelesenen, den südkoreanischen Roman „Die Vegetarierin“ von Han Kang. Wo auch eine Frau eben zum Baum wird. Und was daran erzählt wird, an diesem skandalösen Bedürfnis, sich in einen Baum zu verwandeln, ist, wie eingeschränkt ihre Entscheidungsfreiheit ist. Die hört am Anfang auf, Fleisch zu essen und das ist die eigentlich schon vollkommen aus der Gesellschaft ausgestiegen. Ihre Familie versucht, sie dann zu zwingen. Dann geht es um die Frage, ob sie selbst begehren kann. Das kann sie dann erst als Pflanze. Und auch hier, in „Die Betrunkenen Bäume“ ist das, was den Baum so interessant macht, das, was ich Dendromorphisierung nenne. Dass Menschen sich aus ihrer Menschlichkeit heraus begeben können. Und das macht es auch so interessant bei Pflanzen und Bäumen eben im Vergleich zu Tieren, also wenn man das vergleicht. Baum-Mensch, Baum-Tier. Wenn man also einen Hund nimmt. Das ist aus der Perspektive schon fast dasselbe, also ob man jetzt ein Hund ist, oder nicht. Das ist natürlich schon ein bisschen was anderes. Aber der Weg vom Mensch zum Hund, zum Wolf, zum Affen - das sind ja die typischen Tiere, die vorkommen - aber selbst zum Käfer oder zum Ungeziefer, wenn man an Kafka denkt – ist nicht halb so weit wie der zu einem Baum. Weil da alles anders ist und gerade eben auch eine Form von Hypermoderne-Kritik sich mit verbindet. Ja, also wenn wir über Beschleunigung reden, wenn wir über unsere Vernetzung reden, wenn wir über die Arten und Weisen, wie kommuniziert wird oder nicht sprechen, dann können Bäume sozusagen einen Perspektivenwechsel einläuten, der eben auch für die literarische Form interessant ist. Und da passieren total aufregende Sachen. Wenn man sich die Lyrik von Marion Poschmann anguckt, zum Beispiel, dann ist es Nichts, was jetzt plötzlich ganz neue Formen herausbringt. Sondern gerade da, wo es um Bäume geht - Christian Lehnert ist auch so ein Fall – sind es plötzlich ganz alte Formen. Da gibt es dann Sonettenkränze. Ja, ich dachte, ehrlich gesagt, sowas gibt's nur noch irgendwie im Germanistik-Grundkurs. Ja, aber da werden plötzlich so alte Formen reaktiviert. Oder sowas wie Ovid wird plötzlich wieder ein ganz moderner Text und man kann da ganz anders drüber reden. Das hat mit der Dennis Pausch aus der Latinistik auch erzählt, dass seine Studierenden ganz anders solche Texte noch mal lesen. Und das ist das, was es so interessant macht. Und die öffentlichen Diskurse um die es da geht, sind, welche, die für mich auch so interessant sind, weil sie noch mal neu diskutieren, was Literatur eigentlich kann.
Also die öffentlichen Diskurse sind, ich habe das gerade schon angedeutet… Andreas Roloff, Forstbotaniker hier in Tharandt, da war ich. Der fragte mich auch gleich so: „Na, wie halten Sie’s denn mit dem Wohlleben? Was finden Sie denn?“. Und da saß ich da… Und ich so: „Hm, naja, also mich muss das ja inhaltlich nicht so interessieren, da brauche ich mich ja nicht so zu positionieren.“ Natürlich kann man sich schön ausreden, aber mich interessiert tatsächlich eher die Art und Weise, wie das jemand erzählt und dann hier, so eine wirklich zum Teil auch sehr – man kann jetzt radikal vereinfacht sagen - man kann auch irgendwie „heruntergebrochen“ sagen. Je nach dem wie man das gerade findet. Weil so Sozialleben unter Bäumen zu erzählen, ist einerseits so ein bisschen mit der Brechstange, andererseits aber eben auch was, was - nicht nur bei Wohlleben, sondern auch bei anderen, aus der Verzweiflung gegenüber der Ignoranz von echten Menschen gegenüber wirklichen Bäumen, also im Sinne von, „Wenn ich mit dem Knie dagegen haue, tuts weh“ – das meine ich jetzt mit wirklich. Und da geht es dann tatsächlich auch um die Art und Weise, wie kann man sich eigentlich in einer Welt bewegen – deswegen sag ich das auch immer: „Wir leben in einer Welt der Bäume, nicht umgekehrt“. In der wir - ich hab es als Kind schon ständig gehört: „Der Regenwald, der Regenwald und es gibt bald keinen mehr“ - und das war die große Zeit von saurem Regen und sonstigen Sachen. Und man sitzt da und man schwitzt und es ist das vierte Jahr in dem man denkt: „Ja, gut, also so richtig, mit regnerischem Sommer ham wers nun auch nicht mehr“. Und trotzdem wird wieder eine Fläche freigegeben, wo komplett abgeholzt wird – ich darf gar nicht anfangen - wird ein Wiederaufforstungsprogramm gemacht, wo der komplette im Boden mit allem, was irgendwie abgebrannt ist, abgetragen wird. Mit diesen riesigen Harvestern, um dann neue Pflanzen zu setzen, von der gleichen Art, die vorher schon nicht funktioniert hat. Da geht es dann tatsächlich auch um Ffragen, wo Leute sich bemächtigt fühlen, zu sagen, „Ja, aber ist das nicht so?“. Und das, was mich, interessiert, was mich auch so ein bisschen freut, ist das, weil zum Beispiel jemand wie der Wohlleben, so erzählt, wie er erzählt, spricht der Leute nicht nur an, sondern er gibt den auch was in die Hand, um so richtig zu nerven und so richtig zu stören und so richtig Leute zu zwingen, zu erklären, warum das eigentlich so ist, und nicht anders. Und da ist glaube ich wirklich gerade was in Bewegung.
Diringer: Das ist da auch in den öffentlichen Diskursen. Und „Die Vegetarierin“ zum Beispiel hat meine Mutter mir geschenkt, unter anderem weil ich mich eben auch vegetarisch-vegan ernähre. Wer genau ist denn so das Klientel, die das jetzt in letzten 10 Jahren, wo so viel aufkam, gelesen hat, lesen wird. Studierende? Auch Jugendliche von Fridays for Future? Die Literaten? Die Forstwirtschaftler? Kann man das irgendwie abgrenzen?
Nitzke: Also das kommt auf das Buch an. Ich muss jetzt sagen, wenn man jetzt hier so eine Reihe nimmt, von Matthes und Seitz. Judith Schalansky, die das gestaltet, sagt, das ist so ein doppeltes Biotop. Einerseits ist es sozusagen eine bestimmte Naturauffassung. Das sieht man hier auch, die sind unheimlich schön gestaltet. Die sind illustriert und so ein Ding kostet dann 35 oder 38 €. Das richtet sich jetzt nicht direkt an eine große Öffentlichkeit, muss man mal so sagen. Man könnte auch sagen, das schließt viele Leute aus. Also, viele von den Sachen lesen die Leute, die sowieso lesen und die sich dann auch schöne Bücher in den Schrank stellen. Das gilt im gewissen Maße auch für diese Kinderbücher. Ich hab hier Piotr Sochas „Bäume“ mitgebracht. Der hat auch ein ganz schönes Buch über Bienen, was mit ganz tollen Infografiken gemacht ist. Das ist jetzt für alle Audio-Zuhörer doof. Also, da geht’s dann von Stammbäumen über die Tiere, über Baumhäuser und alles mögliche.
Diringer: Ja die Zuhörer können ja mal vorbeikommen und dein Regal begutachten.
Nitzke: Ja, juhu. Oder mir auf Twitter folgen, da poste ich sowas auch ständig. Also natürlich kaufen nicht alle Eltern ihren Kindern diese Bücher. Andersrum: Nicht alle Eltern machen das so wie ich und kaufen SICH diese Bücher und halten Sie Ihren Kindern vor die Nase, damit sie einen Grund haben, die Bücher zu kaufen. Aber sowas steht dann eben auch in Bibliotheken, also gerade die Bücher, die sich an Kinder richten.
Ich möchte auch nochmal zu Wohllebens Ehrenrettung sagen: Die Wohlleben Kinderbücher sind mit Abstand besser als die, die sich an Erwachsene richten. Offenbar muss man Erwachsenen Sachen – wenn ich das so sagen darf - ein bisschen blöder verkaufen als Kindern. Kindern wird in diesem Sachen mehr zugetraut, auch weil die eben kein Problem damit haben, wenn anthropomorphisiert ist und in echt redet. Also gerade bei den Kinderbüchern habe ich schon den Eindruck, dass das eine große Reichweite hat. Robert McFarlane, hat ein Buch gemacht, das heißt „The lost words“ – „Die verlorenen Wörter“. Das ist hier auch bei Matthes und Seitz erschienen. Aber die haben in England eine ganz große Aktion gemacht, wo sie per Crowdfunding dieses Buch an praktisch alle Schulen in Klassensätzen verteilt haben. Weil das Prinzip dieses Buchs ist, dass sie Worte, die aus dem Oxford English Dictionary gestrichen wurden, weil man sie nicht mehr braucht, sowas wie King Fisher, also der Eisvogel verschwindet dann für sowas wie Smartphone – das geht natürlich gar nicht. Da ist kulturkritisch direkt die Hölle los. Ich freu mich immer über solche Geschichten.
Aber die haben dann eben auch so eine alte Form. ABC Gedichte, die eben früher auch genutzt wurden, um Schülern was beizubringen. Wunderschön illustriert. Und die haben die Bücher einfach verschenkt. Ja, sowas gibt es auch. Lange Rede, kurzer Sinn. Also dass ist mit den meisten Büchern und Literaturen so: Das lesen die Leute, die eh lesen. Also ich möchte mir jetzt auch nichts vormachen. Ja, das ist jetzt nicht plötzlich, dass alle Leute anfangen und sagen: „Oh, Literatur! Sonettenkranz!. Das ist es doch!“. Aber es bringt auch mehr Leute - und da würde ich mich jetzt mal unbescheiden selber zu zählen - mehr Leute dazu, davon zu erzählen und dann plötzlich anzufangen, Formate zu machen, in denen… Letztes Jahr war im Brechthaus zum Beispiel was… in denen über Ökologie gesprochen wird und ganz selbstverständlich ist dann Literatur dabei, sind dann Wissenschaftsjournalistinnen dabei. Und diese Mischung, die macht’s, glaube ich.
Und dann habe ich noch so ein Buch, das vielleicht auch noch… Ja, also gut, der Wohlleben hat natürliche eine Riesenreichweite, aber hier Caroline Ring hat dieses Buch geschrieben: „Die Botschafter des Lebens. Was Bäume in Städten erzählen“. Und das ist eine Mischung aus Nature Writing und Reiseführer. Die ist mit Bus und Bahn - was ich sehr sympathisch fand, weil sie gesagt hat, sonst kommt man ja doch nicht zu den Sachen - zu verschiedenen Bäumen in Deutschland gefahren, hat deren Geschichten gesammelt. Und wirklich so „Was macht ein Maulbeerbaum? Aber warum steht der auch in dieser und jener Stadt? Und dann gibt’s eben die Mammutbäume in Stuttgart, weil der Stuttgarter Fürst zu der Zeit hat zu viele Samen bestellt und hat die dann all seinen Freunden verschenkt und die wussten nicht, was sie machen, haben die dann einfach in den Garten geworfen und mittlerweile kann man, wenn man an einer bestimmten Stelle steht, in Stuttgart sehen, wenn die dann mal so 200 Jahre wachsen dürfen, sieht man schon die werden höher als so der übliche Baum der da halt rumsteht. Und solche Sachen.
Und diese Sachen haben auch, sozusagen eine Form des Nature Writings, die schon noch mal weiterreicht, weil sie eben nicht mit dem großen Tatatata - Bachmann Preis war ja jetzt gerade – Literaturding. Ganz ehrlich, ich les sowas ja auch nicht so gerne, wenn da groß draufsteht: „Das ist jetzt hier Literatur“ und dann muss man sich anstrengen. Ist jetzt auch nichts, was ich unbedingt machen muss. Und ich glaube gerade so in diesen Formaten, die von vornherein auf Kommunikation ausgerichtet sind und die auch was über Bäume erzählen wollen, damit die da einfach weiter wachsen dürfen. Da passiert schon viel. Und dann passiert natürlich auch viel darüber, dass wenn jetzt die nächste Diskussion über den Hambacher Forst ist. Leute einfach was machen. Fridays for Future. Was interessanterweise sich gar nicht so sehr sich auf Literaturen bezieht, und das halte ich für sehr kluge Idee, dass man nicht schon wieder irgendwie so intellektuelles Movement macht, wo dann die klugen Leute mit den Büchern kommen und sagen, so jetzt müsst ihr alle mal zuhören. Sondern die das halt auch selber sehen. Aber dieses sehen lernen und hören lernen und auch riechen lernen. Es gibt tolle Bücher über den Geruch von Bäumen. Das ist schon was, was man auch weitererzählen kann.
Diringer: Es ist auch sehr schön, mit allen Sinnen zu erfahren, hier mitten im botanischen Garten, haben wir das natürlich auch. Wir hoffen, die Audio-Zuhörer dann vielleicht auch auf Balkon oder Ähnlichem. Ich möchte gern nochmal in die Runde blicken.
Gast: Ich hab gleich zwei Fragen. Die erste Frage, da möchte ich ein bisschen was vorher sagen. Also ich kann mich gut erinnern, als Kind hatte ich ne besondere Beziehung zu Bäumen. Ich bin auf dem Dorf groß geworden und da gab es immer so Bäume, wo ich gern hingegangen bin und die so ein bisschen mein Seelentröster und mein Beichtvater waren. Jetzt im Alter fange ich wieder an mich mit Bäumen zu beschäftigen und Wohlleben ist gerade bei mir in meiner aktuellen Bücherliste mit drin, den lese ich gerade. Für mich ist jetzt mal interessant: Wieso haben Sie sich einem solchen Thema verschrieben? Was gab es bei Ihnen für einen Auslöser? Gab es da irgendetwas? Und die zweite Frage, welcher Baum sind Sie?
Nitzke: Bei der zweiten Frage bin ich froh, dass Sie mir nicht als erste die Frage stellen. Als man mir erstmals diese Frage gestellt hat, bin ich beinah vom Stuhl gefallen, weil ich bei allem Reden darüber, wie sehr ich mich gerne an den Grenzen bewege, natürlich schön in meiner Wissenschaftsposition sitzen bleibe.
Also zur ersten Frage. Ich mochte Bäume auch immer schon, aber da bin ich auch nicht alleine, also, das ist auch das Schöne an dem Thema. Die meisten Leute unterhalten sich gerne auch über Bäume und eigentlichem haben fast alle solche Bäume. Ich hatte auch… Also bei uns gabs so eine schöne Buche im sogenannten „Sumpf“, also da war so ein unbebautes Gebiet hinter dem Haus, wo ich aufgewachsen bin - das gibt es jetzt natürlich nicht mehr – und da konnte man ganz gut drauf klettern und lesen und da hab ich immer geschmollt, als ich 13 war. Das war ein guter Baum. Wie das gekommen ist, ist ganz profan. Ich musste mir ein Habilitationsprojekt suchen und meine Chefin damals in Wien hat ganz klar gesagt, „Jetzt kannste nicht wieder sowas abgefahrenes mache. Jetzt musst du dir mal was vernünftiges suchen, was auch nach Germanistik aussieht“. Ja, ist kein Spaß. „Guck doch mal, ob du Klima irgendwie mit Österreich zusammenkriegst, weil wir sind ja in Wien“. Und dann bin ich über die Dorfgeschichten zum Wald gekommen. Und das ist auch ein tolles Thema, ja keine Frage, ich finde dann auch da irgendwie coole Sachen. Und dann sieht das Buch von außen aus wie Germanistik, und da krieg ich schon noch was rein was Spaß macht. So und dann kam eine Kollegin aus Bochum über Facebook - also auch die bösen sozialen Medien – und sagte „Wär doch eigentlich mal witzig, wenn mal einer was über Bäume macht.“ Daraus ist dieses Buch entstanden. Und dann hab ich angefangen zu lesen, konnte echt nicht mehr aufhören. Weil da eben auch solche Sachen kommen… Dann kann ich jetzt noch einen Literaturtipp geben: „Der Gesang der Bäume“ von David G. Haskell. Das wird Ihnen richtig gut gefallen. Kann ich gleich nochmal sagen.... Weil das auch so ein Zwischending ist. Der ist auch Forstökologe und machte diese Sachen.
So und ich muss zugeben, seit ich das mit den Bäumen mache, mach ich auch Sachen im Selbstversuch. Also ich steh viel öfter nah dran und fass auch mal an. Ich gucke immer, dass nicht so viele Leute das sehen, wenn ich allzu umarmig werde. Und auch aus Prinzip. Ja, wenn mich das nächste Mal beim Germanistentag einer fragt „Fängste jetzt auch an, mit dem Bäume umarmen“, sag ich: „Klar, du nicht?“-
So, welcher Baum ich wäre? Also, gestern habe ich behauptet, ich wäre gerne eine Zitterpappel. Weil, wie man in einer völlig windstillen 38°-Hitze stehen kann und trotzdem noch so elegant vor sich hin rauscht…. Das würde ich gern auch können. Also, ich muss gar nicht so ein ganz uralter sein, aber so ne Pappel, das wär schon so ein Ding.
Gast: Sie haben ja nun gesagt, dass Sie ein ganz gut gefülltes Bücherregal mit jeder Menge Baumbüchern haben und haben Sie denn da ein Lieblingsbuch?
Nitzke: Ja jede Woche ein Neues! Also ja, auch so ein Zwischending zwischen Literatur und Nature Writing. Das gibt es jetzt leider noch nicht in deutscher Übersetzung von Fiona Stafford, die ist Literaturwissenschaftlerin in Oxford. „The long long life of Trees“ – Das lange lange Leben der Bäume. Und da geht sie so die Baumarten durch und sammelt eben auch alle Geschichten, die man dazu so finden kann. Das finde ich wirklich, wirklich toll und ansonsten bei den Romanen kann ich mich nicht so festlegen. Also Esther Kinski hat mich schon sehr sehr beeindruckt. Aber das ist jetzt nicht so ein Lieblingsbuch wo ich sagen würde, da setze ich mich mal gemütlich in meinen Sessel. Das ist wirklich eins, das hat mich wirklich beeindruckt, weil es einen auch aufwühlt, auf eine besondere Weise. Und die Haskell-Bücher sind toll. Die sind wirklich toll.
Diringer: Also auch wieder eine breite Empfehlung. Wir setzen uns dann auch die nächsten Tage gleich an den Schreibtisch, um uns eine Prioritätenliste zu schreiben
Gast: Dann vielleicht eine gute Anschlussfrage. Und zwar würde mich interessieren, wie du aussuchst, mit welchen Büchern du dich beschäftigst. Gerade auch, wenn du sagst, dass die Auswahl so groß ist. Und das andere, was ich mit in die Diskussion bringen wollte. In den letzten Tagen hatten wir von der tuuwi aus einen Projekttag zu Wildnispädagogik organisiert. Und da Wahrnehmungsübungen gemacht. Und das rundet das ganze jetzt ganz gut ab. Und ich find das auch ganz spannend, denn ich habe gerade auch Martha Nussbaum gelesen. Und das scheint sich auch so viel auf emotionstheoretischere oder emotionshaftere Forschung zu begeben. Also zu verstehen, dass wir die Sachen rational betrachten können, aber auch Emotionen mit ienbeziehen sollen. Das wollte ich mit anbringen, weil ich glaube, dass das etwas ist, das du auch mit anstoßen möchtest. Aber ansonsten würde mich interessieren, wie du die Auswahl überhaupt triffst.
Nitzke: Also von hinten her beantwortet: Das ist so. Du warst ja bei mir auch schon im Seminar, du weißt das auch. Also, beim ganz schmusigen hör ich auf. Ich mag schon, auch wenn das dann literaturwissenschaftlich fundiert ist, wenn man weiß… Also, es ist für mich schon auch was anderes, wenn ich in so einer Runde hier drüber rede. Also von jetzt aus glaube ich nicht, dass ich sage, welcher Baum ich bin, in dem Buch was ich schreibe. Ich möchte es nicht ausschließen. Aber das ist schon so, dass diese Emotionssachen… und das ist natürlich, wenn man Martha Nussbaum dazu nimmt, hat man eine Gewährsform um diese Sachen. Aber es gibt eben verschiedene Wege, Dinge zu wissen, die auch verschiedene … Also die müssen nicht einfach nur, weil ich das halt so finde, sondern die eben auch bestimmte Sachen auslösen. Und da glaube ich, braucht es tatsächlichen Diskurs, auch zu sagen, dass auch Emotionen nicht total beliebig sind. Also nur weil ich gerade finde „Das und das wirkt bei mir nicht“. Wenn dann 20 Studien zeigen: „Doch“. Dann kann ich das finden, wie ich will, dann ist das Blödsinn. Also, das ist mir wirklich wichtig, dass das dazu kommt.
Aber mit dem Aussuchen... Das ist jetzt gerade die ganz große Aufgabe, vor der ich stehe. Also ich suche natürlich überhaupt nicht aus, wie man auch an meinen langen Antworten merkt. Sondern ich quetschte einfach so viel ich kann in so Sachen rein. Aber ich ordne das systematisch, also ich guck mir zum Beispiel… Hier „Hain“ interessiert mich, weil das um Mediatisierung von Bäumen geht. Ja, das gibt es bei Richard Powers zum Beispiel auch. Und dann suche ich mir einen Vergleichspunkt aus. Also, ich gucke mir zum Beispiel an, in dem Fall ist das „Fotografieren und Bäume“. Welche Medien, welche Techniken, welche Technologien setzen Texte ein, um Bäume oder bestimmte Eigenschaften von Bäumen plausibel zu machen in einem Text. Und hier ist es eben die Kamera, die bestimmte Dinge festhält und da geht es im Trauer, um die Frage eben auch „Kann man Erinnerungen eigentlich festhalten“.
Und interessanterweise, da ist sie nicht die einzige, sind solche Lebensbäume, die man hat, ja, also zu denen man eine Beziehung hat - wahrscheinlich ist der Baum im Garten bei der Oma ein wichtigerer Erinnerungs-Bezugspunkt als die Fotoalben. Bisschen runtergebrochen, aber das… Oder es gibt so eine Szene bei Richard Powers, wo dann jemand ein Daumenkino aus Bäumen macht, irgendwie über sechs Generationen. Ja, und am Ende hat man 1000 Fotos und kann sehen, wie der halt im Zeitraffer wächst. Und sowas guck ich mir eben an. Also ich guck mir Zeit an und ich guck mir Baumverwandlung an. So mach ich das. Also ich bin ja studierte Komparatistin, also vergleichende Literaturwissenschaftlerin. Und Äpfel und Birnen vergleicht man, indem
Man ein Drittes des Vergleichs, ein tertium comparationis, findet. Man sagt, das ist alles Obst und dann kann man diese Dinge alle zusammenbringen. Aber es wird ziemlich… ich fürchte das wird wie bei meinen Vorträgen und solchen Sachen auch… das wird halt ziemlich dicht. Also das wird wirklich sehr viel zusammenziehen und das ist mir auch wichtig. Also ist glaube, es bringt nichts, wenn ich da drei Close Readings mache und drei Romane sehr schön ausinterpretiere. Sondern ich will ja auch zeigen, dass es wirklich eine Literatur ist, die eben auch, sich über die Bäume so verschiedene Texte verbindet, die dann bestimmte Themen sozusagen nach vorne bringen.
Also suche ich nicht aus, und alles, was ich bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich endlich hinsetze und den Mist runterschreibe, kommt halt rein und dann wahrscheinlich noch 20 Sachen. Und dann wird es mir irgendwann ein Lektorin aus den Händen reißen müssen und schnell zum Drucker bringen und dann steht fest, was drin vorkommt. Das sollte ich natürlich jemanden, von dem ich Hausarbeiten einsammle, nicht verraten, dass ich so arbeite.
Diringer: Ein breites Thema. Wir sind auch so langsam gegen Ende der Veranstaltung. Aber ich seh jetzt noch eine Frage und dann hätte ich auch noch ein paar abschließende Worte an dich. Aber wir nehmen gern noch die letzte Wortmeldung.
Gast: Bis jetzt haben Sie ja Literatur vorgestellt. Und das Lesen ist ja eine tolle Unterhaltung. Was erwarten Sie jetzt eigentlich von den Menschen, die ihre Bücher lesen. Was erwarten Sie von den Menschen in Bezug auf die Bäume, auf die Natur und auf die Landschaftsgestaltung. Es muss sich doch auswirken irgendwo?
Nitzke: Also das ist der absolute Traum, dass es das tut. Also eins nochmal: Wenn ich Literatur sage, da meine ich, das sehr breit. Da zähle ich Wohlleben… also alles was zwischen zwei Buchdeckel passt, ist in meiner Welt Literatur erstmal. Ich guck mir auch zum Beispiel Ausstellungen an. Ich guck mir Simulationen - es gibt Computersimulation von Bäumen, wo man selbst sozusagen sich einbringt. Also ich mache das medial schon breiter. Sie trauen sich was vorauszusetzen, was ich nicht voraussetze. Ich bin Literaturwissenschaftlerin. Wenn ich es richtig gut hinkriege, dann kriege ich das Buch vielleicht bei einem großen Verlag unter. Wo es auch vielleicht mal jemand kauft. Üblicherweise lesen das die drei Leute die es hinterher begutachten müssen. Also, wenn ich wirklich Leute dazu kriege, mein Buch zu lesen, das wär schon spitze. Was ich mit dem Buch mache, aber auch sonst mit meiner Arbeit, dass ich heute hier sitze, auch immerhin am Sonntag, dass ich … ich mach viel bei Twitter. Ich hab die Kinderuni letztes, vorletztes Jahr hier gemacht. Das ist mehr sozusagen die Vermittlungsarbeit, die ich mache. Und das, was ich damit erreichen möchte und was ich - zumindest kriege ich das zurückgespiegelt - auch schon erreicht habe, ist, dass Leute anders hingucken. Und das ist ein Riesenunterschied. Das ist das Schönste, was mir bisher passiert ist in meiner Arbeit. Leute schreiben mir: „Ich gucke mir Bäume anders an, seit ich deinen Vortrag gehört hab.“ Und Leute gucken und lesen noch mal anders, finden in Texten andere Dinge, die sie vorher nicht gelesen haben, kommen da noch mal anders rein und fangen selber an zu erzählen.
Das mit den Landschaftsgestaltern, das gehe ich jetzt einfach direkt an. Ich hab mit einem Kollegen, der auch über Dörfer gearbeitet hat, eine Zusammenarbeit, da bin ich jetzt einmal im Jahr. Der Macht mit seinen Landschaftsarchitekt:innen im Kurs immer so eine Projektpräsentation. Und da bin ich quasi Jurymitglied. Und es ist total super, da bin ich einmal im Wintersemester, in der letzten Woche vor Weihnachten. Und eine total schöne Atmosphäre. Und die sollen halt Geschichten schreiben. Der hat so ein Konzept entwickelt, wo ich ehrlich gesagt auch anfangs dachte: „Oh, das ist neu?“. Der schickt seine Leute immer dahin, wo sie was planen sollen. Ich sagte so: „Habt ihr das vorher nicht gemacht.“ Und er sagte: „Nein, normalerweise kriegen Landschaftsplaner den Flurplan und dann planen was und schicken es zurück und irgendwer muss das pflanzen. Und er schickt die Leute wirklich dahin. Da gibt es dann so Wandersachen und so. Und da komme ich dann mit rein, da geht’s dann wirklich ums Geschichtenerzählen. Und dann sollen die Geschichtenerzählen und dann komm ich halt dazu – und sag ihnen nicht, was sie da eigentlich gemacht haben, sondern guck aus meiner Perspektive dort drauf. Und ich meine, das machen wir jetzt seit ein paar Jahren, und wenn das noch ein paar Jahre sind… Das ist so ein bisschen… Ich mach immer so eine „Schüler:innen-Rechung“. Wenn vor mir Lehramtsstudent:innen sitzen und sagen „Naja, ich mach ja NUR Lehramt“, sage ich: „Sie machen in den nächsten 40 Jahren diesen Job. Das kann ich von mir nicht behaupten. Da haben Sie jedes Jahr 120 Schüler:innen vor der Nase. Denen erzählen Sie über 40 Jahre immer wieder was über Literatur. SIE sind diejenige, die wirklich Einfluss hat. Und das ist bei den Landschaftsplanern auch so. Und da hoffe ich - bilde ich mir in meinen guten Tagen Motivation ein, dass man da auch was machen kann. Und am Ende ist es sonst einfach nur eine Begeisterung für Texte und Offenheit für die Fragen, die man sich damit stellt.
Diringer: Auf jeden Fall ein schönes Abschlussthema und ich würde sagen, die Stunde ist verflogen. Zumindest kam es mir so vor. Es sind auch sehr spannende Themen. Ich denke, du bleibst vielleicht auch noch fünf Minütchen hier an deinem Buchtisch. An sich glaube ich, war es ein schöner Rundumschlag von Ovid über Tiervergleiche mit E.T.A. Hoffmann. Wir haben uns methodischem Vorgehen angenähert, wie du arbeitest. Jetzt nochmal, welchen Impact, welchen Einfluss du dann auch erhoffst, zu haben. Und vielleicht nochmal als allerabschließendes Wort, um dann auch nochmal an dich zu übergeben als Hauptprotagonistin hier, dann noch die Frage: Was steht denn danach an? Gibt es denn Pläne? Du meintest ja schon, dir muss das Manuskript dann aus den Händen gerissen werden, das klang so, als würdest du nicht direkt einen Plan haben? Zumindest vielleicht zukünftige Ideen?
Nitzke: Naja, also, den Plan muss ich natürlich machen. Solange das Projekt noch läuft, bis März 23, kann ich mir ja vorstellen, ich schreib da für immer dran. Ich habe mich neulich auch gefragt, wie ich mich jemals wieder so für irgendwas interessieren soll. Und dann habe ich nächsten Antrag schon wieder in Planung. Also, die wissenschaftliche Antwort ist da ganz klar. Während ich das mache, schreibe ich die Anträge für die nächsten Stellen. Bewerbe mich. Aber ich meine ganz eindeutig, ist das so ein cooles Thema, und das wird ein Spitzen-Buch und da werden mir Professuren nachgeschmissen. Also, da habe ich keine Sorge. (Lacht) Man hört immer, wer die Wissenschaftler sind: Die, die am lautesten lachen. Naja, also, ich muss mir natürlich nen Job suchen weiterhin, aber ich werde, glaube ich, nicht grundsätzlich mehr von den Leitfragestellungen abweichen. Ich hab ein Problem – äh, ein Projekt zur Wissenschaftskommunikation. Und ich werde die Dörfer auch noch mal aufgreifen, da sitze ich an einem größeren Antrag zur prekären Natur in Europa. Und im Moment stimmen mich die Bäume optimistisch - das war sehr schön - das ist ja auch Drittmittel-gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung – dass es offensichtlich langsam einen Markt gibt. Leider ist es so, als Wissenschaftlerin brauche ich das. Ich brauche einen Markt, auf dem ich mich bewegen kann, mir meine Nische suche und so was. Und ansonsten, wenn es nicht klappt, in der Universität zu bleiben, dann werde ich einfach meine Quasselfähigkeiten in die Welt nehmen und irgendwie selbst gucken, was ich da noch schreiben kann. Gibt noch viel zu tun.
Diringer: Also auf jeden Fall alle bei Twitter, haben wir ja schon gehört, schauen, was du so am treiben bist. Ich wollte dir schon eine rosige Zukunft prophezeihen, aber eine bäumige Zukunft passt da vielleicht doch ein bisschen besser. Ja, mir bleibt nur noch euch zu sagen: Vielen Dank, dass ihr alle da wart. Ihr euch so rege beteiligt habt. Sehr spannende Fragen auf jeden Fall. Auch an den Botanischen Garten für die Organisation, für die Initiative. Und es ist ja nicht die letzte der Veranstaltungen, wie wir ja schon gehört haben. Als nächstes wird Professor Michael Kobel aus der Kern- und Teilchenphysik, auch unter anderem mit spannenden Modellen, wie ich gehört habe, ganz haptisch hier Dinge vorführen und in Diskussion mit uns einsteigen. Also, merkt euch das schon mal vor, meldet euch fleißig an und wir freuen uns, wenn wieder viele Zuschauer da sind. Und insofern wünsche ich noch einen schönen Sonntagnachmittag und bedanke mich.
Nitzke: Ja, vielen, vielen Dank.
Am Sonntag, 18.07.2021, findet die zweite Veranstaltung der Reihe mit dem Kern- und Teilchenphysiker Prof. Michael Kobel statt. Anmeldungen sind noch möglich. Zur Veranstaltungsankündigung