07.01.2016
Ist Lichtemission ein Indikator für die wirtschaftliche Aktivität?
In weniger entwickelten Staaten – vor allem in Subsahara-Afrika und Asien – gibt es kaum verlässlichen Daten über die regionale Wirtschaftsentwicklung. Für viele volkswirtschaftliche Untersuchungen sind solche Daten jedoch notwendig, etwa wenn es um Fragen von Konfliktrisiken, ethnischen Unterschieden, der Konvergenz oder der Folgen von Naturkatastrophen und Klimaveränderungen geht. Ein Forscherteam, zu dem unter anderem auch André Seidel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, gehört, konstruiert nun die fehlenden Einkommensdaten aus Satellitenaufnahmen.
Was abstrakt klingt, ist von der Idee her eigentlich ganz einfach. Satelliten der NASA umkreisen 14 Mal täglich die Erde und machen dabei zahlreiche Aufnahmen, die z.B. für Wetterprognosen benötigt werden. Wenn die Fotos in den Abendstunden entstehen, dann wird als „Nebenprodukt“ auch die Lichtemission der Erde bei Dunkelheit erfasst. Wissenschaftler der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) isolieren dann menschengemachtes Licht von natürlichen Lichtquellen (z.B. Polarlichter und Waldbrände) und korrigieren die Bilder um Wolkenabdeckung, Staub in der Atmosphäre, etc. Übrig bleibt ein überraschend präziser Indikator für die wirtschaftliche Aktivität. Die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten, sei es der Konsum oder die Produktion von Gütern, die bei Dunkelheit stattfinden, erfordern Licht. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gezeigt werden kann, dass bei ansonsten unveränderten Rahmenbedingungen die wirtschaftliche Aktivität umso größer ist je größer die gemessene Lichtemission ist. Aus den Lichtdaten kann daher, dank der hohen Auflösung der Satellitenbilder, für kleinste Räume von ca. 1 km2 ein Maß für Regionaleinkommen geschätzt werden. Und das auch dort, wo gar keine statistischen Daten zur Verfügung stehen.
Der gesellschaftliche Mehrwert von Einkommensdaten auf regionaler Ebene liegt primär in der Möglichkeit Politikempfehlungen, die aus der ökonomischen Modellen abgeleitet werden, empirisch zu fundieren. In einer ersten Anwendung der geschätzten Einkommensdaten untersucht André Seidel gemeinsam mit Christian Leßmann von der TU Braunschweig z.B. die Bestimmungsgrößen von regionaler Ungleichheit. Ihre Kernfragen sind: Warum ist der Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen eines Landes teilweise so unterschiedlich? Was sind Bedingungen, unter denen die regionale Einkommensungleichheit zu- oder abnimmt? In Deutschland sind diese Fragen unter dem Stichwort Ost-West Konvergenz bekannt. Dahinter verbirgt sich die Frage des Aufholprozesses der neuen Bundesländer. Das Grundgesetz fordert in Artikel 72 die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet; unklar ist jedoch, mit welchen Instrumenten der Staat diese am effizientesten erreichen kann. Daher wird gerade in Deutschland intensiv über die Determinanten regionaler Ungleichheit geforscht. Ähnliche Einkommensunterschiede wie die zwischen alten und neuen Bundesländern, gibt es auch in anderen Staaten wo sie in Extremfällen sogar zu internen Konflikten beitragen können. Die gute Nachricht ist aber, dass sich neuen Studienergebnissen zufolge die Einkommen in der klaren Mehrzahl der Staaten über die Zeit angleichen – der Ökonom spricht daher von Konvergenz. Allerdings können zunehmende internationale Handelsverflechtungen den regionalen Konvergenzprozess behindern, während demokratische Institutionen den Prozess fördern. Woher genau diese Effekte kommen, ist jedoch noch nicht abschließend erforscht.
In künftigen Projekten wollen die Forscher die regionalen Auswirkungen von Naturkatastrophen untersuchen, genauso wie die Effekte von Infrastrukturinvestitionen, Rohstofffunden und Transferzahlungen wie z.B. der Entwicklungshilfe. Das Projekt läuft unter dem Titel des dazu veröffentlichen Arbeitspapiers „Regional Inequality, Covergence and its Determinants – A View from Outer Space“.