Jul 06, 2020
Weibliche Vormundschaft in der Frühen Neuzeit unter der Lupe
In vielen Territorien des Heiligen Römischen Reiches galt das Prinzip der männlichen Primogenitur. Das heißt, der älteste Sohn erbte den Herrschaftsanspruch von seinem Vater. Dabei fällt auf, dass viele Regenten zum Zeitpunkt ihres Herrschaftsantritts noch minderjährig waren. So war es nicht ungewöhnlich, dass ein nur wenige Monate alter Junge Graf, Herzog oder Fürst wurde. Natürlich konnten diese Kinder nicht selbst regieren. Das wurde von Vormündern beziehungsweise Vormundschaftskollektiven übernommen. In der Forschung fanden diese Regenten bisher nur wenig Beachtung. Dabei waren sie teilweise jahrelang an der Macht und steuerten maßgeblich die Geschicke eines Territoriums. Zudem war die vormundschaftliche Regentschaft für Frauen eine von wenigen Möglichkeiten, direkte Herrschaft legitim auszuüben.
Im Rahmen des DFG-Projekts "Weibliche Herrschaftspartizipation in der Frühen Neuzeit. Regentschaften im Heiligen Römischen Reich in westeuropäischer Perspektive" am Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte entsteht ein Handbuch, das Regentinnen und Regenten sowie Vormundschaftskollektive von 1495 bis 1806 nach Territorien erfasst. Damit soll ein umfassender Überblick über sämtliche vormundschaftliche Regentschaften im Heiligen Römischen Reich entstehen. Vor allem die weiblichen Vormünder werden so teilweise erstmals sichtbar. Mit der Arbeit an dem Handbuch sind Prof. Dr. Andreas Rutz, Stefanie Wenzel M.A. und Maximilian Gasch beschäftigt. "Die einzelnen Handbucheinträge zu den Territorien sollen von Experten kommen", lässt Stefanie Wenzel wissen.
Sie verfasst zudem ihre Dissertation zu dem Thema. Dabei fokussiert sie auf zwei Territorien, in denen es vergleichsweise häufig vormundschaftliche Regentschaften gab: die Herzogtümer Savoyen und Württemberg vom 15. bis 17. Jahrhundert. Ziel der Arbeit ist ein Vergleich der Handlungsspielräume von männlichen und weiblichen Vormündern. Während im Königreich Frankreich die weibliche Regentschaft bereits im Spätmittelalter rechtlich fixiert war, wurde dies im Heiligen Römischen Reich durch mehrere Umstände erschwert. Die nicht vorhandene königliche Zentralgewalt, die konfessionelle Spaltung und wechselnde interne Bündnisse trugen dazu bei. In ihrer Untersuchung möchte Stefanie Wenzel eine vergleichende Analyse der Regentschaften des 15. bis 17. Jahrhunderts in Savoyen und Württemberg bieten. Dabei spielen nicht nur rechtliche Aspekte und die Frage der Legitimation eine Rolle, sondern auch die politischen Handlungen der Akteure, das Selbstverständnis der Vormünder und die Akzeptanz der Untertanen.
Das DFG-Projekt soll dabei helfen, das Phänomen Regentschaft im Heiligen Römischen Reich territorial und geschlechtsspezifisch vergleichend zu untersuchen. Durch den territorialen Vergleich lassen sich die Befunde sowohl regional als auch gesamteuropäisch betrachtet interpretieren. Außerdem können Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf strukturelle und akteursbedingte Gegebenheiten zurückgeführt werden. Der geschlechtsspezifische Vergleich hilft dabei zu erkennen, ob das politische Handeln der Regentinnen Beschränkungen unterlag, die Männer nicht betrafen oder ob andere strukturelle Bedingungen entscheidender waren.
Weitere Informationen zu dem Projekt finden sich unter: https://tu-dresden.de/gsw/phil/ige/slge/forschung/forschungsprojekte/dfg-projekt-weibliche-herrschaftspartizipation-in-der-fruehen-neuzeit-regentschaften-im-heiligen-roemischen-reich-in-westeuropaeischer-perspektive