Invektive Asymmetrisierung. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus
Antragsteller: Prof. Dr. Uwe Israel †
Projektleitung: Prof. Dr. Gerd Schwerhoff, Prof. Dr. Christian Jaser (kooptiert)
Die Invektiven im Rahmen der Reuchlin-Kontroverse über die jüdischen Bücher (1510-21)
Die Prosa-Invektiven von Francesco Petrarca (1304-74)
07. - 09. Oktober 2024: Tagung "The Power of Asymmetry or the Struggle for Truth: Invective Practices in Premodern Europe" in Prag
Tagung "HATE" (Dresden, Februar 2024)
Dr. Marius Kraus und Pablo Borgialli werden im Rahmen des DFG-Projekts auf dem israelisch-deutschen Workshop "HATE" vom 21. - 23. Februar 2024 an der TU Dresden vortragen.
- Thema Dr. Marius Kraus: Hatred as a Strategic Resource. Anti-Jewish Conspiracies in 16th Century German Humanism
- Thema Pablo Borgialli: Antropological Hate and Cultural Society
Projektbeschreibung
Was bedeutet ‚Humanismus‘, und wer gehört zur Gruppe der ‚Humanisten‘? Diese Fragen wurden von den Zeitgenossen nicht zuletzt in actu unter Einsatz von Invektiven geklärt, so die Ausgangsthese des Vorhabens.
Intellektuelle, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts Rhetorik als vornehmste Methode der Tugendförderung, Wahrheitssuche und Gotteserkenntnis betrachteten, sahen im Einsatz von persönlichen Herabsetzungen ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung und Verteidigung ihrer Werte, Ansichten und Positionen. Dies wird von der Forschung erst in jüngerer Zeit wahrgenommen und in voller Tragweite für ein angemessenes Verständnis des Humanismus bewertet. Lange wurden die humanistischen Invektiven von der Forschung ausgeblendet, gar stiefmütterlich behandelt. Als pubertär oder gar obszön empfundene Streitschriften gegen einzelne Personen oder Gruppen wollten nicht in das hehre Bild passen, das man sich gern von den Protagonisten einer auf Klassiker rekurrierenden Bildungsbewegung machte – dabei verspricht gerade die Untersuchung dieses scheinbaren Widerspruchs neue Erkenntnisse in Bezug auf den Humanismus.
Das Vorhaben geht dabei aus einem Teilprojektantrag für die zweite Laufzeit des Dresdner Sonderforschungsbereichs 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ hervor. In dem von 2017-21 gelaufenen Projekt „Agonale Invektiven. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus“ interessierte besonders die grundsätzliche Bedeutung von Agonalität und Ritualität streithafter Auseinandersetzungen im invektiven Geschehen. Es standen die mit Invektiven dynamisierten Gruppenbildungsprozesse im Humanismus im Vordergrund, und zwar in Weiterführung von Untersuchungen, welche die Bedeutung kompetitiver Praktiken für die soziale Gruppenbildung bereits deutlich zeigen.
Das im Forschungsprogramm des SFB 1285 im Hinblick auf mögliche Funktionen von Invektivität angesprochene Phänomen einer Asymmetrisierung im intellektuellen Feld ergab eine interessante Perspektive für die Konzeption dieses Vorhabens. Etablierte Kontrahenten der ständisch und institutionell abgesicherten Bildungselite wurden von den Humanisten bspw. als weniger sprachmächtig und gebildet apostrophiert und damit herabgewürdigt, Differenzen zu ihnen als unüberbrückbar hingestellt, um sie mit Diffamierungen aus dem Anerkennungskreis hinausdrängen, damit sozial ausgrenzen und ihre Positionen einnehmen zu können. Die Herabsetzungen wurden dabei häufig bewußt und reflektiert eingesetzt: Wer sich ihrer bediente, suchte keinen Kompromiß – wer in sie einstimmte, signalisierte Einverständnis. Bestimmten Personen und Gruppen gelang im invektiven Modus so eine Asymmetrisierung gegenüber Kontrahenten, die z. B. als ‚Barbaren‘ oder ‚Scholastiker‘ herabgesetzt wurden.
- Kraus, Marius/Dröse, Albrecht: Ulrich von Hutten's partisanship in the Reuchlin-Controversy (1514-1519). Determining functions of 'Invectivity' in Early Sixteenth-Century German Humanism, in: Journal of Early Modern Christianity 10,1 (2023), S. 13-41, URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/jemc-2023-2036/html.
- Schwerhoff, Gerd: Pasquillus Germanicus. Zur druckmedialen Karriere einer Spötter-Figur im 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 25 (2023), S. 66-102.
- Schwerhoff, Gerd: Streitkulturen der Frühen Neuzeit und wir – eine Einführung, in: Claudia Weiß/Holger Zaunstöck (Hrsg.): Streit. Menschen, Medien und Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute, Halle a.d.S. 2023, S. 23-47.