Nov 05, 2023
Bericht zur Veranstaltung "Digital Holocaust Education"
Digital Holocaust Education.
Zum Potential digitaler Angebote von Gedenkstätten für die historisch-politische Bildung in Schule und Gesellschaft
von Franziska Köhler, Annika Naujokat und Michelle Sickert
Wie gehen Gedenkstätten mit den Chancen und Herausforderungen digitaler Medien um? Diese und weitere Fragen speziell zur „Digital Holocaust Education“ wurden am Dienstag, den 06. Oktober 2023, in einer Podiumsdiskussion unter Vertreter:innen verschiedener Gedenkstätten thematisiert. Der Diskussion ging eine Live-Zoom-Führung durch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau voraus. Den rund 80 Zuschauer:innen im Dülfersaal der Technischen Universität Dresden wurden während der 90-minütigen Führung auch Räumlichkeiten gezeigt, die den Besucher:innen vor Ort mitunter unzugänglich bleiben.
Wojciech Soczewica, der Generaldirektor der Auschwitz Foundation, erklärte, das Projekt sei als Reaktion auf die Corona-Pandemie entstanden und bisher von allen Testgruppen als äußerst eindrücklich wahrgenommen worden. Dabei bekräftigte Herr Soczewica jedoch, dass das Online-Angebot den Besuch vor Ort nicht ersetzen solle. Es sei überdies entscheidend, die Führung live durchzuführen, um den Zuschauer:innen Nachfragen zu ermöglichen und eine bessere Immersion zu erzeugen. Die Live-Führung wird zudem mit Bild- und Tonaufnahmen von Opfern des Lagers und ihren Erzählungen untermauert.
In einer kleinen Pause zwischen dem Vor- und Hauptprogramm erhielten interessierte Gäste die Möglichkeit, die Web-App "Den Dingen auf der Spur" kennenzulernen. Markus Wegewitz von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora präsentierte das digitale Angebot, welches es ermöglicht, Gegenstände aus den Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen schon vor einem örtlichen Besuch näher kennenzulernen.
Anschließend wurde das Hauptprogramm des Abends, die Podiumsdiskussion, mit einleitenden Worten der aktuell geschäftsführenden Direktorin des Instituts für Geschichte und Professurinhaberin für Technik- und Wirtschaftsgeschichte des Instituts, Prof. Dr. Gisela Hürlimann, sowie der Professurvertreterin für Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte an der TU Dresden, Dr. Stephanie Zloch, eröffnet.
Frau Zloch verwies darauf, dass das Thema der „Digital Education“ sich inzwischen auch vermehrt in den Abschlussarbeiten der Lehramtsstudent:innen für Geschichte niederschlüge und dankte den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern der Geschichtsdidaktik, Dr. Mathias Herrmann und Martin Reimer (M.A.), für die Organisation der Veranstaltung. Zunächst erfolgten Impulsvorträge von den Podiumsgästen über die digitale Arbeit ihrer jeweiligen Gedenkstätten.
Zu den Diskussionsteilnehmer:innen zählten dankenswerterweise Frau Dr. Birgit Sack in ihrer Eigenschaft als Leiterin der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden, Frau Dr. Andrea Genest (Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück), Herr Prof. Dr. Jens-Christian Wagner (Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora), sowie Herr Wojciech Soczewica. Tobias Kley von der Brücke/Most-Stiftung und Sprecher der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft für Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus moderierte die Diskussionsrunde. Bereits in den Vorträgen wurde offenkundig, dass allen Gedenkstätten die Öffnung für digitale Module gemeinsam ist. So gibt es für die Gedenkstätte Ravensbrück digitale 360-Grad-Rundgänge und für die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Online-Ausstellungen sowie digitale Fotobücher. Die Diskussionsteilnehmer:innen waren sich jedoch einig, dass jedwede digitalen Angebote keinen Ersatz für den analogen Besuch der Gedenkstätten darstellen, deren höchstes Gut die Authentizität sei.
Im Verlauf der Gesprächsrunde wurde mehrfach die Problematik der fehlenden finanziellen Mittel und Stellen für den Ausbau der digitalen Zugänge betont. Die Präsenz auf Social Media sei beispielsweise häufig erst durch das private Interesse von Mitarbeiter:innen angestoßen worden. Frau Dr. Sack wies in diesem Zusammenhang aber auf die Notwendigkeit der dauerhaften Pflege von Social-Media-Kanälen hin. Auch Herr Prof. Dr. Wagner appellierte an die Innovationsfreudigkeit der Gedenkstätten, denn schnell veraltende Systeme würden permanente Anpassungen nach sich ziehen. So stellte etwa der Besitzerwechsel der Plattform „Twitter“ (jetzt „X“) auch die Verantwortlichen der Seite der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau vor die Frage, ob man sich in Anbetracht der dort zunehmend rechtsgerichteten Inhalte zurückziehen müsse. Herr Soczewica verdeutlichte, dass man sich dagegen entschieden habe. Schließlich könne durch den medialen Auftritt solcher Gedenkstätten das Geschichtsbewusstsein und die Meinungsbildung von User:innen beeinflusst werden.
Unterdessen konnten die Zuschauer:innen ihre Fragen über ein Online-Tools stellen. Das Publikum interessierte sich für die Zielgruppe und Auswertung des Social-Media-Auftritts der Gedenkstätten, sowie den Umgang mit Emotionen im digitalen Raum. Auf Herrn Kleys abschließende Frage hin, was die Podiumsgäste sich für die Zukunft wünschen würden, hoben sie ihre jeweiligen Schwerpunkte hervor: So unterstrich Herr Prof. Dr. Wagner die Relevanz der Beibehaltung wissenschaftlicher Prinzipien wie der Quellenkritik und Medienkompetenz auch im digitalen Raum, Frau Dr. Sack stellte das Alleinstellungsmerkmal historischer Orte heraus, welches durch die Möglichkeiten des Internets nicht zu ersetzen sei. Frau Dr. Genest, welche die digitalen Medien als große Stütze für Ihre Arbeit begreift, merkte allerdings ebenfalls an, dass die Gedenkstätten nicht alle Optionen und Neuheiten unüberlegt umsetzen dürften – man müsse auch Grenzen setzen. Herr Soczwica begrüßte die erhöhte Reichweite durch Social Media und sprach sich zuversichtlich für eine verstärkte Kooperation unter den Gedenkstätten aus.
Das Publikum konnte an diesem Abend einen guten Einblick in die bereits bestehenden Beiträge zur „Digital Holocaust Education“ der vertretenen Einrichtungen gewinnen und zugleich an den Wert eines Besuches der authentischen, historischen Orte erinnert werden.
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