14.12.2020; Kolloquium
Homosexualität in der Stadtgesellschaft 1949-1994
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Die Geschichte der Homosexualität erschöpft sich weder in der (Erfolgs)Geschichte einer Emanzipationsbewegung, noch in der gegenwärtig besonders viel Aufmerksamkeit erfahrenden Aufarbeitung rechtlicher und juristischer Diskriminierung. Vielmehr strebt eine derzeit sehr lebendige Forschungsströmung danach, die Geschichte der Homosexualität als Teil der weiteren Kultur- und Gesellschaftsgeschichte zu erfassen und sie zudem als ein Indiktator für Demokratisierung und Diversifizierung von Gesellschaften zu erschließen. Als Beitrag zu dieser Forschungslinie setzt das Projekt "Im Schatten von §175: Homosexualität in der Osnabrücker Stadtgesellschaft 1949-1994" an der Stadtgesellschaft einer mittelgroßen westdeutschen Stadt an, um "vor Ort" die Dynamiken von Verdrängung und Exklusion, Emanzipation und Rechtskampf, sowie Selbstorganisation und Identifikation zu untersuchen. Mit dem seltenen Fokus auf eine mittelgroße Stadt folgt es dabei auch den zu- und wegzugsbedingten Dynamiken des alternativen Stadtlebens und bietet mit großer Tiefenschärfe eine Schnittstelle zu Studien, die sich entweder größeren Räumen oder größeren Städten annehmen. Das Projekt baut auf einer breiten Quellenbasis aus offiziellen Archiven, privaten Sammlungen sowie zahlreichen qualitativen Interviews schwuler, lesbischer und heterosexueller Personen auf, anhand derer das Projekt eine kritische Sozial- und Rechtsgeschichte inmitten einer Stadtgesellschaft situiert. Dabei geht in dieser Studie in erster Linie um die Frage der "Sichtbarkeit" homosexuellen Lebens im Leben der Stadt und die daraus folgende Re-Konstitutierung des Stadtraums.
Kurzbio:
Frank Wolff ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück und Vorstandsmitglied des dortigen Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS). Er wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2011, summa cum laude), hielt 2010-11 ein DFG-Visiting Fellowship an der Johns Hopkins University, Baltimore und war 2016 Max Kade Gastprofessor in German Studies an der Notre Dame University, USA. 2021 wird er am Bard College Berlin als Visiting Lecturer on Racism and Antisemitism Studies lehren. Neben zahlreichen Fachpublikation erschienen seine Beiträge in der FAZ, Cicero oder dem Deutschlandfunk. Er ist Herausgeber mehrerer Bände und Autor zweier preisgekrönter Monographien zur transnationalen Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung (Neue Welten in der Neuen Welt, Industrielle Welt 86, Böhlau 2014, in English: Yiddish Revolutionaries in Migration, Historical Materialism Series 226, Brill 2021 and Haymarket Books 2022) und zur deutschen Teilung (Die Mauergesellschaft, stw 2297, Suhrkamp 2019). Gegenwärtig beendet er ein Buch zur Geschichte der Homosexualität in der Bundesgesellschaft und schreibt eines zur Intellectual History des Konzepts “Grenze”.