Das Projekt
Inhaltsverzeichnis
Bildproteste in den Sozialen Medien - Internet Memes, Videos von Polizeigewalt und Bezüge zur Kunst.
Die Sozialen Medien sind zu einem zentralen Austragungsort politischer Proteste geworden. Dabei sind es insbesondere Bilder, die Proteste in den Sozialen Medien prägen. Das bildtheoretische Interesse des Projektes ist es, vier Dimensionen von Bildprotesten in ihren wechselseitigen Bezügen zu bestimmen: Proteste als Bildmotiv, Proteste, die sich gegen Bilder richten, Bilder als Instrumente des Protests, sowie Bilder als Akteure, die eine unkontrollierbare Eigendynamik innerhalb von Protesten entwickeln. Durch den Einbezug künstlerischer Praktiken ist die Theoriebildung außerdem eng mit kunstwissenschaftlichen Fragestellungen verknüpft und soll zu einem Ansatz ausgeweitet werden, der das Verhältnis von Bild, Protest und Kunst im Zeitalter der Sozialen Medien neu definiert.
Diese Konstellation wird mit dem Begriff der Bildproteste theoretisch gefasst und in drei miteinander verschränkten Arbeitsbereichen untersucht. Die Teilprojekte 1 und 2 widmen sich mit Internet-Memes als politischer Bildpraxis und Videos von Polizeigewalt zwei besonders virulenten Beispielen von Bildprotesten in den Sozialen Medien. Auf einer übergeordneten Ebene fokussiert Teilprojekt 3 die Aneignung und Reflexion dieser Bildproteste in der Gegenwartskunst. Diese Schwerpunktsetzungen erlauben es, drei sehr unterschiedliche, gleichwohl zentrale Modi digitaler Bildproteste – nämlich deren propagandistische, dokumentarische und künstlerische Dimensionen – in ihrer Relationalität zu analysieren.
Teilprojekt 1: Memes als politische Bildpraxis
Kaum ein politisches Ereignis kommt heute ohne seine Verarbeitung in Form von Internet-Memes aus. Im Kontext politischer Protestbewegungen – von der Neuen Rechten bis hin zu Black Lives Matter, dem Widerstand gegen die chinesische Internetzensur oder dem Ukrainekrieg – werden Memes genutzt, um die jeweiligen Gegner anzugreifen und Affektgemeinschaften zu mobilisieren. Meme-Praktiken reichen von konventionalisierten Bild-Text-Kombinationen sogenannter „Image Macros“, über Photoshop-Montagen, bis hin zu „Selfie-Protesten“ oder fotografischen Reenactments. Inwiefern rekurrieren diese Bildpraktiken auf Vorläufer in der visuellen Kunst und Kultur? Inwiefern haben die Algorithmen und Kommunikationsstrukturen der Sozialen Medien aber auch zu einer radikalen Neukonfiguration politischer Bildproteste geführt?
Memes zeichnen sich gerade durch ihre Schwarmlogik aus und konstituieren sich durch die Vielzahl miteinander vernetzter Einheiten. Ziel des Teilprojektes ist es, gerade die ambivalenten visuellen Resonanzeffekte innerhalb eines Meme-Komplexes nachzuvollziehen und die Unkontrollierbarkeit von „Meme-Protesten“ herauszuarbeiten, die häufig an der Schwelle von Humor und Kritik operieren und im Zuge der viralen Verbreitung ihre politische Stoßrichtung ändern können.
Teilprojekt 2: Videos von Polizeigewalt
Videos von Polizeigewalt nehmen eine wichtige Position bei Protestbewegungen gegen Polizeiwillkür, Unterdrückung und Xenophobie ein. Das Teilprojekt fokussiert ein virulentes und bislang wenig beachtetes Videokorpus, das aus Aufnahmen von polizeilicher oder militärischer Gewalt gegen Migrant*innen besteht. Das Spektrum dieser Videos ist vielfältig – es reicht von handygefilmten Amateuraufnahmen bis zu Aufnahmen staatlicher Überwachungstechnologien, von zufällig eingefangenen Gewalthandlungen bis hin zu Aufnahmen von Aktivist*innen. Videos aus den Grenzbereichen entfalten ein komplexes Netz aus Dämonisierungs- und Viktimisierungsdikursen und zeichnen sich vor allem durch ihre politische Uneindeutigkeit aus. Sie entwickeln eine unvorhersehbare Dynamik und mobilisieren Protestaktionen von promigrantischen Gruppen ebenso wie von Migrationsgegner*innen. Inwiefern prägen die unterschiedlichen Kameratechniken im Grenzbereich sowie die Algorithmizität der Netzwerke neue Ästhetiken und Dynamiken der Bildkommunikation? Inwieweit verfestigen sich in Videos von Polizeigewalt (Staats-)Macht und Gegenwehr?
Ziel des Teilprojektes ist es, die Persistenz visueller Codes nachzuvollziehen, die auf die Bewertung der dargestellten Gewalt zurückwirken. Dazu soll eine Analysematrix erstellt werden, die es erlaubt neben bild- und filmästhetischen Merkmalen, wie Unschärfe, Kamerabewegung, Lichtverhältnisse usw. auch Bildmotive hinsichtlich eines Affizierungs- und Mobilisierungspotentials zu systematisieren und auszuwerten.
Teilprojekt 3: Künstlerische Aneignung und Reflexion von Bildprotesten
Die im Projekt untersuchten Bildproteste werden auch in der Gegenwartskunst aufgegriffen und neu verhandelt. Das Teilprojekt geht von der Beobachtung aus, dass die stark politisierten digitalen Bildkulturen zu einer zentralen ästhetischen Ressource für die zeitgenössische Kunst geworden sind und die Grenze zwischen Bildern der Medien und Bildern der Kunst zunehmend fließend ist. Am Beispiel ausgewählter künstlerischer Positionen, die als Reaktion auf Memes oder Videos von Polizeigewalt entstanden sind, will das Teilprojekt diesen Zusammenhang erforschen.
Während der Transfer der Social Media-Bilder in die Kunst offensichtlich ist, ist das Einfließen von künstlerischen Praktiken in die digitale Bildkultur weniger eindeutig nachzuweisen. Trotzdem geht das Projekt von einem wechselseitigen Beobachtungsverhältnis beider Sphären aus, das in enger Zusammenarbeit mit den beiden anderen Teilprojekten näher bestimmt werden soll. Ein übergeordnetes kunstwissenschaftliches Ziel dieses Teilprojekts ist es zu untersuchen, inwiefern die Paradigmen digitaler Bildkulturen zu Verschiebungen in der Kunst führen und wie umgekehrt Bildproteste in den Sozialen Medien durch (historische) künstlerische Ansätze geprägt sind.
Methodenarbeit
Die schiere Masse an Bildern und die mit ihnen verknüpften Metadaten stellt die kunst- und bildwissenschaftliche Forschung insgesamt vor neue Herausforderungen. Ein Schwerpunkt unserer Projektarbeit liegt deshalb auf der Entwicklung eines innovativen Methoden-Mix, der kunsthistorische Methoden mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen der Affect Studies verbindet, zugleich aber auch digitale Analysetools kritisch reflektiert und für die bildwissenschaftliche Forschung erprobt. Für das Frühjahr 2023 planen wir dazu einen Workshop an der TU Dresden.